Baurecht

Erfolgreicher Eilantrag im Normenkontrollverfahren gegen Bebauungsplan

Aktenzeichen  1 N 20.1687

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1952
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 6, § 10 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt die Gemeinde, wenn sie eine in Bezug genommene nicht öffentlich zugängliche technische Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereithält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist. Ebenso genügt ein entsprechender Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung. Für die Bekanntmachung eines Bebauungsplans genügt es, wenn in der Bekanntmachung darauf hingewiesen wird, wo der Plan eingesehen werden kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB ermöglicht es nicht, die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in anderen Gebäuden als Wohngebäuden oder eine Begrenzung der Wohnungsanzahl je Baugrundstück festzusetzen.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bebauungsplans mit integrierter Grünordnung – F – vom 6. August 2019, bekanntgemacht am  23. August 2019, ist unwirksam.     
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.     
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der am 6. August 2019 beschlossene und am 23. August 2019 bekannt gemachte Bebauungsplan ist unwirksam.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2005 – 4 BN 46.05 – BauR 2006, 352). Daran gemessen ist der Antragsteller als Eigentümer eines Grundstücks, das durch die Festsetzungen im Bebauungsplan unmittelbar betroffen ist, antragsbefugt.
2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Es liegt ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung einer Rechtsnorm vor, der zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans führt (2.1). Die Festsetzung zur zulässigen Anzahl der Wohneinheiten in B.2 der textlichen Festsetzungen verstößt zudem gegen § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB (2.2).
2.1 Die öffentliche Bekanntmachung des Bebauungsplans am 23. August 2019 ist nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Antragsgegnerin hat in der textlichen Festsetzung in B.7 auf ein technisches Regelwerk (hier: DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“) Bezug genommen, ohne darauf hinzuweisen, wo es eingesehen werden kann. Eine solche Bekanntgabe genügt nicht den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus § 10 Abs. 3 BauGB ergebenden Anforderungen.
Die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Verkündung von Normen stehen zwar einer Verweisung auf nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht von vornherein entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.2020 – 4 CN 5.18 – BauR 2020, 1726; BayVGH, U.v. 10.11.2020 – 1 N 17.333 – BayVBl 2021, 451; U.v. 28.11.2019 – 2 N 17.2338 – juris Rn. 22). Verweist eine Festsetzung auf eine solche Vorschrift und ergibt sich erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der Plangeber aber sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der jeweiligen technischen Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. Dies gilt unabhängig davon, ob der Plangeber eine Regelung insgesamt dem Ergebnis der Anwendung der technischen Vorschrift überlässt oder ob er zwar dem Grunde nach selbst bestimmt, welchen Anforderungen die baulichen Anlagen genügen müssen, aber erst der Verweis auf die Vorschrift ergibt, nach welchen Methoden und Berechnungsverfahren der Inhalt der Anforderungen im Einzelnen zu ermitteln bzw. nachzuweisen ist (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2010 – 4 BN 21.10 – NVwZ 2010, 1567; BayVGH, U.v. 24.11.2020 – 1 N 17.1019 – juris Rn. 16). Den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt die Gemeinde, wenn sie die in Bezug genommene Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereithält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist. Ebenso genügt ein entsprechender Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung, weil dieser in gleicher Weise wie der Hinweis in der Bebauungsplanurkunde geeignet ist, die Planbetroffenen über die Möglichkeit und den Ort der Einsicht in die technische Vorschrift zu informieren. Für die Bekanntmachung eines Bebauungsplans genügt es, wenn in der Bekanntmachung darauf hingewiesen wird, wo der Plan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB); das gilt auch für nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften.
Diesen Anforderungen entspricht der Bebauungsplan nicht. Er enthält in den textlichen Festsetzungen zum Immissionsschutz (B.7) unter Bezugnahme auf die Lärmpegelbereiche der DIN 4109 Vorgaben für die erforderlichen resultierenden Schalldämmmaße (R´w,res) der Außenbauteile. Aus dieser Bezugnahme ergibt sich, dass die Berechnung der einzuhaltenden resultierenden Schalldämmmaße der Außenbauteile anhand dieses technischen Regelwerks zu erfolgen hat. Daher ist in der Bekanntmachung ein Hinweis zur Einsehbarkeit der DIN 4109 erforderlich, der hier unterblieben ist.
Dieser nach § 214 Abs. 1 Nr. 4 BauGB beachtliche Fehler bei der Bekanntmachung führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans im Gesamten.
2.2 Zudem ist die textliche Festsetzung des Bebauungsplans unter B.2, nach der maximal zwei Wohneinheiten je Grundstück zulässig sind, unwirksam, da sie nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gedeckt ist.
Nach dieser Bestimmung kann im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden festgesetzt werden. Die Vorschrift ermöglicht die Festsetzung der höchstzulässigen Anzahl von Wohnungen in Wohngebäuden durch eine absolute Zahl, aber auch durch eine Verhältniszahl, wobei sich mit der Angabe einer absoluten Zahl vor allem das städtebauliche Ziel einer einheitlichen Struktur des Gebiets in Bezug auf die Wohnform (z.B. Ein- und Zweifamilienhäuser), mit der Angabe einer relativen Zahl hingegen die Steuerung der Wohn- oder Besiedlungsdichte des Gebiets erreichen lässt. Die Vorschrift ermöglicht es nicht, die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in anderen Gebäuden als Wohngebäuden festzusetzen (BVerwG, U.v. 8.10.1998 – 4 C 1.97 – BVerwGE 107, 256). Ferner lässt sie eine Begrenzung der Wohnungsanzahl je Baugrundstück nicht zu (vgl. BayVGH, U.v. 12.9.2000 – 1 N 98.3549 – BayVBl 2001, 630; OVG Saarl, U.v. 6.7.2004 – 1 N 2/04 – juris Rn. 108). Diesen Anforderungen genügt die Regelung unter B.2 der textlichen Festsetzungen nicht. Die dort ausgesprochene Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten bezieht sich auf das jeweilige Grundstück. Die Festsetzung ist somit unwirksam. Im Übrigen erfordert eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB einen spezifischen städtebaulichen Grund. Die von der Antragsgegnerin hierzu angeführte Begründung zeigt die städtebauliche Erforderlichkeit für die Festsetzung eines Mischgebiets auf, nicht hingegen für die weitergehende Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten (vgl. auch zur fehlenden Notwendigkeit einer Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten in einem Mischgebiet: BVerwG, B.v. 12.12.1990 – 4 NB 13.90 – BayVBl 1991, 503). Ob die Unwirksamkeit der textlichen Festsetzung B.2 zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans führt, kann hier offenbleiben, da der Bebauungsplan bereits wegen der fehlerhaften Bekanntmachung insgesamt unwirksam ist.
Die Antragsgegnerin trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nummer I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).


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