Baurecht

Flurbereinigung zum Hochwasserschutz

Aktenzeichen  13 AS 20.2348

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6087
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FlurbG § 36

 

Leitsatz

1. Eine Flurbereinigungsmaßnahme ist als dringlich anzusehen, wenn sie nicht bis zur Ausführung des Flurbereinigungsplans zurückgestellt werden kann, weil sie aus Gründen des Hochwasserschutzes erforderlich ist.  (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung der Flurbereinigung verstößt nicht gegen das im Verhältnismäßigkeitsprinzip wurzelnde Gebot, vor Durchführung der Maßnahme zu versuchen, das für die Verwirklichung des Vorhabens benötigte Land freihändig zu erwerben, wenn langjährige Verhandlungen erfolglos geblieben sind.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von 15 Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Teilnehmer des mit Anordnungsbeschluss vom 23. April 1998 nach §§ 1, 4, 37 FlurbG angeordneten Flurbereinigungsverfahrens „A. (DE)“. Dieses umfasst unter anderem das im Eigentum des Antragstellers stehende Flurstück 407 Gemarkung A., welches für eine Hochwasserschutzmaßnahme verwendet werden soll. In den vom Amt für Ländliche Entwicklung N. (ALE) gemäß § 41 Abs. 3 FlurbG bestandskräftig festgestellten Wege- und Gewässerplan mit landschaftspflegerischem Begleitplan (Plan nach § 41 FlurbG) vom 30. August 2018 ist diese Hochwasserschutzmaßnahme aufgenommen (Maßnahmekennzahl – MKZ – 284 017 Neubau Hochwasserdamm mit Siel; MKZ 284 025 Anlage einer Flutmulde mit Grabenräumung und Beseitigung von Auffüllungen; MKZ 121 100 Fuß- und Pflegeweg auf der Dammkrone).
Nachdem Verhandlungen des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zwecks einvernehmlicher Überlassung des Flurstücks 407 zu keinem Ergebnis geführt hatten, erließ die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24. Januar 2020 eine (erste) vorläufige Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG. Diese hob sie wieder auf, weil sie mit der Baumaßnahme wegen der beginnenden Corona-Pandemie nicht wie geplant am 1. April 2020 beginnen konnte. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 23. Juli 2020, zugestellt am 24. Juli 2020, erließ die Antragsgegnerin erneut eine auf § 36 Abs. 1 FlurbG gestützte vorläufige Anordnung: Die Antragsgegnerin wurde mit Wirkung zum 7. August 2020, 0:00 Uhr, vorzeitig zur dauernden Inanspruchnahme in den Besitz des Flurstücks 407 eingewiesen, welches zum Bau des Hochwasserdamms A. und zur weiteren Sicherstellung des Hochwasserschutzes benötigt werde (Nummer 1. des Bescheids). Dem Antragsteller wurde entsprechend der Besitz, die Nutzung und die Ausübung ähnlicher Rechte über das Flurstück 407 entzogen; er wurde verpflichtet, die Vornahme der Bauarbeiten und die weiteren Maßnahmen zum Hochwasserschutz auf diesem Flurstück zu dulden (Nummer 2.). Die sofortige Vollziehung der Nummern 1. und 2. des Bescheids wurde angeordnet (Nummer 5.). Es sei aus dringenden Gründen erforderlich, den Besitz und die Nutzungen der vom Hochwasserschutz betroffenen Flächen vor der Ausführung des Flurbereinigungsplans zu regeln. Der Bau des Hochwasserschutzes solle ab August 2020 beginnen. Neben der Verfügbarkeit der Flächen zum Bau des Dammes sei zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes die Verfügbarkeit des gesamten Flurstücks 407 unerlässlich. Die sofortige Vollziehung werde im öffentlichen Interesse angeordnet. Die Verwirklichung der Hochwasserschutzmaßnahme sei dringlich. Die Finanzierung des Baus sei derzeit gesichert. Das Verfahren werde mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert. Durch einen Aufschub könnten erhebliche Nachteile entstehen.
Gegen den Bescheid vom 23. Juli 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 31. Juli 2020 Widerspruch einlegen, über den bislang noch nicht entschieden ist.
Am 21. Oktober 2020 hat der Antragssteller durch seinen Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof – Flurbereinigungsgericht – Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung hat er mit Schriftsätzen vom 21. Oktober 2020 und vom 10. Dezember 2020 unter anderem wie folgt vortragen lassen: Der Bescheid vom 23. Juli 2020 sei bereits formell rechtswidrig. Entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sei die Sofortvollzugsanordnung nicht besonders begründet worden. Die Antragsgegnerin bringe lediglich vor, aktuell bauen zu wollen und auch zu können. Hinsichtlich einer konkreten Hochwassergefahr werde nichts vorgetragen. Soweit die Antragsgegnerin auf das Hochwasserschutzkonzept hinweise, fehle es an jeglicher Begründung für die besondere Eilbedürftigkeit der Verwirklichung dieses Konzepts. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass es seit 2005/2006 kein Hochwasser mehr gegeben habe. Die Begründung gehe demnach nicht auf die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls ein. Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Es sei nicht ersichtlich, dass es aus dringenden Gründen erforderlich sei, gerade jetzt mit Besitz und Nutzung der Fläche des Antragstellers zu beginnen. Der Flurbereinigungsplan sei noch nicht aufgestellt. Selbst wenn die Finanzierung gesichert sei, sei kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt noch der Fall sein könne. Zudem sei aufgrund der steigenden Corona-Fallzahlen und der zu erwartenden „zweiten Welle“ davon auszugehen, dass das Vorhaben aktuell ohnehin nicht ausgeführt bzw. fortgeführt werde. Des Weiteren sei aufgrund des fortgeschrittenen Jahres und des nahenden Winters, währenddessen Bauarbeiten ohnehin nicht stattfinden könnten, nicht ersichtlich, warum es aus dringenden Gründen erforderlich sei, gerade jetzt mit Besitz und Nutzung der Fläche des Antragstellers zu beginnen. Da es seit 2005/2006 kein Hochwasser mehr gegeben habe, sei nicht von einer extremen Hochwassergefahr auszugehen. Ferner sei die Inbesitznahme des gesamten Grundstücks unverhältnismäßig. Im vorangegangen Bescheid vom 24. Januar 2020 sei noch von teilweise beanspruchten Flächen auf dem Grundstück des Antragstellers gesprochen worden. Aus dem Bescheid vom 23. Juli 2020 gehe nicht hervor, weshalb im Gegensatz zu dem Bescheid vom 24. Januar 2020 eine Inanspruchnahme des ganzen Grundstücks notwendig sei. Zudem liege ein Verfahrensfehler vor. Sein Bevollmächtigter habe ausdrücklich und mehrfach Akteneinsicht wie üblich in den Kanzleiräumen beantragt. Dies habe die Antragsgegnerin allerdings mit der Begründung abgelehnt, dies sei nicht vorgesehen. Eine Anreise von Regensburg nach Landau a. d. Isar sei unzumutbar, eine Zusendung der Akten sei vorzugswürdig. Insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie gelte es unnötige Kontakte zu vermeiden. Bestritten werde, dass ernsthafte Verhandlungen stattgefunden hätten. Er habe mehrfach gerügt, dass weder eine Aussage zu den in Rede stehenden Tauschgrundstücken noch ein Angebot zur monetären Abfindung vorliege. Er sei 2014 zu einem Gesprächstermin eingeladen gewesen. Das damals zugesagte Tauschgrundstück sei mittlerweile als Baugebiet erschlossen und zum Teil schon bebaut worden. Mangels Akteneinsicht müsse mit Nichtwissen bestritten werden, dass die Bauablaufplanung überzeugend und die Finanzierung des Baus gesichert sei. Zudem würde die Vollziehung des Bescheids schwerwiegende, gegebenenfalls irreparable Folgen bewirken. Hinsichtlich der Wertermittlung sei anzumerken, dass er Einwendung gegen die Wertermittlung hinsichtlich des Grundstücks vorgetragen habe.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Juli 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Juli 2020 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt in ihrer Antragserwiderung aus, die Begründung des Sofortvollzugs stelle die Notwendigkeit der Maßnahme detailliert dar. Die Hochwasserschutzmaßnahme solle möglichst bald fertiggestellt werden, um zusammen mit den weiteren Maßnahmen des Hochwasserschutzkonzepts der Gemeinde A. die Ortschaft vor massiven Hochwasserschäden zukünftig zu schützen. Der Schutz vor Hochwassergefahren solle möglichst bald umgesetzt werden, um eine jederzeit mögliche Überflutung zu vermeiden. Die Bauarbeiten seien bisher durch die Corona-Pandemie nicht beeinträchtigt worden. Es seien bereits Teilabschnitte ausgeführt. Die Flächen des Antragstellers würden für den Bauablauf unmittelbar benötigt. Die Bauarbeiten würden bei geeigneten Witterungsverhältnissen weiter fortgesetzt. Aus der Annahme, dass seit 2005/2006 keine Hochwasser mehr stattgefunden hätten, könne kein Rückschluss auf die nähere und fernere Zukunft geschlossen werden. Gerade die Prognosen in Bezug auf die Heftigkeit künftiger Hochwasserereignisse werde im Zuge des Klimawandels ständig nach oben korrigiert. Die Notwendigkeit der Inbesitznahme des gesamten Grundstücks sei im Bescheid ausführlich begründet worden. Neben der Verfügbarkeit der Flächen zum Bau des Dammes sei zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes die Verfügbarkeit des gesamten Flurstücks 407 unerlässlich. Eine Überlassung der Akten sei nicht vorgesehen, da diese in ständigem Gebrauch und sehr umfangreich seien. Eine Anreise nach Landau a.d. Isar zur Akteneinsicht im ALE sei zumutbar. Die Möglichkeit der Akteneinsicht im ALE sei schriftlich zugesagt worden. Die Antragsgegnerin habe sich über Jahre hinweg bemüht, eine Einigung zu erzielen, wie die vorgelegte Zusammenstellung der Verhandlungstermine zeige. Eine Einigung sei an den überzogenen Forderungen des Antragstellers gescheitert, der sich für die landwirtschaftlich genutzte Fläche Preise im Bereich von Baulandpreisen vorgestellt habe, wie das Schreiben des Bevollmächtigten vom 13. Juli 2020 zeige. Die Finanzierung sei mit dem genehmigten Förderantrag vom 3. März 2020 und der Vereinbarung der Antragsgegnerin mit der Gemeinde A. vom 4. Juni 2020 gesichert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtete Antrag ist zulässig, aber unbegründet (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 80 Abs. 1 VwGO kommen Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung zu. Hat die Behörde, um diese Rechtsfolge auszuschließen, die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, wie dies in der angefochtenen vorläufigen Anordnung geschehen ist, so kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Mit der Schaffung des § 80 Abs. 5 VwGO hat der Gesetzgeber dem Anspruch des Bürgers auf eine tatsächliche wirksame gerichtliche Kontrolle im Sinn von Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung getragen. Ohne den Suspensiveffekt verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe würde Verwaltungsrechtsschutz wegen der notwendigen Verfahrensdauer häufig hinfällig werden (BVerfG, B.v. 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 – BVerfGE 46, 166/178). Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Verwaltungsprozess aber nicht schlechthin. Das Gericht trifft vielmehr neben der Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Sofortvollzugsanordnung eine summarische Entscheidung durch Abwägung der gegensätzlichen berechtigten Interessen. Dabei ist auch auf den voraussichtlichen Erfolg des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs in der Weise abzustellen, als zu prüfen ist, ob der Widerspruch nach dem Vortrag des Antragstellers wahrscheinlich erfolgreich sein wird oder nicht (BVerfG, B.v. 25.7.1996 – 1 BvR 638/96 – NVwZ 1997, 479). Erweist sich nämlich, dass der Verwaltungsakt zu Unrecht angegriffen wird, muss in der Regel das Interesse des Betroffenen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zurückstehen (BVerfG, B.v. 11.2.1982 – 2 BvR 77/82 – NVwZ 1982, 241 = BayVBl 1982, 276; vgl. zum Ganzen: Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 85 ff.)
1. Die Sofortvollzugsanordnung gemäß Nummer 5. des Bescheids vom 23. Juli 2020 leidet nicht unter durchgreifenden formellen Mängeln. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts wurde in einer dem § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Insbesondere enthält der Bescheid eine besondere Begründung des Sofortvollzugs und sind die angeführten Gründe – alsbaldiger Schutz der Gemeinde A. vor massiven Hochwasserschäden, Sicherung der für das konkrete Verfahren bereits gewährten öffentlichen Fördermittel – hinreichend auf den vorliegenden Einzelfall bezogen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 36 FlurbG Eilmaßnahmen rechtfertigt und sich die Begründung des Sofortvollzugs mit den Dringlichkeitsgründen der vorläufigen Anordnung im Sinne des § 36 FlurbG decken darf und sogar auf diese beziehen kann (Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Auflage 2018, § 36 Rn. 19 m.w.N.). Ob die Begründung der Sofortvollzugsanordnung inhaltlich richtig ist, insbesondere inwiefern tatsächlich eine besondere Dringlichkeit vorliegt, ist eine materielle Frage, auf die es im Rahmen der Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Sofortvollzugsanordnung nicht ankommt.
2. Auch gebührt vorliegend dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit der Vorrang gegenüber dem Suspensivinteresse des Antragstellers. Der Widerspruch des Antragstellers wird voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Die erhobenen Rügen bewirken keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts.
a) Der auf § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG gestützte Bescheid vom 23. Juli 2020 ist formell rechtmäßig. Die Antragsgegnerin war für den Erlass des Bescheids gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG i.V.m. Art. 2 Abs. 3 AGFlurbG zuständig. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich ein Verfahrensfehler auch nicht etwa daraus, dass ihm keine Akteneinsicht gewährt worden wäre: Ausweislich der Akten hat die Antragsgegnerin das Akteneinsichtsgesuch des Antragstellers mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 bzw. 20. Juli 2020 dahingehend beantwortet, es werde gerne Akteneinsicht gewährt, eine vorübergehende Überlassung in die Kanzleiräume des Bevollmächtigten sei allerdings nicht vorgesehen, da die Verfahrensakten in ständigem Gebrauch und auch sehr umfangreich seien, es werde gebeten, aus Planungsgründen den Besuch zur Akteneinsicht frühzeitig anzukündigen. Diese Vorgehensweise ist rechtlich nicht zu beanstanden: Gemäß Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG erfolgt die Akteneinsicht bei der Behörde, die die Akten führt. Organen der Rechtspflege können die Akten zur Einsicht vorübergehend in ihre Geschäftsräume hinausgegeben werden (Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG). Mithin ist als Grundsatz bestimmt, dass Akteneinsicht bei der Behörde vorzunehmen ist. Ob die Behörde hiervon bei Organen der Rechtspflege wie Rechtsanwälten eine Ausnahme macht, entscheidet diese nach pflichtgemäßem Ermessen. Die gerichtsbekannte Praxis bayerischer Flurbereinigungsbehörden, auch Rechtsanwälten Akteneinsicht dem Grundsatz entsprechend nur bei der Behörde zu gewähren, da Flurbereinigungsakten in ständigem Gebrauch und sehr umfangreich sind, weshalb eine Überlassung in Kanzleiräume nicht praktikabel wäre, mag nicht besonders bürgerfreundlich sein, ermessensfehlerhaft – und nur hierauf kommt es an – ist sie allerdings nicht. Ein Ermessensfehler ergibt sich vorliegend auch nicht aus den besonderen Umständen des Einzelfalls: Insbesondere ist eine Anreise aus Regensburg nach Landau a.d. Isar (ca. 75 km einfach) nicht unzumutbar. Auch die gegenwärtige Corona-Pandemie zwingt zu keiner anderen Betrachtungsweise: Bei Beachtung der bekannten Regeln wie Abstand halten, Maske tragen und regelmäßiges Lüften ist eine Akteneinsicht in den Räumen der Behörde unbedenklich.
b) Auch die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer vorläufigen Anordnung sind gegeben. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG kann die Flurbereinigungsbehörde eine vorläufige Anordnung erlassen, wenn es aus dringenden Gründen erforderlich wird, vor der Ausführung des Flurbereinigungsplanes den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken oder die Ausübung anderer Rechte zu regeln.
§ 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG erlaubt es, bereits vor Ausführung des Flurbereinigungsplans den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken – hier des im Eigentum des Antragstellers stehenden Flurstücks 407 – zu regeln. Weil der Vorausbau den Grund der besitzentziehenden Anordnung bildet, müssen dessen rechtliche Voraussetzungen gegeben sein. Hierzu bestimmt § 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, dass Anlagen schon vor der Ausführung des Flurbereinigungsplans gebaut werden können, soweit der Wege- und Gewässerplan mit landschaftspflegerischem Begleitplan für sie festgestellt ist. Dies ist vorliegend durch den bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss vom 30. August 2018 erfolgt. Der Plan nach § 41 FlurbG sieht unter anderem auch die Hochwasserschutzmaßnahmen vor, für die unter anderem das Flurstück 407 des Antragstellers benötigt wird (MKZ 284 017 Neubau Hochwasserdamm mit Siel; MKZ 284 025 Anlage einer Flutmulde mit Grabenräumung und Beseitigung von Auffüllungen; MKZ 121 100 Fuß- und Pflegeweg auf der Dammkrone).
Flurbereinigungsmaßnahmen sind als dringlich anzusehen, wenn sie nach Abwägung gemäß § 2 Abs. 2, § 37 Abs. 1 FlurbG nicht bis zum Zeitpunkt der Ausführung des Flurbereinigungsplans über die §§ 61, 63 FlurbG zurückgestellt werden können. Zu beachten ist, dass der Vorausbau nach § 42 Abs. 1 Satz 2 FlurbG nicht bereits kraft Gesetzes dringlich ist, sondern nur aufgrund des Vorliegens besonderer Dringlichkeitsgründe im Einzelfall (BayVGH, B.v. 16.6.2011 – 13 AS 11.1038 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 17.5.2006 – 13 AS 06.977 – juris Rn. 18 m.w.N.). Solche liegen vorliegend vor:
Die Antragsgegnerin hat überzeugend dargelegt, dass die Verwirklichung der Hochwasserschutzmaßnahme zusammen mit den weiteren Maßnahmen des Hochwasserschutzkonzeptes der Gemeinde A. dringend erforderlich ist, um die Ortschaft A. zukünftig vor massiven Hochwasserschäden zu schützen, und dass für die Durchführung der Hochwasserschutzmaßnahme das Grundstück des Antragstellers für den Bauablauf unmittelbar benötigt wird. Dies ergibt sich vor allem aus den vorgelegten Akten zum Plan nach § 41 FlurbG und der Begründung im Bescheid vom 23. Juli 2020. Hiergegen wendet der Antragsteller im Wesentlichen nur ein, es habe seit 2005/2006 keine Hochwasser mehr stattgefunden, weshalb keine extreme Hochwassergefahr und deshalb auch keine Dringlichkeit bestünden. Diese Argumentation überzeugt nicht: Damit bringt der Antragsteller selbst vor, dass eine Hochwassergefahr besteht. Dass sich diese zuletzt vor etwa 15 Jahren realisiert hatte, belegt keinesfalls, dass es nur selten zu Hochwasserereignissen kommen wird. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, erlaubt dieser Umstand insbesondere nicht den Rückschluss, dass in näherer Zukunft keine Hochwasser auftreten werden. Zudem ist nach mittlerweile allgemeiner wissenschaftlicher Meinung zu prognostizieren, dass aufgrund des Klimawandels die Heftigkeit künftiger Hochwasserereignisse eher zunehmen wird. Ein erneutes Hochwasser mit erheblichen Gefahren für Menschen und bedeutende Sachwerte ist jederzeit möglich. Die Auffassung der Antragsgegnerin, dass die Ausführung der Hochwasserschutzmaßnahmen deshalb nicht bis zum Zeitpunkt der Ausführung des Flurbereinigungsplans zurückgestellt werden können, ist daher nicht zu beanstanden.
Ferner stellt auch die Sicherung zugesagter – bei Nichtabruf unter Umständen verfallender – öffentlicher Zuschüsse einen im (finanziellen) Interesse aller Teilnehmer bestehenden beachtlichen Dringlichkeitsgrund dar. Dieser Grundsatz ist entgegen der Auffassung des Antragstellers aber nicht im Umkehrschluss so zu verstehen, dass bei Vorliegen einer gesicherten Finanzierung keine dringenden Gründe für eine Besitzregelung angenommen werden dürften (BayVGH, B.v. 12.3. 2013 – 13 AS 13.493 – juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 16.6.2011 – 13 AS 11.1038 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 17.5.2006 – 13 AS 06.977 – juris Rn. 18 m.w.N).
Die Dringlichkeit entfällt auch nicht etwa deshalb, weil – so die Behauptung des Antragstellers – aufgrund der Corona-Pandemie davon auszugehen wäre, dass das Vorhaben aktuell nicht ausgeführt bzw. fortgeführt werde. Wie die Antragsgegnerin mitgeteilt hat, waren die in der zweiten Jahreshälfte 2020 begonnen Bauarbeiten durch die Corona-Pandemie bisher nicht beeinträchtigt. Teilabschnitte der Baumaßnahme sind bereits ausgeführt, bis zum Vorliegen des Antrags auch auf dem Grundstück des Antragstellers. Für den weiteren Bauablauf wird das Grundstück des Antragstellers unmittelbar benötigt. Dem ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit der Antragsteller noch meint, die Dringlichkeit entfalle auch deshalb, weil aufgrund des fortgeschrittenen Jahres und des nahenden Winters ohnehin keine Bauarbeiten stattfinden könnten, stellt sich diese Frage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts von vornherein nicht mehr.
c) Der Bescheid vom 23. Juli 2020 verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Inanspruchnahme des gesamten Flurstücks 407 nicht unverhältnismäßig. Dem Bescheid lässt sich entnehmen, dass die Grundstücksfläche östlich des Damms als Überflutungsfläche (ab einem HQ1-Hochwasser) benötigt wird, die dauerhaft gepflegt und unterhalten, insbesondere von Bewuchs freigehalten werden muss. Die Fläche westlich des Damms wird als Zuwegung und Aufstandsfläche für die Feuerwehr benötigt. Neben der Verfügbarkeit der Flächen zum Bau des Damms ist deshalb laut Bescheid die Verfügbarkeit des gesamten Flurstücks 407 zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes unerlässlich. Diese Darstellung deckt sich mit den Festsetzungen im Plan nach § 41 FlurbG. Hiergegen wendet der Antragsteller im Wesentlichen nur ein, es sei von der Antragsgegnerin im Bescheid nicht dargelegt worden, warum nunmehr die gesamte Grundstücksfläche benötigt werde, obwohl im vorangegangenen Bescheid vom 24. Januar 2020 noch von teilweise beanspruchten Flächen gesprochen worden sei. Auch dieses Argument überzeugt nicht: Zwar ist es richtig, dass im Tenor des Bescheids vom 24. Januar 2020 auf eine anliegende Karte verwiesen wird, auf der die beanspruchte Fläche farbig dargestellt wird (Bl. 37 GA). Auf dieser vom Antragsteller vorgelegten Karte ist indes das gesamte Flurstück 407 farblich gekennzeichnet, so dass sich im Ergebnis die mit Bescheid vom 24. Januar 2020 beanspruchte Fläche nicht von jener des Bescheids vom 23. Juli 2020 unterscheidet. Im Übrigen kommt es im vorliegenden Verfahren allein auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 23. Juli 2020 an.
Die vorläufige Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG als Eingriffsakt der Flurbereinigung verstößt auch nicht gegen das im Verhältnismäßigkeitsprinzip wurzelnde Gebot, vor Durchführung der Maßnahme zu versuchen, das für die Verwirklichung des Vorhabens benötigte Land zu angemessenen Bedingungen freihändig zu erwerben (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.2009 – 9 C 9.08 – RdL 2010, 156 Rn. 20; BayVGH, B.v. 12.3. 2013- 13 AS 13.493 – juris Rn. 21). Dass seit mindestens 2014 bis 2020 Gespräche mit dem Antragsteller stattgefunden hatten, die zu keiner Einigung führten, ergibt sich nicht nur aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Dokumentation, sondern auch aus dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 13. Juli 2020. Allein der Umstand, dass ein zunächst angedachtes Tauschgrundstück aufgrund späterer Entwicklungen nicht mehr zur Verfügung stand und dass es auch sonst nicht zu einer Einigung kam, rechtfertigt nicht den Schluss, die Antragsgegnerin habe nicht ernsthaft verhandelt. Der Einlassung der Antragsgegnerin, eine Einigung sei letztlich an den überzogenen Preisforderungen des Antragstellers gescheitert, wie etwa das Schreiben des Bevollmächtigten vom 13. Juli 2020 zeige (dort wird unter anderem der Verkauf des Flurstücks 407 zu einem Preis von 75,00 €/qm angeboten), ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten.
Da sich auch dem sonstigen Vorbringen des Antragstellers keine substantiierten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 23. Juli 2020 entnehmen lassen, wird der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Allein deshalb überwiegt das Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse. Für eine abweichende Interessenabwägung besteht kein Anlass.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 147 Abs. 1 FlurbG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 13.2.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 147 Abs. 1 FlurbG, § 152 Abs. 1 VwGO).


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