Baurecht

bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung, Sanierungsziel, fehlerhafte Störerauswahl, Haftungsbegrenzung

Aktenzeichen  AN 9 K 18.01359

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53336
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBodSchG § 4 Abs. 3, 6
BBodSchG § 10

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2018 (Az. …*) wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Bei der Niederlegung des am 12. Februar 2020 unterschriebenen Entscheidungstenors wurde in der Ziffer 1 versehentlich die Formulierung „Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2018 (Az. …*) aufzuheben.“ verwendet. Hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Versehen im Sinne von § 118 Abs. 1 VwGO, welches vom Gericht mit der Zustellung des Urteils und der hier erfolgten Begründung von Amts wegen berichtigt wird. Ein gesonderter Berichtigungsbeschluss ist entbehrlich, da der Urteilstenor nicht verkündet wurde und somit das Urteil ohnehin erst mit der Zustellung der Urteilsausfertigung mit dem hierin enthaltenen Urteilstenor wirksam wird (vgl. VG Bayreuth, U.v. 13.12.2005 – B 1 K 04.1349 – juris).
Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtene Sanierungsanordnung der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Bescheid vom 8. Juni 2018 ist daher aufzuheben.
I. Das Bodenschutzgesetz ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.
Der Anwendungsbereich des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) erstreckt sich auch auf schädliche Bodenveränderungen und Altlasten, die – wie im vorliegenden Fall – bereits vor Inkrafttreten des BBodSchG verursacht wurden. Dies ergibt sich aus § 1 BBodSchG, der die Zielsetzung enthält, auch in der Vergangenheit beeinträchtigte Bodenfunktionen wiederherzustellen. Auch § 4 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BBodSchG, der an die Gesamtrechtsnachfolge anknüpft, lässt erkennen, dass die Haftung auf Handlungen eines Rechtsvorgängers in der Vergangenheit erstreckt wird (vgl. hierzu grundlegend BVerwG U.v. 16.3.2006 – 7 C 3/05 – juris).
Auch wenn vorliegend eine Sanierung des Grundwassers verlangt wird, so richten sich die behördlichen Befugnisse dennoch nach dem Bodenschutzrecht und nicht nach dem Wasserrecht. Im Fall einer – wie hier – durch schädliche Bodenveränderungen verursachten Gewässerveränderung ist das BBodSchG gegenüber dem Wasserrecht vorrangig (vgl. Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und Gößl in Sieder/Zeitler WHG, 48. Ergänzungslieferung 2014, § 100 WHG Rn. 52). Das Bodenschutzrecht bestimmt das „Ob“ der Inanspruchnahme, das Wasserrecht das „Wie“, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG.
II. Unabhängig davon, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der seitens der Beklagten herangezo-genen Rechtsgrundlage der § 10 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3, 6 BBodSchG vorliegen, erweist sich die bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung hinsichtlich des Fehlens eines konkreten Sanierungsziels als nicht hinreichend bestimmt (unten 1.). Darüber hinaus erfolgte die Auswahl der Störer ermessensfehlerhaft (unten 2.). Die fehlende Haftungsgrenze im Bescheid verstößt zudem gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (unten 3.).
1. Das gänzliche Fehlen des Sanierungszieles im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten verstößt gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.
Der Erlass einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung erfordert in der Regel sowohl die Bestimmung des mit ihr verfolgten Ziels als auch die Angabe des Mittels durch die Behörde.
Die verbindliche Vorgabe von Sanierungszielwerten im Sanierungsbescheid setzt dabei eine einzelfallbezogene Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus. Eine bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung ist nämlich nicht hinreichend bestimmt, soweit dem Sanierungspflichtigen keine oder allenfalls langfristig erreichbare Sanierungszielwerte vorgegeben werden, ohne dass zugleich die dazu einzusetzenden, diesen Erfolg versprechenden Sanierungsverfahren festgelegt werden (VGH Mannheim, U.v. 08.03.2013 – 10 S 1190/09 – juris). Das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG verlangt hierbei, dass aus der getroffenen Regelung, d. h. aus dem Entscheidungssatz im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen, für den Adressaten der Inhalt der Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass er sein Verhalten danach richten kann. Abzustellen ist dabei nicht auf die Vorstellungen oder den subjektiven wirklichen oder gegebenenfalls hypothetischen Willen der Behörde, sondern auf den objektiven Erklärungswert und Erklärungsinhalt des dem Betroffenen Mitgeteilten, so wie dieses nach Treu und Glauben verstanden werden darf und muss. Unklarheiten gehen hierbei zulasten der Behörde. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der Verwaltungsakt ohne weitere Erläuterungen als Grundlage für die Vollstreckung und die spätere Durchsetzung von Kostenersatzansprüchen geeignet sein muss (vgl. BVerwG, U.v. 15.02.1990 – 4 C 41.87 – BVerwGE 84, 335; U.v. 18.04.1997 – 8 C 43.95 – juris; VG Augsburg, B.v. 8.10.2010 – Au 3 S 10.1132 – juris).
Der Bescheid der Beklagten enthält weder Angaben von Sanierungszielwerten noch eine hinreichende einzelfallbezogene Ableitung einer Sanierungszielwertbestimmung. Die Beklagte verweist in den Anlagen 1 und 2 zum Bescheid lediglich auf die Grundwassermessstellen (Anlage 1) sowie auf einen Maßnahmenkatalog (Anlage 2), ohne dass sich hieraus Sanierungszielwerte ergeben, die der Klägerin als Verantwortlicher klar und unmissverständlich aufzeigen, wann die Pflicht zur Sanierung beendet und erfüllt ist.
Zwar hat das Wasserwirtschaftsamt … der Beklagten am 23. Oktober 2017 mitgeteilt, dass u.a. die weitere Reduktion der in der wassergesättigten Bodenzone in signifikanter Größenordnung vorhandenen LHKW-Konzentrationen bis auf Werte dauerhaft < 10 µg/Liter als grundsätzlich zu erreichendes Sanierungsziel erforderlich ist. Die Beklagte hat jedoch dieses Sanierungsziel weder in den Bescheid aufgenommen noch darauf verwiesen.
Damit ist der hier angefochtene Bescheid mangels eines konkreten Sanierungszieles rechtswidrig.
Auch der Regelungsgehalt der einzelnen Maßnahmen in der Anlage 2, wie beispielsweise „Fortführung der Sanierungsmaßnahmen an folgenden Brunnen“, „Versuchsweise Einbindung P2n in Sanierung zur Überprüfung der Entwicklung der LHKW-Konzentrationen im längerfristigen Förderbetrieb“ sowie „Intermittierender Sanierungsbetrieb am P4“ erschließt sich nicht eindeutig. Zudem wird von der Klägerin verlangt, zwei neue Grundwassermessstellen zu errichten und bei „Bestätigung des Verdachts sind die neuen Grundwassermessstellen zur Sicherung des Abstroms heranzuziehen“, an keiner Stelle ist jedoch ausgeführt, wann der erwähnte Verdacht als bestätigt gilt.
2. Darüber hinaus erweist sich der angefochtene Bescheid hinsichtlich der getroffenen Störerauswahl als ermessensfehlerhaft.
Eine Sanierungsanordnung ist nur dann rechtmäßig, wenn sie an eine solche natürliche oder juristische Person gerichtet ist, die nach dem Gesetz für die jeweilige bodenschutzrechtliche Maßnahme in Anspruch genommen werden darf, und wenn unter ggf. mehreren möglichen Verpflichteten eine nach dem Maßstab von Art. 40 BayVwVfG und § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerfreie Auswahl getroffen worden ist. Gemäß § 10 Abs. 1 BBodSchG kann die Anordnung an eine der in § 4 BBodSchG genannten Personen gerichtet werden, die Pflichten zur Gefahrenabwehr haben. Dies sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast, dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück, ferner derjenige, der aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person, der ein belastetes Grundstück gehört, einzustehen hat, und auch derjenige, der das Eigentum an einem belasteten Grundstück aufgibt. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 BBodSchG ist der frühere Eigentümer eines Grundstücks zur Sanierung verpflichtet, wenn er sein Eigentum nach dem 1. März 1999 übertragen hat und die schädliche Bodenveränderungen oder Altlast hierbei kannte oder kennen musste, wobei nach dem Satz 2 dies für denjenigen nicht gilt, der beim Erwerb des Grundstücks darauf vertraut hat, dass schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten nicht vorhanden sind, und sein Vertrauen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles schutzwürdig ist.
Das Gesetz bestimmt in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG keine Rangfolge der dort genannten potentiell Verantwortlichen (vgl. hierzu z.B. BVerfG, B.v. 26.2.2000 – 1 BvR 242/91; BayVGH B.v. 31.8.2006 – 22 CS 06.2055; BayVGH B.v. 22.3.2001 – 22 ZS 01.731 – juris). Es gibt insbesondere keinen generellen abstrakten Vorrang des Handlungsstörers vor dem Zustandsstörer. Ein wichtiges Kriterium bei der Störerauswahl ist das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Gefahrenabwehr neben – und je nach Fallgestaltung auch in Konkurrenz und in einem Interessenskonflikt oder im Gleichklang mit dem Kriterium der effektiven Gefahrenabwehr – anderen öffentlich-rechtlichen Grundprinzipien wie dem Verursacherprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Weil bei lange zurück liegenden Altlastenursachen ein noch existenter und vor allem solventer Verursacher oft nicht mehr identifizierbar ist, darf in solchen Fällen auch der Zustandsstörer dann in Anspruch genommen werden, wenn der Handlungsstörer nicht ohne unangemessenen und unzumutbaren Verwaltungsaufwand greifbar ist oder wenn aus faktischen, rechtlichen oder finanziellen Gründen eine Gefahrenbeseitigung durch ihn nicht gewährleistet ist. Ein Ermessensfehler liegt aber immer dann vor, wenn nicht alle in Betracht kommenden Störer in die Auswahl einbezogen werden oder bei einer Vielzahl von in Betracht kommenden Verursachern einer ausgewählt wird, ohne den Verursachungsbeiträgen der anderen nachzugehen. Bei der Auswahl zwischen Zustands- und Verhaltensverantwortlichem darf auch der Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Bodenverunreinigung als Sanierungspflichtiger nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2009 – 22 ZB 08.1820 – juris; BayVGH, B.v. 17.2.2005 – 22 ZB 04.3472 – juris Rn. 14).
Die Beklagte hat unter Heranziehung dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bei ihrer Auswahl unter den potentiell in Anspruch zu nehmenden Sanierungsverpflichteten ermessensfehlerhaft nicht alle in Betracht kommenden Störer einbezogen (unten 2.1.). Dieser Ermessensfehler konnte auch nicht im Gerichtsverfahren durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO behoben werden (unten 2.2.).
2.1. Es liegt im Rahmen der zu treffenden Störerauswahl ein Ermessensfehler vor, da die Beklagte nicht alle der potentiell in Betracht kommenden Sanierungsverpflichteten in ihre Auswahlentscheidung mit einbezogen hat.
Insbesondere hat die Beklagte es unterlassen, eine Inanspruchnahme der …GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin der Handlungsstörerin …GmbH sowie der aktuellen Grundstückseigentümer und Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und der früheren Grundstückseigentümerin nach § 4 Abs. 6 Satz 1 BBodSchG zu prüfen. Als derzeitige Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke kommen namentlich in Betracht die Stadt … (S1, N1), der Landkreis … (N3), die …GbR (S2), die* … Gruppe (N2) sowie die Hellip KG (S3). Darüber hinaus kommt als frühere Eigentümerin des nördlich Grundstückteils nach § 4 Abs. 6 BBodSchG die Stadt- und Kreissparkasse … in Betracht.
Die Beklagte hat vor Erlass der Sanierungsanordnung lediglich bei dem damals zuständigen Insolvenzverwalter der Rechtsanwälte Hellip in … in den Insolvenzverfahren über das Vermögen der …GmbH als auch über das Vermögen der Hellip GmbH Auskunft eingeholt, dessen Auskünfte gerade nicht auf einer Einsichtnahme in die notariellen Verträge, in das Handelsregister und die Grundbücher basierten.
Die Beklagte konnte auch in der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür aufzeigen, warum die genannten potentiellen Sanierungspflichtigen nicht in die Ermessensauswahl miteinbezogen wurden. Derartige Anhaltspunkte sind auch nicht aus den Akten erkennbar.
Der Ermessensfehler bei der Störerauswahl ist vorliegend auch relevant, da das der Beklagten zustehende Ermessen nicht dahingehend auf Null reduziert gewesen ist, dass das Ergebnis der Ermessensausübung – also die angefochtene Sanierungsverpflichtung der Klägerin – auch ohne die Defizite der Entscheidungsfindung dasselbe hätte sein müssen, oder wenn offensichtlich ist, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2010 – 22 CS 10.439 – BayVBl 2011, 762, juris, Rn. 14).
Ein Großteil der Gesichtspunkte, die die Beklagte bei der Störerauswahl unter Vermeidung der beschriebenen Ermessensfehler hätte berücksichtigen müssen, waren ihr im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits bekannt – sie wurden lediglich nicht oder nicht ausreichend verwertet. Denn die Klägerin hatte auf Nachfrage der Beklagten mit Schreiben vom 20. Januar 2017 eine Übersicht der damaligen Eigentumsverhältnisse entsprechend der der Klägerin vorliegenden Dokumentenlage und bezogen auf die jeweiligen Flurstücke zusammengetragen und die Eigentümerwechsel je Grundstücksbereich bzw. je Teilfläche chronologisch mitgeteilt, sodass der Beklagten auch die neuen Eigentümer der einzelnen Flugnummern bekannt waren.
Vielmehr hat sich die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung deutlich dadurch leiten lassen, dass die Klägerin nach Ansicht der Beklagten als Gesamtrechtsnachfolgerin der …- …GmbH nach § 4 Abs. 3 BBodSchG in Betracht komme und die Klägerin bereits in der Vergangenheit seit Jahren die Sanierungskosten für die Grundwassersanierung auf dem streitgegenständlichen Gelände übernommen hat.
Im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 8. Juni 2018 durfte die Beklagte jedoch nicht davon ausgehen, dass die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin anzusehen ist. Der zwischen den Parteien (der Klägerin und der …GmbH) geschlossene Vertrag hat ihr nicht vorgelegen, weshalb nicht abschließend beurteilt werden konnte, ob die …KG (vormals Hellip KG) als Gesamtrechtsnachfolgerin anzusehen ist. Vielmehr teilte die Klägerin der Beklagten wiederholt vor Erlass des Bescheides mit, dass die …GmbH Rechtsnachfolgerin der …GmbH ist.
Andere Anhaltspunkte wie beispielsweise Auszüge aus dem Handelsregister bzw. Grundbuchauszüge, woraus sich ergibt, dass entgegen den Ausführungen der Klägerin diese Rechtsnachfolgerin der …GmbH ist, liegen nicht vor.
Darüber hinaus ist die Klägerin entgegen den Ausführungen der Beklagten im Sanierungsbescheid auch nicht nach § 4 Abs. 6 BBodSchG als frühere Eigentümerin des gesamten …-Geländes verantwortlich.
Nach § 4 Abs. 6 BBodSchG muss die Eigentumsübertragung auf den nachfolgenden Eigentümer nach dem Inkrafttreten des Bundesbodenschutzgesetzes am 1. März 1999 stattgefunden haben. Dies ist für alle veräußerten Grundstücke, außer denen der Stadt- und Kreissparkasse … der Fall. Nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin wurde bereits im Jahr 1995 der gesamte nördliche Teil des …-Geländes an die Stadt- und Kreissparkasse … veräußert. Dies war der Beklagten auch aufgrund der umfassenden Ausführungen zu den Eigentumsverhältnissen mit Schreiben der Klägerin vom 20. Januar 2017 bekannt. Eine Inanspruchnahme der Klägerin nach § 4 Abs. 6 BBodSchG kommt in der Folge für den nördlichen Bereich des Geländes keinesfalls in Betracht.
Es kann vorliegend entgegen den Ausführungen der Beklagten auch nicht mit Erfolg vorgebracht werden, dass angesichts des Gebotes der möglichst effektiven Gefahrenabwehr, die Klägerin als Sanierungspflichtige heranzuziehen ist.
Bei der bodenschutzrechtlichen Störerauswahl hat sich die Behörde zwar in erster Linie von dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes leiten lassen und zitiert das Urteil des VGH Mannheim, wonach das Einschreiten gegen den Zustandsstörer, der auch Inhaber der tatsächlichen Gewalt und wirtschaftlich leistungsfähig ist, jedenfalls dann nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unklar ist, ob und in welchem Umfang die Haftung anderer Personen als Gesamtrechtsnachfolgerin Betracht kommt (vgl. VGH Mannheim, U.v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris). Dieses greift jedoch hier nicht ein.
Vorliegend hat die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses alle Grundstücke an die jetzigen Eigentümer verkauft, sodass sie nicht mehr Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über die streitgegenständlichen Flurstücke ist.
2.2.. Der Ermessensfehler konnte vorliegend auch nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO behoben werden.
Zwar dürfen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Ermessenserwägungen nachgeschoben werden. Begründet wird dies damit, dass bereits der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) das Gericht verpflichte, angefochtene Hoheitsakte von Amts wegen unter allen denkbaren rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu überprüfen, dass § 114 Satz 2 VwGO der Prozessökonomie diene, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung die schon zuvor anerkannten Möglichkeiten des prozessualen Nachschiebens von Gründen nicht habe verkürzen wollen und dass sich die Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen letztlich aus dem materiellen Recht, nicht aber aus § 114 Satz 2 VwGO ergebe, der lediglich die prozessuale Seite des Nachschiebens von Gründen betreffe.
Die Beklagte hat vorliegend keine konkreten Ermessenserwägungen – auch nicht in der mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2020 – nachgeschoben. Zudem wäre ein Nachschieben von Gründen im vorliegenden Fall unzulässig.
Vorliegend leidet nämlich der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2018 an einem wesentlichen Ermessensfehler, der einem Nachschieben von Ermessensgründen mit „heilender Wirkung“ gemäß § 114 Satz 2 VwGO nicht zugänglich ist. Dieser Ermessensausfall liegt darin, dass von der Beklagten in Bezug auf mehrere, der Beklagten bekannte und nicht von vornherein ausscheidbare, nach § 4 Abs. 3, 6 BBodSchG Pflichtige überhaupt keine Erwägungen dazu angestellt worden sind, ob und warum diese Pflichtigen ggf. nicht in Anspruch genommen wurden. Eine Begründung, die solche Erwägungen erstmals überhaupt enthält, geht über ein nach § 114 Satz 2 VwGO zulässiges Nachschieben weiterer Ermessensgründe hinaus (VGH München, U.v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099 – juris: OVG NW, U.v. 21.11.2012 – 16 A 85/09 – juris Rn. 58 und 59; OVG Berlin-Bbg, U.v. 24.2.2011 – 11 B 10.09 – juris, Rn. 51). Es handelt sich im Grunde nicht lediglich um eine Anreicherung der bisher schon gegebenen Begründung dafür. Erwägt vielmehr die Behörde, ob ein anderer nach § 4 Abs. 3 BBodSchG Pflichtiger in Betracht kommt, so erfordert dies (auch) eine abwägende Gegenüberstellung der bisher Betroffenen einerseits mit dem – möglicherweise „vorzugswürdigen“ – anderen Adressaten eines ggf. neu zu erlassenden belastenden Verwaltungsakts andererseits. Diese Einbeziehung eines weiteren Pflichtigen in die Auswahlentscheidung führt zu einer neuen (zusätzlichen) Ermessensentschließung darüber, ob die bisherige Wahl des Adressaten auch bei Berücksichtigung eines anderen potentiell in Anspruch zu Nehmenden Bestand haben kann.
3. Darüber hinaus erweist sich die Inanspruchnahme der Klägerin im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2018 aufgrund Fehlens einer Haftungsobergrenze als unverhältnismäßig. Nachdem hier entsprechend der obigen Ausführungen die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin des Verursachers nach § 4 Abs. 3 BBodSchG nicht vorliegen, wäre es für die dann infrage kommende teilweise Inanspruchnahme als frühere Eigentümerin des …-Geländes nach § 4 Abs. 6 BBodSchG erforderlich, die inhaltliche Reichweite der Kostenhaftung zu begrenzen. Dies gilt für eine mögliche Haftung nach § 4 Abs. 6 BBodSchG genauso wie für die Zustandsstörerhaftung nach § 4 Abs. 3 BBodSchG, für die sich die Pflicht zur Begrenzung der Haftung im Bescheid aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 16. Februar 2000 (Az. 1 BvR 242/91, NJW 2000, Seite 2573) ergibt.
Es obliegt damit der Verwaltung, unter Berücksichtigung der Vorgaben und Garantien des Art. 14 GG im jeweiligen Bescheid über die Begrenzung der Kostenbelastung des Verantwortlichen zu entscheiden. Der in Anspruch genommene Störer muss dem Bescheid eindeutig entnehmen können, ob er unbegrenzt haftet bzw. welche Kostenbelastung er höchstens zu erwarten hat. Nur auf der Grundlage dieser Informationen kann er entscheiden, ob er die Sanierungsanordnung angreift oder bestandskräftig werden lässt (vgl. VG Regensburg, U.v. 5.10.2009 – RO 8 K 09.1452 – juris).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht hinnehmbar, dass seitens der Beklagten noch nicht einmal die grundlegende Entscheidung, inwieweit die Haftung begrenzt werden soll, getroffen wurde. Ausweislich der Bescheidsbegründung erfolgte keine Ermittlung des Kaufpreises und der hierzu erforderlichen Aufwendungen. Die Beklagte führt im Bescheid lediglich aus, die erforderliche finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin könne unterstellt werden. Die Klägerin habe für die Übertragung des Eigentums ein Äquivalent erhalten.
Dies stellt aber für die Klägerin eine nicht hinnehmbare Unsicherheit dar, da das Haftungsrisiko – auch mangels Angaben von konkreten Sanierungszielwerten – unüberschaubar wird.
Auch die bisher klägerseits erbrachten Aufwendungen für die Sanierung in Höhe von 800.000,00 EUR sind bei der Ermittlung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen und vermögen die Höhe der Belastungsgrenze zu mindern. Im Bescheid werden die bisher von der Klägerin übernommenen Sanierungskosten in Höhe von rund 800.00,00 EUR nicht einmal genannt.
4. In der Folge ist auch die Nr. 3 des Bescheides der Beklagten (Zwangsgeldandrohung) rechtswidrig und aufzuheben, Art. 29, 31, 36 BayVwZVG.
Vor diesem Hintergrund war der Klage stattzugeben und der Bescheid vollumfänglich aufzuhe-ben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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