Baurecht

Fehlende Antragsbefugnis für Normenkontrollantrag

Aktenzeichen  15 N 15.1485

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 307
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Zur (fehlenden) Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan wegen der künftigen Belastung von Grundeigentümern mit Erschließungsbeiträgen und wegen nur geringfügiger Zunahme planbedingten Verkehrslärms.
2. Die Belastung durch Erschließungsbeiträge kann dann keine Antragsbefugnis begründen, wenn gesichert ist, dass die Erschließungsbeiträge durch den Erschließungsträger übernommen werden. (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer Klage gegen ein Bauvorhaben fehlt es an der Antragsbefugnis, wenn die Zunahme des Verkehrslärms die Bagatellgrenze nicht überschreitet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
1. Er ist unzulässig, weil die Antragstellerin nicht antragsbefugt ist.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Antrag auf Normenkontrolle jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Als Eigentümerin eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks ist die Antragstellerin antragsbefugt, wenn sie eine mögliche Verletzung des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) geltend machen kann, das hinsichtlich abwägungserheblicher privater Belange dem Nachbarschutz dient. Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist. Die Prüfung, ob das der Fall ist, erfolgt auf der Grundlage des Vorbringens der Beteiligten ohne eigene Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.3.2015 – 4 BN 30/14 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – KommunalPraxis 2017, 108 = juris Rn. 32 ff. m.w.N.).
Gemessen hieran ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht gegeben, weil die von ihr angeführten Belange in der Abwägung nicht zu berücksichtigen waren. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Geltendmachung der zu erwartenden Erschließungsbeitragspflichten (vgl. dazu unten a) als auch im Hinblick auf die befürchtete Zunahme des Verkehrslärms (vgl. dazu unten b).
a) Die künftige Belastung mit Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Erschließungsanlagen in dem Plangebiet kann die Antragsbefugnis nicht begründen.
Nach neuerer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof und anderer Oberverwaltungsgerichte ist die Belastung mit Erschließungskosten jedenfalls grundsätzlich kein abwägungserheblicher Belang. Dies wird teilweise damit begründet, dass es sich hierbei lediglich um mittelbare Auswirkungen des Bebauungsplans handelt, für die dieser keine unmittelbare rechtliche Grundlage darstellt (vgl. BayVGH, v. 17.11.2014 – 9 N 13.1303 – juris Rn. 24; VGH BW, U.v. 17.2.2014 – 5 S 3254/11 – BauR 2014, 1243 = juris Rn. 50; OVG Schl.-Holst., U.v. 29.6.2016 – 1 KN 16/15 – juris Rn. 47; OVG Rh-Pf, U.v. 9.11.2011 – 1 C 10021/11 – NVwZ-RR 2012, 263 = juris LS und Rn. 47; a.A. BayVGH, 28.9.2000 – 2 N 96.4292 – Rn. 19 und 31; U.v.4.8.1988 – 2 N 86.03043 – BauR 1989, 309/310; VGH BW, U.v. 26.7.1996 – 5 S 69/95 – juris Rn. 37; OVG NRW, U.v. 12.5.1989 – 11a NE 51/87 – NVwZ 1990, 894/895), teilweise aber auch damit, dass die durch die Erschließung erwachsenden Vorteile – Erhöhung des Gebrauchswerts der betreffenden Grundstücke – bei gebotener objektiver Betrachtung im Regelfall in keinem krassen Missverhältnis zu den Belastungen durch die anfallenden Erschließungsbeiträge stehen (vgl. SaarlOVG, U.v. 23.5.2011 – 2 C 505/09 – BauR 2011, 1700 = LS 1 und juris Rn. 35). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in einer aktuellen Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass die Kosten zur Verwirklichung eines Bebauungsplans – gleichgültig, ob es Kosten der öffentlichen Hand oder solche der privaten Grundeigentümer sind – grundsätzlich zumindest in groben Zügen abwägend zu bedenken sind (vgl. BVerwG, B.v. 30.8.2016 – 4 BN 10/16 – ZfBR 2017, 64 = juris Rn. 12 ff. m.w.N.; a.A. BVerwG, U.v. 30.1.1976 – 4 C 12.74 u.a. – BRS 66 Nr. 1; vgl. auch BVerwG, B.v. 10.9.2002 – 4 BN 39.02 – BRS 66 Nr. 3 juris Rn. 8), braucht hier nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Fall ist nämlich infolge der vertraglichen Übernahme der Erschließungskosten durch einen Erschließungsträger durch notariellen Erschließungs- und Grund-abtretungsvertrag vom 19. Juni 2015 sichergestellt, dass gegenüber der Antragstellerin keine Erschließungsbeiträge anfallen. Dies haben die Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2017 bestätigt und ausdrücklich zugesichert, dass die Antragsgegnerin für die Herstellung der Straße im Plangebiet keine Erschließungsbeiträge gegenüber der Antragstellerin erheben wird. Die Belastung der Anlieger der Erschließungsstraße im Plangebiet mit Erschließungsbeiträgen war damit jedenfalls im vorliegenden Fall in der Abwägung nicht zu berücksichtigen (vgl. OVG RhPf, U.v. 20.1.2016 – 8 C 19855/15.OVG, S. 9 – n.v.; nachfolgend BVerwG, B.v. 30.8.2016 – 4 BN 10/16 – ZfBR 2017, 64 = juris; vgl. auch BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – Rn. 61).
b) Auch die auf dem Grundstück der Antragstellerin befürchtete Lärmzunahme durch den motorisierten Verkehr auf der festgesetzten Erschließungsstraße vermag die Antragsbefugnis nicht zu begründen.
Das Interesse, von planbedingtem Verkehrslärm verschont zu bleiben, ist nur dann ein abwägungserheblicher Belang, wenn das entsprechende Grundstück über die Bagatellgrenze hinaus betroffen wird. Wann das der Fall ist, ist unter Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls beurteilen, insbesondere der Zahl der jeweils zu erwartenden zusätzlichen Verkehrsbewegungen, aber auch der Vorbelastungen und Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.2015 – 4 BN 12.15 – BRS 83 Nr. 49 = juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – Rn. 21; HessVGH, U.v. 29.06.2016 – 4 C 1440/14.N – ZfBR 2016, 803 = juris 38). Ein Unterschreiten der abwägungsirrelevanten Bagatellgrenze hat die Rechtsprechung vor allem in Fällen einer durch das Hinzukommen von nur wenigen Wohnhäusern verursachten Verkehrslärmbelastung angenommen. So hat das Bundesverwaltungsgericht den durch einen Bebauungsplan ermöglichten zusätzlichen Verkehr von 20 bis 30 Einzel- oder Doppelwohnhäusern, der teilweise am Grundstück des dortigen Antragstellers vorbeigeführt wurde, für so geringfügig gehalten, dass es die Antragsbefugnis verneint hat (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 4 CN 1.98 – NVwZ 2000, 807 = juris Rn. 17). Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass in Baugebieten, in denen durch Bebauungsplan nur wenige Einzelhäuser bzw. Wohneinheiten zugelassen wurden, durch den anliegerbedingten zusätzlichen Kraftfahrzeugverkehr keine abwägungsrelevanten Beeinträchtigungen hervorgerufen werden (vgl. HessVGH, U.v. 28.3.2011 – 4 C 2708/09.N – juris Rn. 20 zu 18 Wohneinheiten mit weiteren Beispielen für 16, 17 bzw. 20 Wohneinheiten; U. v. 7.4.2014 – 3 C 914/13.N – DVBl 2014, 1013 = juris LS 2 und Rn. 19 zu 30 Wohneinheiten in einem reinen Wohngebiet). Dabei stellt er vor allem auf die Anzahl der zu erwartenden Fahrbewegungen ab und geht unter Zugrundelegung eines Erfahrungswerts von je 1,5 Fahrzeugen mit 2,5 Fahrzeugbewegungen täglich, mithin also von 3,75 Fahrzeugbewegungen täglich pro Wohneinheit aus (so bereits Hess VGH, B.v. 17.1.1995 – 4 N 3707/88 – n.v.; U.v. 28.5.2001 – 9 N 1626/96 – Rn. 65; B.v. 26.3.2004 – 3 N 2180/99 – juris Rn. 18 m.w.N.). Weiterhin geht er in der Regel davon aus, dass die Betroffenheit der Anlieger bei einer voraussichtlichen Zunahme des Verkehrs von bis zu 200 Fahrzeugbewegungen täglich nur geringfügig und daher nicht mehr abwägungsrelevant ist (vgl. B.v. 5.2.2015 – 4 B 1756/14.N – BauR 2015, 1101 = juris LS und Rn. 15; U.v. 29.06.2016 – 4 C 1440/14.N – ZfBR 2016, 803 = juris 38). Der Bayerische Verwaltungsgerichthof und andere Oberverwaltungsgerichte sind dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. BayVGH. B.v. 19.8.2016 – 9 NE 16.1512 – juris Rn. 15 zu vier Einfamilienhäusern mit je einer Wohneinheit; VGH BW, U.v. 21.4.2015 – 3 S 748/13 – NuR 2015, 647 = juris Rn. 28 zu 12 Wohneinheiten unter Annahme einer Anzahl von 45 Verkehrsbewegungen; OVG SA, B.v. 8.1.2015 – 2 R 94/14 – UPR 2015, 232 = juris Rn. 27 zu 26 Wohneinheiten und 19 Einfamilienhäusern bei teilweise am Grundstück des Antragstellers vorbeigeführtem Verkehr).
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist das Interesse der Antragstellerin, von der Zunahme des Verkehrslärms verschont zu bleiben, hier nicht abwägungsrelevant. Die Antragstellerin und die übrigen Altanlieger an der nach N… führenden Zufahrtstraße müssen aufgrund der Festsetzungen des Bebauungsplans mit dem Neubau von sechs weiteren Wohnhäusern mit jeweils zwei Wohneinheiten, insgesamt also mit einer Verkehrszunahme für 12 Wohneinheiten rechnen. Die Antragstellerin ist dabei allenfalls von den zehn südlich der Erschließungsstraße geplanten Wohneinheiten betroffen, weil der Zu- und Abfahrtsverkehr zu dem westlich ihres Grundstücks geplanten Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … nicht bis an ihr Grundstück heranreicht. Geht man in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs von 3,75 Fahrzeugbewegungen pro Tag für eine Wohneinheit aus und erhöht diesen Wert zugunsten der Antragstellerin im Hinblick auf die allgemeine Zunahme des motorisierten Fahrverkehrs und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Plangebiet abseits des Hauptortes liegt, auf geschätzt 5 Fahrzeugbewegungen pro Wohneinheit täglich, errechnet sich für die Antragstellerin eine Steigerung des anliegerbedingten Kraftfahrzeugverkehrs um insgesamt 50 Fahrbewegungen täglich, die an ihr Grundstück herangeführt bzw. vorbeigeführt werden. Rechnet man zu diesen Fahrten weitere 24 Fahrbewegungen von Versorgungs-, Dienstleistungs- und Besucherfahrzeugen hinzu, die die neuen Wohneinheiten anfahren und bei ihrer Abfahrt – nach dem Umkehren auf der Wendefläche – (erneut) am Grundstück der Antragstellerin vorbeifahren (ebenso Hess VGH, B.v. 17.1.1995 – 4 N 3707/88 – n.v.), erhöht sich die Zahl der Verkehrsbewegungen auf bis zu 74 täglich. Das ergibt bei einer Verteilung auf 16 Tagesstunden rund 4,6 Fahrbewegungen stündlich oder – auf Minuten umgerechnet – eine Fahrbewegung alle 13 Minuten, die das Grundstück der Antragstellerin zusätzlich betreffen können. Die dadurch verursachten Geräuscheinwirkungen sind im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung als so geringfügig zu bewerten, dass das Interesse der Antragstellerin – auch unter Berücksichtigung der geringen Vorbelastung durch die bereits vorhandenen 11 Wohngebäude, die bislang durch die Stichstraße erschlossen werden, sowie der Tatsache, dass die Straße unmittelbar an den Gartenbereich auf dem Grundstück der Antragstellerin grenzt – nicht abwägungserheblich ist.
Eine Überschreitung der einschlägigen Grenzwerte des § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV von 59 dB(A) tags und 49 dB(A) nachts am Anwesen der Antragstellerin (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2007 – 4 BN 16/07 – ZfBR 2007, 580 Rn. 5) erscheint unter diesen Voraussetzungen gänzlich unplausibel. Dem in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich gestellten bedingten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens brauchte der Senat daher nicht nachzugehen. Soweit dieser Antrag darüber hinaus darauf gerichtet ist, dass durch ein Sachverständigengutachten nachgewiesen werden soll, dass die Antragstellerin und ihre Familie mehr als nur geringfügige Lärmbelastungen erleiden, handelt es sich um eine rechtliche Bewertung, die der Beweiserhebung nicht zugänglich ist.
Aus dem von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Urteil des Senats vom 24. April 2007 (Az. 15 N 06.1948) ergibt sich keine abweichende Einschätzung. Zwar hat der Senat in jenem Fall den durch ein Baugebiet mit 11 Parzellen hinzukommenden Verkehrslärm nicht mehr als geringfügig eingestuft und in der Folge die Antragsbefugnis bejaht. Abgesehen davon, dass es sich hierbei aber um eine Einzelfallentscheidung in anderer richterlicher Besetzung handelt, setzt sich dieses Judikat in keiner Weise mit der oben angeführten Rechtsprechung zur Frage der abwägungsirrelevanten Bagatellgrenze für eine planbedingte Verkehrslärmzunahme auseinander.
2. Auf die Frage, ob der Normenkontrollantrag begründet oder unbegründet wäre, kommt es nicht mehr an.
3. Der Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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