Aktenzeichen 2 N 20.757
Leitsatz
Tenor
I. Die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 11 Gut Sch., bekannt gemacht am 17. April 2019, wird für unwirksam erklärt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der zulässige Normenkontrollantrag (§ 47 Abs. 2 VwGO), über den im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
1. Der Bebauungsplan ist (zumindest teilweise) nicht erforderlich im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB. Ob ein Bauleitplan erforderlich ist, richtet sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde, der insoweit ein weites Planungsermessen zukommt, innerhalb dessen sie ermächtigt ist, eine Städtebaupolitik entsprechend ihren städtebaulichen Vorstellungen zu betreiben (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15.99 – BayVBl 2000, 23). Die Gemeinde ist demnach planungsbefugt, wenn sie hierfür hinreichend gewichtige städtebauliche allgemeine Belange ins Feld führen kann. Was die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB erfordert, ist nicht allein aus räumlichen Gegebenheiten sowie nach allgemeinen Grundsätzen oder sonstigen abstrakten Vorgaben zu bestimmen. Vielmehr legt die Gemeinde kraft ihrer Planungshoheit und planerischen Gestaltungsfreiheit selbst fest, welche städtebauliche Konzeption mit der Planung verfolgt wird. Der Begriff der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung wird durch die politische Willensentscheidung der Gemeinde ausgefüllt.
Im vorliegenden Fall sieht der Bebauungsplan im nordwestlichen Bereich auf dem Grundstück FlNr. 214 des Antragstellers eine weiße Fläche vor. Diese (Teil-)Fläche befindet sich innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans (insofern ist die Planbezeichnung, die davon ausgeht, dass lediglich die FlNrn. 209/224/225/226/227/ 230/234/237 von der 1. Änderung des Bebauungsplans umfasst seien, unvollständig), jedoch wird hier weder Art noch Maß der baulichen Nutzung festgesetzt. Lediglich für einen weiteren Teilbereich dieses Grundstücks wird der Hinweis zu „Flächen von tagesnahem Uraltbergbau“ gegeben. Unabhängig davon, dass ein bloßer Hinweis ohne Festsetzungscharakter den Einbezug einer (Teil-)Fläche in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit wohl nicht rechtfertigen kann, verbleibt noch eine weitere weiße (Teil-)Fläche, für die nicht einmal dieser Hinweis gilt. Die Antragsgegnerin meint, dass das auf dem Grundstück FlNr. 214 des Antragstellers bestehende Garagen-/Nebengebäude auch zukünftig zulässig sei, weil nach C Ziffer 1.1.4 der textlichen Festsetzung zum Bebauungsplan in der als Fläche für Landwirtschaft gekennzeichneten Fläche landwirtschaftliche Gebäude und Nutzungen zulässig seien. Dies ergibt sich jedoch entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keinesfalls aus C Ziffer 1.1.4 der textlichen Festsetzungen, weil diese Festsetzung nur für Flächen gilt, die als Landwirtschaft gekennzeichnet sind. Das bestehende Garagen/Nebengebäude ist jedoch gerade von der Fläche für Landwirtschaft ausgespart. Soweit der Antragsteller bereits in seinem Schriftsatz vom 12. September 2018 auf diese Problematik im weitesten Sinn hingewiesen hat, wollte die Antragsgegnerin zwar die Festsetzung ändern und die betroffene Grundstücksfläche als Fläche für die Landwirtschaft festsetzen (Niederschrift zur Sitzung des Ortsplanungsausschusses vom 13.11.2018, S. 22). Dies ist jedoch, wie soeben dargelegt wurde, nicht geschehen. Auch wenn sich die Zulässigkeit von Vorhaben des Antragstellers auf diesen (Teil-)Bereich seines Grundstücks zukünftig in entsprechender Anwendung von § 30 Abs. 3 BauGB nach § 35 BauGB bemessen mag, ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht, welche Vorstellungen die Antragsgegnerin beim Einbezug dieser (Teil-)Fläche in den Bebauungsplan hatte. Im Ergebnis hat die Antragsgegnerin (Teil-)Bereiche des Grundeigentums des Antragstellers in den Bebauungsplan mit einbezogen, ohne irgendwelche Festsetzungen zu treffen und ohne irgendwelche konkreten Vorstellungen in städtebaulicher Hinsicht zu haben. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, wieso ein Einbezug dieser Teilfläche in den Bebauungsplan nach den städtebaulichen Vorstellungen der Antragsgegnerin erforderlich sein sollte. Bleibt die Frage nach dem „Warum“ des Einbezugs einer Fläche in den Bebauungsplan unbeantwortet, ist der Bebauungsplan diesbezüglich nicht erforderlich.
2. Die Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung findet in § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BauNVO keine Rechtsgrundlage. Nach § 11 Abs. 1 BauNVO sind als sonstige Sondergebiete solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 BauNVO wesentlich unterscheiden. Ein wesentlicher Unterschied zu den Gebieten nach den §§ 2 bis 10 BauNVO besteht, wenn ein Festsetzungsgehalt gewollt ist, der sich keinem der in den §§ 2 ff. BauNVO geregelten Gebietstypen zuordnen und der sich deshalb sachgerecht auch mit einer auf sie gestützten Festsetzung nicht erreichen lässt. Die Gemeinde kann die Art der baulichen Nutzung über die Möglichkeiten hinaus, die § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 9 BauNVO eröffnet, näher konkretisieren und zu diesem Zweck die Merkmale bestimmen, die ihr am besten geeignet erscheinen, um das von ihr verfolgte Planungsziel zu erreichen (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.2008 – 4 CN 3/07 – juris; U.v. 28.2.2002 – 4 CN 5.01 – juris). Entscheidend ist, dass durch die Zulassung bzw. Beschränkung näher bezeichneter Nutzungen das Sondergebiet umschrieben wird, so dass es auf diese Weise seine besondere Eigenart erhält (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.1989 – 4 C 52.87 – juris). Bei hinreichenden städtebaulichen Gründen können deshalb grundsätzlich Nutzungsbegriffe der BauNVO abgewandelt und „maßgeschneiderte“ Arten von Nutzungen geschaffen werden, die in anderen Baugebieten nicht zulässig wären (Stock in König/Roeser/ Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 11 Rn. 16). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt, weil immer ein gewisses Maß an Generalisierung gewahrt werden muss.
In C Ziffer 1.1.1 der textlichen Festsetzungen wird festgesetzt, dass im Sondergebiet SO 1 ein nicht störendes Tagungshotel der …-Group mit Einrichtungen für Seminar- und Tagungsveranstaltungen einschließlich eines unselbständigen Gastronomiebetriebs und eines unselbständigen Beherbergungsbetriebs für zulässig erklärt wird. Was zulässige unselbständige Bestandteile des Tagungshotels sein sollen, wird in C Ziffer 1.1.2 der textlichen Festsetzungen näher festgelegt. Die Erwähnung der …-Group in C Ziffer 1.1.1 der textlichen Festsetzungen hat regelnden Charakter. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift. Der Betrieb des nicht störenden Tagungshotels durch die …-Group wird explizit in den textlichen Festsetzungen normiert. Dabei handelt es sich dabei nicht lediglich um einen Hinweis, wer das nicht störende Tagungshotel betreiben soll. Insofern schreibt der Bebauungsplan eine individuelle Nutzung vor. Dies ergibt sich auch aus der Begründung des Bebauungsplans. Diese spricht ausdrücklich davon, dass auch die sonstigen Nutzungen nur als unselbständige Bestandteile des (einen) Tagungshotels der …-Group zulässig sind (Begründung S. 7). Ein Wechsel des Betreibers würde mithin der Festsetzung des Bebauungsplans widersprechen. Bei den Festsetzungen ist aber ein gewisses Maß an Generalisierung der Art der Nutzung einzuhalten. Auch bei einem Sondergebiet darf die Bestimmung der „Art der Nutzung“ nicht so konkret werden, dass eine individuelle Nutzung festgeschrieben wird. Die Festsetzung der „Art der Nutzung“ setzt deshalb notwendig ein bestimmtes Maß an Generalisierung voraus (vgl. BVerwG, B.v. 7.9.1984 – 4 N 3/84 – juris). Dieses ist bei der hier streitigen Festsetzung nicht mehr gewahrt. Damit wird die Typisierung der BauNVO verlassen. Städtebauliche Gründe, wieso nur die …-Group das Tagungshotel betreiben könnte, sind nicht ersichtlich.
3. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung verstoßen zumindest teilweise gegen den Grundsatz der Normklarheit und Normbestimmtheit und sind damit unwirksam. Nach C Ziffer 2 der textlichen Festsetzungen soll sich das Maß der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BauGB i.V.m. §§ 16 – 21 a BauNVO) nach Einschrieb im Plan ergeben. Mit den verwendeten Nutzungsschablonen soll die maximal zulässige Grundflächenzahl und Geschossflächenzahl für das jeweils genannte Buchgrundstück festgesetzt werden (z.B. „FlNr. 209, GR: 2850, GF: 5950“). Entsprechend § 19 Abs. 2 BauNVO wird die zulässige Grundfläche baugrundstücksbezogen festgesetzt. So setzt der angegriffene Bebauungsplan die Grundfläche bzw. Geschossfläche für jedes Grundstück gesondert fest.
Im nordöstlichen Plangebiet im Bereich des bestehenden Wirtschaftsgebäudes und des vorgesehenen Parkdecks ist für das Flurstück 234 eine GR von 1500 und eine GF von 2500 vorgesehen. Eine Knödellinie unterteilt den Bauraum für das Wirtschaftsgebäude einerseits und die Flächen für die Stellplätze andererseits. Die Knödellinie grenzt gemäß A 3 Buchst. i der Festsetzungen durch Planzeichen die unterschiedlichen Arten und Maße der baulichen Nutzung voneinander ab. Da jedoch die GR und GF bereits flurstückbezogen festgesetzt wurden, kann sich für die Knödellinie hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nur noch ein Anwendungsbereich hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse, der Wandhöhe, der Firsthöhe sowie der zulässigen Dachneigung ergeben. Die Nutzungsschablone „S + 1 FH: 6,8 SD DN: 20° bis 25°“ verweist jedoch lediglich auf den Bauraum für die Stellplätze. Dort ist sie jedoch ersichtlich sinnlos. Zwar kann sich der Senat vorstellen, dass der Strich, der die Nutzungsschablone dem Bauraum zuweist, lediglich versehentlich nicht bis zum Bereich des Bauraums für das Wirtschaftsgebäude gezogen wurde. Dennoch ist daran festzuhalten, dass insbesondere die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung eindeutig den jeweiligen Bauräumen zugewiesen werden müssen. Dies ist in diesem Bereich nicht der Fall.
4. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung im Hinblick auf das vorgesehene Parkdeck im nordöstlichen Planbereich entsprechen nicht § 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Im nördlichen Plangebiet ist für das Flurstück 234 eine GR von 1500 und eine GF von 2500 festgesetzt. Nach C Ziffer 6 Buchst. f gelten für die Errichtung eines Parkdecks in der als „Fläche Parkdeck/Parkplatz“ gekennzeichneten Fläche folgende Festsetzungen:
1. Die obere Ebene des Parkdecks schließt an die Höhe der Umgebung mit ca. 774,00 m NN an.
2. Die untere Ebene des Parkdecks schließt an die Höhe der Umgebung mit ca. 771,00 m NN an.
Diese Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung im Bereich der „Fläche Parkdeck/Parkplatz“ entsprechen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Denn bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung im Bebauungsplan ist die Zahl der Vollgeschosse oder die Höhe der baulichen Anlagen festzusetzen, wenn ohne ihre Festsetzung öffentliche Belange, insbesondere das Orts- und Landschaftsbild, beeinträchtigt werden können (§ 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Bei dem vorgesehenen „Parkdeck/Parkplatz“ handelt es sich um eine bauliche Anlage. Der Plangeber hat vorliegend mit der Bestimmung der Grundflächenzahl alleine eine Festsetzung im Sinn des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO getroffen, ohne – wie es hier erforderlich gewesen wäre – verbindliche Regelungen zur Zahl der Vollgeschosse oder zur Höhe der baulichen Anlage(n) zu treffen. Eine Festsetzung zur Zahl der Vollgeschosse oder insbesondere zur Höhe der baulichen Anlage „Parkdeck/Parkplatz“ hat der Plangeber nicht vorgenommen. Bei der Festsetzung zur Höhe der baulichen Anlage (§ 16 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 18 Abs. 1 BauNVO) wäre es erforderlich gewesen, dass die erforderlichen Bezugspunkte bestimmt werden. Eine bloße Circa-Angabe in C Ziffer 6 Buchst. f mit der Aussage, dass die obere und untere Ebene der Parkdecks an die jeweilige Höhe der Umgebung ausschließen soll, leistet dies nicht.
Der Plangeber durfte von einer Festsetzung nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (zur Zahl der Vollgeschosse bzw. der Höhe baulicher Anlagen) nicht absehen. Zwar ist diese – anders als die nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO („stets“) – nicht in jedem Fall geboten. Von einer Festsetzung nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kann aber nur abgesehen werden, wenn eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange, insbesondere eine solche des Orts- und Landschaftsbildes ausgeschlossen werden kann. Der Verzicht auf eine solche Festsetzung ist von der Gemeinde in pflichtgemäßer Ausübung ihres Planungsermessens zu prüfen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die fehlende Festsetzung im konkreten Einzelfall zu einer Beeinträchtigung führt, sondern es ist auf die Möglichkeit einer Beeinträchtigung abzustellen. Nach diesen Grundsätzen hätte der Plangeber hier neben der Festsetzung der Grundflächenzahl eine Festsetzung zur Zahl der Vollgeschosse oder zur Höhe baulicher Anlagen treffen müssen. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange war hier nicht auszuschließen. Dies gilt vor allem hinsichtlich einer Beeinträchtigung des – in § 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als öffentlicher Belang ausdrücklich genannten – Orts- und Landschaftsbildes. Unabhängig davon, dass das Plangebiet inklusive des Baufensters, in dem der Parkplatz/das Parkdeck errichtet werden soll, innerhalb der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Schutz des Tegernsees und Umgebung (LSG-VO) liegt und innerhalb des geschützten Gebiets keine Veränderungen vorgenommen werden dürfen, die geeignet sind, das Landschaftsbild oder die Natur zu beeinträchtigen (§ 3 LSG-VO), kann eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes angesichts der Lage des Plangebiets in allgemeinbekannt reizvoller Umgebung nicht ausgeschlossen werden. Deshalb musste der Bebauungsplan Festsetzungen nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO enthalten.
5. Jedenfalls die fehlende Rechtsgrundlage für die Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung (siehe oben 2.) führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die Ziffer I. der Entscheidungsformel des Urteils allgemeinverbindlich und muss von der Antragsgegnerin nach Eintritt der Rechtskraft des Normenkontrollurteils in derselben Weise veröffentlicht werden wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB). Dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist die Bekanntmachung vorzulegen.