Baurecht

Erfolglose Klage auf Genehmigung einer Nutzungsänderung wegen Veränderungssperre

Aktenzeichen  M 11 K 15.2918

Datum:
30.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 1 Abs. 4, Abs. 7, § 14 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 30 Abs. 3, § 34, § 36 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Selbst ein ausdrücklich erteiltes Einvernehmen hindert eine Gemeinde grundsätzlich nicht daran, eine dem Bauvorhaben widersprechende Bauleitplanung zu betreiben und diese durch eine Veränderungssperre zu sichern. Für ein nur fiktiv erteilt geltendes Einvernehmen muss dies erst recht gelten. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wirksamkeit einer Veränderungssperre steht es nicht entgegen, wenn sich diese auf ein einzelnes Grundstück beschränkt. Eine solche Beschränkung der Veränderungssperre ist grundsätzlich zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Bauvorhaben, das offensichtlich den Planungsabsichten der Gemeinde zuwiderläuft, kann schon tatbestandlich nicht im Wege einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 S. 1 BauGB zugelassen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage ist unbegründet.
a) Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung.
aa) Diesem Anspruch steht – ungeachtet der Frage, ob das Vorhaben, das nach den Angaben der Beigeladenen im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans liegen soll, nach § 30 Abs. 3 und § 34 BauGB grundsätzlich zulässig wäre – die erlassene Veränderungssperre entgegen.
bb) Die Veränderungssperre ist wirksam.
aaa) Unerheblich ist insoweit, ob – wie von den Beteiligten breit erörtert – die Beigeladene das Einvernehmen innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB wirksam verweigert hat oder das Einvernehmen fiktiv als erteilt gilt. Selbst ein ausdrücklich erteiltes Einvernehmen hindert eine Gemeinde grundsätzlich nicht daran, eine dem Vorhaben widersprechende Bauleitplanung zu betreiben und diese durch eine Veränderungssperre zu sichern (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16/03 – juris Leitsatz und Rn. 24 f.). Für ein nur fiktiv erteilt geltendes Einvernehmen muss dies erst recht gelten, wobei im vorliegenden Fall sogar noch hinzukommt, dass die Klägerin das Verhalten der Beigeladenen nicht so verstehen durfte, dass sie mit dem Vorhaben einverstanden war, da sie sich – selbst wenn unwirksam – jedenfalls ablehnend geäußert hat.
bbb) Der erlassenen Veränderungssperre liegt ein hinreichendes Sicherungsbedürfnis im Sinne des § 14 Abs. 1 BauGB zugrunde.
Wie aus den vorliegenden Unterlagen hervorgeht („Ziele der Veränderungssperre“, Bl. 39 d. A.) geht es der Beigeladenen u. a. darum, den von der Planung erfassten Umgriff hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als Mischgebiet festzusetzen und hierbei auch von den Möglichkeiten einer vertikalen und horizontalen Gliederung des Baugebiets Gebrauch zu machen. Nach Ansicht der Kammer ist diese Planungsabsicht hinreichend konkret, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen. Um einen Fall einer noch in keiner Weise absehbaren Planung, bei dem der Erlass einer Veränderungssperre nicht in Betracht käme (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 – 4 C 39/74 – juris Leitsatz 1) handelt es sich hier nicht. Nach Durchführung des Augenscheins lässt sich auch nicht sagen, dass sich die Planungsabsichten der Beigeladenen von vornherein in keiner Weise realisieren lassen werden. Im Umgriff des geplanten Bebauungsplans, mit dem ein weitgehend bereits bebautes Gebiet überplant werden soll, ist zwar in großem Umfang Wohnnutzung vorhanden. Es sind aber auch einige Gewerbebetriebe anzutreffen (eine Fahrschule im vorderen Erdgeschoßteil des Vorhabengebäudes, ein Hotel im westlichen Nachbargebäude …-Straße 9, eine Sicherheitsfirma im sonst ganz überwiegend zu Wohnzwecken genutzten östlichen Nachbargebäude …-straße 20, ein Schreinereibetrieb im Anwesen …-Straße 3, eine GmbH im ansonsten Wohnungen und eine freiberufliche Nutzung beinhaltenden Anwesen …-Straße 5) und ein Gebäude – Anwesen …-straße 18 -, das aktuell dem äußeren Eindruck nach allenfalls in geringem Umfang Wohnnutzung beinhaltet, im Übrigen aber entweder nicht oder jedenfalls nicht zu Wohnzwecken genutzt wird. Nach Einschätzung der Kammer sind deshalb die Planungsabsichten der Beigeladenen zumindest nicht von vornherein als nicht umsetzbar zu qualifizieren, da neben einer horizontalen Gliederung des Baugebiets (vgl. § 1 Abs. 4 BauGB) schon allein wegen der Bahnhofsnähe besondere städtebauliche Gründe dafür vorliegen könnten, gerade hier einen Mischgebietscharakter festzuschreiben und hierfür auch die Möglichkeiten für eine auch vertikale Gliederung des Baugebiets (vgl. § 1 Abs. 7 BauGB) zu nutzen. Zur Realisierung der Planungsabsichten der Beigeladenen werden zwar möglicherweise erhebliche Anstrengungen erforderlich sein, um dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB zu genügen, schon allein deshalb, weil weitgehend bereits bebaute Flächen überplant werden. Hierbei wird wohl auch mit abzuwägen sein, inwieweit eine Festsetzung, die im fraglichen Gebäudeteil des klägerischen Anwesens nur eine gewerbliche Nutzung erlaubt, wirtschaftlich tragfähig ist. Dass diese Abwägungen bisher aber noch nicht angestellt wurden, ist unerheblich. Die erlassene Veränderungssperre muss diesem Abwägungsgebot nicht genügen, vielmehr reicht es aus, dass die beabsichtigte Planung auf ein Ziel gerichtet ist, das mit den Mitteln der Bauleitplanung grundsätzlich umsetzbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. September 1992 – 4 NB 35/92 – juris Leitsatz 1 und Rn. 6; Battis/Krauzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 14 Rn. 9a). Da die Veränderungssperre dem Abwägungsgebot nicht genügen muss, ist auch ohne Bedeutung, dass die Beigeladene, wie man ihren „Zielen der Veränderungssperre“ (Bl. 39 d. A.) entnehmen kann, bisher von der Voraussetzung ausgegangen ist, dass die vom Vorhaben umfassten Räumlichkeiten bisher noch gewerblich genutzt worden seien. Nach den Feststellungen beim Augenschein findet jedoch die jetzt zur Genehmigung gestellte Wohnnutzung offenbar schon seit längerem nicht genehmigt und damit formell rechtswidrig statt. Da die Klage schon wegen der Veränderungssperre keinen Erfolg hat, muss in diesem Zusammenhang der Frage, ob ein Antrag auf Nutzungsänderung überhaupt ausreichend ist, um die Wohnnutzung zu legalisieren, nicht weiter nachgegangen werden. Da nach den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin die Wohnungen bereits bei Neuerrichtung des Gebäudes hergestellt worden sind, ist zumindest zweifelhaft, ob und inwieweit wegen dieser nicht unerheblichen Abweichung die Errichtung des Gesamtgebäudes von der damaligen Baugenehmigung überhaupt gedeckt ist.
ccc) Der Wirksamkeit der Veränderungssperre steht auch nicht entgegen, dass sie sich auf einzelnes Grundstück – dasjenige der Klägerin – beschränkt. Eine solche Beschränkung ist grundsätzlich zulässig (BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 – 4 C 39/74 – juris Leitsatz 2 und Rn. 33). Besondere Gründe, die diese Beschränkung ausnahmsweise als unzulässig erscheinen ließen, bestehen nicht. Die Beigeladene hat sich erkennbar deshalb auf das Grundstück der Klägerin beschränkt, weil nur hier wegen des konkret gestellten Bauantrags ein aktuelles Sicherungsbedürfnis bestand.
cc) Das Vorhaben widerspricht der erlassenen Veränderungssperre. Die Veränderungssperre ist, wie sich aus § 2 der über sie erlassenen Satzung ergibt, so auszulegen, dass sie inhaltlich alle Vorhaben nach § 29 BauGB erfasst und deshalb das von der Klägerin geplante Vorhaben jedenfalls derzeit (vgl. § 17 BauGB) planungsrechtlich unzulässig ist.
dd) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Es liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Entscheidung nicht vor. Der Erteilung einer Ausnahme stehen überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB entgegen. Das Vorhaben läuft offensichtlich den Planungsabsichten der Beigeladenen zuwider und kann daher nicht im Wege einer Ausnahme zugelassen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1989 – 4 B 236/88 – juris Rn. 7). Da die Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB schon tatbestandlich ausscheidet, kommt es auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob aufgrund besonderer Umstände das Ermessen auf null reduziert sein könnte, nicht an. Es ist daher unerheblich, ob die Klägerin vor Erlass der Veränderungssperre möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hatte. Auch die die Aufteilung nach dem WEG betreffenden Umstände sind insoweit ohne Bedeutung.
b) Mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann die Klägerin auch keinen Anspruch darauf haben, dass der Beklagte nach Ermessen nochmals über die Erteilung einer Baugenehmigung unter Erteilung einer Ausnahme entscheidet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich durch die Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. dem Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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