Baurecht

Genehmigung für das Fällen von in einem Bebauungsplan als zu erhaltend festgesetzten Bäumen

Aktenzeichen  M 11 K 15.2971

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 25 Buchstabe b BauGB § 31 Abs. 2 BauGB Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBO Art. 55 Abs. 1 BayBO Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO

 

Leitsatz

1 Die Zuständigkeit für Entscheidungen über Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von ortsrechtlichen Regelungen liegt auch dann bei der Gemeinde, wenn von vornherein keine Genehmigungspflicht nach Art. 55 Abs. 1 BayBO besteht, weil das Vorhaben schon nicht als „Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Anlagen“ im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO zu qualifizieren ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Festsetzung in einem Bebauungsplan, dass im Baugebiet der Baumbestand zu erhalten ist und eine Rodung nur für Verkehrs- und Bauflächen in unumgänglich notwendigem Maß zulässig ist, genügt nicht den Anforderungen an den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Es wird festgestellt, dass für die Fällung und Veränderung der im Antrag vom 19.01.2015 bezeichneten Bäume keine öffentlich-rechtliche Erlaubnis erforderlich ist.
II. Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens zu je ½ zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat – soweit über sie noch zu entscheiden war – Erfolg.
1. Soweit die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, mithin die Klage gegen den Beklagten zu 1), ist über sie nicht mehr zu entscheiden, da die Rechtshängigkeit entfallen ist, § 92 Abs. 3 VwGO entsprechend.
2. Die zulässige Klage ist im Hauptantrag begründet.
Der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, da die Klägerin bei Streit über das Vorliegen eines Genehmigungserfordernisses keine Möglichkeit hat, ihr Klagebegehren durch Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen, § 43 Abs. 2 VwGO.
Die erhobene Feststellungsklage ist auch begründet, da die Klägerin keine öffentlich-rechtliche Erlaubnis der Beklagten zu 2) für die begehrten Fäll- bzw. Veränderungsarbeiten benötigt.
Zum einen hat die Beklagte zu 2) keine Baumschutzsatzung oder –verordnung erlassen, die den beantragten Maßnahmen entgegenstehen könnte.
Zum anderen ist die Festsetzung A) 9. des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten zu 2), aus der grundsätzlich ein Genehmigungserfordernis analog § 31 Abs. 2 BauGB folgen würde (vgl. VG München, U. v. 13.10.2016 – M 11 K 15.2361), unwirksam.
Die Beklagte zu 2) ist insoweit passivlegitimiert, da sie für die Erteilung einer Befreiung vom Bebauungsplan hinsichtlich einer Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 Buchstabe b) BauGB zuständig ist.
Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO ist nämlich so auszulegen, dass die Zuständigkeit für Entscheidungen über Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von ortsrechtlichen Regelungen bei der Gemeinde auch dann liegt, wenn von vornherein keine Genehmigungspflicht nach Art. 55 Abs. 1 BayBO besteht, weil das Vorhaben schon nicht als „Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Anlagen“ im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO zu qualifizieren ist. So liegt es hier. Selbst wenn man entgegen der von der Kammer vertretenen Ansicht die Bäume als „Anlagen“ im Sinne der BayBO qualifizieren würde, ist deren beabsichtigte Beseitigung jedenfalls keine „Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung“ im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO. Die Beseitigung von Anlagen wird vom Anwendungsbereich des Art. 55 Abs. 1 BayBO von vornherein nicht erfasst.
Die Auffassung der Beteiligten, die den Anwendungsbereich des Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO auf Vorhaben beschränken will, die im Katalog des Art. 57 BayBO aufgelistet sind, lässt außer Acht, dass die Gründe, die den Gesetzgeber veranlasst haben, bei „verfahrensfreien Bauvorhaben“ die Zuständigkeit für Entscheidungen über Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von ortsrechtlichen Regelungen auf die Gemeinde zu übertragen, erst recht für solche Vorhaben gelten, die unabhängig von den Regelungen in Art. 57 BayBO schon nach dem ersten Halbsatz des Art. 55 Abs. 1 BayBO nicht genehmigungspflichtig sind. Der in Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO angeordneten Zuständigkeitsverlagerung auf die Gemeinde liegt zugrunde, dass neben der von der Gemeinde zu treffenden Entscheidung – ungeachtet der Frage, ob zusätzlich Abweichungen von materiell-rechtlichen Anforderungen der BayBO erforderlich sind – jedenfalls keine generelle formelle Genehmigung des Vorhabens durch die Bauaufsichtsbehörde nötig ist. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass diesen Vorhaben „nur geringe bauaufsichtliche Relevanz und allenfalls minimales planungsrechtliches Gewicht zukommen, sodass insoweit die Zulassung von Abweichungen von – die gemeindliche Ortsgestaltungs- und Planungshoheit schützenden und von den Gemeinden selbst erlassenen – Vorschriften den Gemeinden überlassen bleiben kann“ (LT-Drs. 15/7161, S. 69). Für verfahrensfreie Vorhaben nach Art. 57 BayBO – jedenfalls diejenigen nach Art. 57 Abs. 1 bis 4 BayBO – ist grundsätzlich kennzeichnend, dass sie „an sich“ nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig wären, aber gesetzestechnisch in einem zweiten Schritt ausnahmsweise wegen ihrer geringeren Bedeutung letztlich doch von der Genehmigungspflicht ausgenommen werden. Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO muss daher erst recht für solche Vorhaben gelten, die nicht einmal unter den ersten Halbsatz des Art. 55 Abs. 1 BayBO subsumiert werden können. Die vom Gesetzgeber angewandte Gesetzestechnik zeigt, dass ihm für diese Fälle die Normierung einer formellen Genehmigungspflicht eher noch ferner lag als bei den im engeren Sinn nach Art. 57 BayBO verfahrensfreien Vorhaben. Nach dem Normzweck des Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO ist die Gemeinde daher auch in diesen Fällen zuständig (vgl. VG München, U. v. 13.10.2016 – M 11 K 15.2361).
Die streitgegenständliche Festsetzung unter A) 9. im Bebauungsplan Nr. … der Beklagten zu 2) in Verbindung mit der zugehörigen Planzeichnung genügt jedoch nicht den Anforderungen an den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz.
Aus der Planzeichnung ist nicht ersichtlich, welche Bäume oder Baumgruppen erhalten werden sollen. Die textliche Festsetzung spricht global vom vorhandenen Baumbestand. Ausgehend vom Wortlaut der Regelung, ist der gesamte Baumbestand als zu erhalten festgesetzt, gleich in welcher Entfernung er sich von den festgesetzten Baufenstern befindet. Eine derartige Auslegung, sei sie vom Wortlaut ausgehend zwar auch zwingend, würde sich jedoch als lebensfremd darstellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch der Satzungsgeber bei Beschluss des Bebauungsplans davon ausgegangen ist, dass der zu erhaltende Baumbestand einen gewissen Abstand zur Wohnbebauung wahren muss. Allerdings fehlen Anhaltspunkte hierzu, sodass in keiner Weise bestimmbar ist, welcher Mindestabstand erforderlich ist bzw. ab wann Bäume sich zu nahe an den festgesetzten Baufenstern befinden. Des Weiteren ist nicht erkennbar, ob nur bei Satzungsbeschluss vorhandene Bäume oder auch auf natürliche Art und Weise, etwa durch Samenflug, entstandene Bäume von der Festsetzung erfasst sind. Aufgrund all dessen ist für den Rechtsanwender nicht in jedem Fall zweifelsfrei erkennbar, ob ein konkreter Baum von der streitgegenständlichen Festsetzung erfasst ist oder nicht.
Dem Hauptantrag war aus diesem Grunde stattzugeben, über den Hilfsantrag war somit nicht zu entscheiden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2, 159 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich des in der Hauptsache für erledigt erklärten Verfahrens gegen den Beklagten zu 1) entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten zu 1) die Kosten aufzuerlegen, da zum einen der Ablehnungsbescheid aufgrund der sachlichen Unzuständigkeit des Landratsamt voraussichtlich aufgehoben worden wäre und zum anderen der Beklagte zu 1) durch die Rücknahme des Bescheids nachgegeben hat, was einem Anerkenntnis gleichkommt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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