Baurecht

Erschließungsbeitragsrecht, Anbaustraße, Vorausleistung, Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, endgültige Herstellung, Festsetzungsfrist, Funktionsunfähigkeit einer (Teil-) Einrichtung (verneint), Beleuchtung, Entwässerung, Ermittelbarkeit der Herstellungskosten, Letzte Unternehmerrechnung, Honorarschlussrechnung, Verjährung der Honorarforderungen von Ingenieuren, Treu und Glauben

Aktenzeichen  6 B 21.797

Datum:
19.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30968
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a
BauGB § 133 Abs. 2, 3
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1
AO § 169
HOAI § 15 Abs. 1
HOAI § 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 28 K 18.3424 2020-08-18 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. August 2020 – M 28 K 18.3424 – wird zurück¬gewiesen.      
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.     
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der W. straße sind erfüllt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung ist dabei die letzte Behördenentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 2.7.2015 – 6 B 13.1386 – juris Rn. 19 m.w.N.), hier also der Erlass des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2018.
Nach Art. 5a Abs. 9 KAG (in der bis 28.2.2021 geltenden Fassung – KAG a.F.) in Verbindung mit § 133 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist. Diese Anforderungen waren bei Erlass des Widerspruchsbescheids erfüllt.
Bei der W. straße handelt es sich um eine zum Anbau bestimmte Straße, eine Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG a.F.) von der das klägerische Grundstück erschlossen (§ 133 Abs. 1 BauGB) wird. Diese Erschließungsanlage war zwar bereits im Jahr 2010 bautechnisch fertiggestellt (1.) und – inzwischen unstrittig – vollständig als öffentliche Straße gewidmet. Gleichwohl blieb bei Erlass des Widerspruchsbescheids am 13. Juni 2018 noch Raum für die Erhebung von Vorausleistungen, weil die sachlichen Beitragspflichten noch nicht entstanden waren; es fehlte an der endgültigen Herstellung im Sinn von § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB, weil die letzte Unternehmerrechnung noch ausstand (2.).
1. Die W. straße war bereits im Juli 2010 in bautechnischer Hinsicht fertiggestellt, weil sie zu diesem Zeitpunkt einen Ausbauzustand erreicht hatte, der dem in der Erschließungsbeitragssatzung festgelegten Teileinrichtungs- und technischen Ausbauprogramm (§ 132 Nr. 4 BauGB) sowie dem auf die konkrete Anlage bezogenen formlosen Bauprogramm der Beklagten entsprach. Allein diese Programme – nicht etwa technische Regelwerke – bilden den Maßstab, um zu beurteilen, ob die Herstellung schon abgeschlossen, die Erschließungsanlage also nicht nur provisorisch angelegt, sondern schon – programmgemäß – fertiggestellt ist (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 8 Rn. 23 f. m.w.N.).
Fertiggestellt waren entgegen der Ansicht der Beklagten insbesondere auch die nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS 1996 erforderlichen Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Beleuchtung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats berührt nicht jede mängelbehaftete Ausführung der technischen Baumaßnahme die Frage, ob die satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale erfüllt sind. Die endgültige Herstellung wäre nur dann zu verneinen, wenn die Mängel die Gebrauchstauglichkeit der Erschließungsanlage ausschlössen, also zur Funktionsunfähigkeit führten (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.192 – juris Rn. 24 m.w.N.). Funktionsunfähig ist eine (Teil-) Einrichtung erst dann, wenn sie im Ganzen absolut ungeeignet ist, die ihr in verkehrstechnischer Hinsicht zugedachte Funktion in der konkreten örtlichen Situation tatsächlich zu erfüllen. Das war weder im Hinblick auf die Beleuchtung (a) noch auf die Straßenentwässerung (b) der Fall:
a) Welchen konkreten technischen Anforderungen die Teileinrichtung „Beleuchtung“ genügen muss, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben und muss es auch nicht sein. Herstellungsmerkmale sollen es nach dem Gesetzeszweck den Beitragspflichtigen ermöglichen, sich durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, das Merkmal „Beleuchtung“ in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann nur sein, dass überhaupt (irgend-)eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 7; B.v. 27.1.2012 – 6 ZB 09.1573 – juris Rn. 7), die zur Wahrung der Verkehrssicherheit ausreichend ist.
Diesen Anforderungen genügte die ursprüngliche, im Zuge des Straßenbaus angelegte Beleuchtungseinrichtung. Die Installation von insgesamt fünf Brennstellen entsprach dem damaligen Planungskonzept. Dementsprechend wurde auch die Beleuchtungsanlage von der Gemeinde abgenommen. Selbst wenn die Beleuchtungsanlage möglicherweise in einem Teilbereich zwischen zwei der fünf Brennstellen aufgrund des zwischen ihnen bestehenden Abstands nicht für eine den technischen Regelwerken entsprechende Ausleuchtung gesorgt hat, kann von einer Funktionslosigkeit der Straßenbeleuchtung nicht gesprochen werden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sie im Ganzen funktionslos gewesen sein könnte. Vielmehr steht aufgrund der jahrelangen unbeanstandeten Nutzung der Straße außer Frage, dass die fünf Leuchten die W. straße in ihrer gesamten Länge für eine durchgehende Erschließungsfunktion in (noch) ausreichender Weise beleuchtet haben.
b) Ebenso war die Straßenentwässerung bereits 2010 programmgemäß fertiggestellt.
Die Beklagte wendet ein, die Straßenentwässerung sei in Teilbereichen nicht mangelfrei hergestellt. Zum einen sei die bereits angelegte Sickermulde entlang eines Anliegergrundstücks im Zuge von Bauarbeiten auf diesem Grundstück größtenteils zerstört und dann nicht fachgerecht, nämlich ohne Einbau einer belebten Bodenzone, wiederhergestellt worden. Zum anderen sei die Entwässerungsmulde am nordöstlichen Ende der W. straße nicht wie beauftragt bis zur Einmündung in die K. Straße erstellt worden. Diese Einwände können nicht überzeugen.
Ist eine (Teil-)Einrichtung einer Erschließungsanlage einmal fertiggestellt, kann sie aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht nicht wieder in den Zustand der Unfertigkeit zurückversetzt werden (vgl. BVerwG, U. v. 24.2.2010 – 9 C 1.09 – juris Rn. 17; U. v. 29.11.1985 – 8 C 59/84 – juris Rn. 11; vgl. insgesamt: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 17 Rn. 2 und § 19 Rn. 21 ff.). Deshalb müssen nachträgliche Beschädigungen von einmal fertiggestellten Einrichtungen von vornherein außer Betracht bleiben.
Die endgültige Herstellung im Sinn von § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB setzt im Übrigen – wie oben ausgeführt – nicht voraus, dass die Ausführung der Baumaßnahmen mangelfrei und den Regeln der Technik entsprechend erfolgt ist. Baumängel stehen der endgültigen Herstellung der satzungsmäßigen Merkmale grundsätzlich nicht entgegen, außer sie sind so gravierend, dass die betroffene (Teil-)Einrichtung für die Erfüllung ihrer bestimmungsgemäßen Funktion nicht mehr geeignet ist. Für eine solche Funktionslosigkeit ist auch mit Blick auf die Straßenentwässerung trotz der von der Beklagten beschriebenen, teilweise erst durch nachträgliches Aufgraben festgestellten Mängel nichts ersichtlich. Nach übereinstimmenden Angaben aller Anlieger sind in der Vergangenheit keinerlei Beeinträchtigungen etwa durch starke Pfützenbildung im Fahrspurbereich aufgetreten. Trotz etwaiger Mängel im Aufbau der Muldenrigole in einzelnen Bereichen steht damit fest, dass die Straßenentwässerung in der W. straße insgesamt in der Lage ist, das Oberflächenwasser abzuleiten und so eine verkehrssichere Benutzung der Erschließungsanlage auch bei Regen von längerer Dauer und gewöhnlicher Stärke zu ermöglichen.
2. Die Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag war gleichwohl rechtmäßig. Denn die sachlichen Beitragspflichten waren im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 13. Juni 2018 noch nicht entstanden, weil die Beklagte den entstandenen Herstellungsaufwand anhand der bei ihr bis dahin vorliegenden Rechnungen noch nicht feststellen konnte und es daher bis zum Eingang der Rechnung des Ingenieurbüros B. vom 15. Januar 2020 als letzter Unternehmerrechnung an der endgültigen Herstellung im Sinn des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB fehlte.
a) Die sachlichen Beitragspflichten für die erschlossenen Grundstücke entstehen gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Sie entstehen schon in diesem Zeitpunkt – nicht erst mit dem Entstehen der persönlichen Beitragspflicht des jeweiligen Schuldners – in bestimmter Höhe, können auch der Höhe nach nicht mehr geändert werden und sind deshalb geeignet, die Festsetzungsverjährungsfrist (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb, cc und dd KAG i.V.m. §§ 169 ff. AO) in Lauf zu setzen. Entstehen die sachlichen Beitragspflichten aber bereits der Höhe nach „voll ausgebildet“, so muss – wegen der Abhängigkeit der Beitragshöhe vom entstandenen Aufwand – dieser Aufwand zumindest ermittlungsfähig sein. Eine Erschließungsanlage ist daher aus beitragsrechtlicher Sicht erst dann endgültig hergestellt im Sinne von § 133 Abs. 2 BauGB, wenn im Anschluss an die Beendigung der technischen Arbeiten der hierfür entstandene Aufwand mit Hilfe der letzten Unternehmerrechnung feststellbar ist und damit der Erschließungsbeitrag der Höhe nach ermittelt werden kann (VGH BW, U.v. 10.7.2014 – 2 S 2228/13 – juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 2.3.2007 – 6 CS 06.2983 – juris Rn. 7; allgemein Driehaus, KStZ 2002, 61 ff.). Die sachliche Richtigkeit dieser Rechnung ist dabei ohne Belang (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 6 ZB 14.481 – juris Rn. 7). Auch im Hinblick auf die Verjährung führt allein dieses Verständnis des Begriffs der endgültigen Herstellung zu sachgerechten, im Ergebnis der gesetzlichen Wertung in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Spiegelstrich 1 KAG entsprechenden Ergebnissen.
Dass unter Umständen ein langer Zeitraum (hier von 10 Jahren) zwischen der technischen Fertigstellung der Anlage und dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung als Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten liegt, hindert allein nicht das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten (erst) zu dem Zeitpunkt, in dem die letzte fehlende Voraussetzung schließlich doch noch eintritt. Das Erschließungsbeitragsrecht macht nämlich der erhebungsberechtigten Gemeinde grundsätzlich keine zeitlichen Vorgaben, innerhalb welcher Spanne sie die regelmäßig in ihrer Verantwortung liegenden Entstehungsvoraussetzungen herbeizuführen hat, um den Beitrag anschließend festsetzen zu können (vgl. Schmitz, Erschließungsbeitragsrecht, 2018, § 15 Rn. 16 m.w.N.). Die äußerste Grenze bildet die verfassungsrechtlich gebotene und Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG zu entnehmende Ausschlussfrist von 20 Jahren, die ohne Rücksicht auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten an den Eintritt der Vorteilslage anknüpft. Erst wenn diese Ausschlussfrist abgelaufen ist, scheidet eine Beitragserhebung zwingend aus. Die Beitragspflichtigen erleiden durch das Hinausschieben der Beitragserhebung bis zu dieser äußersten Grenze keinen unverhältnismäßigen Nachteil. Denn die Baukosten, die den Hauptteil des beitragsfähigen Aufwands ausmachen, stehen fest und können nicht weiter ansteigen. Fremdfinanzierungskosten zählen nur dann zum beitragsfähigen Aufwand, wenn ein sachlicher Grund für die Verzögerung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 9 C 14.14 – juris Rn. 31; U.v. 23.2.2000 – 11 C 3.99 – juris Rn. 35 f.).
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten entgegen der Auffassung des Klägers nicht bereits mit Ablauf des Jahres 2010 entstanden. Denn die letzte Unternehmerrechnung ging bei der Beklagten erst im Januar 2020 ein (Rechnung des Ingenieurbüros B. vom 15.01.2020 – Ingenieurleistungen für den Deckenbau/Endausbau).
Zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand gehören insbesondere die Kosten für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Das umfasst die Kosten aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um eine beitragsfähige Erschließungsanlage anzulegen und programmgemäß fertigzustellen. Hierzu zählen sämtliche (Haupt- und Neben-)Kosten aus Werk- oder Dienstverträgen mit Bauunternehmern, Bauingenieuren und Architekten. Vor diesem Hintergrund war der Aufwand der Beklagten für die Herstellung der W. straße erst mit Eingang der Rechnung des Ingenieurbüros B. vom 15. Januar 2020 als letzter Unternehmerrechnung berechenbar.
Als abschließende Rechnung für die im Zusammenhang mit der Herstellung der W. straße erbrachten Ingenieursleistungen kann entgegen der Ansicht der Berufung nicht bereits die Rechnung des Ingenieurbüros B. vom 1. März 2010 angesehen werden. Es handelt sich nicht um die Schlussrechnung im Sinne von § 15 HOAI, die es – ungeachtet etwaiger Berechnungsfehler – der Beklagten ermöglicht hätte, den Umfang des Gesamthonorars festzustellen.
Für die Frage, ob eine Honorarrechnung die Qualität einer Schlussrechnung im Sinn von § 15 HOAI innehat, ist maßgeblich auf den Empfängerhorizont abzustellen (OLG Koblenz, U.v. 24.9.1998 – 5 U 112/98 – juris Rn. 13). Entscheidend ist mithin, ob es aus Sicht des Auftraggebers erkennbar ist, dass der Ingenieur mit seiner Honorarrechnung – gleichgültig, ob diese als Schlussrechnung bezeichnet wird oder nicht – seine gesamten Leistungen abschließend und endgültig abrechnen will. Die Bezeichnung als „Schlussrechnung“ spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers (nur) dafür, dass damit eine abschließende Abrechnung der darin genannten Leistungen erfolgen soll.
Danach handelt es sich bei der Rechnung vom 1. März 2010 eindeutig nicht um eine abschließende Inrechnungstellung aller im Zusammenhang mit der Herstellung der Erschließungsanlage W. straße erbrachten Ingenieurleistungen. Die Zweifel, die der Senat hieran nach Aktenlage ursprünglich hatte, sind durch die von der Beklagten (erst) in der Berufungsverhandlung vorgelegten und plausibel erläuterten Rechnungsunterlagen ausgeräumt. Das ergibt sich aus der detaillierten Aufschlüsselung der Honorarberechnung in der nunmehr vollständig vorliegenden Anlage zur Rechnung vom 1. März 2010, die durch die zeitliche Abfolge der einzelnen Straßenbaumaßnahmen bestätigt wird.
Im Zeitpunkt der Rechnungserstellung am 1. März 2010 war die Feindeckschicht – unstreitig – noch nicht aufgebracht, die W. straße also bautechnisch noch nicht fertiggestellt. Damit war davon auszugehen, dass die Baufirma nach Erledigung dieser noch ausstehenden Arbeiten hierfür eine weitere Rechnung stellen wird und in diesem Zusammenhang auch weitere Ingenieurleistungen erbracht und abgerechnet werden. Die Rechnung vom 1. März 2010 enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit ihr diese noch ausstehenden Ingenieursleistungen bereits vorab abschließend abgerechnet werden sollten und keine weiteren Honoraransprüche mehr in Rechnung gestellt würden. Im Gegenteil ist der Anlage (Seite 1) zur Rechnung vom 1. März 2010 unmissverständlich zu entnehmen, dass die Honorarberechnung für die Leistungsphasen Nummern 5 bis 9 auf einer Kostenfeststellung („Objekt 2“) beruht, die ausdrücklich nur die Rechnung der Baufirma Br. vom 26. Januar 2010 über einen Nettobetrag von 52.991,52 € umfasst, nicht aber den von der Baufirma für „Asphaltierungsarbeiten – Deckenbau“ erst unter dem 15. Juli 2010 in Rechnung gestellten Nettobetrag von weiteren 17.447,75 €. Aus dem Blickwinkel des Empfängers stand damit außer Frage, dass die Ingenieurshonorare im Zusammenhang mit der Feindeckschicht noch nicht – auch nicht in lediglich geschätzter Höhe – Gegenstand der „Schlussrechnung“ vom 1. März 2010 sein können. Daher kann erst die Rechnung vom 15. Januar 2020 über ein weiteres Honorar von 1.799,77 € als die für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten maßgebliche „letzte Unternehmerrechnung“ angesehen werden. Erst mit ihr kann das für die Herstellung der W. straße geschuldete Ingenieurhonorar abschließend festgestellt werden.
Das Ingenieurbüro B. war nicht gehindert, seine Leistungen im Zusammenhang mit der endgültigen Fertigstellung der W. straße auch nach Ablauf von fast zehn Jahren noch in Rechnung zu stellen. Die geltend gemachte Honorarforderung war noch nicht verjährt. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, wird das Honorar für Leistungen der Architekten und der Ingenieure gemäß § 8 Abs. 1 HOAI erst fällig, wenn die Leistung vertragsgemäß erbracht und eine prüffähige Honorarabschlussrechnung überreicht worden ist (vgl. OVG RhPf, U.v. 1.2.2005 – 6 A 11716/04 – juris Rn. 21). Solange eine solche Schlussrechnung nicht gestellt ist, kann mangels Fälligkeit der Forderung eine Verjährungsfrist insoweit nicht in Lauf gesetzt werden. Die späte Geltendmachung der Gebührenforderung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Dies käme nur dann in Betracht, wenn die Gemeinde als Auftraggeberin berechtigterweise von einer abschließenden Berechnung des Ingenieurhonorars hätte ausgehen dürfen und sich daraufhin in einer Weise darauf eingerichtet hätte, dass ihr eine Inrechnungstellung weiterer Leistungen nicht mehr zugemutet werden könnte. Das war aber gerade nicht der Fall.
3. Die Beklagte durfte mithin Ende des Jahres 2017 Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für das klägerische Grundstück erheben, weil eine endgültige Beitragspflicht zu diesem Zeitpunkt noch nicht entstanden war. Da die sachlichen Beitragspflichten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage W. straße erst zum Zeitpunkt des Eingangs der Ingenieursrechnung vom 15. Januar 2020 entstanden sind, kann sich die Frage der Festsetzungsverjährung nicht stellen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


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