Baurecht

Bestandsverzeichnis zur öffentlichen Einsicht – Widmungsfinkuntion

Aktenzeichen  B 4 K 14.642

Datum:
16.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 127, § 132 Nr. 4, § 242 Abs. 1
BayStrWG BayStrWG Art. 6 Abs. 1, Art. 67 Abs. 3 S. 3, Abs. 4
VwGO VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 113 Abs. 1 S. 1, § 154 Abs. 3
KAG Art. 5 Abs. 1 S. 1, 3
BayVwVfG BayVwVfG Art. 43 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Eintragung eines Weges in das erstmalig angelegte Bestandsverzeichnis wird einem Betroffenen gegenüber durch die öffentliche Bekanntmachung über die Auslegung des Bestandsverzeichnisses, durch die individuelle Unterrichtung von der Auflegung des Bestandsverzeichnisses oder durch die Zustellung der Eintragungsverfügung wirksam. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die das Bestandsverzeichnis führende Gemeinde trägt die Beweislast für das (Nicht-) Vorliegen von Umständen, der für die Wirksamkeit der Eintragung erheblich ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine technisch endgültig hergestellte Anbaustraße ist erst dann eine beitragsfähige Erschließungsanlage iSd § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn sie derart öffentlich ist, dass sie für die Benutzung durch die in Frage kommende Allgemeinheit gesichert zur Verfügung steht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4 Im Straßenausbaubeitragsrecht ist nur der Ausbau bereits gewidmeter und damit bereits öffentlicher Straßen beitragsfähig. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten bzw. Beigeladenen durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte bzw. Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
2. Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig, aber nicht begründet. Der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes … vom 22.08.2014 ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht im beantragten Umfang aufzuheben, weil er auch insoweit rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist.
Der gegenüber dem Beigeladenen erlassene Straßenausbaubeitragsbescheid vom 12.03.2012 wurde im Widerspruchsverfahren zu Recht aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Beitragserhebung nicht erfüllt waren.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränktöffentlichen Wegen sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach dem BauGB zu erheben sind.
2.1 Die streitgegenständliche Straße war bei Abschluss der Baumaßnahme am 17.03.2009 noch keine öffentliche Einrichtung der Klägerin, weil sie erst durch die förmliche Widmung mit Wirkung vom 05.03.2012 gemäß Art. 6 Abs. 1 BayStrWG die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhalten hat.
2.1.1 Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Übergangsvorschrift des Art. 67 Abs. 4 BayStrWG, wonach die Widmung als verfügt gilt, wenn eine Eintragung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG im Bestandsverzeichnis unanfechtbar wird.
Art. 67 Abs. 4 BayStrWG bezeichnet als den für die Erlangung der Eigenschaft einer öffentlichen Straße maßgeblichen Verwaltungsakt (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) die Eintragung in das Bestandsverzeichnis. Auch diese Allgemeinverfügung bedarf zu ihrer Wirksamkeit gemäß Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG einer Bekanntgabe. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann die Eintragung eines Wegs in das erstmalig angelegte Bestandsverzeichnis im Sinne des Art. 67 Abs. 3 BayStrWG einem Betroffenen gegenüber durch die öffentliche Bekanntmachung über die Auflegung des Bestandsverzeichnisses nach Art. 67 Abs. 3 Satz 3 BayStrWG, durch die individuelle Unterrichtung (gegen Zustellungsnachweis) von der Auflegung des Bestandsverzeichnisses nach Art. 67 Abs. 3 Satz 4 BayStrWG oder durch die Zustellung der Eintragungsverfügung wirksam werden (BayVGH, Urteil vom 12.12.2000 – 8 B 99.3111 Rn. 38).
Zwar handelt es sich bei der auf dem Karteiblatt Nr. 8 des Bestandsverzeichnisses für Gemeindestraßen der Gemeinde Weiden unter der Straßenzug-Nr. … als Ortsstraße eingetragenen … möglicherweise um den heutigen …”. Auf eine Tatbestandswirkung dieser Eintragung kann sich die Klägerin aber nicht mit Erfolg berufen, weil in den von ihr und vom Landratsamt … vorgelegten Unterlagen über die Erstanlegung des Bestandsverzeichnisses nicht einmal andeutungsweise irgendwelche Anhaltspunkte dafür zu finden sind, dass die für ein Wirksamwerden der Allgemeinverfügung unabdingbare Bekanntgabe – in welcher Form auch immer – erfolgt ist. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, welcher der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 28.02.2012 – 8 B 11.2934) zugrunde lag. Dort ging es um die Frage, ob eine Eintragung wegen diverser Verfahrensmängel nichtig und deshalb gemäß Art. 43 Abs. 3 BayVwVfG unwirksam ist. Die Erfüllung der Wirksamkeitsvoraussetzung des Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG in Form einer öffentlichen Bekanntmachung stand hingegen fest.
Da die Eintragung und das dabei durchzuführende Verfahren sich im Herrschafts- und Risikobereich der das Bestandsverzeichnis führenden Gemeinde vollziehen, trägt sie auch die materielle Beweislast dafür, dass ein tatsächlicher Umstand, der für die Wirksamkeit der Eintragung erheblich ist, nicht bewiesen werden kann (BayVGH, Urteil vom 28.02.2012 – 8 B 11.2934 Rn. 56). Angesichts der Unerweislichkeit einer Bekanntgabe ist daher zu Lasten der Klägerin davon auszugehen, dass die Eintragung nicht wirksam geworden ist.
2.1.2 Die Eigenschaft einer öffentlichen Straße schon vor der förmlichen Widmung des … mit Wirkung vom 05.03.2012 ergibt sich auch nicht aus Art. 67 Abs. 2 BayStrWG . Danach bleiben Straßen im Sinn der Art. 28 und Art. 29 der Bayerischen Gemeindeordnung vom 17 . Oktober 1927 (GVBl. S. 293) nach Maßgabe und in dem Umfang der bisherigen Vorschriften bis zur unanfechtbaren Entscheidung über ihre Aufnahme in das Bestandsverzeichnis öffentliche gemeindliche Straßen.
Eine Straße im Sinne dieser Vorschrift unterstellt, wäre der Tatbestand auf den ersten Blick zwar erfüllt, weil über ihre Aufnahme in das Bestandsverzeichnis nicht unanfechtbar entschieden wurde, solange die Eintragung mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden ist. Da aber nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Neuanlegung der Bestandsverzeichnisse auf der Grundlage des Art. 67 Abs. 3 BayStrWG längstens innerhalb von 30 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes (01.09.1958) abzuschließen war (BayVGH, Urteil vom 28.02.2012 – 8 B 11.2934 Rn. 55), ist auch die übergangsweise Fortgeltung des alten Gemeindestraßenrechts nach Art. 67 Abs. 2 BayStrWG spätestens am 31.08.1988 ausgelaufen. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt kein wirksames Bestandsverzeichnis angelegt war, verloren alle gemeindlichen Straßen ihren Status nach Art. 28 und Art. 29 der Bayerischen Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927 (Häußler, in: Zeitler, BayStrWG, Kommentar, Stand: Nov. 2012, Art. 67 Rn. 16) und bedurften zur Erlangung der Eigenschaft einer öffentlichen Straße einer förmlichen Widmung nach Art. 6 BayStrWG.
2.2 Die Widmung der streitgegenständlichen Straße nach Abschluss der Ausbaumaßnahme war nicht geeignet, nachträglich eine Ausbaubeitragspflicht zu begründen. Insoweit unterscheidet sich das Straßenausbaubeitragsrecht grundsätzlich vom Erschließungsbeitragsrecht, obwohl sich das Tatbestandsmerkmal „öffentlich“ sowohl in § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB – öffentliche zum Anbau bestimmte Straße – als auch in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG – öffentliche Einrichtung – findet.
Im Erschließungsbeitragsrecht geht es um die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlagen. Eine technisch endgültig hergestellte Anbaustraße (vgl. § 132 Nr. 4 BauGB) ist erst dann eine beitragsfähige Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn sie derart öffentlich ist, dass sie für die Benutzung durch die in Frage kommende Allgemeinheit gesichert zur Verfügung steht (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 19 Rn. 16). Erst dann ist sie geeignet, einen nachhaltigen Erschließungsvorteil zu vermitteln, der eine Beitragserhebung rechtfertigt. Die Verleihung der Eigenschaft einer öffentlichen Straße durch die Widmung gehört also gewissermaßen noch zur erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB dazu, weil ohne sie keine „öffentliche“ Anbaustraße vorliegt. Deshalb entstehen, wenn alle übrigen Entstehungsvoraussetzungen vorliegen, die Anbaustraße aber noch nicht gewidmet ist, die Beitragspflichten für eine technisch endgültig hergestellte Anbaustraße mit der nachfolgenden Widmung.
Anders verhält es sich im Straßenausbaubeitragsrecht. Hier geht es um die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen, die bereits öffentliche Einrichtungen der Gemeinde sind (Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG). Während im Erschließungsbeitragsrecht die nachträgliche Widmung einer technisch endgültig hergestellten Anbaustraße deren Herstellung als Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB durch die Verleihung der Eigenschaft „öffentlich“ gewissermaßen abschließt, ist im Straßenausbaubeitragsrecht die Widmung der Verbesserung oder Erneuerung vorgeschaltet. Nur der Ausbau bereits gewidmeter und damit bereits öffentlicher Straßen ist beitragsfähig. Scheitert somit die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen im Falle einer nachträglichen Widmung bereits an der Nichterfüllung des Tatbestandes des Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG und nicht in erster Linie daran, dass – in der Regel – mit der Widmung Erschließungsbeitragspflichten entstehen, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 KAG das Ausbaubeitragsrecht verdrängen, ist es nicht gerechtfertigt, vorhandene Erschließungsanlagen im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB nur deshalb anders zu behandeln, weil hier anlässlich der nachträglichen Widmung keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden können. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass eine nicht öffentliche Straße ausgebaut wurde und der Tatbestand des Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG deshalb nicht erfüllt ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der unterliegenden Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko übernommen hat.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
5. Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Frage, ob eine Widmung erst nach Abschluss einer
3. Ausbaumaßnahme auch bei einer vorhandenen Erschließungsanlage im Sinne des § 242 BauGB eine Ausbaubeitragserhebung ausschließt, grundsätzliche Bedeutung hat.


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