Baurecht

Duldung des Betriebes und der Unterhaltung eines Regenrückhaltebeckens

Aktenzeichen  4 EO 62/21

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 4. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:0630.4EO62.21.00
Normen:
Art 14 Abs 1 GG
§ 93 Abs 1 WHG
§ 54 Abs 1 S 1 Nr 2 WHG
§ 20 Abs 2 KomO TH 2003
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Betrieb und Unterhaltung eines auf fremdem Grundstück befindlichen Regenrückhaltebeckens kann nicht im Wege einer Duldungsanordnung gemäß § 93 WHG erzwungen werden.(Rn.15)

2. Ob eine Anlage dem “Durchleiten” von Abwasser im Sinne des § 93 Satz 1 WHG “dient”, hängt von deren Zweckbestimmung, also den maßgeblichen Funktionen bzw. Aufgaben der Anlage, sowie von deren – damit in der Regel auch zusammenhängenden – Ausmaß bzw. Dimensionierung ab und damit vom Maß der Inanspruchnahme des Grundstücks.(Rn.17)

3. Die Zweckbestimmung eines Regenrückhaltebeckens besteht maßgeblich im (Zu-)Rückhalten und zeitweiligen Aufbewahren des Niederschlagswassers und nicht maßgeblich im Durchleiten des Niederschlagswassers.(Rn.24)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 7. Januar 2021, 3 E 1697/20 We, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 7. Januar 2021 – 3 E 1697/20 We – wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Weimar, mit der das Gericht zu Gunsten des Antragstellers auf dessen Antrag im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Duldungsanordnung der Antragsgegnerin wiederhergestellt hat. Mit der unter Sofortvollzug gestellten Duldungsanordnung hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Duldung des Betriebes und der Unterhaltung eines auf seinem Grundstück Gemarkung U…, Flur …, Flurstück … befindlichen Regenrückhaltebeckens einschließlich des Betretens und Befahrens seines Grundstücks durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin verpflichtet.
Der Duldungsanordnung vorausgegangen war in den 1990er Jahren ein Erschließungsvertrag zwischen der vormaligen Gemeinde B… und der Firma … GmbH (als Erschließungsträger). Laut unbestrittener Angaben der Antragsgegnerin habe der Erschließungsvertrag vorgesehen, dass eine Übernahme der Erschließungsanlagen durch die Gemeinde B… erst erfolge, wenn die Gemeinde Eigentümerin der Erschließungsflächen geworden sei oder – bei Anlagen, die außerhalb von öffentlichen Flächen verlegt seien – die Anlagen durch Grunddienstbarkeiten zu Gunsten der Gemeinde gesichert seien. In der Folgezeit sei die Eintragung einer Grunddienstbarkeit zu Gunsten der Gemeinde B… bzw. der Antragsgegnerin als deren Rechtsnachfolgerin nicht erfolgt. Nach Insolvenz der Firma … GmbH sei durch Verwertung des Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung durch Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 22. Januar 2020 das Eigentum an dem Grundstück einschließlich des Regenrückhaltebeckens auf den Antragsteller als Erwerber übergegangen. Eine Einigung zwischen Antragsgegnerin und Antragsteller über einen käuflichen Erwerb des Grundstücks durch die Antragsgegnerin oder den Abschluss eines Pachtvertrages sei in der Folge nicht zustande gekommen.
Mit der streitgegenständlichen Duldungsanordnung vom 12. November 2020 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller unter Ziffer 1 an, er werde als Eigentümer des Grundstücks Gemarkung U…, Flur ……, Flurstück … verpflichtet, das auf dem Grundstück befindliche Regenrückhaltebecken zu dulden. Die Duldungspflicht umfasse den Betrieb und die Unterhaltung des Regenrückhaltebeckens einschließlich des Betretens und Befahrens des Grundstücks zu diesem Zweck durch Mitarbeiter des Erfurter Entwässerungsbetriebs. Durch die Duldungsanordnung entstehe kein Anspruch auf Entschädigung (so Ziffer 2 der Anordnung). Hinsichtlich der Verpflichtung unter Ziffer 1 werde die sofortige Vollziehung angeordnet (so Ziffer 3). Falls der Antragsteller der Forderung unter Ziffer 1 nicht nachkomme, werde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € angedroht (so Ziffer 4).
Mit am 7. Dezember 2020 bei der Antragsgegnerin eingegangenem Schreiben vom 4. Dezember 2020 erhob der Antragsteller gegen die Duldungsanordnung Widerspruch. Er machte im Wesentlichen geltend, Regenrückhaltebecken unterfielen nicht der Bestimmung des § 93 WHG, so dass die Duldungsanordnung auf dieser Grundlage nicht habe erlassen werden dürfen. Bei Regenrückhaltebecken handele es sich nach der Definition in der Anlage 2 Ziffer 1 zur Thüringer Verordnung über die Eigenkontrolle von Abwasseranlagen vom 23. August 2004 um Abwasseranlagen, die der Behandlung, Entlastung und Rückhaltung von Regenwasser im Misch- oder Trennsystem dienten. Somit handele es sich nicht im Sinne von § 93 Satz 1 WHG um Anlagen zum Durchleiten von Wasser oder Abwasser. Vielmehr stelle sich § 93 WHG als eine Art wasserrechtliches Notwegerecht dar, mit dem ein nicht unmittelbar an eine öffentliche Verkehrsfläche angrenzendes (Hinterlieger-)Grundstück an eine öffentliche (zumeist gemeindliche) Wasserversorgungs- oder Entwässerungseinrichtung angeschlossen werden solle und die dafür erforderlichen Leitungen nur über das Grundstück eines Dritten geführt werden könnten. Die Rechtswidrigkeit der Ziffer 1 des Bescheides führe auch zur Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Ziffern.
Dem am 7. Dezember 2020 zugleich beim Verwaltungsgericht Weimar gestellten Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs, soweit die Ziffer 1 des Bescheides betroffen ist, hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 7. Januar 2021 (Az.: 3 E 1697/20 We) stattgegeben. Die allein streitgegenständliche Ziffer 1 sei offensichtlich formell und materiell rechtswidrig. Die Duldungsanordnung sei ohne die nach § 28 Abs. 1 ThürVwVfG erforderliche Anhörung des Antragstellers ergangen; Ausnahmen nach § 28 Abs. 2 ThürVwVfG, die hier ein Absehen von einer vorherigen Anhörung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Die nunmehrige Stellungnahme im laufenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO führe nicht zu einer Heilung des Anhörungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 ThürVwVfG.
Zudem lägen die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer Duldungsanordnung nach § 93 Satz 1 WHG nicht vor. Die nach § 93 Satz 1 WHG grundsätzlich mögliche Duldungsverpflichtung sei begrenzt auf das „Durchleiten“ von Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der „dazu dienenden“ Anlagen. Davon werde ein Regenrückhaltebecken nicht erfasst.
Zu den zum Durchleiten erforderlichen Anlagen gehörten unstreitig die unmittelbar der Abwasserfortbewegung, dem Abwassertransport, dienenden Anlagen wie das Abwasserrohr, ggfs. auch ein Abwassergraben. Ebenfalls hierunter seien die hierzu erforderlichen Nebenanlagen zu fassen, wie etwa Pumpen, Filter, Kontrollschächte, Mess- und Überwachungseinrichtungen, Entlüftungsschächte sowie Strom- und Steuerkabel. Das Durchleiten erfordere aber – so die Vorinstanz -, dass das Abwasser dem Grundstück nicht lediglich zugeführt, sondern ohne eine Zwischenlagerung im Rahmen eines fortwährenden Fließ- oder Pumpvorgangs in unveränderter Form und Menge an anderer Stelle wieder herausgeleitet werde. Ein Regenrückhaltebecken diene dagegen nicht der Durchleitung von Abwasser, sondern einer Zwischenlagerung. Hierzu hat die Vorinstanz die Überlegungen des OVG Niedersachsen (Beschluss vom 1. August 2017 – 13 LA 164/17 – juris) zur (Nicht-) Duldungspflicht eines Hochbehälters herangezogen; diese Überlegungen seien hier nahtlos übertragbar, da ein Hochbehälter im Bereich der Trinkwasserversorgung eine ganz ähnliche Aufgabe erfülle wie ein Regenrückhaltebecken bei der Abwasserentsorgung. Im Hinblick darauf, dass eine Anlage der Durchleitung „dienen“ müsse, bedürfe es nach der Rechtsprechung des OVG Niedersachsen einer funktionalen Zuordnung zur Durchleitung und einer Prägung nach Eigenart und Einsatzform durch den Verwendungszweck. Vor diesem Hintergrund scheitere – so das OVG Niedersachsen – die Einordnung eines Hochbehälters als Anlage zur Durchleitung des Wassers bereits an dessen Zweckbestimmung, denn dieser diene nicht allein der Durchleitung des Wassers und der Erhaltung konstanter Druckverhältnisse, sondern mit mindestens gleicher Wertigkeit der Zwischenlagerung des Wassers, um auf diesem Wege eine bedarfsgerechte Versorgung der angeschlossenen Nutzer zu gewährleisten. Gerade die Funktion als Reservoir bestimme dabei die Dimensionierung und damit das Maß der Inanspruchnahme eines Grundstücks durch einen Hochbehälter. Er gehe damit deutlich etwa über die Installation betriebsnotwendiger Pumpen hinaus. Einem Hochbehälter komme daher sowohl von seiner Zweckbestimmung als auch von seinen Ausmaßen her ein gegenüber den zur schlichten Durchleitung des Wassers dienenden Anlagen eigenständiges Gewicht zu.
Eine andere Ermächtigungsgrundlage für die Duldungspflicht – so das Verwaltungsgericht – komme nicht in Betracht, eine Satzung nach § 20 Abs. 2 Satz 3 Thüringer Kommunalordnung aus mehreren Gesichtspunkten nicht. Zum einen bestehe auch die danach mögliche Duldungspflicht nur für örtliche „Leitungen“. Zum anderen sei die Duldungspflicht auf Grundstücke beschränkt, die an die öffentliche Einrichtung (hier der Abwasserentsorgung) angeschlossen oder anzuschließen seien. Auch diese Voraussetzung liege bei einem unbebauten Grundstück im baurechtlichen Außenbereich nicht vor, da auf dem Grundstück kein zu beseitigendes Regenwasser von einem Gebäude o. ä. anfalle. Letztlich fehle es auch an einer entsprechenden Satzungsbestimmung, die Abwasserentsorgungssatzung der Antragsgegnerin enthalte keine entsprechende Regelung auch nur zur Duldung von Leitungen. Auch aus einer Widmung der Abwasseranlage zum Bestandteil der öffentlichen Abwasserentsorgungseinrichtung der Antragsgegnerin könne diese keine Verpflichtung zur Duldung ableiten. Hier sei zwischen einer (bestandskräftigen) straßenrechtlichen Widmung, der der Gesetzgeber in den straßenrechtlichen Normen eine Wirkung auch gegenüber dem Grundstückseigentümer beigegeben habe, und der Widmung einer öffentlichen Einrichtung der Daseinsvorsorge zu unterscheiden. Bei letzterer fehle es an entsprechenden gesetzlich festgelegten Wirkungen der Widmung gegenüber Dritten, insbesondere etwa dem Eigentümer der Sache. Dementsprechend verleihe eine Widmung einer Abwasserleitung auch keine Rechte gegenüber einem privaten Grundstückseigentümer.
Gegen den ihr am 20. Januar 2021 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat die Antragsgegnerin am 1. Februar 2021 Beschwerde erhoben und diese am 18. Februar 2021 begründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (ein Band) und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (eine Heftung) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, bieten keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers abzulehnen.
Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Seiner Darlegungslast genügt der Beschwerdeführer nur dann, wenn er die tragenden Erwägungen der Vorinstanz aufgreift und sie substantiiert in Frage stellt. Dazu muss die Begründung erkennen lassen, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die tragenden Erwägungen der Vorinstanz aus seiner Sicht unrichtig sind.
Mit ihrer Beschwerdebegründung ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen.
1. Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, die streitgegenständliche Duldungsanordnung sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht rechtswidrig, vielmehr lägen die Voraussetzungen für den Erlass einer Duldungsanordnung auf Grundlage des § 93 WHG vor, ist ihr Vorbringen nicht geeignet, die Einschätzung der Vorinstanz zu erschüttern.
Nach § 93 WHG kann die Behörde den Eigentümer eines Grundstücks (lediglich) dazu verpflichten, „das Durchleiten“ von Wasser und Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der „dazu dienenden Anlagen“ zu dulden, soweit dies zur Entwässerung oder Bewässerung von Grundstücken oder zur Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung erforderlich ist.
Die Vorinstanz hat darauf hingewiesen, dass die nach § 93 Satz 1 WHG grundsätzlich mögliche Duldungsverpflichtung auf das „Durchleiten“ von Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der „dazu dienenden“ Anlagen begrenzt ist. Sie vertritt die Auffassung, davon werde ein Regenrückhaltebecken nicht erfasst. Das Durchleiten im Sinne des § 93 WHG erfordere nämlich, dass das Abwasser dem Grundstück nicht lediglich zugeführt, sondern ohne eine Zwischenlagerung im Rahmen eines fortwährenden Fließ- oder Pumpvorgangs in unveränderter Form und Menge an anderer Stelle wieder herausgeleitet werde. Ein Regenrückhaltebecken diene dagegen nicht der Durchleitung von Abwasser, sondern einer Zwischenlagerung. Hierzu hat das Verwaltungsgericht die Überlegungen des OVG Niedersachsen zur (Nicht-) Duldungspflicht eines Hochbehälters als „nahtlos übertragbar“ herangezogen, da der Hochbehälter im Bereich der Trinkwasserversorgung eine „ganz ähnliche Aufgabe“ erfülle wie ein Regenrückhaltebecken bei der Abwasserentsorgung.
Dem widerspricht die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung und meint, die Rechtsprechung des OVG Niedersachsen zur Auslegung des § 93 WHG bei einem (Wasser-) Hochbehälter sei nicht nahtlos auf ein Regenrückhaltebecken übertragbar. Ein Regenrückhaltebecken diene – vertritt sie im Gegenteil – nach seiner Zweckbestimmung der Durchleitung von Abwasser. Das OVG Niedersachsen gehe davon aus, dass ein (Wasser-) Hochbehälter nach seiner Zweckbestimmung eine „doppelte Funktion“ habe und auch der Durchleitung des Wassers diene. Sie meine, ein Regenrückhaltebecken diene nach seiner Zweckbestimmung – so die Antragsgegnerin differenzierend – der „gesteuerten Durchleitung“ des Abwassers (vgl. Seite 3 der Beschwerdebegründung vom 11. Februar 2021). Es sei fachtechnisch und wasserwirtschaftlich unstreitig, dass hierbei eine „stetige Durchleitung“ gegeben sei, wobei „Abflussspitzen“ ab einer technisch definierten Grenze zum Schutz des nachgeordneten Gewässers als Vorfluter „hydraulisch gedrosselt durchgeleitet“ würden. Eine „Speicherfunktion“ vergleichbar der eines versorgungswirksamen Hochbehälters zur Wasserbevorratung sowie der Schaffung konstanterer Druckverhältnisse (für die bedarfsgerechte Versorgung der Abnehmer im nachgeordneten Verteilungsnetz) sei hier nicht gegeben. Es handele sich bei dem Fall eines (Wasser-) Hochbehälters um einen gänzlich anderen Sachverhalt, der mit einem Regenrückhaltebecken wasserrechtlich nicht vergleichbar sei. Auch der Wortlaut des § 93 WHG stehe einer Anwendbarkeit auf ein Regenrückhaltebecken nicht entgegen (vgl. Seite 4 der Beschwerdebegründung).
Ob der Vorhalt der Antragsgegnerin zutrifft, die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Duldung eines Wasser-Hochbehälters sei auf den vorliegenden Fall der Anordnung der Duldung eines Regenrückhaltebeckens nicht „nahtlos übertragbar“, kann offen bleiben. Offen bleiben kann auch, ob – wie das Verwaltungsgericht meint – beide Anlagen „ganz ähnliche“ Aufgaben erfüllen.
Die Begründung der Antragsgegnerin ist jedenfalls nicht ansatzweise geeignet, die Einschätzung der Vorinstanz, dass die Voraussetzungen des § 93 WHG nicht vorliegen, zu erschüttern. Mit ihrer Behauptung, ein Regenrückhaltebecken diene nach seiner Zweckbestimmung der Durchleitung von Abwasser, äußert die Antragsgegnerin im Kern lediglich das Gegenteil zur Einschätzung der Vorinstanz. Mit ihrer das Auffangen, Rückhalten, Aufbewahren und Ableiten des Niederschlagswassers (als Form des Abwassers, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG) sodann zurückstellenden und das Durchleiten des Niederschlagswassers in den Vordergrund stellenden Sichtweise und dem Entwickeln (bzw. Kreieren) der Begriffe einer „gesteuerten“ oder „gedrosselten“ oder „stetigen Durchleitung“ vermag die Antragsgegnerin keinesfalls darzulegen, maßgebliche Zweckbestimmung eines Regenrückhaltebeckens sei das Durchleiten des Regenwassers.
Vielmehr hat das Verwaltungsgericht überzeugend auf die Zweckbestimmung, also die maßgeblichen Funktionen bzw. Aufgaben der Anlage sowie auf die – damit in der Regel auch zusammenhängenden – Ausmaße bzw. die Dimensionierung der in Rede stehenden Anlage abgestellt und damit auf das Maß der Inanspruchnahme des Grundstücks.
Genau auf diese Kriterien hat hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Grundstücks mit Regenrückhaltebecken auf Grundlage des § 93 WHG auch das OVG Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss bereits vom 25. April 1980 – 11 B 567/78 – (juris Rdnr. 3 ff.) überzeugend abgestellt, dem sich der Senat anschließt. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat insoweit – wörtlich – ausgeführt (juris Rdnr. 3 ff. [3], Hervorhebung durch Kursivdruck):
„Als ein Vorhaben der Wasserbeseitigung vom Grundstück lässt sich die Anlage eines Regenrückhaltebeckens auf diesem oder einem anderen Grundstück kaum deuten. Um ein Vorhaben der Abwasserbeseitigung geht es jedenfalls nicht, auch wenn dem Übach in Trockenzeiten im wesentlichen Abwasser aus einer Kläranlage zufließt. Schließlich lässt sich die Anlage des Rückhaltebeckens auch kaum als eine Kombination von Entwässerung und Abwasserabführung begreifen. Zwar werden auch diese Aufgaben bei dem geplanten Übachausbau miterfüllt; bei der Anlage des sog. Regenrückhaltebeckens steht aber die Aufgabe im Vordergrund, bei Starkregen die anfallenden Wassermengen nicht sofort und vollständig in die W. gelangen zu lassen (mit der Gefahr von Überschwemmungen im Bereich dieses Flusses), sondern einen Teil des Wassers im Rückhaltebecken zu sammeln und über einen längeren Zeitraum verteilt und in geringerer Menge dem Wasserlauf wieder zuzuführen. Für diese Aufgabe muss das Rückhaltebecken und damit das entsprechende Grundstück stets zur Verfügung stehen. Damit entfällt für den Grundstückseigentümer auf Dauer im Wesentlichen die Möglichkeit, das Grundstück anderweitig zu nutzen. Eine derartig weitgehende Beschränkung des Eigentums widerspricht jedenfalls der Aufgabe der Zwangsrechte. Dafür kann offen bleiben, inwieweit die Duldungspflicht solcher Zwangsrechte Ausfluss der Sozialbindung des Eigentums oder aber bereits Akte mit enteignendem Charakter zu Lasten des Duldungspflichtigen sind, …“
Gemessen hieran ist die Einschätzung der Vorinstanz, ein Regenrückhaltebecken diene nicht der Durchleitung von Abwasser sondern einer Zwischenlagerung, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 93 Satz 1 WHG hier nicht vorlägen, nicht zu beanstanden. Auch wenn dem Regenrückhaltebecken dabei keine Speicherfunktion im Sinne derjenigen eines Wasser-Hochbehälters zukommen mag – wie die Antragsgegnerin insoweit zurecht eingewandt hat -, so besteht die Funktion eines Regenrückhaltebeckens keinesfalls – wie die Antragsgegnerin (umgekehrt) meint – in einem bloßen Durchleiten des Regenwassers. Seine Zweckbestimmung besteht maßgeblich im (Zu-)Rückhalten, Sammeln und zeitweiligen Aufbewahren des Niederschlagswassers. Dass auch dem streitgegenständlichen Rückhaltebecken diese Funktion zukommt, belegt auch der Duldungsbescheid der Antragsgegnerin vom 12. November 2020. Wie die Antragsgegnerin dort selbst (auf Seite 5) ausführt, kommt auch dem vorliegenden Rückhaltebecken eine besondere Bedeutung zu, da es „bei Starkniederschlägen die erheblichen Abflussspitzen des angeschlossenen Wohngebietes (in der Größenordnung bis zu 500 Liter/sec) vor der Einleitung in den Vorfluter (hier U……, im weiteren Verlauf L…) auffängt und somit die gedrosselte und geordnete Ableitung in die Vorflut ermöglicht“. Der U…/L…… sei als Vorfluter ein sensibles Gewässer hinsichtlich Gewässerbett- und Ufererosion bei Starkabflüssen. Des Weiteren seien rund 1,2 km abstromig des Auslaufes des Regenrückhaltebeckens Überflutungsbereiche aus früheren Hochwasserereignissen bekannt. Hier seien (bereits) erhebliche Schäden an öffentlichen und privaten Grundstücken und Gebäuden aufgetreten.
Darüber hinaus macht das streitgegenständliche Regenrückhaltebecken auch einen Großteil der Fläche des Flurstücks des Antragstellers aus, so dass für ihn auf Dauer im Wesentlichen die Möglichkeit entfällt, das Grundstück anderweitig zu nutzen. Vorsorglich wird insoweit auch auf den Hinweis des OVG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 25. April 1980 – 11 B 567/78 – juris Rdnr. 7) Bezug genommen, das dort abschließend angemerkt hat:
„Soll dagegen die Grundstücksnutzung – wie bei der Anlage eines Rückhaltebeckens – praktisch auf Dauer dem Eigentümer genommen werden, ist hierfür nicht die Anordnung eines Zwangsrechts (mit der Wirkung einer “quasi-Enteignung”), sondern der Erwerb durch den Wasserverband oder sonstigen Unternehmer und gegebenenfalls die Enteignung des Grundstücks der rechtlich zutreffende Weg.“
Soweit die Antragsgegnerin auf ihre Eigenkontrollpflichten hinsichtlich der Abwasseranlagen nach Anlage 2 zur Thüringer Verordnung über die Eigenkontrolle von Abwasseranlagen (ThürAbwEKVO) vom 21. August 2004 (GVBl. S. 271, zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 28.05.2019, GVBl. S. 74) verweist und hierzu geltend macht, die Art der Kontrolle des Bauwerks mit allen zugehörigen Bauteilen bestehe in einer jährlichen Bauzustandsprüfung bzw. betrieblichen Prüfung und daneben habe sie – die Antragsgegnerin – das Regenrückhaltebecken nach den allgemeinen Regeln der Technik zu reinigen und zu warten und jährlich einen Eigenkontrollbericht anzufertigen, ergibt sich daraus nicht die Zulässigkeit von Zwangsrechten bzw. Duldungspflichten auf Grundlage des § 93 WHG. Aus Anlage 2, Ziffer 1 folgt lediglich, dass Abwasseranlagen, die der Behandlung, Entlastung und Rückhaltung von Regenwasser im Misch- oder Trennsystem dienen, wie Regenrückhaltebecken der Eigenkontrollpflicht unterliegen. Im Kern wiederholt die Antragsgegnerin hier im Übrigen lediglich ihre Ausführungen aus der vorinstanzlichen Antragserwiderung (Seite 4 und 5 der Antragserwiderung vom 4. Januar 2021).
Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung (auf Seite 5 und 6) auch – lediglich – ihre Ausführungen aus ihrer Antragserwiderung vom 4. Januar 2021 wiederholt, wonach zur öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung gemäß ihres Satzungsrechts die von der Stadt betriebenen, der öffentlichen Abwasserbeseitigung dienenden Anlagen wie Kanalnetze, Abwasserbauwerke, Abwasserpumpwerke, Regenrückhalteanlagen, Kläranlagen gehörten (vgl. Seite 5 der vorinstanzlichen Antragserwiderung vom 4. Januar 2021). Damit macht sie lediglich wie im erstinstanzlichen Verfahren sinngemäß die Zugehörigkeit des Regenrückhaltebeckens zu ihrer gewidmeten öffentlichen Entwässerungseinrichtung geltend. Sie berücksichtigt aber nicht, dass sich das Verwaltungsgericht mit diesem Einwand ausführlich befasst und unter Heranziehung einschlägiger Rechtsprechung begründet hat, dass und warum eine (nur) satzungsrechtliche Widmung ohne entsprechende gesetzliche Grundlage kein Recht zum Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht begründet. Dazu trägt sie nichts vor.
Vorsorglich wird jedoch der Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Versagung behördlicher Zwangsrechte nach § 93 WHG im vorliegenden Fall nicht zugleich bedeutet, dass der Antragsteller berechtigt wäre, das Regenrückhaltebecken eigenmächtig von der Entwässerungseinrichtung der Antragsgegnerin abzutrennen. Da er ein Grundstück erworben hat, auf dem sich eine in die gewidmete Entwässerungseinrichtung der Antragsgegnerin einbezogene Anlage befindet, muss der Antragsteller der Antragsgegnerin zuvor ausreichend Gelegenheit einräumen, das Regenrückhaltebecken abzutrennen und zu entwidmen. Nicht ausgeschlossen erscheint weiterhin eine (sicherlich wirtschaftlich sinnvolle) Einigung auf Eintragung einer Dienstbarkeit (wie ursprünglich geplant) oder auf Entschädigung oder auf Entrichtung eines Pachtzinses.
2. Die Frage, ob im Hinblick auf die versäumte Anhörung des Antragstellers nach § 28 ThürVwVfG hier, wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht, die Bestimmung des § 46 ThürVwVfG anwendbar wäre – die eine Unbeachtlichkeit bestimmter Verfahrens – und Formfehler anordnet, wenn „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat“ – stellt sich im vorliegenden Fall schon nicht, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 WHG nicht vorliegen, wie vorstehend unter 1. ausgeführt ist.
3. Der Vortrag der Antragsgegnerin betreffend Ziffer 2 des Duldungsbescheides geht bereits ins Leere, weil diese Ziffer gar nicht Gegenstand des Antragsverfahrens ist (§ 88 VwGO in entsprechender Anwendung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2, 47 GKG.
Hinweis:
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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