Baurecht

Drittanfechtung, Erteilung eines Dispenses zur Errichtung eines Gartenhauses außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen, Erteilung eines Dispenses zur Errichtung einer Einfriedung abweichend von der im Bebauungsplan festgelegten maximalen Höhe, Klagebefugnis (bejaht) bei pauschalem privatrechtlichen Einverständnis des Nachbarn mit Baumaßnahmen, keine Befreiung von drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans, keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  AN 17 K 20.01812

Datum:
28.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48748
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 117 Abs. 5
VwGO § 42 Abs. 2
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich de außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder  Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht  der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis, § 42 Abs. 1 VwGO, gegeben. Diesbezüglich wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen des Gerichts im Eilverfahren (B.v. 19.1.2021 – AN 17 S 20.01811) zur Antragsbefugnis (unter II. 1. b)) verwiesen, die für die Klage gleichermaßen gelten.
Anders als im Eilverfahren besteht für die Klage auch in Bezug auf die Einfriedung unproblematisch ein Rechtschutzbedürfnis, denn im Hauptsacheverfahren ist – anders als im Eilverfahren – eine bereits erfolgte Errichtung diesbezüglich unschädlich.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Kläger werden durch den angegriffenen Bescheid vom 30. Juli 2020 nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Weder die erteilte Befreiung zur Errichtung des Gartenhauses außerhalb der im Bebauungsplan festgelegten Baugrenzen noch die erteilte Befreiung hinsichtlich der Einfriedung verletzt die Kläger in ihren Rechten. Zur Begründung wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe unter II. 2. des Beschlusses der Kammer im Eilverfahren vom 19. Januar 2021 (AN 17 S 20.01811) verwiesen, die für die Klage gleichermaßen gelten. Auch unter Berücksichtigung des im Nachgang erfolgten weiteren Vortrages und der durchgeführten Inaugenscheinnahme sieht die Kammer keinen Anlass, von ihrer bisherigen Würdigung abzuweichen.
a) Ergänzend führt das Gericht in Bezug auf die erteilte Befreiung zur Errichtung des Gartenhauses außerhalb der im Bebauungsplan festgelegten Baugrenzen aus, dass der Vortrag der Klägerseite, die Beigeladene habe einen Mauervorsprung mit einer Höhe von 2,40 m, an den sich das Gartenhaus nahtlos anschließe, durch das Ergebnis des vorgenommenen Ortsaugenscheins widerlegt wurde. Zu einen hat das Wandelement eine Höhe von ca. 1,67 m. Zum anderen schließt das Gartenhaus der Beigeladenen nicht direkt an das Wandelement an. Vielmehr befindet sich zwischen Gartenhaus und Wandelement ein Abschnitt von ca. 84 cm, der blickdurchlässig ist. An dieser Stelle befindet sich im unteren Bereich nämlich ein Maschendrahtzaun und im oberen Bereich ein Katzennetz. Im Übrigen haben auch die Kläger auf ihrer Grundstücksseite zu den Beigeladenen hin, hinter dem Wandelement des Beigeladenen, ein in den Ausmaßen vergleichbares Wandelement errichtet. Auf der Rückseite des Gartenhauses des Beigeladenen befinden sich auf dem klägerischen Grundstück Pflanzkübel mit Bepflanzung und ein Holzelement. Zum Nachbarn nach Westen (Hausnr.**) hin haben die Kläger ebenfalls ein ca. 2 m hohes Sichtschutzelement errichtet, an das sich eine ungefähr ebenso hohe Kirschlorbeerhecke (immergrün) und unmittelbar hieran das ca. 2,35 m hohe Gartenhaus der Kläger anschließt. Wenn sich die Kläger in ihrem Garten erdrückt fühlen, ist dies jedenfalls nicht auf das Gartenhaus des Beigeladenen zurückzuführen. Die geringe Höhe des Gartenhauses mit einer maximalen Höhe von 2,40 m, die sich nur auf den rückwärtigen Gartenbereich des Grundstücks der Kläger auswirkt, ist nicht abriegelnd oder gar erdrückend.
b) Zum weiteren Vortrag der Kläger dahingehend, dass sie die errichtete Einfriedung vor allem im Bereich des Küchenfensters der Kläger beeinträchtige, führt das Gericht ergänzend aus:
Wie der Ortsaugenschein gezeigt hat, ist der Blick aus dem Küchenfenster der Kläger aufgrund des in diesem Bereich versetzt zur Hauswand verlaufenden Abschnitts der Einfriedung nicht mehr uneingeschränkt möglich. Vielmehr wird der freie Blick in Richtung Straße im unteren rechten Bereich des Küchenfensters durch die Einfriedung verdeckt. Aus den eingereichten Plänen lässt sich entnehmen, dass die streitgegenständliche Einfriedung im Bereich der Einfahrten von Kläger und Beigeladenem mit einer Höhe von 1,88 m auf einer Länge von 4,44 m parallel zur Grundstücksgrenze zwischen dem Grundstück des Beigeladenen und dem Grundstück der Kläger verläuft. Sie macht, dem Grundstücksverlauf folgend, einen Knick und erstreckt sich über eine Länge von 90 cm versetzt zum Haus der Kläger, macht, wiederum dem Grundststücksverlauf folgend, einen weiteren Knick und verläuft dann über eine Länge von 65 cm orthogonal zur Hauswand der Beigeladenen. Vom Haus der Kläger ist der als störend empfundene 90 cm lange Bereich der Einfriedung in der kürzesten Entfernung ca. 1,50 m entfernt.
Das Gebot der Rücksichtnahme ist nach gefestigter Rechtsprechung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar bzw. unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich insoweit nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 7 m.w.N., U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden, je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – juris Rn. 22).). Gemessen hieran ist eine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der Kläger nicht erkennbar.
Die streitgegenständliche Einfriedung mit einer Höhe von maximal 1,88 m muss gemäß Art. 9 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO bzw. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. (Art. 6 BayBO in der ab 1.9.2018 bis 31.1.2021 geltenden Fassung) keine Abstandsflächen einhalten. Zwar bedeutet dies nicht, dass damit automatisch keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vorliegen kann. Entscheidend sind vielmehr – auch und gerade mit Blick auf typische Belastungen wie Verschattung bzw. Einschränkung der Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse, erdrückende oder abriegelnde Wirkungen, sozialer Wohnfriede – die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B.v. 15 ZB 17.635 – juris Rn. 34 mit weiteren Nachweisen). Die von der Einfriedung mit Blick auf das Wohnhaus der Kläger ausgehende Verschattung ist schon mit Blick auf die Lage der Einfriedung nordöstlich des Wohnhauses und die diesbezüglich geringen relevanten Ausmaße der Einfriedung fernliegend. Eine relevante Beeinträchtigung der Belichtungssituation ist nicht gegeben. Die Belichtung insbesondere des Küchenfensters der Kläger wird vor allem durch das im Bereich vor dem Küchenfenster errichtete Carportdach der Kläger geschmälert. Die Einfriedung trägt hierzu nicht maßgeblich bei. Relevante Auswirkungen auf die Belüftung sind weder vorgetragen noch ersichtlich, selbiges gilt für den sozialen Wohnfrieden. Auch eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung durch die Einfriedung ist nicht gegeben. Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung misst die Rechtsprechung Baukörpern dabei nur im Ausnahmefall, bei in Volumen und Höhe „übergroßen“ Baukörpern in nur geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden zu. Bejaht wurde eine solche Wirkung beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in einer Entfernung von 15 m zu einem zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 f.) oder bei einer 11,5 m hohen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15). Wenn die Kläger vortragen, dass sie beim Blick aus dem Küchenfenster als dem einzigen Fenster im Erdgeschoss mit Ausblick auf eine Wand schauen würden, so ist zum einen zu beachten, dass die Einfriedung den freien Blick nur in einem Teilbereich beschränkt, zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der freie Blick der Kläger nach Nordosten nicht nur durch den hier verlaufenden Abschnitt der Einfriedung, sondern auch durch die von den Klägern errichtete Fahrradbox und Mülltonnenbox geschmälert wird. Ganz erheblich wird die optische Wahrnehmung in dieser Blickrichtung vor allem von dem Carportdach der Kläger dominiert. Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung aufgrund der Einfriedung scheidet aus. Aussichtseinbußen sind hinzunehmen. Derartige Nachteile sind auch über das Rücksichtnahmegebot nur ausnahmsweise maßgeblich. Ein rücksichtsloses Vorgehen des Beigeladenen ist insoweit nicht erkennbar. Einsichtmöglichkeiten, die oft als rücksichtslos empfunden werden, werden durch die streitgegenständliche Baumaßnahme gerade nicht geschaffen, sondern verhindert.
Wenn die Kläger vortragen, dass die Einfriedung in diesem Bereich gar nicht als Sichtschutz hinsichtlich des Carports der Kläger diene, so kommt es hierauf ebenso wenig an wie darauf, ob der Rückbau der Einfriedung in diesem Bereich auf eine Höhe von 1,30 m (Höhe der Mülltonnenbox der Kläger) mit einem geringen zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich wäre. Eine unzumutbare Beeinträchtigung liegt nach alledem nicht vor.
Was die vorgetragenen, durch die Einfriedung geschaffenen Gefahren im Hinblick auf den Straßenverkehr angeht, führt insbesondere auch der vorgelegte Zeitungsbericht zu einem in der … Straße erfolgten Unfall zu keiner anderen Einschätzung der Kammer. Aus der Einfriedung ergibt sich auch im Hinblick auf die geltend gemachten Gefahren für den Straßenverkehr keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Dies gilt selbst dann, wenn die … Straße in diesem Bereich, auch wegen des Spielplatzes und der Parkbuchten, nicht ausschließlich von Anwohnern frequentiert wird. Um eine vielbefahrene und damit sowohl für den fließenden als auch für den Fußgänger- und Anliegerverkehr gefährliche Straße, wie es etwa bei einer Durchfahrtsstraße der Fall wäre, handelt es sich jedenfalls nicht. Vielmehr dient die … Straße vornehmlich dem Zielverkehr mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Verkehrsteilnehmer, die zur … Straße wollen, müssen über die … Straße ein- und auch wieder ausfahren. Während des durchgeführten Ortsaugenscheins, der zugegebenermaßen diesbezüglich nur eine Momentaufnahme darstellt, konnte zudem kein Verkehrsaufkommen festgestellt werden.
Im Übrigen werden die Fenster des klägerischen Pkw durch die Einfriedung auch nicht funktionslos gemacht, wie die Kläger aber vortragen.
Aus den erteilten beiden Befreiungen folgt nicht – weder einzeln noch in der Gesamtbetrachtung – eine unzumutbare Betroffenheit der Kläger (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 6.3.2007 – 1 CS 06.2764 – BayVBl 2008, 84 = juris Rn. 32 f.).
3. Die Klage hat keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser durch Stellung eines Antrages ein Kostenrisiko eingegangen ist. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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