Baurecht

Erklärung der Gemeinde im Genehmigungsfreistellungsverfahren

Aktenzeichen  9 ZB 18.782

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2021, 41454
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
BayBO Art. 58 Abs. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Die Gemeinde wird mit einer Erklärung im Genehmigungsfreistellungsverfahren gem. Art. 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 oder Abs. 3 Satz 6 BayBO zur Wahrung der Belange ihrer Planungshoheit und damit ausschließlich im eigenen Interesse tätig. Bei ihrer Erklärung handelt es sich um einen Realakt, aber nicht um einen – anfechtbaren – Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 BayVwVfG. (Rn. 8)

Verfahrensgang

W 5 K 16.794 2018-02-22 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldnerinnen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerinnen wenden sich gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen auf dessen Grundstück, das ebenso wie ihr eigenes, angrenzendes Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Industriegebiet – Z H. Straße“ liegt. Die beklagte Gemeinde teilte dem Beigeladenen in einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehenen Schreiben unter Verweis auf Art. 58 BayBO mit, dass kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle, sie von ihrem Prüfungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe, keine Untersagung nach § 15 BauGB beantragen werde und dass das Risiko für die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Vorhabens der Bauherr trage. Die Klägerinnen erhielten eine ebenfalls mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehene „Ausfertigung des Bescheids“. Außerdem erklärte das zuständige Landratsamt der Klägerin zu 2 schriftlich, das Genehmigungsfreistellungsverfahren sei zur Zeit aus baurechtlicher Sicht nicht ausführbar; es bestehe somit für das Grundstück des Beigeladenen aktuell kein Baurecht.
Die auf Aufhebung des „Bescheids der Beklagten“ und „Verurteilung der Beklagten, dem Beigeladenen die Baugenehmigung zu versagen“ gerichtete Klage der Klägerinnen hat das Verwaltungsgericht kostenpflichtig abgewiesen. Die Klage sei in ihrem ersten Teil unzulässig, weil es an einer „baurechtlichen Gestattung in Bezug auf das streitgegenständliche Bauvorhaben des Beigeladenen und damit an einem tauglichen Streitgegenstand“ fehle. Im Hinblick auf die im Weiteren begehrte Verurteilung der Beklagten, dem Beigeladenen die gewünschte Baugenehmigung zu versagen, fehle den Klägerinnen – jenseits der Frage, ob ein solches Begehren überhaupt statthaft sei – jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, weil sie sich gegen den falschen Beklagten richte.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie sind der Auffassung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt ist bzw. jedenfalls nicht vorliegt.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Die Klägerinnen sind der Auffassung, „die Berufung hätte bereits deshalb gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung für zulässig erachtet werden müssen, da eine höchstrichterliche Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht vorliegt, ob ein Freistellungsbescheid gemäß § (gemeint: Art.) 58 Abs. 2 BayBO einer Gemeinde ein Verwaltungsakt ist oder nicht.“
Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt, weil die aufgeworfene Frage keiner ausdrücklichen Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof in einem Berufungsverfahren bedarf. Nach einhelliger Auffassung wird eine Gemeinde, die weder zuständige Bauaufsichtsbehörde (Art. 68 BayBO), noch befugt ist, eine Baugenehmigung zu erteilen, mit einer Erklärung im Genehmigungsfreistellungsverfahren gem. Art. 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 6 BayBO (Art. 58 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Satz 4 BayBO a.F.) zur Wahrung der Belange ihrer Planungshoheit und damit ausschließlich im eigenen Interesse tätig. Ihre entsprechende Aussage hat weder eine Regelungswirkung, noch verleiht sie dem Bauherrn eine Rechtsposition (vgl. z.B. Dirnberger in Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 58 Rn. 77 ff.). Bei ihrer Erklärung handelt es sich um einen Realakt, aber nicht um einen – anfechtbaren – Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 BayVwVfG (vgl. Dirnberger a.a.O. Rn. 91). An dieser anhand gängiger Auslegungsmethoden unmittelbar aus dem Gesetz erkennbaren (vgl. dazu: Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 38) Rechtsnatur der gemeindlichen Erklärung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 6 BayBO ändert auch der Umstand nichts, dass es hier die Gemeinde war, die durch die fehlerhafte Bezeichnung ihres Schreibens als Bescheid und die Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrungden unzutreffenden Eindruck erweckt hat, es handele sich tatsächlich um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 BayVwVfG. Auch das zuständige Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde hat sich in seinem Schreiben an die Klägerin zu 2 nur zu Fragen der Genehmigungsfreistellung und Bebaubarkeit des Grundstücks des Beigeladenen geäußert und damit nicht zu einer nachhaltigen Klärung der Situation beigetragen. Eine derartige rechtliche Fehleinschätzung bzw. mangelnde Klarstellung seitens der beteiligten Behörden kann zwar – wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist – gegebenenfalls von dem etwa aufgrund einer falschen Rechtsmittelbelehrungangerufenen Gericht im Rahmen seiner Kostenentscheidung berücksichtigt werden. Sie führt jedoch mangels eines grundsätzlichen rechtlichen Klärungsbedarfs nicht zu einer Zulassung der Berufung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Soweit die Klägerinnen außerdem geltend machen, es sei „höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob sich der Nachbar allein auf das bauaufsichtlichen Verfahren und/oder auf das zivilrechtliche Verfahren verweisen lassen kann und muss, ohne dass er in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt ist; dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Anspruch auf bauaufsichtlichen Einschreiten nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist und insoweit der Anspruch des Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde durch das vorgeschaltete Freistellungsverfahren reduziert wird; dabei ist des Weiteren im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung zu berücksichtigen, dass Art. 58 BayBO, der der baurechtlichen Vereinfachung dienen sollte, bis heute noch nicht am Justizgewährleistungsanspruch gemäß Art. 3 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und mit Art. 118 Bayerische Verfassung (Art. 3 GG) abgeprüft worden ist und auch bei den Beratungen des Art. 58 BayBO eine Rolle spielte dahingehend, ob der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Nachbarschutz unzulässigerweise verkürzt und verletzt wird“, ist mit diesem Vorbringen ebenfalls kein grundsätzlicher Klärungsbedarf dargelegt.
Soweit sich diesem Vortrag eine hinreichend konkrete Fragestellung entnehmen lässt, ist diese ersichtlich auf die behauptete Rechtsposition der Klägerinnen zugeschnitten und kann deshalb auch nur anhand der Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch grundsätzlich und fallübergreifend geklärt werden.
Schließlich legen die Klägerinnen auch mit ihren weiteren Ausführungen keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar. Sie formulieren bereits keine konkrete klärungsbedürftige bzw. klärungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage, sondern beschränken sich auf eine bloße Entscheidungskritik im Stil einer Berufungsbegründung, was jedoch regelmäßig unzureichend ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 a Rn. 72).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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