Baurecht

Gegenstand der baurechtlichen Nachbarklage ist nur die genehmigte Nutzung, nicht die tatsächliche, Kein Drittschutz durch Art. 47 BayBO i.V.m. gemeindlicher Stellplatzsatzung Keine Rechtsverletzung bei Genehmigung der erforderlichen und nachgewiesenen Stellplätze, Gebot der Rücksichtnahme, Privatrechtliche Belange

Aktenzeichen  AN 17 K 21.01912

Datum:
1.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 14897
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.  

Gründe

Die streitgegenständliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen.
Gegenstand der erhobenen Klage ist nach dem eindeutigen Klageantrag und den Ausführungen in der Klageschrift allein die Baugenehmigung vom 5. Oktober 2021. Mit dieser wurde die Nutzungsänderung des Spitzbodens von der vorherigen, mit Bescheid vom 9. Oktober 2000 genehmigten Nutzung als Hobbyraum und Abstellraum, in eine eigenständige Wohnung als vierte Wohneinheit eines Mehrfamilienhauses genehmigt. Nicht berührt von der Baugenehmigung vom 5. Oktober 2021 sind die anderen Nutzungseinheiten im Gebäude. Insbesondere wurde eine gewerbliche Nutzung im Gebäude mit dem angegriffenen Bescheid nicht genehmigt oder geändert. Die Frage, ob eine gewerbliche Nutzung dort existiert, diese dort zulässig ist und welche Anforderungen an eine solche zu stellen wären, spielt für das vorliegende Verfahren damit keine Rolle und ist bei der Prüfung außen vor zu lassen. Mit der Anfechtungsklage wird nur die genehmigte Nutzung vom Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, nicht aber eine – gegebenenfalls davon abweichende – tatsächliche Nutzung.
Eine so verstandene Anfechtungsklage führt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann zum Erfolg für den Kläger, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger zugleich in eigenen Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm alleine genügt für den Erfolg der Nachbarklage hingegen nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus einer Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; Jäde/Dirnberger, Kommentar Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2018, § 29 Rn. 41 ff.). Zum weiteren ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im angewandten bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Rein zivilrechtliche Verstöße prüfen die Bauaufsichtsbehörde und das Verwaltungsgericht hingegen nicht, da die Baugenehmigung gem. Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht. Eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle findet im gerichtlichen Verfahren damit nicht statt, die Prüfung beschränkt sich vielmehr auf drittschützende öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln können (BayVGH a.a.O.).
Die Verletzung einer solchen, d. h. die Klägerin begünstigenden und von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfenden Norm liegt hier nicht vor.
Einschlägig ist vorliegend das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO, da es sich bei dem Gebäude nicht um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Bauplanungsrechtlich muss nach Art. 59 Satz 1 BayBO i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 34 Abs. 1 BauGB u.a. die Erschließung eines Vorhabens gesichert sein. Bei dem Erschließungserfordernis handelt es sich jedoch nicht um einen Belang (auch) im Interesse des Nachbarn, sondern allein um einen objektiven Belang zur Wahrung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (Jäde/Dirnberger, § 29 Rn. 57; BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 17 m.w.N.; U.v. 22.3.1999 – 15 B 98.207 – juris Rn. 17).
Nur ganz ausnahmsweise kann sich aus einer fehlenden Erschließung eine Rechtsverletzung für den baurechtlichen Nachbarn ergeben. Dies ist dann der Fall, wenn die Baugenehmigung infolge fehlender Erschließung des Vorhabens dem Nachbarn an seinem Grundstück ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB aufzwingen würde; ein solches würde nämlich einen Eingriff in das Eigentum, Art. 14 Abs. 1 GG, und damit eine Rechtsverletzung für den Eigentümer darstellen (BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 22.3.1999 – 15 B 98.207 – juris Rn. 18). Ein solches Notwegerecht entsteht zu Lasten der Klägerin vorliegend indes nicht. Die Beigeladene ist ebenso wie die Klägerin nämlich Miteigentümerin am privaten Wegegrundstück FlNr. 1347/5. Sie ist als solche gem. § 903 BGB grundsätzlich berechtigt, von ihrem (Mit-)Eigentum Gebrauch zu machen und das Grundstück zu befahren und zu begehen (BayVGH, U.v. 22.3.1999 – 15 B 98.207 – juris Rn. 19) oder auch Versorgungsleitungen auf dem Grundstück zu verlegen. Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung des Eigentums sind zwischen der Beigeladenen und der Klägerin unstreitig nicht vereinbart (vgl. zur Möglichkeit §§ 745, 1010 Abs. 1 BGB), auch die unterschiedlichen Eigentumsanteile von 1/3 und 2/3 führen zu keiner maßgeblichen Einschränkung der gegenseitigen Rechte. Besteht Eigentum am die Erschließung vermittelnden Grundstück ist somit kein Raum für ein Notwegerecht.
Die Entstehung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB ist auch für die Zukunft nicht zu absehbar und zu befürchten. Eine Veräußerung oder Übertragung des Miteigentumsanteils am Wegegrundstück FlNr. 1347/5 ohne das Vorhabengrundstück ist zwar rechtlich nicht ausgeschlossen, jedoch unvernünftig und damit tatsächlich höchst unwahrscheinlich. Kein vernünftiger Grundstückseigentümer wird sich seines Eigentums am erschließenden Grundstücks mutwillig begeben, da dieses die Nutzbarkeit seines Grundstückes gefährdet und wirtschaftlich entwertet. Ebenso wird sich kaum ein Erwerber für einen isolierten Miteigentumsanteil an einem Weggrundstück finden, weil dieses ohne das zu erschließende Grundstück ebenfalls ohne wirtschaftlichen Wert ist.
Den – höchst unwahrscheinlichen – Fall der Entstehung eines Notwegerechts zu Gunsten der Beigeladenen unterstellt, steht überdies nicht fest, dass ein solcher Notweg gerade zu Lasten der Klägerin entsteht. Die Lage des Notwegerechts wäre gegebenenfalls durch das Zivilgericht festzulegen. Angesichts der Lage des Vorhabengrundstücks kommt aber auch ein Zugang über ein anderes Nachbargrundstück in Betracht, insbesondere ein Zugang zum beschränkt-öffentlichen Weg südlich der streitgegenständlichen Grundstücke (FlNr. 1347/11).
Die Rechtsprechung zur Intensivierung einer Gebäudenutzung und deren Auswirkung auf ein Notwegerecht (VG Würzburg, B.v. 10.5.2021 – W 5 S 21.463 – juris Rn. 21 ff.; VG Ansbach, U.v. 24.9.2008 – AN 3 K 07.01230 – juris Rn. 20 ff.), auf das das klägerische Vorbringen abzielt, ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Diese Rechtsprechung basiert auf der Existenz eines Geh- und Fahrrechts als grundbuchrechtlich gesicherter Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) und der Überlegung, dass eine erhöhte Nutzung ab einem bestimmten Punkt die Grenze eines solches Geh- und Fahrrechts verlassen und ein ergänzendes Notwegerecht entstehen lassen kann. Das Eigentumsrecht, auch das Miteigentum, als umfassendes Herrschaftsrecht an einer Sache lässt aber – im Gegensatz zur Dienstbarkeit – eine Nutzungsintensivierung grundsätzlich zu und ist nicht wie eine Grunddienstbarkeit durch eine konkrete Nutzungsart begrenzt. Die Frage, ob die Erhöhung von drei auf vier Wohneinheiten eine wesentliche Nutzungsintensivierung darstellt oder nicht, kann damit unbeantwortet bleiben, von der Miteigentumsnutzung ist diese Erhöhung jedenfalls umfasst.
Die gleichen Erwägungen gelten auch für die Frage der gesicherten Erschließung nach Bauordnungsrecht. Hinzu kommt, dass Art. 4 BayBO bereits vom Prüfungsumfang im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht umfasst ist und auch aus diesem Grund der Klägerin keinen Abwehranspruch vermittelt.
Kein Abwehrrecht folgt für die Klägerin auch aus dem bauordnungsrechtlichen Erfordernis der Stellplatzerrichtung nach Art. 47 BayBO. Der Nachweis der erforderlichen Stellplätze ist zum einen grundsätzlich ein rein öffentlich-rechtlicher Belang ohne Schutzrichtung (auch) in Bezug auf den Nachbarn (Busse/Kraus/Würfel, BayBO, Stand Sept. 2021, Art. § 47 Rn. 227 m.w.N.). Zum anderen hat die Beigeladene die nach Art. 47 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 GaStS i.V.m. Anlage 1 der GaStS erforderlichen Stellplätze auf ihrem Grundstück auch nachgewiesen.
Nach Nr. 1.3 der städtischen GaStS sind für Mehrfamilienhäuser ab drei Wohnungen ein Stellplatz pro Wohnung bis 120 m² bzw. zwei Stellplätze pro Wohnung ab einer Wohnfläche von über 120 m² nachzuweisen. Hinzu kommt ein Besucherparkplatz je drei Wohnungen. Nach der – nicht substantiiert widersprochenen – Stellplatzberechnung des Bauamtes in der Akte (s. S. 20) bestand aufgrund der Baugenehmigung vom 9. Oktober 2000 bereits ein Stellplatzbedarf von insgesamt fünf Stellplätzen (davon ein Besucherstellplatz). Durch die neu hinzukommende Wohnung mit einer Größe von unter 120 m² ergibt sich damit ein zusätzlicher Stellplatz. Diese sechs Stellplätze wurden auf dem Grundstück situiert; ihre Errichtung an dieser Stelle wurde durch die Auflage Nr. 3 des Baugenehmigungsbescheids vom 5. Oktober 2021 überdies angeordnet. Es ist der Klägerseite durchaus zuzugeben, dass die Errichtung der Stellplätze wie vorgesehen auf tatsächliche Hindernisse stößt. Auf dem Grundstück der Beigeladenen ist nach Mitteilung der Klägerin, der die Beigeladene nicht widersprochen hat, und nach der Recherche des Gerichts (Luftbilder nach BayernAtlas) ein – wohl fester – Swimming-Pool so errichtet, dass zumindest die Stellplätze 2 und 3 im südwestlichen Grundstückseck nicht anfahrbar sind. Aufgrund der auflagenmäßigen Verpflichtung zur Errichtung der Stellplätze an dieser Stelle ist die Durchsetzung durch die Beklagte unter Anordnung der Beseitigung des Pools jedoch möglich. Von einer Weigerung der Beigeladenen, die Stellplätze wie vorgeschrieben verfügbar zu machen (und den Swimmingpool aufzugeben), kann zudem auch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Es handelt sich jedenfalls um eine Frage der Umsetzung bzw. Vollstreckung und nicht der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung. Wegen des Wendekreises eines normalen PKWs tatsächlich schwierig ist auch die Nutzung des Stellplatzes 1 (Besucherparkplatz) entlang der Grenze zur Klägerin, unmöglich erscheint dies jedoch ebenfalls nicht.
Da die notwendigen Stellplätze auf dem Grundstück nachgewiesen und durchsetzbar sind, ergibt sich keine absehbare Erhöhung der Belastung der Klägerin etwa durch verstärktes Abstellen von Fahrzeugen auf dem Privatweg oder durch entstehenden Park-Such-Verkehr und zwar auch dann nicht, wenn der privatrechtlich gefundene Lösungsansatz einer Zufahrtsbeschränkung für den Privatweg, der mit der Auflage Nr. 7 im angegriffenen Bescheid kollidiert, nicht weiterverfolgt wird bzw. werden kann.
Über das gesetzliche Mindestmaß hinaus werden keine Stellplätze zur Verfügung gestellt, so dass auch kein Verstoß gegen § 12 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB oder gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme unter Nachbarn (vgl. näher BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 7 m.w.N.) durch das Auslösen übermäßigen zusätzlichen Verkehrs ersichtlich ist. Der normale, regelmäßig von einem sonst rechtmäßigen Bauvorhaben ausgelöste Verkehr stellt grundsätzlichen keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar (BayVGH, B.v. 5.3.2021 – 1 CS 21.114; VG Ansbach, U.v. 31.1 2019 – AN 17 K 17.02145; B.v. 18.3.2019 – AN 17 S 19.00463 – jeweils juris). Bei der Beurteilung hier hat der Zu-, Abfahrts- und Parkverkehr, der mit der etwaigen (teilweisen) Gewerbenutzung des Grundstücks der Beigeladenen in Zusammenhang steht, unberücksichtigt zu bleiben, da eine gewerbliche Nutzung baurechtlich zu keinem Zeitpunkt genehmigt wurde und im Rahmen der Anfechtung der Baugenehmigung für eine reine Wohnnutzung damit keine Rolle spielt. Letztlich blieb die Klägerin die konkrete Darlegung einer übermäßigen, rücksichtslosen Belastung durch das Bauvorhaben auch schuldig. Beschwerden anderer Nachbarn wegen erhöhten Lärms und Beschädigungen des Zauns mit Fahrerfluchten aufgrund der knappen Platzverhältnisse wurden lediglich auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung und nur sehr unsubstan-tiiert in Qualität und Quantität vorgebracht und lassen kein Überschreiten des über das unter Nachbarn hinzunehmenden Maßes an gegenseitiger Rücksichtnahme erkennen.
Weitere öffentlich-rechtliche Verstöße sind nicht gerügt und erkennbar. Eventuelle weitergehende privatrechtliche Rechtspositionen bleiben im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Klage gegen die Baugenehmigung unberücksichtigt, da die Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht. Die Klage bleibt somit erfolglos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch Antragstellung am Verfahren beteiligt und auch dem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten ersetzt bekommt, §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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