Baurecht

Besitzeinweisungsverfahren nach AEG, Kostenerhebung im Einstellungsbeschluss, Auslagen, Unrichtige Sachbehandlung

Aktenzeichen  M 24 K 18.1825

Datum:
30.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51157
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AEG §§ 21, 22
AEG § 21 Abs. 3
BayEG Art. 42 Abs. 1
Kostengesetz Art. 10 Abs. 1 Nr. 1
Kostengesetz Art. 16 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Der Einstellungsbeschluss der Landeshauptstadt München vom 9. März 2018 (Az.: E-AEG 1/17) wird in Ziff. 2 aufgehoben, soweit ein Auslagenbetrag von mehr als 476,00 EUR festgesetzt wurde.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klagepartei und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO. Die Klage, soweit sie aufrechterhalten wurde, ist zulässig und begründet.
1. Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass das Verwaltungsgericht München für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits sachlich zuständig ist.
Eine sachliche Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gemäß Art. 6 AGVwGO i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 3, § 48 Abs. 1 Nr. 7 VwGO [Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die Änderung von Strecken … von öffentlichen Eisenbahnen], die auch Besitzeinweisungen im Nachgang zu einer Planfeststellung öffentlicher Eisenbahnen erfasst, greift nicht bei bloßen Einstellungsbeschlüssen wie dem vorliegend streitgegenständlichen. Bei isolierter Anfechtung der Kostenentscheidung fehlt es an dem unmittelbaren Bezug zur beschleunigungsbedürftigen Planung und Herstellung der Anlage, so dass es bei der Regelzuständigkeit des Verwaltungsgerichts bleibt (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Bier/Panzer, VwGO § 48 Rn. 7; BVerwG – NVwZ-RR 1996, 610; HessVGH – NVwZ 1988, 75). Mit Einverständnis der Beteiligten wurde die Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 VwGO).
2. Rechtsgrundlage für die Einhebung des Kostenaufwands bei vorzeitigen Besitzeinweisungsverfahren nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) ist §§ 21, 22 Abs. 4 (entspr.) AEG i.V.m. Art. 42 Abs. 1 Bayerisches Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung (BayEG) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 Kostengesetz (KG).
Soweit im Kostenverzeichnis nicht Ausnahmen vorgesehen sind, werden die Sachverständigen zustehenden Entschädigungen als Auslagen der an der Amtshandlung beteiligten Behörden und Stellen erhoben (Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 KG). Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, werden nicht erhoben (Art. 16 Abs. 5 KG). Amtshandlungen sind Tätigkeiten, die die Behörde in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornimmt; die Kosten der Amtshandlung umfassen Gebühren und Auslagen (Art. 1 Abs. 1 KG).
Die von der Klagepartei beantragte Amtshandlung war die vorzeitige Besitzeinweisung nach dem AEG in eine Gesamtfläche von 811 m² aus Grundstücks(teil) flächen der Grundstücke FlNrn. 151/24 (hieraus 440 m²), 151/39 (hieraus 95 m²) und 158/76 (hieraus 276 m²) Gemarkung … ab dem 2. Januar 2018 als bauzeitliche Inanspruchnahme zur Mitbenutzung als B. straße zur Durchführung des vom Eisenbahn-Bundesamt mit Planfeststellungsbeschluss vom 9. Juni 2015 planfestgestellten Vorhabens „Neubau einer 2. S-Bahn-Stammstrecke München, Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1, München West, Bereich Laim bis K. platz mit Haltepunkt Hauptbahnhof“.
Die materiellrechtlichen Anforderungen der vorzeitigen Besitzeinweisung sind abschließend in § 21 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AEG benannt; dies hat der Gesetzgeber eigens in § 21 Abs. 1 S. 3 AEG hervorgehoben (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2004 – 22 AS 04.40028 – juris Rn. 18). Es ist insoweit zu beachten, dass das durchzuführende Besitzeinweisungsverfahren als Amtshandlung von der Amtshandlung der Durchführung des Enteignungsentschädigungsverfahrens – jedenfalls im Hinblick auf die Zuordnung der Kosten – getrennt zu betrachten ist. Die in § 21 Abs. 3 S. 1 AEG vorgesehene Beweissicherung unter der tatbestandlichen Voraussetzung „Soweit der Zustand des Grundstücks von Bedeutung ist, …“ betrifft bereits nicht die Feststellung der materiellrechtlichen Anforderungen der vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 21 Abs. 1 AEG, sondern – soweit der Zustand des Grundstücks tatsächlich von Bedeutung sein könnte – gegebenenfalls das Enteignungsentschädigungsverfahren (vgl. VGHBW, U.v. 19.1.2017 – 5 S 301/15 – juris insb. Rn. 34). Insoweit ist zu sehen, dass der Zustand des Grundstücks nur das Tatsächliche in der Natur erfasst, nicht jedoch rechtliche Aspekte und Rechtsbeziehungen zum Grundstück oder dessen Abgrenzungen, die in der Natur nicht sichtbar sind, denn nur der Zustand ist der Beweissicherung zugänglich.
Es liegt im vorliegenden Fall kein Anhaltspunkt dafür vor, inwieweit der Zustand des Grundstücks für die Entscheidung über die beantragte Besitzeinweisung von Bedeutung gewesen wäre. Weder die Beklagte hat in der Behördenakte hierzu etwas vermerkt, noch haben die Verfahrensbeteiligten die Vornahme einer Beweissicherung beantragt, wenngleich – im Gegensatz zur Beweissicherung in Besitzeinweisungsverfahren nach § 116 Abs. 5 BauGB – eine Antragstellung nach § 21 Abs. 3 AEG nicht Voraussetzung ist. Eine solche Antragstellung ergäbe jedoch einen Anhaltspunkt für die Enteignungsbehörde zu prüfen, ob der Zustand des Grundstücks nach Maßgabe der Anforderungen in § 21 Abs. 1 AEG für die Besitzeinweisung von Bedeutung sein könnte. Vorliegend ist der Zustand des Grundstücks im Übrigen zwischen den Beteiligten der Besitzeinweisung, die den Bauerlaubnisvertrag abgeschlossen haben und damit das Besitzeinweisungsverfahren, aber nicht zugleich das Enteignungsentschädigungsverfahren vertraglich beendeten, da dessen Beantragung den Grundstückseigentümern vorbehalten blieb (vgl. § 3 Abs. 3, § 8 der Bauerlaubnisvereinbarung vom 19./20. Dezember 2017, Bl. 193ff. BA), unstreitig gewesen.
Bei richtiger Sachbehandlung durch die Beklagte wären die streitgegenständlichen Auslagen im Besitzeinweisungsverfahren nicht als Auslagen entstanden und können damit nicht als Kosten dieses Verfahrens erhoben werden, denn die oben genannte tatbestandliche Voraussetzung nach § 21 Abs. 3 AEG ist nicht erfüllt. Ob das Vorgehen der Beklagten im Verfahren die übrigen Anforderungen des § 21 Abs. 3 AEG erfüllt, insbesondere, ob die Beklagte dabei nach freiem Ermessen entscheiden kann, ob die Enteignungsbehörde selbst oder ein von ihr damit zu beauftragender Sachverständiger eine nach § 21 Abs. 3 AEG erforderliche Zustandsfeststellung durchzuführen hat, und ob die von der Beklagten festgesetzten Auslagen nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 KG eine einem Sachverständigen zustehende Entschädigung darstellen, bedarf keiner Entscheidung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.


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