Baurecht

Erfolglose Klage gegen eine Beseitigungsanordnung für eine Gartenhütte sowie einen sockellosen Maschendrahtzaun im Außenbereich

Aktenzeichen  AN 3 K 20.00288

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21096
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 35 Abs. 2, § 201
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG § 40

 

Leitsatz

1. Die Errichtung der Hütte in relativ unberührte Wiesen- und Ackerflächen stellt schon durch die nicht auf eine landwirtschaftliche Nutzung abzielende Bodenversieglung und der Zaun durch eine Landwirtschaft im Übrigen mindestens behindernde Wirkung eine wesensfremde Nutzung des Außenbereichs dar.  (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Hütte dient schon aufgrund Ihrer Dimensionen, aber auch Ihrer Ausstattung mit Fenstern dem gelegentlichen Aufenthalt von Menschen und ist somit als Siedlungsanlage aufzufassen, die eine negative Vorbildwirkung für ähnliche Bauwünsche nach sich ziehen dürfte.  (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Willkürverbot stellt nur eine äußerste Grenze zur Abwehr staatlicher Eingriffe dar. Ein sachlich tragfähiger Grund für ein unterschiedliches Vorgehen kann etwa eine plausibel gewählte „Stichtagslösung“ sein. Ebenso ist ein vorrangiges Vorgehen gegen die aktuellsten Bausünder ein tragfähiger Grund, um der bei diesen neueren Vorhaben größeren negativen Vorbildwirkung entgegenzutreten. Genauso zulässig ist es für die Behörde zunächst die Entscheidung des zuständigen Gerichts abzuwarten, um eine rechtlich gesicherte Basis für ein Einschreiten in vergleichbaren Fällen zu haben und quasi „Schritt für Schritt“ vorzugehen. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zwar zulässig, aber unbegründet, da die im Bescheid vom 20. Januar 2020 angeordneten Beseitigungsanordnungen rechtmäßig sind und die Klägerin insoweit nicht in ihren eigenen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, U. v. 12.12.2013 – 4 C 15/12 – juris Rn. 8 = NVwZ 2014, 454). Eine hiervon zeitlich eventuell abweichende Beurteilung aus Gründen des Bestandsschutzes (BayVGH, U. v. 30.1.2014 – 15 B 11.750 – juris Rn. 19 f.) ist vorliegend nicht möglich, da das Vorhaben sowohl aktuell als auch in der Vergangenheit baurechtswidrig war.
Die Beseitigungsanordnungen bezüglich der Gerätehütte und des Zauns sind sowohl von den tatbestandlichen Voraussetzungen (1.) als auch hinsichtlich der Ermessenausübung (2.) rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Rechtsgrundlage für die baurechtliche Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Hiernach kann die zuständige Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung von im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichteten Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Notwendig ist hierbei primär die sog. formelle und materielle Illegalität der Anlage (BVerwG, U. v. 10.12.1982 – 4 C 52/78 – juris Rn. 13 = NVwZ 1983, 472) also das Fehlen einer erforderlichen Baugenehmigung und der Verstoß gegen materielle Vorschriften des Baurechts. Bei Bauvorhaben, die keiner Genehmigung bedürfen, kommt es dementsprechend nur auf eine materielle Illegalität an (BayVGH, B. v. 20.1.2003 – 20 ZB 99.3616 – juris Rn. 3). Bei einer bereits genehmigten Anlage kann die reine materielle Illegalität ebenfalls eine Baubeseitigungsanordnung rechtfertigen, wenn der materielle Baurechtsverstoß außerhalb des Prüfprogramms der Baugenehmigung von Art. 68 Abs. 1 Halbsatz 1 BayBO liegt (vgl. Art. 55 Abs. 2 BayBO) und somit nicht durch die beschränkte materielle Legalisierungswirkung der Baugenehmigung behoben wird (BayVGH, B. v. 14.7.2005 – 20 CS 05.1732 – juris Rn. 9 = BayVBl 2006, 220).
1.1 Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die in Frage stehenden Anlagen formell illegal sind, das heißt, ohne erforderliche Baugenehmigung errichtet wurden. Eine Verfahrensfreiheit des Zauns liegt wohl nicht vor, da die Klägerin keine Landwirtschaft im Sinne des BauGB betreibt (s.u.) und die Einfriedung auch erkennbar keinem anderen der in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. b BayBO genannten privilegierten Zwecke dient (vgl. BayVGH, B. v. 14.9.2020 – 1 ZB 20.260). Auch bezüglich der Gerätehütte ist im Hinblick auf den Außenbereich keine Genehmigungsfreiheit anzunehmen.
1.2 Sowohl Gerätehütte als auch Zaun sind jedenfalls materiell illegal, da sie gegen die bauplanungsrechtlichen Vorschriften über die Zulässigkeit von Außenbereichsvorhaben nach § 35 BauGB verstoßen. Eine Privilegierung der in Frage stehenden Vorhaben wird mittlerweile nicht mehr behauptet und ist für das Gericht auch nicht erkennbar, weshalb es nur auf die Zulassungsvorschrift des § 35 Abs. 2 BauGB für sog. sonstige Vorhaben ankommt.
Nach § 35 Abs. 2 BauGB können sonstige Vorhaben im Außenbereich im Einzelfall zugelassen werden, wenn sie öffentliche Belange nicht beeinträchtigen und die Erschließung gesichert ist. Die Prüfung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange erfordert eine nachvollziehende Abwägung der insbesondere in § 35 Abs. 3 BauGB angesprochenen Vorgaben und Wertungen (BVerwG, B. v. 26.6.2014 – 4 B 47/13 – juris Rn. 7 = BayVBl 2014, 703). Dabei ist für sonstige Vorhaben ein strenger Maßstab anzulegen, da diese im Gegensatz zu privilegierten Vorhaben regelmäßig keinen bodenrechtlich zwingenden Bezug zum Außenbereich vorweisen und grundsätzlich Alternativstandorte im Innenbereich in Anspruch nehmen können. Dieser strengere Maßstab manifestiert sich schon in dem Wort „beeinträchtigen“ in § 35 Abs. 2 BauGB. Nur so kann der vom Gesetzgeber intendierten größtmöglichen Schonung des Außenbereichs, wie sie sich etwa in § 35 Abs. 5 BauGB niedergeschlagen hat, Geltung verschafft werden.
Die Vorhaben beeinträchtigen mehrere der beispielhaft in § 35 Abs. 3 BauGB angesprochenen öffentlichen Belange. Sowohl Zaun als auch Gerätehütte widersprechen den Darstellungen des Flächennutzungsplans nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB und beeinträchtigen die natürliche Eigenart der Landschaft nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die Gerätehütte lässt jedenfalls darüber hinaus auch die Entstehung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten.
1.2.1  Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann der Realisierung von Außenbereichsvorhaben ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans entgegenstehen. Die Darstellungen des Flächennutzungsplans nehmen gegenüber sonstigen Vorhaben eine vergleichbare Stellung wie die stets verbindlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans ein (BayVGH, B. v. 14.10.2013 – 2 ZB 12.2318 – juris Rn. 13). Im Hinblick auf sonstige Vorhaben ist auch ein negativer Planungswille beachtlich, der mehr oder weniger nur Flächen von (bestimmter) Bebauung freihalten will (BVerwG, U. v. 29.4.1964 – I C 30/62 – juris Rn. 20 = NJW 1964, 1973).
Vorliegend stellt der Flächennutzungsplan für das fragliche Gebiet Flächen für die Landwirtschaft dar. Damit kann nach Auffassung des Gerichts nur der baurechtliche Begriff der Landwirtschaft, wie er sich in § 201 BauGB manifestiert hat, gemeint sein. Nach § 201 BauGB ist Landwirtschaft in diesem Sinne jedoch nicht allein durch die Bodenertragsnutzung gekennzeichnet, sondern setzt einen weitergehenden Erwerbszweck voraus, der der Klägerin fehlt. In § 201 BauGB werden (teilweise) mehrfach die Begriffe „berufsmäßig“, „Betrieb“ oder „Erwerb“ verwendet, was deutlich macht, dass eine rein hobbymäßige Bodenertragsnutzung nicht unter den Begriff der Landwirtschaft fällt. Vielmehr ist die Absicht der Gewinnerzielung tragendes Element der Landwirtschaft im Sinne von § 201 BauGB (BVerwG, U. v. 16.12.2004 – 4 C 7/04 – juris Rn. 12 = BVerwGE 122, 308). Eine solche fehlt der Klägerin, wie sie selbst in ihrem Schreiben an die Bauaufsichtsbehörde vom 20. Februar 2021 klarstellt, da das Grundstück nur zur Selbstversorgung mit frischem Gemüse erworben wurde.
Soweit die Klägerseite unter Verweis auf Rechtsprechung ausführt, dass eine privatgärtnerische Nutzung die Darstellung landwirtschaftlicher Fläche in einem Flächennutzungsplan nicht gegenstandslos werden lässt, lässt sich dieser richtigen Aussage nichts für die hier relevante Frage eines Verstoßes gegen die weiterhin wirksamen Darstellungen einer Fläche für Landwirtschaft entnehmen.
1.2.2 Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kann der Realisierung von Außenbereichsvorhaben die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder ihres Erholungswertes entgegenstehen. Wesentliche Funktion dieses Belangs ist es, den Außenbereich von nicht privilegierter und damit dem Außenbereich wesensfremder Nutzung durch Bebauung jeglicher Art freizuhalten (BayVGH, U. v. 8.4.2014 – 2 B 12.2602 – juris Rn. 29 = AUR 2014, 468). Nicht entscheidend für die Beeinträchtigung dieses Belangs ist die Sichtbarkeit der in Frage stehenden Anlagen oder deren optische Unauffälligkeit (BVerwG, U. v. 30.4.1969 – IV C 63/68 – juris Rn. 17 = BayVBl 1970, 213). Entscheidend ist vielmehr, ob der konkrete Standort seine natürliche Funktion im Sinne einer land- oder forstwirtschaftlichen Nutzbarkeit oder bezüglich seines Erholungswertes bereits eingebüßt hat – mithin also erheblich vorbelastet ist (BVerwG, U. v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris Rn. 8 = NVwZ 1985, 747; BVerwG, U. v. 24.8.1979 – 4 C 8/78 – juris Rn. 16 = BayVBl 1980, 309). Dieser Belang ist damit Ausdruck eines funktionalen Landschaftsschutzes (BayVGH, U. v. 11.4.2017 – 1 B 16.2509 – juris Rn. 18 = BayVBl 2018, 168).
Hier wurden Gerätehütte und Zaun an einem im Wesentlichen durch andere wesensfremde Bebauung unbelasteten Standort errichtet. Der Vorhabenstandort ist ausweislich der vorliegenden Luftbilder und Fotos durch relativ unberührte Wiesen- und Ackerflächen gekennzeichnet. Insofern stellt die Errichtung der Hütte schon durch ihre nicht auf eine landwirtschaftliche Nutzung (im oben definierten Sinne) abzielende Bodenversieglung und der Zaun durch eine Landwirtschaft im Übrigen mindestens behindernde Wirkung eine wesensfremde Nutzung des Außenbereichs dar (vgl. BayVGH, B. v. 14.9.2020 – 1 ZB 20.260 – juris Rn. 10).
Insofern muss der Klägerseite entgegengehalten werden, dass die Auswirkungen des Vorhabens nicht als unwesentlich in diesem Sinne aufgefasst werden können, da schon der Zaun das gesamte Grundstück umfasst und somit eine erhebliche „Störwirkung“ für landwirtschaftliche Nutzungen entwickeln kann. Gleiches gilt auch für die Hütte, die das erkennende Gericht nicht mehr als „klein“ beurteilt.
1.2.3 Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB kann der Realisierung von Außenbereichsvorhaben die Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung entgegenstehen. Eine Splittersiedlung ist eine Ansammlung von baulichen Anlagen, die zum – wenn auch eventuell nur gelegentlichen – Aufenthalt von Menschen bestimmt sind (BVerwG, U. v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris Rn. 19 = NVwZ 2012, 1631). Dazu zählen nicht nur Wohnhäuser, sondern vor allem auch gewerbliche Anlagen, die ebenfalls dem mindestens gelegentlichen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O.). Die Splittersiedlung muss im Sinne der Vorschrift zu befürchten sein, sich also als ein unerwünschter Zersiedlungsvorgang darstellen (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O. Rn. 21). Dies anzunehmen rechtfertig sich in aller Regel (BVerwG v. 19.4.2012 a.a.O.). Darüber hinaus ist in erster Linie auf die negative Vorbildwirkung abzustellen, die bereits bei einem einzigen Bauvorhaben regelmäßig eintritt (BVerwG, B. v. 8.4.2014 – 4 B 5/14 – juris Rn. 8 = ZfBR 2014, 494).
Vorliegend lässt die Errichtung der Hütte nach Meinung des Gerichts anschaulich die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten. Auch im Rahmen dieses Verfahrens wurde – zwar im Kontext des Gleichheitssatzes (dazu unten), aber dies ist letztlich beliebig austauschbar – die bereits vorhandene Hütte und der Bauwagen auf den Fl.Nr. … und … als „Rechtfertigung“ für das Belassen des eigenen Bauvorhabens angeführt. Dies zeigt deutlich, dass jegliches weitere Vorhaben eine negative Vorbildwirkung für ähnliche Bauwünsche nach sich ziehen dürfte.
Soweit die Klägerseite meint, dass der Belang einer Splittersiedlung nur durch Wohnnutzungen beeinträchtigt werden könnte, sei auf obige Rechtsprechung verwiesen. Das Gericht geht davon aus, dass die in Frage stehende Hütte schon aufgrund Ihrer Dimensionen, aber auch Ihrer Ausstattung mit Fenstern dem gelegentlichen Aufenthalt von Menschen dient und somit als „Siedlungsanlage“ im Sinne der Vorschrift aufzufassen ist. Auch aus der zitierten Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 17.2.1984 – 4 C 55/81) ergibt sich nichts Anderes. Insofern ist zu betonen, dass der vom BVerwG behandelte Fall eine Gartenhütte im Rahmen einer planungsrechtlich zulässigen Kleingartenanlage zum Gegenstand hatte und die dort geschilderten „Höchstmaße“ nur den „ortsüblichen“ Rahmen definierten. Vorliegend handelt es sich aber um keine solch gewollte „Kleingartenanlage“, sondern um den im Wesentlichen unberührten Außenbereich.
1.3 Nach Art. 76 Satz 1 BayBO darf eine Baubeseitigungsanordnung nur ergehen, wenn rechtmäßige Zustände nicht auf andere Weise hergestellt werden können, wovon vorliegend auszugehen ist.
Hier sei angemerkt, dass die Anforderung eines Bauantrags aufgrund der oben dargestellten materiellen Illegalität keine Option zur Herstellung rechtmäßiger Zustände darstellt und im Übrigen die Klägerin die in der Vergangenheit durch Schreiben der Bauaufsichtsbehörde vom 28. Mai 2018 gegebene Möglichkeit ignoriert hat und das Vorhaben zu Ende bauen ließ.
2. Die Baubeseitigungsanordnung entspricht auch den Grundsätzen pflichtgemäßen Ermessens nach Art. 40 BayVwVfG. Ermessensfehler sind weder im Sinne des Gleichheitssatzes (2.1) noch im Sinne sonstiger Ermessenfehler (2.2) ersichtlich.
2.1 Art. 3 Abs. 1 GG verbürgt das allgemeine Willkürverbot, das bei jeder Ermessensausübung zu beachten ist. Einem behördlichen Einschreiten gegen rechtswidrige Zustände kann ausnahmsweise entgegengehalten werden, dass es an jedem System oder sachlich einleuchtenden Grund für ein Einschreiten fehlt, sich das Einschreiten im konkreten Fall mithin als willkürlich darstellt (BVerwG, B. v. 24.7.2014 – 4 B 34/14 – juris Rn. 4 = BauR 2014, 1923). Das Willkürverbot stellt allerdings nur eine äußerste Grenze zur Abwehr staatlicher Eingriffe dar, da stets zu bedenken ist, dass sich ein rechtsbrüchiger Bauherr nicht unter diesem „Deckmantel“ auf eine Gleichheit im Unrecht berufen kann. Ein sachlich tragfähiger Grund für ein unterschiedliches Vorgehen kann etwa eine plausibel gewählte „Stichtagslösung“ sein, wonach nur gegen nach diesem Stichtag errichtete Anlagen vorgegangen wird, um eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden (BVerwG, v. 24.7.2014 a.a.O.). Ebenso ist ein vorrangiges Vorgehen gegen die aktuellsten Bausünder ein tragfähiger Grund, um der bei diesen neueren Vorhaben größeren negativen Vorbildwirkung entgegenzutreten (BayVGH, B. v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 5). Eine pauschale zeitliche Grenze, bis wann gegen andere vergleichbare Fälle vorgegangen werden muss, gibt es dabei allerdings nicht (BayVGH, v.7.6.2017 a.a.O. Rn. 6). Genauso zulässig ist es für die Behörde – insbesondere in rechtlich streitigen Fällen – zunächst die Entscheidung des zuständigen Gerichts abzuwarten, um eine rechtlich gesicherte Basis für ein Einschreiten in vergleichbaren Fällen zu haben und quasi „Schritt für Schritt“ vorzugehen (BayVGH, U. v. 14.5.2021 – 1 B 19.2111 – juris Rn. 34). Schließlich ist ein Sanierungskonzept im Sinne obiger Ansätze dann schon nicht von Nöten, wenn in Einzelfällen aufgrund der geringen Anzahl oder Bedeutung ein unmittelbar zeitnahes Einschreiten nicht erforderlich erscheint (BayVGH, B. v. 19.2.2014 – 15 C 13.2483 – juris Rn. 19).
Nach den dargelegten Grundsätzen kann das Gericht vorliegend kein willkürliches Handeln der Bauaufsichtsbehörde erkennen. Es kann hier dahinstehen, ob die Behörde für die in Frage stehenden weiteren Bezugsfälle überhaupt ein Sanierungskonzept nach den obigen Grundsätzen bedurfte oder ob deren Zahl und Bedeutung „gering“ ist. Die Behörde hat sich vorliegend – schon bedingt durch vorrangige Kenntnis vom Schwarzbau der Klägerin – auf ein Vorgehen gegen die unstreitig neueste Anlage beschränkt. Dies ist ein tragfähiger Auswahlgrund. Gleichsam hat sie – zuletzt durch Erklärung der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung – glaubhaft dargelegt, dass die Überprüfung der ohne ihre Kenntnis errichteten Anlagen in der näheren Umgebung angegangen wird. In der mündlichen Verhandlung wurde bereits dargelegt, dass in deren Nachgang entsprechende Anhörungsschreiben an die betroffenen Bauherren ergehen werden. Zweifel hieran bestehen für das Gericht nicht. Damit kann sich die Bauaufsichtsbehörde auch auf ein sachgerechtes Vorgehen „Schritt für Schritt“ berufen.
Soweit die Klägerseite hiergegen einwendet, dass es einen „Anschein“ für eine gleichheitswidrige Behandlung aus dem zeitlichen Abstand zwischen dem Bescheidserlass gegenüber der Klägerin und dem Einschreiten gegen andere Bauherrn gebe, sei auf obige Rechtsprechung verwiesen.
2.2 Andere am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO überprüfbare Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, da aufgrund der materiellen Illegalität des Vorhabens kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Behebung der rechtswidrigen Zustände erkennbar ist.
Fehler im Rahmen der sonstigen Regelung des streitgegenständlichen Bescheids sind nicht ersichtlich. Insbesondere stellt sich das angedrohte Zwangsgeld sowohl der Höhe wie dem Grunde nach als rechtmäßig dar (Art. 29 ff. VwZVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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