Baurecht

Erhöhung des Leistungsverweigerungsrechts des Bestellers auf den dreifachen Betrag der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten

Aktenzeichen  11 O 9751/18

Datum:
18.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 39932
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 640 Abs. 3

 

Leitsatz

Obwohl nach § 641 Abs. 3 BGB nur der 2-fache Betrag der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten einbehalten werden darf, liegt in der formularmäßigen Erhöhung des Einbehalts auf den dreifachen Betrag der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB, insbesondere liegt kein Fall vor, dass die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).   (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.924,80 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.08.2018 zu zahlen.
2. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 20.884,50 € zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft Nr. … vom 16.08.2010 über 47.565,- € teilenthaftet auf 20.000,- €.
3. Im übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 10% und die Beklagte 90% zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 168.985,14 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage und die Widerklage sind zum Teil begründet.
A.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I örtlich zuständig.
B.
Die Klage ist zum Teil begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von restlichem Werklohn in Höhe von 4.924,80 € aus § 631 Abs. 1 BGB.
1. Der Werklohneinbehalt ist seiner Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte macht jedoch wegen behaupteter Mängelansprüche ein Zurückbehaltungsrecht geltend (Bl. 17 d.A.).
2. Ein der Beklagten wegen Mängeln zustehendes Zurückbehaltungsrecht nach § 641 Abs. 3 BGB besteht jedoch nicht mehr, seit die Beklagte nicht mehr Mangelbeseitigung fordert, sondern mit ihrer Widerklage vom 16.08.2018 einen Anspruch auf Vorschuss für Ersatzvornahmekosten geltend macht.
Wegen derselben Mängel kann die Beklagte nicht Ersatzvornahmekosten fordern und gleichzeitig ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Mit ihrer Widerklage macht sie sämtliche von ihr für die Mangelbeseitigung erforderlich gehaltenen Kosten als Vorschuss geltend. Aufrechnung mit ihrem behaupteten Ersatzvornahmekostenanspruch gegen den restlichen Werklohnanspruch hat die Beklagte nicht erklärt.
3. Der Zinsanspruch folgt aus Verzug, § 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB. Verzug trat mit dem Ende des Zurückbehaltungsrechts ein. Das Zurückbehaltungsrecht endete mit Einreichung der Widerklage am 16.08.2018.
II.
Keinen Anspruch hat die Klägerin auf Herausgabe der Bürgschaft.
1. Die Sicherheitsabrede ist wirksam.
1.1. Die Klägerin meint, die Sicherheitsabrede sei unwirksam, weil sich die Sicherheit für Mängelansprüche in Höhe von 2 Prozent der Abrechnungssumme für bereits festgestellte und noch nicht beseitigte Mängel um den 3-fachen Betrag der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten erhöhe, obwohl nach dem seit 1.01.2009 in Kraft getretenen § 641 Abs. 3 BGB nur der 2-fache Betrag der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten einbehalten werden dürfe.
1.2. Dem folgt das Gericht nicht. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB liegt darin nicht. Der Fall, dass die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) liegt nicht vor. Der gesetzlich in der Regel vorgesehene Einbehalt des 2-fachen Betrags wird lediglich auf den 3-fachen Betrag, also um 50% erhöht, nicht hingegen unangemessen vervielfacht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass § 641 Abs. 3 BGB den zweifachen Betrag als in der Regel angemessen ansieht, Abweichungen demnach möglich sind. Darin liegt deshalb keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin.
2. Ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft besteht auch nicht deshalb, weil die Gwährleistungszeit abgelaufen ist. Es sind noch nicht sämtliche Gewährleistungsansprüche der Beklagten verjährt (vgl. unten).
C.
Die Widerklage ist teilweise begründet.
I.
Die Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Kostenvorschuss für Ersatzvornahme in Höhe von 20.884,50 € aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB.
1. Die von der Beklagten am Brückenbauwerk Y gerügten Mängel C35, C44 und C38 bestehen. Davon ist das Gericht aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen … überzeugt.
Der Sachverständige hat festgestellt, (Bl. 85/86, 88, 95/98 d.A.), dass die Schrammbordhöhe die vorgegebene Höhe von 20 cm nicht immer einhält. Zwar wird sie an manchen Stellen auch eingehalten, jedoch hat der Sachverständige auch Höhen unter 19,5 cm gemessen. Auf ca. 75% der Länge ist das Schrammbord zu niedrig. Das Gericht hat keinen Anlass, an den Feststellungen des Sachverständigen, der dem Gericht auch aus anderen Verfahren als sehr sachkundig und gewissenhaft bekannt ist, zu zweifeln. Ein Mangel liegt deshalb vor, zumal die Einhaltung der vorgegebenen Schrammbordhöhe auf einer Brücke auch aus sicherheitsrelevanten Aspekten erforderlich ist (Bl. 92 d.A.).
Ebenso hat der Sachverständige die gerügte Unterschreitung der vertraglich vereinbarten Mindestbetondeckung von 50 mm an der Stütze in geringem Umfang bestätigt (Bl. 87/89 d.A.)
2. Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 18.05.2017 unter Fristsetzung zum 31.07.2017 zur Mangelbeseitigung aufgefordert. Die Klägerin hat die Mängel nicht beseitigt.
3. Die Beseitigung der Mängel erfordert Kosten in Höhe von geschätzten 20.884,50 €.
In Anlehnung an die Kostenschätzung der Beklagten, die dem Sachverständigen plausibel erschien (Bl. 97/98 d.A.) hat der Sachverständige Kosten ohne Planung/Bauüberwachung mit 13.500,- € zzgl. MwSt. geschätzt. Dass die Kostenschätzung der Beklagten bereits ein Jahr alt ist und der Sachverständige sie nicht um Baupreissteigerungen des letzten Jahres erhöht hat, ist unbeachtlich, nachdem es sich ohnehin nur um eine Schätzung handelt und der Sachverständige die Schätzung zum jetzigen Zeitpunkt gemacht hat. Er hält damit die von der Beklagten angegebenen Kosten zum jetzigen Zeitpunkt für plausibel und erwartbar.
Nach Angaben des Sachverständigen ist aber mit weiteren Kosten für die Planung und Überwachung in Höhe von 30% zu rechnen (Bl. 98 d.A.). Danach belaufen sich die geschätzten Mangelbeseitigungskosten auf insgesamt 17.550,- € netto. Zuzüglich MwSt. sind das 20.884,50 € brutto.
Wegen der nur sehr geringfügigen Abweichung von der vereinbarten Mindestbetondeckung an der Stütze sind nach den Feststellungen des Sachverständigen keine Sanierungsarbeiten erforderlich (Bl. 92 d.A.), so dass insoweit auch keine Kosten anfallen werden.
4. Gewährleistungsansprüche der Beklagten sind nicht verjährt.
4.1. Die Abnahme der klägerischen Leistung war am 6.06.2012 (Anlage B3); die Gewährleistung lief am 6.06.2017 ab.
Mit Schreiben vom 18.05.2017 (Anlage B5) rügte die Beklagte die am Bauwerk Y streitgegenständlichen Mängel und forderte Beseitigung bis zum 31.07.2017.
Hierdurch erlangte die Beklagte einen Nacherfüllungsanspruch, der erst zwei Jahre nach Zugang des schriftlichen Mängelbeseitigungsverlangens verjährt. Mit ihrer Widerklage vom 16.08.2018 hat die Beklagte die Verjährung rechtzeitig gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
4.2. Zwar besteht der Nacherfüllungsanspruch gemäß § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B nicht für bereits bei Abnahme erkannte und gerügte Mängel.
Das folgt schon aus dem Wortlaut, der auf die Rüge der „während der Verjährungsfrist hervorgetretenen Mängel“ abstellt. Im Übrigen besteht bei Mängeln, die bereits bei Abnahme gerügt und seitdem somit bekannt sind, kein Bedürfnis, die Verjährung über die Gewährleistungszeit hinaus zu verlängern.
4.3. Den Mangel der unzureichenden Schrammbordhöhe hat die Beklagte aber nicht bereits bei Abnahme gerügt.
4.3.1 Zutreffend ist, dass ein zu hoher Fahrbahnbelag zu einer unzureichenden Schrammbordhöhe führen kann. Das hat der Sachverständige … bestätigt, und das leuchtet auch dem Gericht ein. Der Sachverständige vermutet hier auch – ohne die genaue Ursache untersucht zu haben – einen zu hohen Fahrbahnbelag als Ursache der festgestellten unzureichenden Schrammbordhöhe.
4.3.2 D. Einzelrichter/in ist jedoch davon überzeugt, dass mit der Mangelrüge zu Ziffer B+C27 im Abnahmeprotokoll vom 6.06.2012 (Anlage B3) nicht ein zu hoher Fahrbahnbelag und schon gar kein zu niedriges Schrammbord gerügt wurde, sondern die Fuge zwischen Belag und Bord. Weiter ist d. Einzelrichter/in auch davon überzeugt, dass auch die Klägerin die Rüge in diesem Sinn verstanden hat.
4.3.2.1 In der Mangelrüge steht sowohl „Fahrbahnbelag“ als auch „Fugendichtmaterial“ und „Fugenabdichtung“. Weiter ist die Beanstandung mit „herausgequollen“, quillt heraus“ und „zu tief und zu hoch“ bezeichnet.
Während sich die Beanstandung „Herausquellen“ wohl nur auf das Fugendichtmaterial, nicht jedoch den Fahrbahnbelag beziehen kann, könnte „zu hoch und zu tief“ sowohl für den Fahrbahnbelag als auch das Fugenmaterial gelten. Ebenso könnte die Beanstandung eine Betrachtung von Fahrbahnbelag und Fugendichtmaterial zueinander sein. Wenn der Fahrbahnbelag im Verhältnis zum Fugendichtmaterial zu tief ist, ist letzteres zu hoch und umgekehrt. Eine eindeutige Auslegung nur anhand des Wortlauts ist nicht möglich.
4.3.2.2. Eine Lesart dergestalt, dass man nur das erste Wort und die letzten beiden Wörter zusammen-liest und somit „Fahrbahnbelag zu hoch“, verbietet sich. Allenfalls wäre denkbar, den durch Kommata abgetrennten Zwischenteil weg zu lassen. Dann stünde da „Fahrbahnbelag zu tief und zu hoch“. Da der Fahrbahnbelag nicht gleichzeitig zu tief und zu hoch sein kann, kann er allenfalls an der einen Stelle zu hoch und an anderer Stelle zu tief sein. Unstreitig wurde ein zu tiefer Fahrbahnbelag aber an keiner Stelle festgestellt. Derartiges behauptet auch die Klägerin nicht.
4.3.2.3. Die Erklärung der Beklagten, dass aufgrund der erforderlichen Inanspruchnahme von Textbausteinen für das Konstruktionsteil keine bessere Auswahlmöglichkeit als „Fahrbahnbelag“ zur Verfügung steht, und lediglich die Fuge zwischen Belag und Bord gerügt wurde, ist für das Gericht zumindest nachvollziehbar.
4.3.2.4. Unstreitig – weil entsprechender Vortrag der Beklagten klägerseits nicht bestritten wurde – hat die Klägerin nach der Abnahme und der Mangelrüge Mangelbeseitigungsarbeiten an der Fuge ausgeführt. Die Klägerin hat die Mangelrüge deshalb auch in dem von der Beklagten vorgetragenen Sinn verstanden.
4.3.2.5. Auch aus dem anfänglichen Vortrag der Klägerin im Rechtsstreit (Bl. 28 d.A.) wonach die unzureichende Schrammbordhöhe in keinem Protokoll festgehalten wurde, folgert das Gericht, dass die Klägerin die Mängelrüge zu Ziff. B+C27 nicht in dem Sinn verstanden hat, den sie ihr heute beimessen möchte.
5. Der Anspruch besteht jedoch nur Zug um Zug gegen Rückgabe der Bürgschaft. Die Gewährleistungszeit ist abgelaufen. Soweit die Beklagte Gewährleistungsansprüche geltend macht, die noch nicht verjährt sind, erhält sie den beantragten Kostenvorschuss, so dass keine Ansprüche verbleiben, wegen derer sie die Bürgschaft zurückhalten könnte.
II.
Weitere Ansprüche der Beklagten bestehen nicht. Wegen eventueller Ansprüche der Beklagten wegen der am Brückenbauwerk Nr. X gerügten Mängel B4, C6, B7, B8, B9, und C10 ist die Klägerin berechtigt, wegen Verjährung die Leistung zu verweigern, § 214 BGB. Darauf, ob die Mängel bestehen, kommt es deshalb nicht an.
1. Die Klägerin hat zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben. Die Mängel wurden unstreitig bei Abnahme am 15.09.2011 (Anlage B2) gerügt.
Die Gewährleistung war am 14.09.2016 angelaufen.
2. Durch die Aufforderung zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 6.08.2016 (Anlage B4) erlangte die Beklagte keinen in zwei Jahren verjährenden Nacherfüllungsanspruch nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B. Weil die Mängel bereits bei Abnahme gerügt wurden, findet § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B keine Anwendung (vgl. oben).
Im Übrigen hat die Beklagte die Klägerin bereits im Abnahmeprotokoll (Anlage B2) in dem die Mängel schriftlich aufgeführt sind, schriftlich aufgefordert, die Mängel bis 18.11.2011 zu beseitigen. Die Verjährung hätte dann mit Zugang des Abnahmeprotokolls zu laufen begonnen, wäre jedoch nicht vor Ablauf der vereinbarten Frist abgelaufen. Die vereinbarte Frist ist am 14.09.2016 abgelaufen. Zum Zeitpunkt der Widerklageerhebung am 16.08.2018 war bereits Verjährung eingetreten
D.
I.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Klägerin hat in Höhe von 151.876,23 € des Gesamtstreitwerts und damit in Höhe von ca. 90% obsiegt, die Beklagte ist entsprechend unterlegen: Obsiegt hat die Klägerin mit ihrer Klage in Höhe von 4.924,80 €, soweit die Widerklage abgewiesen wurde in Höhe von 136.509,18 €, und soweit die Klägerin zur Zahlung von 20.884,50 € verurteilt wurde, in Höhe von 10.442,25 € (=50%) weil die Verurteilung nur Zug um Zug auszusprechen war, jedoch unbedingt beantragt war.
II.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
E.
Der Streitwert war nach § 63 Abs. 2 ZPO endgültig festzusetzen und zwar gemäß §§ 45, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3,4 ZPO. Klage und Widerklage waren zusammenzurechnen. Bei der Bewertung des Herausgabeanspruchs der Bürgschaft ist das Gericht dem Ansatz der Klagepartei von 1/3 gefolgt.
Verkündet am 18.09.2019


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