Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Nutzungsänderung eines Bürogebäudes in Beherbergungsbetrieb

Aktenzeichen  M 9 K 16.3340

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 4 Abs. 2 Nr. 1, § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Gewerbetreibende haben im Gewerbegebiet einen Anspruch darauf, dass unabhängig von einer Verletzung sonstiger subjektiver Rechte bzw. ohne unmittelbare nachbarrechtliche Betroffenheit im Gewerbegebiet keine Wohnnutzung stattfindet. Dies gilt auch für die dort zulässigerweise wohnenden Betriebsleiter. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Vermietung von Plätzen in mehrfach belegten Zimmern fehlt eine Rückzugsmöglichkeit und daher eine selbstbestimmte Häuslichkeit mit Privatsphäre. Eine solche Nutzung erfüllt den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens nicht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zunahme des Verkehrs ist kein Belang, der zur Unzulässigkeit eines Gewerbes im Gewerbegebiet führen kann, wenn die jeweils notwendigen Stellplätze auf den Grundstücken zur Verfügung stehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend beschränkt sich im vorliegenden Verfahren die rechtliche Prüfung darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften verletzt werden, die den Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln (BayVGH B.v. 24.03.2009 14 CS 08.3017). Unter Berücksichtigung dessen verletzt der Bescheid vom 7. Juli 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 3. Juli 2017 die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 VwGO.
Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig und verstößt weder gegen den Gebietswahrungsanspruch noch das Gebot der Rücksichtnahme. Sonstige bauplanungsrechtliche oder bauordnungsrechtliche Verstöße gegen drittschützende Normen sind nicht ersichtlich.
Der Gebietswahrungsanspruch wird nicht verletzt, da es sich bei der genehmigten Unterkunft um eine gewerbliche Nutzung im festgesetzten Gewerbegebiet handelt. Der sog. Gebietswahrungsanspruch gibt Dritten einen Abwehranspruch gegen gebietsfremde Vorhaben. Sowohl das Grundstück der Klägerin als auch das Vorhabensgrundstück befinden sich in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet; nach dem Ergebnis des Augenscheins wird das Gebiet tatsächlich auch gewerblich genutzt. Die Klägerin und ihre Familie bewohnen eine Betriebsleiterwohnung, die im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässig ist. Sonstige Wohnnutzung ist nach § 8 BauNVO im Gewerbegebiet unzulässig. Dies hat zur Folge, dass Gewerbetreibende im Gewerbegebiet einen Anspruch darauf haben, dass unabhängig von einer Verletzung sonstiger subjektiver Rechte bzw. ohne unmittelbare nachbarrechtliche Betroffenheit im Gewerbegebiet keine Wohnnutzung stattfindet. Dies gilt auch für die dort zulässigerweise wohnenden Betriebsleiter.
Die für den Beigeladenen zu 1) genehmigte Nutzungsänderung ist keine Wohnnutzung im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, da die Nutzungsart nicht den bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens erfüllt. Bei der Vermietung von Plätzen in mehrfach belegten Zimmern fehlt eine Rückzugsmöglichkeit und daher eine selbstbestimmte Häuslichkeit mit Privatsphäre (BayVGH U.v. 15.02.2015 1 B 13.648; VG München U.v. 30.09.2015 M 9 K 15.1411). Bei der Unterbringung in Zwei- und Mehrbettzimmern für eine begrenzte Zeit fehlt die zum Begriff des Wohnens im Sinne des Bauplanungsrechts gehörende Möglichkeit der Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises. Diese Voraussetzungen für eine Wohnnutzung gelten auch und gerade für Unterkünfte mit Gemeinschaftseinrichtungen wie ein unter den Begriff des Wohnens fallendes Wohnheim oder für ein Boardinghouse. Die Kammer vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass wesentliche Voraussetzung für eine Wohnnutzung ein eigenes Zimmer mit der damit verbundenen privaten Rückzugsmöglichkeit ist. Bereits daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hier werden Fremde gemeinsam in Zwei- und Mehrbettzimmern untergebracht. Die sonstigen Voraussetzungen für einen gewerblichen Beherbergungsbetrieb sind erfüllt, da eine entsprechende betriebliche Struktur vorliegt. Es werden die beherbergungstypischen Nebenleistungen für die Übernachtung angeboten, wie Bettwäsche und Zimmerreinigung. Darüber hinaus ist nach der Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung ist, die Nutzung zeitlich auf maximal vier Wochen beschränkt. Der Genehmigung für die Nutzungsänderung lag damit das Modell eines sehr einfachen Boardinghouses zugrunde, das keinen wohnähnlichen Aufenthalt ermöglicht. Vielmehr liegt der Schwerpunkt auf dem Angebot einer billigen, vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeit. Der Umstand, dass der Empfangsbereich nur stundenweise besetzt ist, der Putzdienst täglich von außerhalb kommt und der Wäschedienst ebenfalls nicht im Haus ist, ändert daran nichts. Entscheidend ist, dass die entsprechenden Dienstleistungen angeboten werden und nicht, wie diese organisiert sind. Da es sich vorliegend um einen kleinen Beherbergungsbetrieb und nicht um eine Vermietung von Zimmern zu Wohnzwecken handelt, ist vorliegend zu Recht eine gewerbliche Nutzung genehmigt worden. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin keine Unterlassungs- und Abwehransprüche im Hinblick auf die Gebietsart geltend machen kann.
Das Gebot der Rücksichtnahme, § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BauNVO, ist vorliegend ebenfalls nicht verletzt. Danach sind bauliche Nutzungen, die grundsätzlich in dem Gebiet zulässig sind, im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen oder wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die von der Umgebung nach der Eigenart des Gebiets unzumutbar sind. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nachbarschützend. Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, inwieweit ein kleiner Übernachtungsbetrieb für maximal 18 Personen zu unzumutbaren Belästigungen führen könnte oder im Einzelfall der Eigenart des Baugebiets widersprechen würde. Die Klägerin wohnt im Gewerbegebiet und kann daher nur den diesem entsprechenden Schutzstatus gegen sonstige gewerbliche Nutzungen beanspruchen. Da das Baurecht keinen Milieuschutz bietet, gehen Bedenken gegen die Nutzer des Beherbergungsbetriebs ins Leere. Unzumutbare Störungen sind im Hinblick auf die Entfernung, das dazwischen liegende gewerbliche Gebäude der Klägerin sowie die geringe Zahl von dort übernachtenden Personen realistischer Weise nicht zu erwarten. Die Zunahme des Verkehrs ist kein Belang, der zur Unzulässigkeit eines Gewerbes im Gewerbegebiet führen kann, wenn wie hier die jeweils notwendigen Stellplätze auf den Grundstücken zur Verfügung stehen. Die erforderlichen drei zusätzlichen Stellplätze waren nach dem Ergebnis des Augenscheins so vorhanden wie genehmigt. Der Einwand, auf dem Nachbargrundstück gäbe es bereits jetzt zu wenig Stellplätze im Hinblick auf den dortigen Kfz-Betrieb, ist rechtlich unerheblich, da Betriebsleiter im Gewerbegebiet keinen Abwehranspruch gegen einen Gewerbebetrieb auf dem Nachbargrundstück haben, auch wenn dieser wie bei einer Kfz-Werkstatt zu einer Zunahme des Kfz-Verkehrs auf dem dortigen Grundstück oder der öffentlichen Straße führt. Es ist Sinn eines Gewerbegebiets, dass solche Betriebe dort angesiedelt sind; wer hier als Betriebseigentümer oder Betriebsleiter wohnt, hat dies unter dem Gesichtspunkt, dass die Wohnnutzung ein Fremdkörper ist, hinzunehmen.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Baugenehmigung stelle eine Umgehung der tatsächlich beabsichtigten Nutzung dar, ist dies nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens. Nach dem Ergebnis des Augenscheins entspricht das Vorhaben den genehmigten Plänen. Befürchtungen über zukünftige Änderungen sind nicht Verfahrensgegenstand.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO sowie § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO bezüglich der Beigeladenen abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 f. ZPO.


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