Baurecht

Erschließungsbeitragsrecht, Einbeziehung einer „Park-and-Ride-Anlage“ der Deutschen, Bahn in die Aufwandsverteilung, unwirksame satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung

Aktenzeichen  M 28 K 20.1384

Datum:
1.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 38313
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 131 Abs. 1 S. 1
BauGB § 133 Abs. 1
BayKAG Art. 5a Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

A. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 3. März 2020 ist, soweit der Beklagte darin den Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin vom 17. November 2014 aufhob, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ob der Widerspruchsbescheid auch im Übrigen (also soweit der Widerspruch der Beigeladenen zurückgewiesen wurde) rechtmäßig ist, bedarf keiner Erörterung, da die Klägerin insofern jedenfalls offenkundig nicht in eigenen Rechten verletzt wäre.
Der Beklagte hat den Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin zu recht (teilweise) aufgehoben, da die Verteilung des Aufwands fehlerhaft erfolgt ist.
Der Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin beruht auf Art. 5a Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Gemeinde … vom 19. April 2010 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS).
Nach diesen Vorschriften erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bzw. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 BayKAG). Der Erschließungsaufwand umfasst dabei u.a. die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht unbeschadet weiterer Voraussetzungen mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
Gemessen hieran begegnet die Auswahl der beitragspflichtigen Grundstücke durch die Klägerin durchgreifenden rechtlichen Bedenken: Nach Überzeugung des Gerichts werden die Grundstücksflächen der … (im Folgenden: …) durch die R. … erschlossen (nachfolgend I.). Weiterhin hätten die Grundstücke mit den Fl.Nrn. 470 und 475 der Gemarkung … mit ihrer gesamten Grundfläche in die Verteilung einbezogen werden müssen (nachfolgend II). Schließlich würde auch eine etwaige Herausnahme des Grundstücks mit der Fl.Nr. 33 der Gemarkung … aus der Verteilung nicht dazu führen, dass die Klägerin für das Grundstück der Beigeladenen einen höheren Beitrag als denjenigen, den die Widerspruchsbehörde ermittelt hat, hätte festsetzen können (nachfolgend III.).
I. Die Grundstücksflächen der … (insb. die Fl.Nr. 4…3/33 der Gemarkung …) sind nicht als selbstständige Parkflächen mit eigener Erschließungsfunktion anzusehen, sodass sie in die Verteilung hätten einbezogen werden müssen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden die Grundflächen von Erschließungsanlagen i.S.d. § 123 Abs. 2 BauGB, sofern sie entweder kraft einer entsprechenden Festsetzung im Bebauungsplan oder infolge ihrer Widmung für eine öffentliche Nutzung weder bebaubar noch aus der Perspektive des Erschließungsbeitragsrechts vergleichbar nutzbar sind, nicht durch eine beitragsfähige Erschließungsanlage erschlossen. Sinn und Zweck dieser Beschränkung ist es, sicherzustellen, dass Gemeinden im Rahmen der Finanzierung von beitragsfähigen Erschließungsanlagen über den vom Gesetz in § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB vorgesehenen Eigenanteil hinaus, nicht mit Kosten belastet werden (BayVGH, U.v. 19.2.2002 – 6 B 99.44 – juris Rn. 25 ff; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: April 2021, Rn. 42).
Die im Privateigentum der … stehenden Grundstücksflächen sind nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Weder existiert ein Bebauungsplan noch wäre sonst ersichtlich, dass die Grundstücksflächen straßenrechtlich gewidmet worden sind. Der Umstand, dass sich die … gegenüber der Klägerin vertraglich dazu verpflichtet hat, die Park-and-Ride-Anlage für 25 Jahre den Benutzern des Schienen-Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen, rechtfertigt keine andere Bewertung. Zum einen dient die Zurverfügungstellung des Grundstücks als Park-and-Ride-Anlage jedenfalls auch eigenen betrieblichen Zwecken der …, die von der Anziehungskraft der Parkflächen selbst profitieren dürfte. Zum anderen steht die Benutzung der Park-and-Ride-Anlage ausweislich der vertraglichen Regelungen gerade nicht jedermann, sondern nur einem eingeschränkten Personenkreis offen. Dementsprechend gestatten die durch Beschilderung ausgewiesenen Einstellbedingungen der Park-and-Ride-Anlage das Parken von Fahrzeugen auch nur den Fahrgästen der öffentlichen Verkehrsmittel. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses offensichtlich selbst davon ausgegangen waren, dass die Grundstücke der … zum Erschließungsbeitrag herangezogen werden können, da sie vertraglich vereinbarten, dass die Grundstücksflächen der … nach § 135 Abs. 5 BauGB von der Erhebung von Erschließungsbeiträgen freigestellt werden (in diesem Fall wäre der Ausfallbetrag von der Gemeinde zu tragen und dürfte nicht auf die übrigen Beitragspflichtigen verteilt werden).
Die weiteren von der Klagepartei aufgeworfenen Fragen, ob die Park-and-Ride-Anlage (keine) überörtliche Funktion besitzt bzw. ob der Kreis der von der Parkfläche erschlossenen Grundstücke hinreichend genau abgegrenzt werden kann, sind zwar für die Frage der Beitragsfähigkeit von selbstständigen Parkflächen relevant, nicht jedoch für die Frage, ob überhaupt eine selbstständige Erschließungsanlage vorliegt, und brauchen daher nicht näher erörtert zu werden (vgl. hierzu Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: April 2021, Rn. 42).
II. Die Klägerin hätte bei der Heranziehung der Grundstücke mit den Fl.Nrn. 470 und 475 der Gemarkung … die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS enthaltene Tiefenbegrenzungsregelung nicht zugrunde legen dürfen.
Diese Regelung über eine Tiefenbegrenzung in der EBS der Klägerin ist unwirksam und daher bei der Aufwandsverteilung nicht zu beachten: Eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung muss zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den nicht mehr bevorteilten Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Bebauungsverhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann. Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BayVGH, U.v. 23.4.2015 – 6 BV 14.1621 – juris Rn. 31 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS nicht. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungsregelung keine exakte Ermittlung der typischen örtlichen Verhältnisse zur Abgrenzung von Innen- und Außenbereich zu Grunde läge. Die satzungsmäßige Tiefenbegrenzung ist daher nichtig, ohne dass dies jedoch die Unwirksamkeit der Satzung im Übrigen zur Folge hat (vgl. BayVGH, U.v. 6.4.2017 – 6 B 16.2125 – juris Rn. 36).
III. Keiner Entscheidung bedarf es an dieser Stelle darüber, ob das Hinterliegergrundstück mit der Fl.Nr. 33 der Gemarkung … in die Verteilung einzubeziehen ist. Denn auch die Herausnahme dieses Grundstücks aus der Aufwandsverteilung hätte nicht zur Folge, dass die Klägerin für das Grundstück der Beigeladenen im Ergebnis einen höheren Beitrag als 45.437,54 € hätte festsetzen können. Dies folgt daraus, dass das o.g. Hinterliegergrundstück lediglich mit einer Grundstücksfläche von 816 qm (bei einem Nutzungsfaktor von 1,0) in die Verteilung einbezogen worden ist, während alleine aufgrund der zugrunde gelegten Tiefenbegrenzungsregelung Grundstücksflächen von ca. 2.600 qm – zu Unrecht – unberücksichtigt geblieben sind.
B. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2
Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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