Baurecht

Erfolgloser Eilantrag im Normenkontrollverfahren gegen einen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Wohnbebauung regelnden Bebauungsplan

Aktenzeichen  2 N 20.516

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 963
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 7, § 34, § 35, § 42

 

Leitsatz

1. Das Abwägungsgebot wird nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde bzw. vorliegend ein Zweckverband in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entschieden hat. Die darin liegende Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange ist ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und als solches der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kontrolle beschränkt sich im Rahmen des Abwägungsgebots auf die Frage, ob die Gemeinde bzw. vorliegend der Zweckverband die abwägungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat entscheidet über den Antrag ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Der zulässige Antrag nach § 47 VwGO ist unbegründet.
Mängel in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB sind nicht gegeben. Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Ein Abwägungsmangel liegt dann vor, wenn eine Abwägung überhaupt nicht vorgenommen worden ist oder wenn der Ausgleich zwischen den verschiedenen Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, der die objektive Gewichtung eines dieser Belange verfehlt (vgl. bereits BVerwG, U.v. 12.12.1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301). Das Abwägungsgebot erlaubt bei einer Planungsentscheidung einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Maßgebend ist, ob nach zutreffender und vollständiger Ermittlung des erheblichen Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde gelegt sowie umfassend in nachvollziehbarer Weise abgewogen worden sind (vgl. auch BVerfG (Kammer), B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402.01 – NVwZ 2003, 727).
Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde bzw. vorliegend ein Zweckverband in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entschieden hat. Die darin liegende Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange ist ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und als solches der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Die Kontrolle beschränkt sich im Rahmen des Abwägungsgebots auf die Frage, ob die Gemeinde bzw. vorliegend der Zweckverband die abwägungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat.
Gemessen an diesen Grundsätzen kann der Senat keine Verletzung des Abwägungsgebots erkennen.
1. Bereits in der Sitzung des Bauausschusses vom 5. Dezember 2019 hat die Gemeinde die Interessen der Antragsteller berücksichtigt. Sie hat ausgeführt, dass die Umgebung des Plangebiets, auch wenn vereinzelt Reihenhäuser oder Einzelhäuser mit mehreren Nutzungseinheiten vorhanden seien, durch einzelne Einfamilienhäuser sowie Doppelhäuser geprägt sei. Dies gelte auch für das Gebiet des Bebauungsplans Nr. 38 „nördlich des R. Weges“, das sich in weiten Teilen südlich an das gegenständliche Plangebiet anschließe. Dessen städtebauliche Struktur- und Größenentwicklung wolle die Gemeinde mit der vorliegenden Planung aufgreifen und nach Norden hin fortführen. Einer Festsetzung von Geschosswohnungsbau mit Tiefgaragen stünden die verkehrlichen Entwicklungen, die mit einer solchen Bebauung verbunden seien, entgegen. Die im Bebauungsplangebiet beabsichtigte planinterne Erschließung über eine Anliegerstraße sei nicht geeignet, den aus einer Bebauung mit Geschosswohnungsbauten resultierenden Verkehr aufzunehmen. Auch auf den planextern angrenzenden Wohnstraßen, der A. straße im Westen und der M. straße im Norden, solle eine übermäßige Verkehrsentwicklung vermieden werden. Die Privatnützigkeit des Grundstückseigentums werde durch die zugelassene Bebauung mit Einzel- und Doppelhäusern erhalten. Im Übrigen sei das Grundstück der Antragsteller bauplanungsrechtlich dem Außenbereich nach § 35 BauGB zuzuordnen. Insofern führe der Bebauungsplan Nr. 45 zu einer Erweiterung der bauplanungsrechtlichen Position. Selbst wenn möglicherweise in Teilbereichen aktuell von einer Lage des Grundstücks im unbeplanten Innenbereich und damit von einer Bebaubarkeit nach § 34 BauGB auszugehen gewesen wäre, stelle die vorgesehene Festsetzung einer Einzel- und Doppelhausbebauung, auch vor dem Hintergrund des § 42 BauGB, keine unverhältnismäßige Belastung der Eigentumspositionen der planbetroffenen Grundstückseigentümer dar. Das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG vermittle keinen Anspruch des Eigentümers dergestalt, dass bei der Überplanung einer ihm gehörenden Fläche seine – auch wirtschaftlichen – Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt werden müssten. Es gebe auch keine Pflicht der Gemeinde, Festsetzungen zu treffen, die zwar nach städtebaulichen Gesichtspunkten vertretbar seien, die gleichwohl aber nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde entsprächen. Ebenso wenig bestehe die Verpflichtung der Gemeinde nur Festsetzungen mit optimaler Wirtschaftlichkeit zu treffen, zumal die Wirtschaftlichkeit von Grundstücksnutzungen Schwankungen unterworfen sei. Wenn demnach die Festsetzung von Einzel- und Doppelhäusern mit jeweils zwei Wohneinheiten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Eigentümer auch nicht die optimale Ausnutzung ermögliche, so handle es sich im Verhältnis zu den von der Gemeinde für das Bebauungsplangebiet verfolgten städtebaulichen Zielen doch um eine wirtschaftlich tragfähige mit den Belangen des § 14 GG vereinbare Nutzungsmöglichkeit.
Diese Begründung ist vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 7 BauGB nicht zu beanstanden. Auch ein Abwägungsausfall liegt offensichtlich nicht vor. Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass die Gemeinde eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Gesamtareals als allgemeines Wohngebiet in Anlehnung an die nähere Umgebungsbebauung, welche von Einfamilien- und Doppelhäusern geprägt ist, verfolgte. Planerisches Ziel war die Bebauung mit Einfamilien- und Doppelhaushälften in Ergänzung dieser vorhandenen städtebaulichen Struktur. Dies ergibt sich nicht nur aus den Überlegungen, die der Sitzung des Bauausschusses vom 5. Dezember 2019 zugrunde lagen, sondern auch aus der Begründung zum Bebauungsplan (S. 2 – 3). Diese Erwägungen genügen den Anforderungen, die das Abwägungsgebot stellt. Die Interessen des Grundstückseigentümers können zurückgestellt werden. Ein Abwägungsfehler ist diesbezüglich nicht gegeben.
2. Im Zusammenhang mit der notariellen Vereinbarung vom 11. August 2006 (URNr. 2905 Oe/2006) – einem Nachtrag zu einem notariell beurkundeten Kaufvertrag – ergibt sich ebenfalls kein Abwägungsfehler. Zum einen wurde in der Vereinbarung ausdrücklich klargestellt, dass eine Verpflichtung der Gemeine zur Aufstellung eines Bebauungsplans nicht besteht (UR Nr. 2905 Oe/2006, II 2 Satz 2). Eine Bindungswirkung der notariellen Vereinbarung hinsichtlich bestimmter Festsetzungen im Rahmen der Bauleitplanung existiert nicht. Zum anderen hat die Antragsgegnerin in der Sitzung vom 5. Dezember 2019 die notarielle Vereinbarung in die Abwägung eingestellt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die notarielle Vereinbarung dergestalt in der Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen, dass eine Bebauung mit Mehrfamilienhäusern zuzulassen gewesen wäre. Für eine über die in 1. geschilderte Berücksichtigung der Eigentümerinteressen der Antragsteller hinaus ist auch unter Berücksichtigung der notariellen Vereinbarung kein Raum.
3. Die Antragsteller rügen, dass ein sparsamer Umgang mit Grund- und Bodenwohnungen eine seniorengerechte Unterbringung erfordere. Unabhängig davon, dass eine seniorengerechte Unterbringung auch in Einfamilien- und Doppelhäusern in einem allgemeinen Wohngebiet möglich ist, erschließt sich dem Senat nicht, inwiefern ein sparsamer Umgang mit Grund- und Boden Wohnungen für seniorengerechte Unterbringung fordert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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