Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Eigentümers eines benachbarten Baudenkmals gegen Baugenehmigung für Gästehaus

Aktenzeichen  M 9 SN 17.2380

Datum:
17.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDSchG BayDSchG Art. 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
BayBO BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 59 S. 1 Nr. 3
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 212a Abs. 1
BauNVO BauNVO § 12 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1
GG GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayDSchG dient grundsätzlich allein dem öffentlichen Interesse, ohne dem Einzelnen subjektive (Abwehr–) Rechte einzuräumen. Ein Ausschluss von Abwehrrechten des Eigentümers eines Denkmals gegen die Zulassung eines in der Umgebung geplanten Vorhabens, von dem nachteilige Wirkungen auf das Denkmal ausgehen, ist allerdings insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar, als das Denkmal hierdurch erheblich beeinträchtigt wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als erhebliche Beeinträchtigung eines Denkmals ist nicht nur eine Situation anzusehen, in der ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand, also ein Unlust erregender Kontrast zwischen der benachbarten Anlage und dem Baudenkmal hervorgerufen wird, sondern auch die Tatsache, dass die Wirkung des Denkmals als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element geschmälert wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gegenstand einer Baugenehmigung ist grundsätzlich nur das in den Bauvorlagen näher bestimmte Bauvorhaben, nicht der Errichtungsvorgang bzw. die Bauausführung als solche. Durch Baustellenverkehr entstehende Schäden sind zivilrechtlich geltend zu machen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Derjenige, der sein Grundstück als erster baulich ausnutzt, setzt damit kein Präjudiz für eine spätere Genehmigung für die Bebauung des Nachbargrundstücks innerhalb der dann geltenden Rechtslage. Ein “besonderer Bestandsschutz” ist baulichem Altbestand als solchem nicht zuzugestehen. Das bloße Alter eines vorhandenen Baubestands zählt regelmäßig nicht zu den auch im Zusammenhang mit dem Gebot der Rücksichtnahme berücksichtigungsfähigen Interessen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine ihrer Nachbarin erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Gästehauses mit Betriebsleiterwohnung.
Die Baugenehmigung bezieht sich auf die im Eigentum der Beigeladenen stehende FlNr. 1283/3, Gem. S. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des nordöstlich gelegenen Grundstücks FlNrn. 1266, Gem. S., das mit einem Wohnhaus bebaut ist, bei dem es sich um ein historisches Fischmeisterhaus handelt. Letzteres ist als Baudenkmal in der Denkmalliste des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (i.F.: BayLfD) geführt. Das Baugrundstück liegt südwestlich der restlichen Bebauung jenseits der F.-Straße. Die ehemals dieses Grundstück erfassende 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 60 „F.-Straße“ – Satzungsbeschluss vom 21. September 2016 – wurde durch Beschluss des Gemeinderats vom 21. März 2017 aufgehoben. Ebenfalls in der Sitzung vom 21. März 2017 wurde eine geänderte Fassung dieser 1. Änderung gebilligt und die Auslegung dieses Entwurfs beschlossen. Der Entwurf vom 21. März 2017 wurde am 2. Mai 2017 vom Gemeinderat beschlossen und am 9. Mai 2017 bekanntgemacht.
Unter dem 28. März 2017 beantragte die Beigeladene die streitgegenständliche Baugenehmigung. Die Gemeinde S. erteilte ebenfalls am 28. März 2017 das Einvernehmen als Angelegenheit der laufenden Verwaltung.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Mai 2017 (Az. 31/602 3-2017-410-B) erteilte der Beklagte die Baugenehmigung (Ziff. I des Bescheids), die nach Ziff. II des Bescheids zugleich die erforderliche Befreiung von § 3 Abs. 1 der Landschaftsschutzverordnung „Schutz des S.-Sees und seiner Umgebung“ ersetzt. Ziff. III enthält eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 60 „F.-Straße“, die sich auf eine Baugrenzenüberschreitung bezieht. Mit Ziff. IV des Bescheids wird eine vormals angeordnete Baueinstellung aufgehoben. Ziff. V ordnet an, dass die Baugenehmigung erlischt, wenn die Grundstücke FlNr. 1283/3 und 1283/1, Gem. S nicht nachweislich binnen vier Monaten ab Zustellung des Bescheids im Rechtssinne verschmolzen bzw. vereinigt werden.
Die Baugenehmigung enthält u.a. die Auflagen, dass die in den beigefügten Schreiben des Fachlichen Naturschutzes vom 30. März 2017 und des Technischen Umweltschutzes vom 29. März 2017 (Bl. 21 d. BA 3/2017-410-B) enthaltenen Forderungen zu erfüllen und Bestandteil des Bescheids sind (Ziff. 2 der Auflagen) und dass für das Vorhaben 7 Kraftfahrzeugstellplätze erforderlich sind (Ziff. 23 der Auflagen). Wegen des Inhalts des Bescheids wird im Übrigen auf dessen Gründe Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17. Mai 2017 bezüglich Ziff. I und Ziff. III anzuordnen.
Der Antrag müsse Erfolg haben, weil die Antragstellerin durch die Baugenehmigung in drittschützenden Vorschriften verletzt werde. Die Baugenehmigung umfasse auch die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis, womit die denkmalschutzrechtlichen Belange vom Prüfprogramm der bauaufsichtlichen Zulassung erfasst seien. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Denkmalschutzgesetz (DSchG) definiere einen gesetzlichen Schutzbereich für ein Baudenkmal, wenn in seiner Nähe eine Anlage errichtet werden solle, die nachteilige Wirkungen auf seinen Bestand oder sein äußeres Erscheinungsbild haben könne; insofern vermittle Art. 6 DSchG auch Drittschutz. Die genehmigte Fremdenverkehrsnutzung führe in ihren Dimensionen und hinsichtlich ihrer Lage dazu, dass sie gleichzeitig von außen mit dem Baudenkmal wahrgenommen werde und dessen denkmalgeschütztes historisches Erscheinungsbild beeinträchtige. Das Vorhaben entwickle eine erdrückende Wirkung auf das kleine Fischmeisterhaus; dies gelte sowohl für das Garagengebäude als auch erst recht für den Hauptbaukörper. Für die Wichtigkeit der Gründe des Denkmalschutzes sprächen auch die zu befürchtenden Bezugsfälle sowie die Wirkung auf die Öffentlichkeit. In diese Richtung gehe auch die Stellungnahme des BayLfD. Diese habe im Übrigen die denkmalschutzrechtlichen Tatsachen zwar richtig ermittelt, aber die falschen rechtlichen Folgen gezogen. Das Gericht sei hieran nicht gebunden. Durch die Baugenehmigung komme es für die Antragstellerin durch den zu erwartenden Liefer-, An- und Abfahrtsverkehr zu erheblichen Verkehrslärmbelästigungen, die einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme begründeten. Es liege nicht von vorn herein „auf der Hand“, dass eine zusätzliche Lärmbelastung der Antragstellerin durch die künftige Nutzung der Erschließungs Straße im Bagatell- bzw. Irrelevanzbereich liegen werde. Die Erschütterungen infolge der Bauarbeiten zur Errichtung des Vorhabens hätten im Übrigen schon zu Beschädigungen des Baudenkmals geführt.
Der Antragsgegner nimmt mit Schriftsatz vom 3. Juli 2017 Stellung.
Klage und Eilantrag hätten keinen Erfolg. Es werde verwiesen auf die Schreiben vom 16. Februar 2017, vom 11. Mai 2017 sowie auf das Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 16. Mai 2017.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte, insbesondere auf die Stellungnahmen des BayLfD vom 10. April 2017 (Bl. 79f. d. BA 3/2017-410-B zur Bebauungsplanänderung) und vom 4. Mai 2017 (Bl. 203f. d. BA 3/2017-410-B zum Bauvorhaben) und auf die Stellungnahme des Technischen Umweltschutzes vom 29. März 2017 (Bl. 20ff. d. BA 3/2017-410-B).
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherrin oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften wegen einer etwaigen Beeinträchtigung des im Eigentum der Antragstellerin stehenden Baudenkmals ist nicht ersichtlich (1.). Auch eine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ist nicht erkennbar (2.).
1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt nach summarischer Prüfung keine Rechte der Antragstellerin als Eigentümerin des Fischmeisterhauses als eingetragenes Baudenkmal, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Errichtung von Anlagen in der Nähe von Baudenkmälern bedarf nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 DSchG einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis. Hier wird diese Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 DSchG zwar von der erforderlichen (Art. 55 Abs. 1 BayBO) Baugenehmigung ersetzt; bei deren Erteilung hat die Baugenehmigungsbehörde nach Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO dann aber auch die Vorschriften des Denkmalschutzrechts zu prüfen. Die Baugenehmigung darf nur ergehen, wenn Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf die Erlaubnis versagt werden, soweit das Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbildes oder der künstlerischen Wirkung eines Baudenkmals führen würde und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen.
Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG dient grundsätzlich allein dem öffentlichen Interesse, ohne dem Einzelnen subjektive (Abwehr-) Rechte einzuräumen. Ein Ausschluss von Abwehrrechten des Eigentümers eines Denkmals gegen die Zulassung eines in der Umgebung geplanten Vorhabens, von dem nachteilige Wirkungen auf das Denkmal ausgehen, ist allerdings insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar, als das Denkmal hierdurch erheblich beeinträchtigt wird. Das ist der Fall, wenn von dem Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbildes oder der künstlerischen Wirkung des Denkmals ausgeht und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen (z.B. BayVGH, U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris). Als erhebliche Beeinträchtigung eines Denkmals ist nicht nur eine Situation anzusehen, in der ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand, also ein Unlust erregender Kontrast zwischen der benachbarten Anlage und dem Baudenkmal hervorgerufen wird, sondern auch die Tatsache, dass die Wirkung des Denkmals als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element geschmälert wird. Neue Vorhaben müssen sich zwar weder völlig an vorhandene Baudenkmäler anpassen noch haben sie zu unterbleiben, wenn eine Anpassung nicht möglich ist. Aber sie müssen sich an dem Denkmal messen lassen, dürfen es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen oder die gebotene Achtung gegenüber den im Denkmal verkörperten Werten vermissen lassen. Die genannten Merkmale müssen in schwerwiegender Weise gegeben sein, damit von einer erheblichen Beeinträchtigung gesprochen werden kann (BayVGH, U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – juris; U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris; B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.1946 – juris).
Eine derartige erhebliche Beeinträchtigung ist vorliegend nicht auszumachen. Unabhängig davon, ob die Stellungnahme des BayLfD für das Gericht bindend ist oder nicht, ist ihr inhaltlich nach Lage der Akten jedenfalls in vollem Umfang beizutreten. Der Denkmalwert des Fischmeisterhauses zeichnet sich demnach nachvollziehbar gerade durch seinen Bezug zum See aus, der vorliegend bereits teilweise durch Bauten überprägt ist und auf den das Bauvorhaben keinerlei Einfluss nimmt. Mit der Verkleinerung des Garagenanbaus auf – wie vonseiten des BayLfD gefordert – maximal 3 Stellplätze, mit der unterirdischen Gestaltung der Verbindung zwischen Haupthaus und Garagenanbau und mit der Einhausung nur der von der Straße zurückgesetzten Parkplätze wurde weiter allen in der Stellungnahme formulierten Anforderungen bzw. Voraussetzungen entsprochen, um eine „harte Baukante“ an der Grundstücksgrenze zu vermeiden. Eine Abriegelung des Denkmals bzw. ein Einmauern ist auch nach den vorgelegten Plänen und Ansichten nicht erkennbar. Demnach soll der Garagenanbau in einer Entfernung von ca. 14 m zum Fischmeisterhaus und an der engsten Stelle ca. 12,5 m zurückgesetzt von der Erschließungs Straße entstehen. Ein groß dimensionierter grenzständiger Garagenriegel o.Ä. ist somit nicht geplant.
2. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht erkennbar.
Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
Da hinsichtlich der maßgeblichen (Sach- und) Rechtslage entscheidend auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde – hier: 17. Mai 2017 – abzustellen ist (statt aller Simon/Busse, BayBO, Stand: 124. EL Januar 2017, Art. 68 Rn. 141), ist vorliegend § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB einfachgesetzlicher Ausdruck des Gebots der Rücksichtnahme, da die Neufassung der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 60 „F.-Straße“ nach Aktenlage (Bl. 46 d. Gerichtsakts M 9 K 17.2379) mit Bekanntmachung vom 9. Mai 2017 in Kraft trat (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine etwaige Unwirksamkeit auch der letztgenannten Änderung des Bebauungsplans am rechtlichen Ansatzpunkt der Nachbarklage nichts ändern würde: Auch in diesem Fall wäre die Antragstellerin auf baugebietsübergreifenden Nachbarschutz, mithin auf die Geltendmachung des Gebots der Rücksichtnahme verwiesen, das sich dann – nach den Luftbildern zu urteilen – aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ableiten ließe (ebenfalls offen lassend z.B. BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 15 ZB 14.1037 – juris).
Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind bauliche und sonstige Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Solche unzumutbaren Belästigungen, Störungen oder schädliche Umwelteinwirkungen sind insbesondere solche nach § 3 BImSchG. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen.
a) Unabhängig davon, dass vorliegend nicht klar ersichtlich wird, ob mit der von der Antragstellerin befürchteten „zusätzlichen Lärmbelastung durch die künftige Nutzung der Erschließungs Straße“ mit dem Betrieb des Gästehauses in Zusammenhang stehender und damit dem Vorhaben zuzurechnender An- und Abfahrtsverkehr (Nr. 7.4 Abs. 1 TA Lärm) oder aber Verkehr auf öffentlichen Verkehrsflächen (Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm) angesprochen sein soll, sind diesbezügliche schädliche Umwelteinwirkungen im oben beschriebenen Sinn vorliegend nicht zu erwarten.
Geht es um die Lösung einer Immissionskonfliktlage, genügt es in der Regel – wie vorliegend geschehen, vgl. Ziff. 2 der Auflagen i.V.m. Ziff. 2 der Auflagen im Schreiben des Technischen Umweltschutzes vom 29. März 2017 –, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Immissionsrichtwerte einzuhalten (vgl. z.B. VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4614 – juris; BayVGH, B.v. 7.2.2013 – 15 CS 12.743 – juris; B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris). Würden dagegen die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten, würde es zur Sicherung der Nachbarrechte nicht genügen, den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten; vielmehr müsste die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden.
Vorliegend ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich, was darauf hindeuten könnte, dass die festgelegten Immissionsrichtwerte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts im Regelbetrieb nicht eingehalten würden. Es sollen insgesamt nur sieben Stellplätze entstehen. Diese liegen zwar an der dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten Seite, sind aber ca. 14 m von deren Wohnhaus entfernt. Die Zufahrt befindet sich immerhin noch in einer Entfernung von ca. 7,5 m. Diesbezüglich wird darauf hingewiesen, dass über das Zufahrtsgrundstück FlNr. 1283/2 auch bis dato bereits der Hinterlieger auf FlNr. 1283/4 erschlossen wird, also nicht erstmals eine Zufahrt entlang des Antragstellergrundstücks entsteht. Die Antragstellerin hat zudem in der nach den Luftbildern als Mischgebiet einzustufenden näheren Umgebung bereits Einwirkungen u.a. vonseiten eines Autohauses, zweier Gaststätten, eines großen Parkplatzes und diverser Gästehäuser hinzunehmen. Weiter sind die Anlagen vorliegend straßennah untergebracht, was die Belastung für die Nachbarschaft weiter senkt. Bereits aufgrund dieser Umstände erscheint – auch unter Beachtung der Wertung des § 12 Abs. 1 BauNVO – ausgeschlossen, dass der Betrieb gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen könnte.
Dies alles gilt umso mehr, als die MI-Grenzwerte – die auch bei Lage des Vorhabens im Außenbereich, der einem MD vergleichbar ist, gelten würden – vonseiten des Technischen Umweltschutzes vorliegend um 5 dB(A) reduziert wurden, um eine mögliche Summenwirkung mehrerer emittierender Betriebe zu berücksichtigen. Vorbelastungen i.S.v. Nr. 2.4 Abs. 1 TA Lärm können im Rahmen der sich aus Vor- und Zusatzbelastung zusammensetzenden Gesamtbelastung am Einwirkungsort (sog. Summenwirkung) zu einer Anhebung, aber auch zu einer Absenkung der Zumutbarkeitsschwelle führen (BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 1 ZB 08.1516 – juris). Die Fachstelle hat sich vorliegend für eine Reduzierung der Grenzwerte entschieden, um – wie aus Ziff. 3 der Immissionsschutzauflagen hervorgeht – einen Spielraum für die Berücksichtigung der Summenwirkung der zu beurteilenden Anlage und anderer auf das Antragstellergrundstück einwirkender Anlagen zu haben (vgl. dazu BayVGH, B.v. 27.11.2008 – 1 ZB 06.594 – juris). Ob eine solche Reduzierung vorliegend zwingend war, kann dahingestellt bleiben, da sich dies ohnehin nur günstig für die Antragstellerin auswirkt. Eine Verschlimmerung der Immissionsbelastung in der – nach Google Maps – von einem Autohaus, von zwei Gaststätten, von einem großen Parkplatz und von diversen Gästehäusern geprägten Umgebung steht jedenfalls nicht zu befürchten. Diesbezüglich stützt sich das Gericht auf die Stellungnahme der Fachbehörde, die bei Einhaltung der vorgegebenen Auflagen ausdrücklich keine Bedenken gegen das Vorhaben erhebt. Eine Festlegung „ohne nähere Ermittlung oder Bewertung“ – mithin: unter Verkennung eines weiteren Aufklärungsbedarfs – ist darin nicht zu sehen; die Antragstellerin behauptet gerade nicht, dass diese Stellungnahme in Verbindung mit den vorgegebenen Immissionsschutzauflagen offen erkennbare Mängel enthalte, insbesondere Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit aufkommen lasse, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehe oder unlösbare Widersprüche beinhalte (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 1 ZB 08.1516 – juris). Das ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.
Unabhängig davon, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass der Regelbetrieb die Immissionsrichtwerte überschreiten könnte, enthält die Baugenehmigung ohnehin eine Reihe vollstreckbarer Auflagen (Ziff. 3, Ziff. 4 und Ziff. 6), die die genehmigte Nutzung einschränken. Eine von der Antragstellerin eventuell befürchtete Ausuferung des (Regel-) Betriebs stellt demgegenüber ein reines Vollzugsproblem dar. Sollte sich nach Aufnahme der Nutzung herausstellen, dass weiterer Regelungsbedarf besteht, ist dem gegebenenfalls durch nachträgliche Lärmschutzauflagen nachzukommen.
Nur ergänzend und für den Fall, dass mit dem Vortrag der Antragstellerin auch auf Verkehr gemäß Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm angespielt werden sollte, ist anzumerken, dass hier eine konkrete Ermittlung im Zweifel aus allen drei in den Spiegelstrichen aufgeführten Kriterien heraus unterbleiben konnte: Der vom Grundstück abfließende Verkehr wird sich angesichts der in der Umgebung bestehenden Nutzungen mit dem übrigen Verkehr vermischen; von einem Gästehaus mit nur 12 Betten wird angesichts der oben beschriebenen Fahrzeugbewegungen keine für eine Erhöhung um mindestens 3 dB(A) notwendige Verdoppelung des Verkehrsaufkommens ausgehen und es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass die Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV erstmals oder weitergehend überschritten werden könnten (vgl. statt aller auch VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4614 – juris; U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.5510 – juris).
b) Auch hinsichtlich der geltend gemachten Beschädigungen des Denkmals ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht ersichtlich. Die beigegebene Fotodokumentation könnte bestenfalls belegen, dass der Baustellenverkehr entsprechende Erschütterungen und Beschädigungen ausgelöst hat. Genehmigungsgegenstand aber ist grundsätzlich nur das in den Bauvorlagen näher bestimmte Bauvorhaben, nicht der Errichtungsvorgang bzw. die Bauausführung als solche (BayVGH, B.v. 23.8.2011 – 2 CS 11.1218 – juris; VG München, B.v. 23.9.2014 – M 11 S7 14.4026 – juris). Demnach müssten die Antragsteller – vorgeblich – durch Baustellenverkehr entstandene oder entstehende Schäden zivilrechtlich geltend machen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch Art. 6 DSchG diesbezüglich keinen Drittschutz vorsieht (vgl. nur VG München, B.v. 23.9.2014 – M 11 S7 14.4026 – juris).
c) Auch die geäußerte Befürchtung, das Vorhaben werde eine erdrückende Wirkung für das Fischmeisterhaus entfalten, ist unbegründet. Den Vorgaben des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts kommt diesbezüglich Bedeutung jedenfalls insofern zu, als dass ein Vorhaben, das Art. 6 BayBO gerecht wird, im Regelfall bezüglich der Aspekte Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht rücksichtslos sein wird (BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C-5/93 – juris; VG München, B.v. 25.5.2016 – M 9 SN 16.179 – juris). Der Hauptbaukörper ist von der gemeinsamen Grundstücksgrenze an der schmalsten Stelle mehr als 16,5 m entfernt, der Garagenanbau befindet sich in einer Entfernung von wenigstens 6,5 m. Bei Wandhöhen von 6,5 m (Hauptbaukörper) und 2,5 m (Garagenanbau) werden die Abstandsflächen bei weitem eingehalten.
Ein Ausnahmefall in Bezug auf die Aspekte Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie eine Rücksichtslosigkeit im Übrigen ist nicht erkennbar. Auch der im Laufe der Planungsphase zuletzt – unter Berücksichtigung der Stellungnahme des BayLfD – nochmals verkleinerte Garagenanbau entwickelt keine „erdrückende“, „einmauernde“ oder „abriegelnde“ Wirkung für das Grundstück der Antragstellerin. Eine solche Wirkung wurde ausnahmsweise beispielsweise bejaht für drei 11,50 m hohe Silos, die auf das Nachbargrundstück „wie eine riesenhafte metallische Mauer wirken“ (BVwerG, U.v. 23.5.1986 – 4 C-34/85 – juris) oder auch für den Neubau eines zwölfgeschossigen Hochhauses neben einem zweigeschossigen Wohnhaus in einem von zwei- und dreigeschossiger Wohnbebauung geprägten Gebiet (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C-1/78 – juris). Eine Garage mit einer Breite von 8,45 m und einer mittleren Wandhöhe von 2,5 m entwickelt keinen derartigen erdrückenden oder abriegelnden Charakter.
Mangels individueller Besonderheiten bleibt es auch im vorliegenden Fall deshalb bei der Regel, dass derjenige, der sein Grundstück als Erster baulich ausnutzt, damit kein Präjudiz für eine spätere Genehmigung für die Bebauung des Nachbargrundstücks innerhalb der dann geltenden Rechtslage setzt. Ein „besonderer Bestandsschutz“ ist auch baulichem Altbestand als solchem nicht zuzugestehen. Das bloße Alter eines vorhandenen Baubestands zählt regelmäßig nicht zu den auch im Zusammenhang mit dem Gebot der Rücksichtnahme berücksichtigungsfähigen Interessen. Eine derart pauschale Sichtweise wäre mit der von Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Baufreiheit nicht zu vereinbaren (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 17.58 – juris).
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1, 1.5 Streitwertkatalog.


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