Baurecht

Erfolglose Klage wegen Bauvorbescheid zur Erweiterung einer Anwaltskanzlei

Aktenzeichen  Au 4 K 18.1609

Datum:
25.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23561
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 1 Nr. 6
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1. Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterium können äußerlich erkennbare Umstände, wie Erhebungen oder Einschnitte, aber auch Straßen oder Bahnlinien, im Einzelfall dazu führen, dass der Bebauungszusammenhang am Ortsrand nicht – wie im Regelfall – am letzten Baukörper endet. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine betriebliche Erweiterung setzt einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem vorhandenen Gebäude und Betrieb und der beabsichtigten Erweiterung voraus; maßgeblich ist eine konkret betriebsbezogene Betrachtungsweise. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Angemessenheitsgrenze für eine geplante bauliche Erweiterung im Außenbereich wird wohl mehrheitlich bei um die 25% Zunahme von Fläche oder Bauvolumen gezogen. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Bauvorbescheid ist auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens zu erteilen, wobei die Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens der Dispositionsbefugnis des Antragstellers unterliegen und der Vorbescheidsantrag damit nicht durch die negative Beantwortung von nicht gestellten Fragen abgelehnt werden kann. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheids gem. Art. 71 Satz 1 BayBO; der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. August 2018 ist jedenfalls im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die mit dem Vorbescheidsantrag abgefragte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Erweiterung der Fachanwaltskanzlei ist nicht gegeben (1.). Hingegen hindert eine etwaige Unvereinbarkeit des Vorhabens mit dem Denkmalschutzrecht eine Erteilung des Bauvorbescheids nicht, weil dies nicht Gegenstand der Fragestellung des Vorbescheidsantrags gewesen ist (2.).
1. Das Vorhaben widerspricht bauplanungsrechtlichen Vorschriften gem. §§ 29 ff. BauGB (Art. 71, 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO). Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 35 BauGB (1.1). Als sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt es Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB (1.2). Eine erleichtere Zulässigkeit gem. § 35 Abs. 4 BauGB ist nicht gegeben (1.3).
1.1 Das Vorhabengrundstück liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gem. § 34 BauGB und damit im Außenbereich gem. § 35 BauGB.
Die Beantwortung der Frage, ob ein Grundstück dem Innen- oder Außenbereich angehört, hängt davon ab, wie weit eine aufeinander folgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche selbst diesem Zusammenhang angehört. Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich nicht nach allgemein gültigen, etwa geografisch-mathematischen Maßstäben treffen, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topografischen Situation und der Umgebungsbebauung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 2 ZB 12.2632 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 29.8.2018 – 2 CS 18.1280 – Rn. 4, jeweils m.w.N.). Ein Bebauungskomplex muss zudem nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzen und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2017 – 2 N 15.619 – juris Rn. 43). Die organische Siedlungsstruktur setzt eine städtebaulich-wertende Beurteilung voraus, welche die Systemzusammenhänge insbesondere zum Außenbereich berücksichtigen muss. Dabei ist auf die Siedlungsstruktur der Gemeinde im Einzelfall abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1998 – 4 C 7.98 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen befindet sich das fragliche Grundstück im Außenbereich gem. § 35 BauGB.
Zunächst ist davon auszugehen, dass die östlich auf die Bebauung beidseits des … folgenden Verkehrswege (Bahnlinie … – …; … Straße) eine klare Zäsur bilden und damit die klägerseits angeführte weiter östlich folgende gewerbliche Bebauung keinen Bebauungszusammenhang mehr vermitteln kann (vgl. zur typischerweise besonders trennenden Wirkung einer Bahnlinie VG München, U.v. 16.10.2014 – M 11 K 14.199 – juris Rn. 37). Dies folgt hier auch aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterium, wonach äußerlich erkennbare Umstände, wie Erhebungen oder Einschnitte, aber auch Straßen oder Bahnlinien, im Einzelfall dazu führen können, dass der Bebauungszusammenhang am Ortsrand nicht – wie im Regelfall – am letzten Baukörper endet (vgl. etwa BayVGH, U.v. 9.9.2015 – 1 B 15.251 – juris Rn. 20). Denn auch in diesem Fall reicht der Bebauungszusammenhang jedenfalls nur bis zu einer solchen sich aus der örtlichen Situation ergebenden natürlichen Grenze (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – juris Rn. 22), also nicht – wie hier klägerseits geltend gemacht – darüber hinaus. In dieses Bild fügt es sich, dass beim Augenscheinstermin in der Nähe des am weitesten östlich gelegenen Gebäudes … die jenseits von Straße und Bahnlinie folgende Bebauung – auch ungeachtet der des vorhandenen, beim Augenscheinstermin aber ohnehin weitgehend nicht ergrünten Bewuchses – kaum wahrnehmbar war.
Ferner nimmt das nördlich gelegene Gebäude … auf Grund seiner Entfernung zu den Gebäuden … ff. nicht mehr am Bebauungszusammenhang teil. Die dazwischen liegende unbebaute Fläche ist deutlich zu groß, um noch von einer Baulücke (im engeren Sinn des Wortes, vgl. bereits BVerwG, U.v. 1.12.1972 – IV C 6.71 – BVerwGE 41, 227- juris Rn. 20) sprechen zu können. Vielmehr handelt es sich um ein einzelnes, selbst im Außenbereich gelegenes Gebäude. Südlich folgt entlang der … auf die Gebäude …weg 1 ff. ohnehin keine Bebauung.
Im hier damit fraglichen Bereich entlang des …wegs bestehen zwar, von den vergebenen postalischen Adressen (Hausnummern) ausgehend, 12 (Haupt-) Gebäude; hinzu kann die westlich unmittelbar der … gelegene „Villa …“ (…) gerechnet werden. Allerdings ist die bloße Zahl der postalisch vergebenen Adressen für die Frage, ob ein Bebauungszusammenhang vorliegt, hier nicht entscheidend. Wie der klägerseits eingereichte Auszug aus dem Liegenschaftskataster ausweist, folgt die postalische Adressierung letztlich den Grundstücksgrenzen; bei der Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich kommt indes den Grundstücks- und Parzellengrenzen keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. bereits BVerwG, U.v. 3.3.1972 – IV C 4.69 – juris Rn. 17).
Insofern liegen hier – wie ebenfalls der klägerseits eingereichte Auszug aus dem Liegenschaftskataster ausweist – deutlich weniger als zehn Gebäude vor, da insoweit zumindest die jeweils einen Gebäudekomplex bzw. -riegel bildenden Nrn. 1 und 3, 4 bis 10 sowie 5 und 5a (alle …weg) zusammen betrachtet werden müssen. Zudem bestehen, ausgehend vom in Rede stehenden Gebäude Nr. 2a, beträchtliche Abstände jedenfalls zu den Gebäuden Nrn. 5, 5a und 7 (nach dem klägerseits eingereichten Liegenschaftskataster gut 70 m) und Nr. 12 (ca. 40 m). Ferner ist die von den vorhandenen Gebäuden …weg 1 bis 12 teilweise umrahmte, unbebaute Fläche ihrerseits zu groß, um noch – im Rechtssinne – eine Baulücke darzustellen (Nord-Süd-Ausdehnung gut 75m; Ost-West-Ausdehnung gut 70 m [nach dem klägerseits eingereichten Liegenschaftskataster]). In ihr könnte auch der längste vorhandenen Baukörper (…weg 4 – 10) mehrfach untergebracht werden. In Richtung Osten (weiterer Verlauf des …wegs) findet diese unbebaute Fläche ohnehin keinen erkennbaren Abschluss, sondern sie geht letztlich nahtlos in weitere unbebaute Flächen über.
Insgesamt stellt sich die vorhandene Bebauung ungeachtet der Anzahl der vorliegenden Gebäude als regel- und planlos und in ihrer Anordnung geradezu funktionslos dar, ohne dass diese „Regellosigkeit“ in Wahrheit aus der – nunmehr gegebenen – Funktion der Baulichkeiten oder aus sonstigen Gründen gerechtfertigt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.1976 – IV C 53.74 – juris Rn. 26). Eine organische Struktur ist nicht erkennbar. Die Gebäude vermitteln nach den vorliegenden Plänen, nach allgemein zugänglichen Luftbildern (BayernAtlas; Google Maps) sowie den beim Augenschein gewonnenen, vom Berichterstatter der Kammer vermittelten Erkenntnissen weniger den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit als den einer Streusiedlung. Es handelt sich um eine lockere Bebauung vornehmlich auf einer Straßenseite (ergänzt durch das Einzelgebäude … 82) die nach ihrer Siedlungsstruktur eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb ihres Bereichs nicht erkennen lässt. Insofern ist hier von einer Splittersiedlung im Außenbereich auszugehen, denn es handelt sich um eine bloße Ansammlung bzw. Anhäufung von baulichen Anlagen, die die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihr mangels einer angemessenen (Bau-)Konzentration das für die Annahme eines Ortsteils notwendige Gewicht fehlt und sie damit Ausdruck einer unorganischen Siedlungsstruktur ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.3.2015 – 4 B 45/14 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Aus der Siedlungsstruktur der Beklagten ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Beklagte verfügt, wie allgemein und gerichtsbekannt, etwa im Bereich ihrer Altstadt, über etliche dicht bebaute Bereiche. Ihre Siedlungsstruktur ist damit nicht durch lockere, regellose Streubebauung, wie hier vorliegend, gekennzeichnet. Vereinzelte Bebauung entlang bzw. in der Nähe des, zumal entlang der, ist von der Kammer und vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ebenfalls als Außenbereich eingestuft worden (vgl. VG Augsburg, B.v. 23.5.2018 – Au 4 S 18.279; BayVGH B.v. 29.8.2018 – 2 CS 18.1280).
1.2 Für eine Privilegierung des Vorhabens gem. § 35 Abs. 1 BauGB ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Als sonstigem Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB sind jedenfalls die Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB – der Flächennutzungsplan sieht für den Vorhabenbereich eine landwirtschaftliche Nutzung vor – und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt; es ist die Verfestigung bzw. Erweiterung der vorhandenen Splittersiedlung zu befürchten, zumal die geplante Erweiterung des Gebäudes Präzedenzfallcharakter für Erweiterungen der weiteren im Bereich …weg 1 ff. vorhandenen Gebäude haben würde.
1.3 Die genannten Belange können dem Vorhaben auch entgegengehalten werden. Ein Tatbestand des § 35 Abs. 4 BauGB ist nicht einschlägig.
In Betracht kommt vorliegend – wovon auch die Beteiligten ausgehen – lediglich eine so genannte Teilprivilegierung gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB. Die Norm erfasst die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Betrieb angemessen ist. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt.
Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die Norm schon deshalb nicht einschlägig ist, weil die beantragte Erweiterung einer Fachanwaltskanzlei – entsprechend der allgemeinen Definition des Gewerbebegriffs – einen freiberuflichen und keinen gewerblichen Betrieb betrifft (vgl. zur Abgrenzung der freien Berufe von den gewerblichen Tätigkeiten Hornmann, in: Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, § 13 Rn. 14). Im vorliegenden Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob die in der Literatur – ohne vertiefte Begründung – vertretene Auffassung zutreffend ist, die Norm erfasse auch freiberufliche Tätigkeiten (so Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 161; ders., in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, § 35 Rn. 149; dem – ohne die Rechtsfrage anzusprechen – folgend HessVGH, B.v. 15.5.2018 – 3 A 395/15 – juris Rn. 49), oder ob keine erweiternde Auslegung der Norm über den „gewerblichen Betrieb“ hinaus zulässig ist (so – in Abgrenzung zu einem landwirtschaftlichen Betrieb – BVerwG, U.v. 19.4.1985 – 4 C 13/82 – juris Rn. 15), zumal § 35 Abs. 4 BauGB als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (BVerwG, B.v. 29.9.1987 – 4 B 191/87 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 20.5.2009 – 2 ZB 06.2730 – juris Rn. 10) und der Gesetzgeber in § 35 Abs. 4 BauGB ein differenziertes System von abschließenden Einzelregelungen geschaffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1998 – BVerwGE 106, 228 – juris).
Denn vorliegend ist die beantragte Erweiterung nicht i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB angemessen.
Dabei kommt es allerdings nicht auf den im Ablehnungsbescheid thematisierten und in der Folge zwischen den Beteiligten streitigen Vergleich zwischen dem ursprünglichen Gebäudemaß des zweigeschossigen Nebengebäudes (ohne die mit Bescheid vom 20.8.2003 gestattete Erweiterung) und des Maßes der baulichen Nutzung nach Umsetzung der jetzt beantragten Erweiterung an. Insbesondere ist nicht maßgeblich, welcher Zeitraum verstrichen sein muss, damit eine (weitere) Erweiterung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB nicht mehr als unzulässige „Kettenerweiterung“ bzw. Aufspaltung eines eigentlich einheitlichen Erweiterungsvorhabens betrachtet werden kann (vgl. zum Problem Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 162b m.w.N.).
Denn die im Jahre 2003 gestattete Gebäudeerweiterung beruhte nicht auf dem jetzt in Rede stehenden § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB, sondern auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 3 BauGB. Dies ergibt sich aus der Begründung des Bescheids vom 20. August 2003 (S. 5), wonach das Vorhaben nach § 35 Abs. 4 Nr. 3 BauGB für den abgebrannten Gebäudeteil zulässig sei. Im Bereich dieses Gebäudeteils wurde die jetzt zur Erweiterung beabsichtigte Anwaltskanzlei genehmigt, während im bestehen gebliebenen Gebäudeteil im Wege der Nutzungsänderung Wohnen teilprivilegiert gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB zugelassen wurde. Die Erweiterung des Gebäudes für die Anwaltskanzlei gegenüber dem abgebrannten Gebäude erfolgte in Anwendung des § 35 Abs. 4 Satz 3 BauGB, wonach u.a. im seinerzeit herangezogenen Fall des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB geringfügige Erweiterung des neuen Gebäudes gegenüber dem zerstörten sowie geringfügige Abweichungen vom bisherigen Standort zulässig sind. Dementsprechend ist damals unter den Beteiligten diskutiert worden, wann eine Erweiterung noch als „geringfügig“ angesehen werden kann (vgl. Bl. 35 und Bl. 51 f. der entsprechenden Bauverfahrensakte), und nicht, ob sie i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB „angemessen“ ist. Auf Grund der Bestandskraft des Genehmigungsbescheids spielt für das vorliegende Verfahren keine Rolle, ob die seinerzeit zugestandene Erweiterung tatsächlich geringfügig i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 3 BauGB war. Aus dem gleichen Grund kann aus Rechtsgründen der nun angestrebten Erweiterung nicht entgegen gehalten werden, dass im Jahre 2003 der Begriff der „Geringfügigkeit“ eher großzügig gehandhabt worden sei. Bei § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 6 BauGB handelt es sich um unterschiedliche Teilprivilegierungstatbestände. Dafür, dass an die Angemessenheit einer Erweiterung gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB von vornherein strengere Anforderungen gestellt werden müssten, weil im Rahmen einer früheren Genehmigung bereits von der Erweiterungsmöglichkeit im Rahmen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 BauGB Gebrauch gemacht worden ist, bieten der Gesetzeswortlaut und -systematik keine Anhaltspunkte.
Damit kommt vorliegend der Tatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB erstmals zur Anwendung; es handelte sich um die erstmalige Erweiterung eines – folgt man der oben genannten Literaturauffassung – gewerblichen Betriebs.
Allerdings ist die beantragte Erweiterung auch im Vergleich zum bisher vorhandenen Betrieb nicht als angemessen i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB anzusehen. Beurteilungsmaßstab ist insoweit nur das vorhandene (also das mit Bescheid vom 20.8.2003 genehmigte) Betriebsgebäude der Anwaltskanzlei, nicht das mit gleichem Bescheid genehmigte Wohngebäude (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1993 – 4 C 19/92 – juris, LS). Die betriebliche Erweiterung setzt einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem vorhandenen Gebäude und Betrieb und der beabsichtigten Erweiterung voraus; maßgeblich ist eine konkret betriebsbezogene Betrachtungsweise (BVerwG, U. v. 17.2.2011 – 4 C 9/10 – juris Rn. 18). Danach erweist sich die beantragte Erweiterung schon deshalb nicht als dem § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB entsprechend, weil – wie im Vorhabensbetreff angegeben und in den eingereichten Plänen ausgewiesen – ein Mitarbeiterapartment geschaffen werden soll. Ein solches mag zwar – auch im individuellen Fall – zur Erhöhung des Komforts für Mitarbeiter und der Attraktivität des Arbeitsplatzes (Vermeidung langer Anfahrtswege) wünschenswert sein. Einen planungsrechtlich relevanten Bezug zu einer Rechtsanwaltskanzlei weist eine solche Wohnmöglichkeit für Mitarbeiter jedoch nicht auf. Letztlich handelt es sich insoweit nicht um die Erweiterung des Betriebs, sondern um eine – gesondert vom Betrieb zu betrachtende – Wohnnutzung (Eintrag im eingereichten Plan: „Wohnen + Schlafen“). Dies wird dadurch bestätigt, dass planungsrechtlich auch sonst zwischen dem Gewerbebetrieb und diesem Betrieb zugeordnetem Wohnen unterschieden wird (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO einerseits; § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO andererseits). Da das Mitarbeiterapartment nach den eingereichten Plänen baulich untrennbar mit der sonstigen Erweiterung verbunden ist, liegt ein einheitlich beantragtes Vorhaben vor; eine Teil-Angemessenheitsprüfung der Erweiterung ohne Mitarbeiterapartment kann nicht erfolgen.
Daneben erweist sich die beantragte Erweiterung auch mit Blick auf die vorgesehene zusätzliche Gebäudekubatur nicht als angemessen. Abstraktgenerell lässt sich die Angemessenheit – zumal in Prozentzahlen – nicht angegeben (vgl. Zusammenstellung bei Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 162c). Jedoch ist ausgehend davon, dass die Angemessenheitsgrenze wohl mehrheitlich bei um die 25% Zunahme von Fläche oder Bauvolumen gezogen wird (vgl. Söfker, a.a.O.; eventuell weitergehender BayVGH, B.v. 12.9.2006 – 1 ZB 05.2076 – juris Rn. 14: Grenze einer Zunahme von etwa 25% bis 50%), hier nicht mehr von einer Angemessenheit auszugehen. Nach dem Bescheid vom 20. August 2003 genehmigt ist eine Grundfläche des Gebäudeteils für die Anwaltskanzlei von 13,40 m x 8,55 m (ca. 114,5 m2, hinzu kommt ein kleiner Anbau mit knapp 9 m2. Die zusätzlich überbaute Fläche gibt der Ablehnungsbescheid vom 27. August 2018 (S. 5) nachvollziehbar mit ca. 88,46 m2 an. Dort ist zwar die Geschossfläche ausgewiesen; dabei handelt es sich indes, nachdem ebenerdig keine Räume, sondern – durch die Erweiterung – überdachte Stellplätze entstehen sollen, in etwa um die überbaute Fläche. Nachdem auch die Stellplätze (weiterhin) der Anwaltskanzlei dienen sollen, ist aber kein Grund ersichtlich, diese nicht vollständig umbaute, aber dem Betrieb zugute kommende Fläche bei der Beurteilung der Angemessenheit der Erweiterung außer Acht zu lassen. Mithin beträgt bereits das Verhältnis zwischen Erweiterung und (genehmigtem) Bestand über 70%, so dass vorliegend die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen bzw. zitierten Angemessenheitsgrenzen in jedem Fall deutlich überschritten sind. Schon die Darstellung der Erweiterung auf dem eingereichten Liegenschaftskataster zeigt im Übrigen augenfällig, dass die geplante Erweiterung deutlich mehr als die Hälfte des Bestandes ausmacht. Die im vorgesehenen Anbau im nordwestlichen Bereich vorgesehene Verjüngung ist auch nicht auf eine Reduzierung des Vorhabens zur Schonung des Außenbereichs, sondern auf den Verlauf der Grundstücksgrenzen zurückzuführen, die eine Ausführung des Vorhabens in der Breite des südlichen Bereichs nicht erlauben.
2. Ob das Vorhaben mit Denkmalschutzrecht in Einklang steht, ist nicht zu entscheiden. Fragen des Denkmalschutzrechts sind vorliegend nicht zu prüfen, weil diese nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrags sind.
Gem. Art. 71 Satz 1 BayBO ist ein Vorbescheid auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens zu erteilen. Welche Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens gestellt werden, unterliegt der Dispositionsbefugnis des Antragstellers (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.2008 – 2 BV 04.863 – juris Rn. 23). Ein Vorbescheidsantrag kann damit nicht durch die negative Beantwortung von vom Antragsteller nicht gestellten Fragen abgelehnt werden. Zwar verweist Art. 71 Satz 4 BayBO insgesamt auf Art. 68 Abs. 1 BayBO und damit scheinbar auch auf die Ablehnungsmöglichkeit wegen Verstoßes gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO. Dem ist jedoch nicht so. Der Prüfungsumfang und die beim Vorbescheidsantrag gestellten Fragen stehen nicht zur Disposition der Baugenehmigungsbehörde. Dies würde, je weiter man entsprechende Feststellungen in einem Vorbescheidsverfahren zuließe, letztlich zur Entwertung des Vorbescheidsverfahrens führen. Ließe man eine umfassende behördliche Prüfung entsprechend Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO im Ermessen der Bauaufsichtsbehörden auch im Rahmen der Erteilung eines Vorbescheids zu, wäre Sinn und Leistungsfähigkeit des Vorbescheidsverfahrens stark eingeschränkt. Art. 71 Satz 1 BayBO eröffnet dem Bauherrn gerade die Möglichkeit, (nur) einzelne Fragen des Bauvorhabens vorab klären zu können. Das Prüfprogramm der Beklagten bleibt damit strikt auf die im Vorbescheidsantrag von der Klägerin gestellten Fragen beschränkt (so zutreffend VG München, U.v. 6.7.2018 – M 8 K 17.1621 – juris Rn. 84; vgl. zur Beschränkung des Prüfungsumfangs auf die gestellten Fragen auch Decker, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 71 Rn. 84).
Da die Klägerin gem. Schreiben vom 31. Januar 2018 (Bl. 59 Behördenakt) keinerlei Fragen zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Denkmalschutzrecht aufgeworfen hat, sind entsprechende Fragen auch im gerichtlichen Verfahren (Verpflichtungsklage) nicht zu thematisieren.
3. Da jedoch die abgefragte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit zu verneinen ist, war die Klage auf Erteilung des beantragten Vorbescheids – ohne dass es noch auf Fragen des Abstandsflächenrechts ankommen würde – mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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