Baurecht

Heranziehung zu einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  M 28 S 17.2538

Datum:
9.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34077
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayKAG Art. 5a
BauGB § 133 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 § 133 Abs. 3 S. 1 BauGB erfordert keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn der Herstellungsarbeiten und dem Erlass des Vorausleistungsbescheides.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch wenn eine Erschließungsbeitragssatzung die Möglichkeit einräumt, Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge zu fordern, bedarf es zu ihrer Umsetzung eines dokumentierten „innerdienstlichen Ermessensaktes“. Ob dieser noch eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung ist oder schon in die Zuständigkeit des Gemeinderats fällt, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls.  (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. April 2017 in der Fassung des Bescheids vom 2. Mai 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.842,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag. Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 47/5 (nachfolgend stets: Gemarkung W. … … …*), S. 18, im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin.
Das Grundstück des Antragstellers grenzt weder unmittelbar an den S. noch unmittelbar an die W. an. Erschlossen wird es als Hinterliegergrundstück zu dem an der W. anliegenden Grundstück FlNr. 47/2, über das eine tatsächlich angelegte Zufahrt von der W. zum Grundstück des Antragstellers führt. Im Grundbuch des Grundstücks FlNr. 47/2 ist ein Geh- und Fahrtrecht für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 47/5 eingetragen.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. April 2017 (redaktionell hinsichtlich der Gemarkungsbezeichnung berichtigt mit Bescheid vom 2. Mai 2017) wurde von dem Antragsteller für das vorgenannte Grundstück zur Finanzierung der erstmaligen Herstellung der W. eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 15.369,11 € erhoben.
Gegen diesen Bescheid wurde mit anwaltlichem Schriftsatz vom 2. Mai 2017 Widerspruch erhoben, über den – soweit bekannt – noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig wurde die Aussetzung der Vollziehung beantragt.
Die Antragsgegnerin nahm mit Schreiben vom 9. Mai 2017 gegenüber dem Antragsteller zu dem Widerspruch Stellung und lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
Am 7. Juni 2017 beantragte die Antragstellerseite beim Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Vorausleistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 6. April 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Vorausleistungsbescheid sei rechtswidrig. Eine Vorausleistung könne in der Herstellungsalternative nur erhoben werden, wenn die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von 4 Jahren zu erwarten sei. Vorliegend hätten die Bauarbeiten an der Erschließungsanlage spätestens Anfang 2006 begonnen, dies bedeute, dass die Vierjahresfrist in jedem Fall abgelaufen sei und eine Vorausleistung nicht mehr erhoben werden könne.
Die Antragsgegnerin nahm mit Schriftsatz vom 4. Juli 2017 zu dem Antrag Stellung. Die Grundstücke im Gebiet des Bebauungsplans „S. …“ dienten einem Einheimischenmodell der Antragsgegnerin. Beim Verkauf der ersten Grundstücke durch die Gemeinde sei in den Kaufverträgen eine Ablösevereinbarung enthalten gewesen. Jedoch habe die seinerzeitige Erschließungsbeitragssatzung aus dem Jahr 1980 keine Bestimmung zur Ablösung von Erschließungsbeiträgen vorgesehen. Erst nach einer Satzung aus dem Jahr 2014 hätte eine Ablöse des Erschließungsbeitrags erfolgen können. Nach einem städtebaulichen Vertrag aus dem Jahr 2004 ende im Juni 2019 für die Gemeinde die Ankaufsoption für die im Bebauungsplangebiet liegenden Grundstücke. Die Gemeinde sei deshalb bemüht, die Erschließungsanlage innerhalb einer Frist von vier Jahren ab Erlass des Vorausleistungsbescheids fertigzustellen. Begonnen worden sei mit der Herstellung bereits im Jahr 2005.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Juli 2017 wurde die Antragstellerseite darauf hingewiesen, dass die in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannte Frist von vier Jahren nicht vor dem Zeitpunkt des Erlasses des Vorausleistungsbescheids beginne.
Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2017 ergänzte die Antragstellerseite die Antragsbegründung. Eine Erschließungsbeitragssatzung, auf deren Grundlage Vorausleistungen erhoben werden könnten, sei erst 2014 erlassen worden. Gegen die Vorausleistungserhebung werde der Einwand der Verwirkung erhoben. Niemand im Baugebiet habe mehr damit gerechnet, dass überhaupt Erschließungsbeiträge anfallen werden. Die Antragstellerseite sei stets davon ausgegangen, dass die Grundstücke im Rahmen des Einheimischenmodells so verkauft werden würden, dass die Neueigentümer die Erschließungsbeiträge wirtschaftlich tragen. So sei dies auch durch den früheren Bürgermeister kommuniziert worden. Die Auffassung, die Vier-Jahres-Frist erst mit Erlass des Vorausleistungsbescheids beginnen zu lassen, widerspreche Sinn und Zweck der Vorausleistungserhebung. Es könne nicht richtig sein, dass eine Gemeinde zwölf Jahre nach Baubeginn mit Vorausleistungsbescheiden Beiträge in einer Höhe festsetze, die wirtschaftlich von der Antragstellerseite nicht geschultert werden könnten. Auch liege eine prüfbare Vier-Jahres-Prognose überhaupt nicht vor, die bloße Behauptung der Fertigstellung genüge nicht.
Mit Schriftsatz vom 14. August 2017 nahm die Antragsgegnerin zur Anforderung von Unterlagen durch das Gericht Stellung. Sie führte u.a. aus: Die Gemeinde werde bis zum Jahr 2019 noch drei Baugrundstücke im Baugebiet erwerben. Bis spätestens 2021 werde die Erschließungsanlage erstmalig endgültig hergestellt sein.
Mit Schriftsatz vom 29. August 2017 beantragten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen, und führten mit weiterem Schriftsatz vom 19. September 2017 aus, dass der angefochtene Vorausleistungsbescheid bei der gebotenen summarischen Überprüfung rechtlich nicht zu beanstanden sei. Insbesondere sei das Recht der Antragsgegnerin, Vorausleistungen zu erheben, auch nicht verwirkt. Eine Verwirkung erfordere auch bei Vorausleistungen neben dem Zeitablauf auch ein Umstandsmoment. Hieran fehle es vorliegend. Die Antragsgegnerin habe zu keiner Zeit zu erkennen gegeben, dass sie Vorausleistungen nicht erheben würde. In den gesamten Verwaltungsakten gebe es hierfür keinen Anhaltspunkt. Es existierten auch keine entsprechenden Gemeinderatsbeschlüsse. Die gegnerische Behauptung, dass derartiges vom früheren Bürgermeister der Antragstellerseite gegenüber kommuniziert worden sei, müsse daher in Abrede gestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Anfechtungsklage anordnen oder wiederherstellen, wenn sie gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO kraft Gesetzes oder durch behördliche Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen ist. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt im vorliegenden Fall dem eingelegten Widerspruch kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu, weil mit dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin ein Erschließungsbeitrag, also eine öffentliche Abgabe, gefordert wird.
§ 80 Abs. 5 VwGO besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2007 – 19 CS 07.400 – juris Rn. 30; B.v. 6.2.1996 – 23 CS 94.3550 – juris Rn. 17) und ständiger Rechtsprechung der Kammer ist unter Berücksichtigung der für die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Bestimmung bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dann anzuordnen, wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte oder wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind dann anzunehmen, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids derart überwiegen, dass ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, kann und muss sich das Gericht – vor allem im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung – auf eine geringere Prüfungsdichte als im Klageverfahren beschränken (summarische Prüfung).
2. Zwar ergeben sich aus den von der Antragstellerseite im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich gerügten Aspekten keine ernstlichen Zweifel im vorgenannten Sinne (nachfolgend b)). Jedoch bestehen aus anderen Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids (nachfolgend c)).
a) Der Bescheid beruht auf Art. 5a BayKAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Antragsgegnerin vom 18. November 2014 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS).
Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht für bebaubare Grundstücke i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB i.V.m. § 10 EBS).
b) Der streitgegenständliche Bescheid steht hinsichtlich der von der Antragstellerseite im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich gerügten Aspekte mit diesen rechtlichen Vorgaben in Einklang.
aa) Die Antragsgegnerin ist rechtlich nicht gehindert, noch im Jahr 2017 eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „W.“ zu erheben, obwohl mit der Herstellung dieser Erschließungsanlage bereits im Jahr 2005 begonnen wurde.
Die in der Antragsschrift geäußerte Rechtsauffassung, die in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannte Frist von vier Jahren zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen knüpfe an den Zeitpunkt des Beginns der Herstellung an, wird nicht geteilt. Diese Frist beginnt vielmehr nicht vor dem Zeitpunkt des Erlasses des Vorausleistungsbescheids; es ist deshalb (unbeschadet einer möglichen Verwirkung der Vorausleistungserhebung, dazu sogleich unter cc)) rechtlich unbedenklich, wenn eine Gemeinde eine Vorausleistung – jedenfalls in der Herstellungsalternative wie hier – erst längere Zeit nach dem Beginn der Herstellung einer Erschließungsanlage fordert (ganz herrschende Auffassung: BayVGH, B.v. 14.8.2008 – 6 ZB 07.841 – juris Rn. 5 m.w.N.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 21 Rn. 26; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Juni 2017, Rn. 1422, 1426a; Hesse, Erschließungsbeitrag, Stand Januar 2017, § 133 BauGB Rn. 64)
bb) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids bestehen auch nicht im Hinblick auf die Voraussetzung, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
Die Absehbarkeit der endgültigen Herstellung verlangt sowohl für die Genehmigungs- als auch die Herstellungsalternative eine an der satzungsmäßigen Merkmalsregelung und dem einschlägigen Bauprogramm ausgerichtete Prognoseentscheidung der Gemeinde‚ die sich nicht auf das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht‚ sondern allein auf den Abschluss der kostenverursachenden Erschließungsmaßnahmen bezieht. Die Entscheidung darf dabei nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen‚ sondern muss auf einer nachvollziehbaren und nachprüfbaren Prognosegrundlage basieren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung des Vorausleistungsbescheids ist der Erlass der letzten Behördenentscheidung (BayVGH, U.v. 2.7.2015 – 6 B 13.1386 – juris Rn. 18 f.)
Vorliegend hat die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren schlüssig vorgetragen, dass im Jahr 2019 die ihr vertraglich eingeräumte Möglichkeit zum Erwerb der Grundstücke im Bebauungsplan- und Einheimischenmodellgebiet „S.“ endet, sie bis dahin noch Bauparzellen erwerben und weiterveräußern wolle. Ebenso schlüssig wurden die Planungen der Gemeinde zur Herstellung der Erschließungsanlage dargelegt, die bis spätestens 2021 abgeschlossen werden soll. Anhaltspunkte dafür, dass der Verwirklichung dieser Prognose rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen könnten, wurden weder von der Antragstellerseite ausdrücklich benannt, noch sind solche Anhaltspunkte dem Gericht ersichtlich.
cc) Die Vorausleistungserhebung durch die Antragsgegnerin ist auch nicht verwirkt.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat und das verspätete Geltendmachen gegen Treu und Glauben verstößt. Außerdem muss die Gemeinde durch ein positives Verhalten gegenüber dem Beitragspflichtigen zum Ausdruck gebracht haben, dass er den Beitrag nicht mehr schulde oder mit seiner Heranziehung nicht mehr zu rechnen brauche (sog. Umstandsmoment). Allein der bloße Zeitablauf oder ein bloßes Untätigsein, wie das Nichterhebung von Beiträgen, reicht hierfür nicht aus (BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 15; B.v. 12.2.2004 – 6 CS 03.2960 – juris Rn. 19 ff. jeweils m.w.N.).
Besondere Umstände im Sinne dieses Umstandsmoments, die ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerseite darauf begründen könnten, dass die Antragsgegnerin keine Vorausleistungen mehr erhebt oder gar den Erschließungsbeitrag ihr gegenüber nicht (mehr) geltend machen werde, wurden von der Antragstellerseite weder substantiiert geltend gemacht, noch sind sie dem Gericht aus den im vorliegenden Verfahren zugänglich gemachten Unterlagen erkennbar. Bereits die Darstellung in der Antragsbegründung, erst auf der Grundlage der 2014 erlassenen Erschließungsbeitragssatzung der Antragsgegnerin und mithin neun Jahre nach Baubeginn hätten überhaupt Vorausleistungen erhoben werden können, trifft nicht zu. Bereits die frühere Erschließungsbeitragssatzung aus dem Jahr 1980 sah die Möglichkeit vor, Vorausleistungen zu erheben, mithin war auch schon im Zeitpunkt des Baubeginns (auf den es rechtlich allerdings nicht ankommen dürfte) nach Satzungslage die Möglichkeit der Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag erkennbar. Nicht geregelt war darin allerdings – und gerade – die Möglichkeit, einen Erschließungsbeitrag vor Entstehung der Beitragspflicht abzulösen, weshalb, wie die Antragsgegnerin auch selbst darstellt, die mit den ersten Grundstückserwerbern des Einheimischenmodells getroffenen Ablösungsvereinbarungen unwirksam waren. Es kann unterstellt werden, dass die Antragstellerseite als unmittelbare Nachbarn des Einheimischenmodellgebiets von dieser ursprünglichen, aber aufgegebenen Absicht der Antragsgegnerin Kenntnis hatten, möglicherweise auch – wie von Antragstellerseite behauptet, von der Antragsgegnerin aber bestritten – durch mündliche Äußerungen von Angehörigen der Gemeindeverwaltung. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerseite konnte sich aber – unbeschadet der Tatsache, dass die objektive und für die Gemeindebürger erkennbare Satzungslage diese Ablösung eben gerade nicht ermöglichte – aus einer derart lediglich begonnenen und sodann abgebrochenen sowie allenfalls formlos kommunizierten gemeindlichen Praxis nicht ergeben. Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass in den seitens des Gerichts angeforderten Gemeinderatsbeschlüssen zur Entwicklung, Überplanung, Erschließung und Vermarktung des Baugebiets „S.“ keine entsprechende Aussage dokumentiert ist.
c) Jedoch bestehen aus anderen Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids.
aa) Die Antragsgegnerin hat es versäumt, vor Erlass des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheids eine Entscheidung des Gemeinderats über die Vorausleistungserhebung herbeizuführen.
Den Gemeinden ist durch das Gesetz und § 10 EBS lediglich die Möglichkeit eröffnet, Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge zu fordern. Ob eine Gemeinde hiervon Gebrauch machen will oder nicht, liegt in ihrem Ermessen. Erforderlich ist insoweit ein sog. „innerdienstlicher Ermessensakt“, der – wenn auch nicht in den jeweiligen Vorausleistungsbescheiden – zumindest eindeutig in Vermerken, Niederschriften oder Abrechnungsunterlagen dokumentiert sein muss (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Juni 2017, Rn. 1410 m.w.N.). Ob dieser „innerdienstliche Ermessensakt“ ein Geschäft der laufenden Verwaltung darstellt oder er generell in die Zuständigkeit des Gemeinderats (oder eines beschließenden Ausschusses) fällt oder ob nach der Größe der betreffenden Gemeinde zu differenzieren ist, ist nicht unumstritten; gute Argumente sprechen für letztere, differenzierende Auffassung, die bei der Größe der Antragsgegnerin (ca. 1.300 Einwohner) eine Befassung des Gemeinderats erfordern würde (vgl. zum Streitstand: Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1410, 520 m.w.N.). Vor allem aber bestehen vorliegend Besonderheiten des konkreten Einzelfalls, die der Annahme eines Geschäfts der laufenden Verwaltung entgegenstehen: Mit den Baumaßnahmen an der Erschließungsanlage wurde bereits im Jahr 2005 begonnen. Die Erhebung von Vorausleistungen erfolgte rund 12 Jahre danach, ohne dass im zeitlichen Zusammenhang mit der (erstmaligen) Vorausleistungserhebung aktuell weitere von der Antragsgegnerin vorzufinanzierende Baumaßnahmen veranlasst worden wären. Die Fertigstellung der Erschließungsanlage soll nach den bisherigen schriftsätzlichen Äußerungen der Antragsgegnerin zwischen 2019 und 2021 erfolgen. Diese – wenngleich wie oben dargelegt grundsätzlich rechtmäßige – zeitliche Abfolge unterscheidet sich sachlich derart gravierend und augenfällig vom üblichen Ablauf gemeindlicher Erschließungsmaßnahmen, dass nicht mehr von einer in mehr oder minder regelmäßiger Wiederkehr anfallenden und damit i.S.v. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO „laufenden Angelegenheit“ gesprochen werden kann.
Nachdem vorliegend vor dem Erlass des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheids keine Beratung und Beschlussfassung des Gemeinderats (oder eines beschließenden Ausschusses) der Antragsgegnerin erfolgte, bestehen ernstliche Zweifel hinsichtlich der Einhaltung der formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des streitgegenständlichen Bescheids. Angemerkt sei im Übrigen lediglich noch, dass sich den von der Antragsgegnerin überlassenen Unterlagen auch keine Dokumentation des „innerdienstlichen Ermessensakts“ durch die Verwaltung entnehmen lässt.
Zur Vermeidung von Missverständnissen oder einer nicht gerechtfertigten Erwartungshaltung wird die Antragstellerseite indes ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der eben genannte formelle Verstoß grundsätzlich heilbar ist. Aus sämtlichen bisherigen Ausführungen des Gerichts ergibt sich, dass derzeit kein rechtlicher Grund erkennbar ist, der die Antragsgegnerin dauerhaft hindern könnte, zu gegebener Zeit für die erstmalige und endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „W.“ von den Eigentümern der von dieser Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke rechtmäßig Erschließungsbeiträge zu erheben.
bb) Es bestehen ferner ernstliche Zweifel daran, ob die Grundstücke FlNrn. 47 (im Bereich des bestehenden Anwesens S. 22), 47/2 und 47/5, zu denen auch das Grundstück der Antragstellerseite zählt, durch die Erschließungsanlage „W.“ i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen sein werden. Hierfür müssten diese Grundstücke, nachdem sie nicht vom Geltungsbereich des Bebauungsplans „S.“ erfasst werden, prognostisch gesehen im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten dieser Erschließungsanlage (vgl. BVerwG U.v. 5.5.2015 – 9 C 14/14 – juris Rn. 22) dem bauplanungsrechtlich unbeplanten Innenbereich i.S.v. § 34 BauGB zuzuordnen sein:
Gemessen an der im April 2017 tatsächlich vorhandenen Bebauung im fraglichen Umfeld (wobei im vorliegenden Eilverfahren allein eine summarische Bewertung nach Aktenlage, insbesondere den dem Gericht vorliegenden Luftbildern und Lageplänen möglich ist) besteht ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil einzeilig beidseits der Straße I. sowie südlich der Kreuzung der Straßen I.A. mit dem S. jedenfalls auf der Nordostseite der A. Bereits fraglich erscheint, ob durch die nicht vorhandene Bebauung zwischen den Gebäuden auf den FlNrn. 37 und 38 und einem insoweit zwischen den Baukörpern bestehenden Abstand von rund 100 Metern im fraglichen Bereich auch südwestlich der A. noch ein Bebauungszusammenhang besteht oder ob die Grundstücke FlNrn. 38/1 und 38/2 bereits dem Außenbereich zuzurechnen sind. Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist dabei nach allgemeiner Auffassung, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Selbst wenn man dies im Bereich zwischen den FlNrn. 37 und 38 noch bejahen sollte, wird dieser Bebauungszusammenhang südwestlich der Straßen I. und A. jedenfalls allein durch eine einzeilig straßenbegleitende Bebauung geprägt.
Die (zunächst allein) entlang der Westseite des S. auf den Grundstücken FlNrn. 47/5 und 47/2 bestehende Bebauung stellt wohl keine zwanglose Fortsetzung des beschriebenen Bebauungszusammenhangs dar, der mit diesem den Eindruck der Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit erwecken könnte. Neben der spornartigen, nicht organischen Entwicklung dieser Bebauung in die freie Flur hinein ist insoweit vor allem die mangels Bebauung östlich des – wegen seiner geringen Breite sicherlich nicht trennenden – S. fehlende Anbindung an den ohnehin wie dargelegt möglicherweise unterbrochenen Bebauungszusammenhang südöstlich des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. 36 zu betonen. Auch die bislang nur sehr gering und auch noch beidseits der W. auf den FlNrn. 47/7, /8, /9 vorhandene Bebauung im Bereich des Bebauungsplans „S.“ erscheint (noch) nicht geeignet, eine Verklammerung dieser Bebauung mit dem Ortsteil entlang der Straße I. zu bewirken. Die am S. und der W. bislang tatsächlich vorhandene Bebauung stellt sich damit nach vorläufiger Bewertung nicht als Fortsetzung des oben beschriebenen im Zusammenhang bebauten Ortsteils dar.
Der entlang des S. und der W. vorhandenen Bebauung kommt – jedenfalls bislang – aber auch nicht isoliert hiervon die Eigenschaft eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zu, selbst wenn die Anzahl von 11 – 12 zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Gebäuden insoweit grundsätzlich ein ausreichendes Gewicht besitzen könnte. Entscheidend hierfür erscheint, dass die entlang der W. vorhandene Bebauung einerseits und die sich entlang des S. ab dem Anwesen S. 22 in Richtung Südwesten entwickelnde Bebauung andererseits optisch eher regellos gleichsam in unterschiedliche Richtungen „auseinanderstrebt“ und damit gerade nicht als Ausprägung einer organischen Siedlungsstruktur in einer städtebaulichen Einheit angesehen werden kann. Ob und ggf. inwieweit sich dieser Eindruck durch die topographische Höhenentwicklung sogar noch verstärken könnte, worauf einzelne dem Gericht vorliegende Lichtbilder hindeuten, ließe sich nur durch einen Augenschein klären. Diese Bebauung stellt damit aber deutlich eher zwei nicht zusammenhängende Bebauungssplitter als einen eigenständigen im Zusammenhang bebauten Ortsteil dar.
Auch bei gebotener prognostischer Berücksichtigung der weiteren tatsächlichen baulichen (und möglicherweise auch bauplanungsrechtlichen) Fortentwicklung im fraglichen Bereich bestehen – unbeschadet der Notwendigkeit, die konkreten Verhältnisse für eine abschließende Entscheidung vor Ort in Augenschein zu nehmen – ernstliche Zweifel daran, ob die Grundstücke FlNrn. 47 (im Bereich des bestehenden Anwesens S. 22), 47/2 und 47/5 im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten durch die Erschließungsanlage „W.“ i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen sein werden:
Zwar erscheint es durchaus möglich, dass jedenfalls die Grundstücke FlNrn. 47/2 und 47/5 im Fall einer Verwirklichung der durch den Bebauungsplan „S.“ nordöstlich der W. auf den FlNrn. 47/11 bis 47/15 vorgesehenen Bebauung dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich zuzurechnen sein werden, weil diese Bauzeile dann geeignet erscheint, auch die bestehende Bebauung auf den Grundstücken FlNrn. 47/2, /5 und /9 mit dem eingangs beschriebenen Bebauungszusammenhang zu „verklammern“. Auch die bauplanungsrechtliche Bewertung des an der Erschließungsanlage „W.“ anliegenden Anwesens S. 22 auf FlNr. 47 bedarf dann einer bauplanungsrechtlichen Neubewertung.
Die – soweit sie dem Gericht bekannt ist – bisherige Entwicklung der Bebauung im Bebauungsplangebiet „S.“ lässt es jedoch nicht zu, diese Möglichkeit eines „Hineinwachsens“ der Grundstücke FlNrn. 47/2 und 47/5 sowie ggf. auch FlNr. 47 (S. 22) bereits prognostisch der vorliegenden Entscheidung zu Grunde zu legen. Maßgeblich ist hierfür, dass trotz des Erlasses des Bebauungsplans „S.“ bereits im Jahr 2005 in den vergangenen zwölf Jahren wohl erst drei von zwölf Bauparzellen entlang der W. tatsächlich bebaut wurden. Damit fehlt es bei summarischer Bewertung bislang an hinreichenden Anhaltspunkten, um bis zum Zeitpunkt der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage schon eine Innenbereichslage der genannten Grundstücke prognostizieren zu können.
Dem Antrag war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs (1/4 des Hauptsachestreitwerts).


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