Baurecht

Erschließungsbeitragsrecht, Stundung eines Erschließungsbeitrags, landwirtschaftliche Nutzung, Verpachtung an einen Dritten vor Erlass des Stundungsbescheids, Rücknahme einer Stundung, Zahlungsverjährung

Aktenzeichen  6 ZB 21.1101

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 982
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 4 BauGB
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a i.V.m. §§ 228 bis 232 AO

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 11 K 19.1507 2021-03-01 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. März 2021 – RN 11 K 19.1507 – wird abgelehnt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 6.927,74 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Mit Bescheid vom 21. April 1998 hatte der beklagte Markt für die früher dem Rechtsvorgänger der Klägerin gehörenden Grundstücke FlNr. …5 (20.670 m²) und 856 (5.957 m²) „als Grundstückseinheit“ für die erstmalige endgültige Herstellung der K.-straße einen Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 336.468,99 DM festgesetzt. Gleichzeitig wurde der Erschließungsbeitrag „gemäß § 135 Abs. 4 BauGB zinslos gestundet, solange das Grundstück in Ihrem Eigentum ist und landwirtschaftlich genutzt wird“. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Dezember 2015 nahm der Beklagte die mit Bescheid vom 21. April 1998 für das Grundstück FlNr. …6 bewilligte zinslose Stundung des Erschließungsbeitrags in Höhe von 38.487,45 € mit sofortiger Wirkung für die Zukunft zurück und stellte den Erschließungsbeitrag binnen eines Monats nach Bestandskraft des Bescheides fällig. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landratsamt D. mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2019 zurück.
Mit Urteil vom 1. März 2021 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2015 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2019 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Forderung des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21. April 1998 im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung und Fälligstellung des Erschließungsbeitrags bereits durch Zahlungsverjährung erloschen gewesen sei. Die 5-jährige Zahlungsverjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 1998 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2003 geendet. Die Voraussetzungen für eine Stundung gemäß § 135 Abs. 4 BauGB hätten nämlich objektiv von Anfang an nicht vorgelegen, weil das Grundstück FlNr. …6 bereits seit dem 2. Januar 1990 an Herrn L. verpachtet gewesen sei, der weder Betriebsinhaber noch Familienangehöriger im Sinn des § 15 AO gewesen sei. Der Stundungsbescheid habe damit (automatisch) von Anfang an keine Wirkungen entfaltet, so dass der Beginn der Zahlungsverjährungsfrist nicht aufgrund der Stundung hinausgeschoben worden und keine Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist eingetreten sei. Die Klägerin habe die Stundung auch nicht durch falsche Angaben im Jahr 2014 erwirkt, weil zu diesem Zeitpunkt der Beitragsanspruch des Beklagten längst durch Zahlungsverjährung erloschen gewesen sei.
Der Zulassungsantrag des Beklagten hält dem erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf. Der Beklagte setzt den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Wesentlichen nur seine eigene abweichende Einschätzung entgegen, ohne damit schlüssige Gegenargumente aufzuzeigen, die das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Urteils ernstlich in Frage stellen würden.
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer zinslosen Stundung gemäß § 135 Abs. 4 BauGB zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 21. April 1998 nicht vorlagen, bis zum Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist am 31. Dezember 2003 nicht eingetreten sind und der Stundungsbescheid keine Rechtswirkungen entfaltet hat.
Werden Grundstücke landwirtschaftlich oder als Wald genutzt, ist der Beitrag gemäß § 135 Abs. 4 Satz 1 BauGB (hier in der Fassung vom 27.8.1997) so lange zinslos zu stunden, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss. Satz 1 gilt auch für die Fälle der Nutzungsüberlassung und Betriebsübergabe an Familienangehörige im Sinn des § 15 AO (§ 135 Abs. 4 Satz 2 BauGB). Begünstigt wird grundsätzlich nur derjenige Beitragsschuldner, der selbst Landwirtschaft betreibt. Hat er das Grundstück verpachtet oder gar bereits einem Dritten übertragen, kommt eine zinslose Stundung nicht in Betracht (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 19 Rn. 10).
Das Verwaltungsgericht hat unbestritten festgestellt, dass das Grundstück FlNr. …6 bereits seit dem 2. Januar 1990 an Herrn L. verpachtet war; dieser war weder Inhaber des landwirtschaftlichen Betriebs des Rechtsvorgängers der Klägerin noch Familienangehöriger im Sinn des § 15 AO. Damit lagen die objektiven Voraussetzungen für eine Stundung wegen landwirtschaftlicher Nutzung von Anfang an nicht vor.
Der Senat hat bereits entschieden, dass ein gemeindlicher Bescheid, mit dem der Erschließungsbeitrag entsprechend dem gesetzlichen Wortlaut des § 135 Abs. 4 BauGB „solange gestundet wurde, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss“, seine Wirksamkeit automatisch in dem Zeitpunkt einbüßt, in dem diese Voraussetzung wegfällt. Eines besonderen Aufhebungsbescheids bedarf es dazu nicht; es kommt allein auf den objektiven Wegfall der Voraussetzung für die Stundung an (BayVGH, B.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 21; Driehaus in Berliner Kommentar, BauGB, § 135 Rn. 27; Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 19 Rn. 11). Entsprechendes gilt in der vorliegenden Fallkonstellation. Zunächst ist das Verwaltungsgericht zu Recht – und insoweit unwidersprochen – davon ausgegangen, dass der Stundungsbescheid des Beklagten die gesetzlichen Stundungsvoraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß ohne Einschränkung aufgenommen hat. Weiter hat es mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass der Stundungsbescheid von Anfang an keine Wirkungen entfaltet, wenn die Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB – wie im vorliegenden Fall – von Anfang an objektiv nicht vorliegen. Ein solcher Stundungsbescheid geht gleichsam ins Leere. Ihm kann daher entgegen der Auffassung des Beklagten keine Tatbestandswirkung zukommen. Es bedarf folglich keines besonderen Aufhebungsbescheids oder einer Rücknahme oder eines Widerrufs der Stundung, um den Erschließungsbeitrag fällig zu stellen.
b) Das Verwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht entschieden, dass der Beginn der Zahlungsverjährungsfrist nicht aufgrund der mit Bescheid vom 21. April 1998 ausgesprochenen Stundung hinausgeschoben worden und keine Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist erfolgt ist.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG in Verbindung mit § 228 AO (in der maßgeblichen Fassung vom 16.3.1976) unterliegen Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre. Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Da der Stundungsbescheid – wie oben ausgeführt – von Anfang an keine Wirkungen entfaltet hat, kam es nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung im Sinn des § 231 Abs. 1 AO. Vielmehr blieb es bei der grundsätzlichen Fälligkeitsregelung des § 135 Abs. 1 BauGB (in der maßgeblichen Fassung vom 27.8.1997), wonach der Beitrag einen Monat nach Bekanntgabe des Beitragsbescheids fällig wird. Das Verwaltungsgericht hat somit zu Recht entschieden, dass der Beitragsanspruch des Beklagten mit Ablauf des Kalenderjahres 1998 erstmals fällig geworden und mit Ablauf des Jahres 2003 durch Zahlungsverjährung erloschen ist (§ 232 AO).
c) Bei der Klägerin liegt weder eine „Kenntnis der Nichtschuld“ im Sinn des § 814 BGB vor, wie der Beklagte meint, noch legt der Zulassungsantrag greifbare Anhaltspunkte für einen Verstoß der Klägerin oder ihres Rechtsvorgängers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar.
Das ergibt sich bereits daraus, dass der Stundungsbescheid des Beklagten vom 21. April 1998 für die zinslose Stundung des Erschließungsbeitrags zwar ausdrücklich auf § 135 Abs. 4 BauGB Bezug genommen hat, nicht aber ebenso eindeutig auf dessen Voraussetzungen. Er hat vielmehr auch so verstanden werden können, dass die Stundung gewährt wird, wenn und solange das Grundstück im Eigentum des Rechtsvorgängers der Klägerin steht und landwirtschaftlich genutzt wird, was damals der Fall war. In diese Richtung deutet bereits das Schreiben des ersten Bürgermeisters W. vom 16. September 1981 an den Rechtsvorgänger der Klägerin. In diesem bestätigt der Bürgermeister, „dass der anfallende Erschließungsbeitrag für Ihre Grundstücke im Gewerbe- und Industriegebiet so lange von uns gestundet wird, wie Ihre Grundstücke landwirtschaftlich genutzt werden“. Eine Einschränkung, durch wen die landwirtschaftliche Nutzung erfolgen muss, enthielt das Schreiben nicht. Mit Blick auf diese mehrdeutigen Angaben des Beklagten zu den Stundungsvoraussetzungen hatte der Rechtsvorgänger der Klägerin keinen Anlass zur Annahme, die Verpachtung des weiterhin landwirtschaftlich genutzten Grundstücks im Jahr 1990, also weit vor Erlass des Stundungsbescheids, sei von Bedeutung und dem Beklagten – ungefragt – mitzuteilen oder gar nachzumelden. Erst recht kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, er hätte die rechtswidrige Stundung von Anfang an „sehenden Auges“ erwirkt.
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 3.1 und 3.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (6 v.H. des gestundeten Betrages je Jahr, dreifacher Jahresbetrag).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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