Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Bauvorbescheid zur Errichtung einer Lagerhalle und Werkstatt in Gemengelage

Aktenzeichen  W 5 K 18.1242

Datum:
10.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25094
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35
BauNVO § 6, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1. Ein Vorbescheid ist aufzuheben, wenn wegen des Fehlens oder der Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang des Vorbescheids nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Nachbar kann sich im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, da im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Die Klage gegen den Bauvorbescheid des Landratsamts B. K. vom 31. August 2018 hat in der Sache keinen Erfolg, weil der angefochtene Bescheid den Kläger nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ein Nachbar hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung eines Vorbescheids nicht schon dann, wenn dieser objektiv rechtswidrig ist. Voraussetzung ist – wie bei einer baurechtlichen Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung – vielmehr, dass der Nachbar durch den Vorbescheid gerade in seinen eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn Normen verletzt sind, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen, also drittschützende Wirkung haben (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris). Eine solche Verletzung des Klägers in drittschützenden Rechten liegt hier jedoch nicht vor.
1. Der von Klägerseite gerügte Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz führt nicht zum Erfolg der Klage.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, so dass die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine hinreichende Bestimmtheit eines Bescheids gegeben ist, sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft oder wenn infolge der Unbestimmtheit eines Vorbescheids nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, 136. EL Januar 2020, Art. 71 Rn. 152). Entsprechend der Baugenehmigung ist ein Vorbescheid daher aufzuheben, wenn wegen des Fehlens oder der Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang des Vorbescheids nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205; B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – beide juris).
Gemessen daran liegt keine Unbestimmtheit des Bauvorbescheids des Landratsamts B. K. vom 31. August 2018 oder einzelner Nebenbestimmungen vor, die sich zulasten des Klägers auswirken könnten. Der Bauvoranfrage wurde eine detaillierte Nutzungsbeschreibung sowie ein Erläuterungsbericht beigefügt (vgl. Bl. 14 ff. der Behördenakte). Auch die im Vorbescheid getroffenen Regelungen unterliegen keinen Zweifeln hinsichtlich ihrer Bestimmtheit. Das gilt insbesondere für die vom Klägerbevollmächtigten gerügten Nebenbestimmungen unter Ziffer 4 („Alle Lärm erzeugenden Anlagenteile sind dem derzeitigen Stand der Lärmschutztechnik entsprechend auszuführen und sorgfältig zu warten.“) und unter Ziffer 8 („Der Innenpegel der Halle darf max. 80 db(A) betragen, wenn ein bewertetes Schalldämmmaß aller Bauelemente (Wände, Dach, Türen, Fenster, Oberlichter) von min. 28 dB(A) vorliegt. Dementsprechend sind auch andere Wertkombinationen nach Rücksprache mit der Unteren Immissionsschutzbehörde möglich.“). Es ist für die Kammer nicht ansatzweise nachzuvollziehen, aus welchen Gründen diesen Bestimmungen eine sich auf die Nachbarrechte des Klägers auswirkende Unklarheit anhaften sollte. Weder muss – wie vom Klägerbevollmächtigten geltend gemacht – zur Wahrung der erforderlichen Bestimmtheit in Ziffer 4 der Nebenbestimmungen die Wendung „Alle Lärm erzeugenden Anlagenteile“ näher erläutert werden noch müssen in Bezug auf Ziffer 8 der Nebenbestimmungen die verschiedenen, allein im Rahmen der Bauausführung vom Beigeladenen auszuwählenden Wertkombinationen näher beschrieben werden, um den aus Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG resultierenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Kammer erkennt auch nicht die vom Klägerbevollmächtigten geltend gemachten, aber nicht näher beschriebenen Widersprüchlichkeiten. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass selbst bei einem unterstellten Verstoß der gerügten Nebenbestimmungen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz hieraus die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Klägers resultieren könnte. Es sind keine Zweifelsfragen vorgetragen oder erkennbar, aufgrund derer der Kläger über den Umfang einer eigenen Betroffenheit im Unklaren gelassen wird. Die angegriffenen Regelungen beziehen sich schon gar nicht auf ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal, sondern stellen lediglich technische Anforderungen an die Bauausführung des Beigeladenen betreffend den Stand der Lärmschutztechnik (Ziffer 4 der Nebenbestimmungen) bzw. den Innenpegel und das Schalldämmmaß der Halle (Ziffer 8 der Nebenbestimmungen). Der für den Kläger relevante Umfang der zu erwartenden Lärmimmissionen ergibt sich gerade nicht aus den hier gerügten Nebenbestimmungen und den darin enthaltenen Details zu der dem Beigeladenen auferlegten Bauausführung. Maßgeblich dafür ist vielmehr der sich aus den Unterlagen zur Bauvoranfrage ergebende Nutzungsumfang der geplanten Anlage sowie aus der im Vorbescheid festgelegten Zumutbarkeitsgrenze betreffend Lärmimmissionen am Anwesen des Klägers (vgl. insoweit Ziffer 3 der Nebenbestimmungen). Diesbezüglich ist jedoch weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass der Vorbescheid Mängel in der Bestimmtheit aufweisen könnte.
2. Eine Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem sog. Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 BauGB hat grundsätzlich nachbarschützenden Charakter. Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Hier scheitert ein Gebietsbewahrungsanspruch des Klägers daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um ein baugebietswidriges Vorhaben handelt. Der von der Beigeladenen mit Voranfrage vom 26. Juli 2019 begehrte und mit Bescheid des Landratsamts B. K. vom 31. August 2018 erlassene Bauvorbescheid zur Errichtung einer Lagerhalle und einer Werkstatt auf den Grundstücken Fl.Nr. 1991 und 1992 der Gemarkung H … ist seiner Art nach zulässig.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, da für die Baugrundstücke kein Bebauungsplan existiert und diese innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile gelegen sind; die Baugrundstücke sind nicht dem Außenbereich i.S.v. § 35 BauGB zuzuordnen. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, entspricht, beurteilt sich nach § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. § 34 Abs. 2 BauGB kommt über die Gleichsetzung faktischer Baugebiete mit den festgesetzten Baugebieten nachbarschützende Wirkung zu (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 136. EL Januar 2020, Art. 66 Rn. 395; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, 137. EL Februar 2020, § 34 BauGB Rn. 50a).
Die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebende nähere Umgebung reicht so weit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder mit beeinflusst (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das Baugrundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris). Prägend für das Baugrundstück kann nicht nur die Bebauung wirken, die gerade in dessen unmittelbarer Nachbarschaft überwiegt, sondern auch diejenige der weiteren Umgebung. Zur maßgeblichen Umgebung gehört allein, was an Bebauung tatsächlich bereits vorhanden ist (BVerwG, U.v. 12.6.1970 – IV C 77.68 – juris). Dies vorangestellt umfasst der maßgebliche Einzugsbereich der näheren Umgebung vorliegend das Bauquartier, welches von den Straßenzügen der … Str., der W … Str. und der G … eingerahmt wird. Innerhalb dieses Bereichs ist das geplante Vorhaben – wie der gerichtliche Augenschein ergeben hat – in prägender Weise wahrnehmbar. Darüber hinaus handelt es sich bei dem bezeichneten Bauquartier um einen Bereich, in dem die baulichen Gegebenheiten eine eigene Charakteristik aufweist, die sich von den Eigenheiten der außerhalb des Quartiers gelegenen Bebauung deutlich unterscheidet. Während der Bereich innerhalb des Bauquartiers wesentlich durch die Gebäude der Beigeladenen, Gewerbeeinheiten, einem Kindergarten und daneben durch einige Wohngebäude geprägt ist, befindet sich nördlich der … Str. zumindest ganz überwiegend Wohnbebauung, ohne durch größere Gewerbeeinheiten oder andere Bauten geprägt zu sein. Ebenfalls entscheidend von Wohnbebauung geprägt ist der Bereich östlich des Bauquartiers, der zudem mit einem qualifizierten Bebauungsplan überplant ist. Der Bereich südlich der W … Str. ist weitgehend von Bebauung freigehalten. Es verläuft dort eine Bahnlinie, an der sich der Bahnhof H … Ost und ein Hotel befinden. Westlich der G …straße befinden sich ausschließlich gewerbliche Einheiten (Chemieunternehmen, Autohaus). Unter Berücksichtigung all dessen stellt sich die Bebauung innerhalb des vorbeschriebenen Bauquartiers als die hier maßgebliche Umgebungsbebauung dar.
Innerhalb der so begrenzten näheren Umgebung des Bauvorhabens existiert im Wesentlichen eine Gemengelage aus gewerblicher Nutzung (Fl.Nrn. 1989, 1984 1985, 1988/2 der Gemarkung H …) und Wohnnutzung (Fl.Nrn. 1983, 1983/1, 1986/1 und 1986, 1988, 1990 der Gemarkung H …). Dabei besteht kein gleichgewichtiges Nebeneinander dieser Nutzungsformen, sondern es dominiert – was die gebietsprägende Wirkung angeht – die gewerbliche Nutzung mit Blick auf die Flächenanteile sowie die Art der Gewerbebetriebe, die – mit Ausnahme der Heilpraktikerpraxis in der G …straße – nicht mehr als nicht störend eingestuft werden können (KfZ-Werkstatt, Werkstatt der Lebenshilfe mit Holz- und Metallverarbeitung). Ergänzt werden die vorhandenen Gewerbebetriebe und Wohngebäude durch Anlagen für soziale Zwecke, namentlich den auf dem Grundstück Fl.Nr. 1980 vorhandenen Kindergarten. Das Baugebiet wird seine Zweckbestimmung betreffend wesentlich von diesen breitflächigen Nutzungsformen beeinflusst. Zwar mag der maßgebliche Einzugsbereich innerhalb des Bauquartiers damit am ehesten einem Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO entsprechen. Allerdings sind die vorhandenen Gewerbebetriebe bei der gebotenen abstrakten Betrachtungsweise – wie vorerwähnt – nicht mehr als nicht wesentlich störend einzustufen, weshalb im Ergebnis davon auszugehen ist, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit mit Blick auf die bestehende Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB und nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO richtet. Dementsprechend kann sich der Kläger nicht gemäß auf einen allgemeinen Anspruch auf Wahrung der Gebietsart berufen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass das Bauvorhaben des Beigeladenen seiner Art nach mit der näheren Umgebungsbebauung ohne weiteres zu vereinbaren ist. Insbesondere wird die beantragte Werkstattnutzung bereits in vergleichbarer Form an anderer Stelle auf dem Gelände der Beigeladenen ausgeübt, nämlich auf dem Grundstück Fl.Nr. 1984 der Gemarkung H …, und geht in ihrem abstrakt zu betrachtenden Störpotenzial nicht über das in der näheren Umgebung vorhandene Maß hinaus.
3. Soweit die Klägerseite einen Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme reklamiert, ist dem nicht zu folgen.
Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme ist unabhängig davon zu beachten, nach welcher Vorschrift das Bauvorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich zu beurteilen ist. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind Anlagen auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 35 Rn. 78). Ob dies der Fall ist, hängt von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Anwesen des Klägers im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung kann nicht gesprochen werden. Die anhand des Rücksichtnahmegebots durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall vielmehr zu dem Ergebnis, dass der Kläger dem Interesse des Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens keine überwiegenden eigenen Interessen entgegenzusetzen hat. Im Einzelnen:
3.1. Es ist insbesondere nicht zu erwarten, dass der Kläger durch die nach dem Bescheid zulässigen Lärmimmissionen in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird. Das Landratsamt B. K. hat im Bauvorbescheid vom 31. August 2018 immissionsschutzrechtliche Nebenbestimmungen erlassen, die dem nachbarlichen Interesse, keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt zu werden, in hinreichender Weise Rechnung tragen.
Die Bauaufsichtsbehörde hat die maximal zulässigen Lärmimmissionen in nicht zu beanstandender Weise festgelegt. Unter Ziffer 3 dieser Nebenbestimmungen wird bestimmt, dass die Geräusche einschließlich des Liefer- und Personenverkehrs an den Immissionsorten einen Lärmimmissionswert von 54 db(A) tags und 45 db(A) nachts nicht überschreiten darf. Diese Werte sind an den für ein Mischgebiet geltenden Lärmimmissionswerten nach Ziffer 6.1 TA Lärm von 60 db(A) tags und von 45 db(A) nachts ausgerichtet, wobei offenbleiben kann, ob aufgrund der hier gegebenen Gemengelage ein noch höherer Grenzwert hätte festgelegt werden können. Den bestehenden Lärmvorbelastungen wurde unter Ziffer 3 der immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen ausreichend Rechnung getragen, indem der maximale Lärmimmissionswert von 60 db(A) tags um 6 dB(A) auf 54 db(A) reduziert wurde. Dies entspricht den Vorgaben der TA-Lärm, wonach die Genehmigung für die zu beurteilende Anlage auch bei einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte aufgrund einer vorhandenen Vorbelastung aus Gründen des Lärmschutzes nicht versagt werden darf, wenn der von der Anlage verursachte Immissionsbeitrag im Hinblick auf den Gesetzeszweck als nicht relevant anzusehen ist. Das ist in der Regel – so auch hier – der Fall, wenn die von der zu beurteilenden Anlage ausgehende Zusatzbelastung die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 am maßgeblichen Immissionsort um mindestens 6 dB(A) unterschreitet (Nr. 3.2.1 Abs. 2). Eine entsprechende Reduzierung des in der Nachtzeit einzuhaltenden Grenzwerts um 6 db(A) war aufgrund der auf die Tagzeit beschränkten Betriebszeiten nicht geboten.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die für das Vorhaben des Beigeladenen prognostizierten Lärmwerte nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sind und von vornherein nicht eingehalten werden können. Das Landratsamt B. K. hat durch den Fachbereich Immissionsschutz ausführliche Schallpegelberechnungen durchführen lassen (vgl. Anlage 6 zur Klageerwiderung), die vom Klägerbevollmächtigten nicht substantiell angegriffen wurden. Danach ist im Ergebnis an dem am Wohngebäude des Klägers angelegten Immissionspunkt 5 („N … West“) zur Tagzeit ein erwarteter Immissionswert von werktags 49,980 db(A) und an Sonntagen von 32,240 db(A) errechnet worden. Für den Immissionspunkt 7 („N … Süd“) wurde zur Tagzeit ein Immissionswert von werktags 50,282 dB(A) und an Sonntagen von 30.413 db(A) prognostiziert. Der Vertreter der Immissionsschutzbehörde hat die in der einleitenden tabellarischen Übersicht der schallschutztechnischen Prognose enthaltenen Lärmwerte beim gerichtlichen Augenschein nochmals ausdrücklich bestätigt und ausgeführt, das am maßgeblichen Immissionsort beim Wohnhaus des Klägers ein Immissionswert von 50 db(A) und damit ein deutlicher Abstand zur angelegten Zumutbarkeitsschwelle errechnet worden sei. Es ist weder substantiell vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass der Schallprognose unrichtige Annahmen zugrunde gelegt wurden. So ist insbesondere nicht zu ersehen, dass im Schallschutzgutachten von der der Bauvoranfrage beigefügten Vorhabens- und Betriebsbeschreibung, die u.a. – entgegen den zwischenzeitlich möglicherweise geänderten Planvorstellungen des Beigeladenen – von einer Zu- und Abfahrtsmöglichkeit entlang der westlichen Grenze des Grundstücks des Klägers sowie von der Errichtung einer Lärmschutzwand (vgl. insbesondere die Planzeichnung „Vorentwurf Erdgeschoss + Schnitt“ von Februar 2018) ausgeht, abgewichen worden wäre. Schließlich ist nicht zu erkennen, dass das Landratsamt B. K. in den angegriffenen Vorbescheid immissionsschutzfachlich für erforderlich gehaltene Vorgaben (vgl. fachtechnische Stellungnahme vom 30.7.2018, Bl. 32 f. der Behördenakte) nicht aufgenommen hätte. Der Bescheid enthält vielmehr diese Vorgaben, zu denen u.a. das Verbot der Nachtarbeit (22:00 Uhr – 6:00 Uhr), die Begrenzung des Lieferverkehrs auf max. 15 LKW und 10 PKW/Kleinbusse pro Tag, der Einsatz elektrisch betriebener Stapler sowie Vorgaben zur Beschaffenheit der in den Planzeichnungen vorgesehenen Lärmschutzwand gehören. Weiter ist der Beigeladene als soziale Einrichtung, die Menschen mit Behinderung fördert und beschäftigt, besonders angehalten, auf deren Gesundheitsschutz und Lärmschutz zu achten. All dies lässt entgegen der bloßen, nicht näher unterlegten Behauptung des Klägerbevollmächtigten erwarten, dass die festgelegten Zumutbarkeitsgrenzen tatsächlich eingehalten werden können.
3.2. Auch mit Blick auf Abgasimmissionen sind von dem Vorhaben keine unzumutbaren Einwirkungen auf den Kläger zu erwarten. Von einem An- und Abfahrtsverkehr durch Bewohner, Mitarbeiter, Lieferanten und Besucher in unzumutbarem Ausmaß ist nicht auszugehen. Eine unzumutbare und rücksichtlose Beeinträchtigung des Klägers kann die Kammer darin nicht erkennen.
3.3. Im Weiteren kann sich die Kammer dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigen nicht anschließen, wonach das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer unzureichenden Erschließungssituation verletzt sein soll. Zwar mag in besonders gelagerten Einzelfällen nicht von vornherein auszuschließen sein, dass eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ausnahmsweise in Betracht zu ziehen ist, wenn die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert und die entstehende Gesamtbelastung infolge dessen bei Abwägung aller Belange unzumutbar wird (vgl. etwa OVG Münster, B.v. 15.5.2013 – 2 A 3009/11 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 20.12.2013 – 1 ME 214/13 – juris). Ein solch besonderer Ausnahmefall ist hier jedoch nicht ansatzweise zu erkennen, weil das Grundstück des Klägers schon gar nicht über die auf dem Gelände der Beigeladenen verlaufenden Zu- und Abfahrtsstrecke, sondern über die B … Str. erschlossen wird. Darüber hinaus ist nicht nachzuvollziehen, dass die – hier allein streitgegenständliche – Erweiterung der bereits genehmigten Verbindungsstrecke zwischen der B … Str. und der W … Str. überhaupt zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung, geschweige denn zu für den Kläger unzumutbaren Verkehrsverhältnissen, führen könnte. Hierbei ist auch zu beachten, dass in den Nebenbestimmungen des Vorbescheids die Ein- und Ausfahrten in das Grundstück von der B … Str. und der W … Str. mittels Schleppkurven nachzuweisen sind (Ziffer 18 der Nebenbestimmungen) und dass ein Rückstau auf die Kreisstraße bei der Einfahrt in das Grundstück zu vermeiden ist (Ziffer 19 Satz 3 der Nebenbestimmungen). Insofern dürfte, auch mit Blick auf den zusätzlichen, um die Halle herumführenden Fahrweg, von einer gegenüber der bisherigen Genehmigungslage verbesserten Verkehrssituation auszugehen sein. Auch mit Blick auf den begrenzten Umfang des zu erwartenden Personen- und Lieferverkehrs sowie die im Rahmen des Augenscheins beurteilten örtlichen Verhältnisse drängt sich der Kammer eine Unzumutbarkeit der Verkehrsverhältnisse in keiner Weise auf.
3.4. Schließlich kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine geringere Ausnutzbarkeit oder einen allgemeinen Wertverlust seines Anwesens berufen. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Umfang die Bebauungsmöglichkeiten auf seinem Grundstück aufgrund des Vorhabens des Beigeladenen verringert wurden, ist dies jedenfalls als Folge der Ausnutzung der baurechtlichen Möglichkeiten auf den Baugrundstücken der Beigeladenen für sich genommen nicht im Sinne des Rücksichtnahmegebots unzumutbar. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, sein Grundstück im unbeplanten Innenbereich in der bisher möglichen Weise weiter ausnutzen zu dürfen oder vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht. Allein die Chancen und Risiken einer Veränderung des Verkehrswerts eines Anwesens infolge der Errichtung baulicher Anlagen in der Nachbarschaft berühren den Schutzbereich des Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht.
4. Nach alldem erweist sich die Klage als unbegründet und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, die ihm entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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