Baurecht

Interessenabwägung im Rahmen eines Abänderungsverfahrens

Aktenzeichen  M 1 S7 20.5463

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29616
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Ziffer I des Beschlusses vom 29. September 2020 im Verfahren Az. M 1 SN 20.3658 wird wie folgt ergänzt:
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfasst nicht den Abtransport der drei Haufwerke, die als graue Flächen auf dem Plan „Kiesabbaugebiet, Abbauzustand zum 9. Oktober 2020“ vom 12. Oktober 2020, vorgelegt als Anlage STK 7, dargestellt sind. Die Abfuhr des als „Sand 0/9“, „FSK 0/63“ und „Riesel 16/32“ bezeichneten Materials darf die im Plan dargestellten jeweils untersten Höhenkoten nicht unterschreiten. Der Abtransport darf nur in der Zeit von werktags 8:00 bis 15:00 Uhr ohne Einsatz künstlichen Lichts auf dem Grundstück FlNr. 2190 Gem. … erfolgen.
II. Die Kosten des Abänderungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Im Verfahren M 1 SN 20.3658 hat das Gericht mit Beschluss vom 29. September 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage (M 1 K 20.3474) des Antragstellers, eines anerkannten Umweltverbands, gegen die Abgrabungsgenehmigung des Landratsamts … vom 18. Juni 2020 für die Errichtung einer Kiesgrube und Wiederverfüllung in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 24. Juli 2020 angeordnet.
Zu den Einzelheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 29. September 2020 Bezug genommen.
Die Beigeladene, zu deren Gunsten die Abbaugenehmigung ergangen war, regte zuletzt mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 an, den Beschluss dahingehend zu ändern, dass der Abtransport des bisher abgegrabenen Materials (Haufwerke) bei Tageslicht und ohne Einsatz künstlicher Lichtquellen gestattet wird. Hierzu wird ein Lageplan von Dipl.-Ing. (FH) … H* … vom 12. Oktober 2020 als Anlage STK 7 vorgelegt, der den Abbauzustand des Kiesabbaugebietes zum 9. Oktober 2020 wiedergibt. Dargestellt sind drei Haufwerke, jeweils mit Höhenlinien vermaßt; dabei handelt es sich um 263 m³ Sand 0/9, um 547 m³ FSK 0/63 und um 133 m³ Riesel 16/32. Hierzu trägt die Beigeladene vor, dass sie auf mehreren Baustellen Kiesmaterial benötige, was mit immensen Mehrkosten, etwa für den Transport und den Einkauf verbunden sei. Diese Kosten seien nicht einkalkuliert und stellten sie vor betriebliche Probleme.
Die Antragspartei wendet sich unter dem 7. Oktober 2020 sowie mit Schriftsätzen vom 23. und 26. Oktober 2020 gegen eine Änderung des Beschlusses. Es sei rechtlich nicht relevant, ob und in welchem Umfang Schutzgüter durch den Abtransport tangiert seien; eine Betroffenheit liege ohnehin vor. Ein Abtransport sei rechtlich nicht möglich, weil die aufschiebende Wirkung des gerichtlichen Beschlusses auch den Abtransport umfasste. Die Beigeladene habe auf eigenes Risiko mit einer rechtswidrigen und nicht rechtskräftigen Abbaugenehmigung den Kiesabbau vorangetrieben. Es seien allenfalls Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen für Menschen oder andere Rechtsgüter zulässig. Nicht aber sei es nach Eintritt des Suspensiveffekts erlaubt, die Zulassungsentscheidung weiter auszunutzen. Der Abtransport wäre nichts anderes als ein durch die Hintertür zugelassener Vollzug der Abgrabungsgenehmigung. Effektiver Rechtsschutz und der Eilbeschluss wären damit entwertet. Eine Abänderung würde die Effizienz der gesetzlichen Regelung des § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO konterkarieren, zumal die aufschiebende Wirkung umfassend angeordnet worden sei. Die behaupteten wirtschaftlichen Nachteile seien nicht von Relevanz. Schützenswerte wirtschaftliche Belange der Beigeladenen seien nicht ersichtlich, da die Beigeladene die begehrten Früchte – Haufwerke – nur unter Ausnutzung einer rechtswidrigen Abgrabungsgenehmigung generiert habe. Es treffe daher nicht zu, dass Interessen am Weiterbetrieb zumindest dann überwögen, wenn zulasten des Dritten keine vollendeten, irreversiblen Tatsachen herbeigeführt würden. Es sei nicht absehbar, ob die materiellen Fehler der Genehmigung heilbar seien. Es sei gegebenenfalls seitens des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu überprüfen, ob die Abgrabungsgenehmigung wie dargelegt an noch weiteren Fehlern leide. Die Beigeladene habe überdies keine belastbaren Belege, etwa in Form von Kostenaufstellungen, dafür vorgelegt, welche wirtschaftlichen Folgen der Stopp des Kiesabbaus für sie tatsächlich habe und daher die Dringlichkeit nicht glaubhaft gemacht. Im Übrigen sei es eine zwangsläufige und hinnehmbare Folge des Abbaustopps, dass Kies auf den Baustellen sparsamer eingesetzt werde. Ferner gebe es weitere Kiesgruben, auch eine weitere der Beigeladenen selbst, auf die sie zurückgreifen könne.
Der Antragsgegner befürwortet mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 eine Änderung im Sinne der Beigeladenen.
II.
Das Gericht sieht sich zu einer Änderung des Beschlusses vom 29. September 2020 im tenorierten Umfang veranlasst, die der Beigeladenen den Abtransport der Haufwerke ermöglicht.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Dies gilt nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO auch bei einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Im Abänderungsverfahren wird die Fortdauer der im Anordnungsverfahren getroffenen Entscheidung geprüft, nicht deren ursprüngliche Richtigkeit. Ein Anspruch eines Beteiligten hierauf besteht, anders als bei Vorliegen veränderter Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht.
1. § 80 Abs. 7 Satz 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit der „jederzeitigen“ Änderung seiner ursprünglichen Entscheidung. Die Änderung von Amts wegen ist jedoch nicht völlig in das Belieben des Gerichts gestellt. Im Hinblick darauf, dass der Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO eine – wenn auch begrenzte – Rechtskraft hat und als Vollstreckungstitel dienen kann, also einer gewissen „inneren Festigkeit“ bedarf, kommt eine Abänderung von Amts wegen nur dann in Betracht, wenn etwa die Rechtslage jetzt anders beurteilt wird oder die Interessenabwägung korrekturbedürftig erscheint, etwa weil dem Gericht Umstände bekannt werden, die ihm vor Erlass der ursprünglichen Entscheidung nicht bekannt waren (vgl. BVerwG, B.v. 25.4.1985 – 4 C 13/85 – juris Rn. 9 – zu § 80 Abs. 6 a.F.; HessVGH, B.v. 12.6.1996 – 10 Q 1293/95 – juris Rn. 2).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Anlass der gerichtlichen Entscheidung, den Beschluss abzuändern, ist der Vortrag des Beigeladenen, dass auf dem Vorhabengrundstück bereits abgegrabene Haufwerke bestehen, aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein Interesse an deren Abtransport vorliege und diese Haufwerke durch Vorlage eines Plans hinreichend bestimmt sind.
2. Die Interessenabwägung, die die Kammer im Rahmen des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO vorzunehmen hat, fällt zugunsten des Antragsgegners und der Beigeladenen aus. Es überwiegt das Interesse der Beigeladenen, von einem Teil der Abgrabungsgenehmigung Gebrauch machen zu dürfen und die bereits geförderten Haufwerke abzutransportieren, das Interesse der Antragspartei, dass die aufschiebende Wirkung weiterhin die gesamte Abgrabungsgenehmigung umfasst. Das Gericht sieht weder ein öffentliches Interesse noch eines der Antragspartei als gegeben, dass die aufschiebende Wirkung umfassend bis zur Entscheidung in der Hauptsache bestehen bleibt und dass die Haufwerke einstweilen an ihrem Standort verbleiben.
Die Beigeladene vermag sich im Rahmen der Interessenabwägung zu Recht auf betriebswirtschaftliche Gründe berufen. Für die Kammer ist es nachvollziehbar, dass die Beigeladene durch Unterbleiben des Abtransports einen wirtschaftlichen Schaden erleidet. Einer Darlegung der Unausweichlichkeit, einer genauen Bezifferung oder einer weitergehenden Glaubhaftmachung des Schadens bedarf es nicht.
Zwar hätte zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Klage gegen die Abgrabungsgenehmigung in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg. Denn wie im Beschluss vom 29. September 2020 dargelegt bestehen rechtliche Bedenken im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Grundwassers und etwaigen geschützten Feldgehölzen sowie Beeinträchtigungen durch Lichtemissionen. Dabei umfasst die Genehmigung auch den Abtransport des abgebauten Materials und war von der stattgebenden Entscheidung, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, umfasst. Es besteht zwar grundsätzlich weder ein öffentliches Interesse noch ein Interesse der Antragspartei daran, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt vollzogen wird. Dennoch ist hier das Interesse der Beigeladenen, von einem Teil der Abgrabungsgenehmigung wieder Gebrauch machen zu dürfen, als überwiegend zu beurteilen. Denn das Gericht hält es in Hinblick darauf, dass der Vorgang des Abtransports von dem des eigentlichen Abbaus trennbar ist, für vertretbar, zwischen diesen Vorgängen zu differenzieren. Durch die Änderungsentscheidung im tenorierten Umfang wird in Hinblick auf einen Teil der Genehmigung, der die Abfuhr betrifft, von der aufschiebenden Wirkung Abstand genommen und die Vollziehbarkeit wiederhergestellt. Hinsichtlich dieses Teils wird den rechtlichen Bedenken, die das Gericht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung bewog, durch den Tenor hinreichend Rechnung getragen.
Bei den Haufwerken handelt es sich nicht um natürlichen Boden, sondern um künstlich geschaffene Aufschüttungen, vergleichbar einem Lagerplatz. Zugelassen ist ausschließlich deren Abtransport; eine weitere Abgrabung, die zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere Beeinträchtigungen des Grundwassers nicht ausschließt, darf nicht stattfinden. Dies sichert die tenorierte Beschränkung, dass der Abtransport die im Plan vom 12. Oktober 2020 angegebenen Höhenkoten nicht unterschreiten darf. Durch den Abtransport des bereits geförderten Materials werden die vom Gericht als möglicherweise beeinträchtigt erachteten Schutzgüter des Grundwassers sowie etwaiger Gehölze mit hinreichender Sicherheit nicht berührt. Die weitere Auflage, dass der Abtransport nur zwischen 8:00 und 15:00 Uhr sowie ohne Verwendung künstlicher Lichtquellen durchzuführen ist, sichert zudem, dass keine Lichtemissionen durch den Vorgang erzeugt werden.
Soweit die Antragspartei darauf hinweist, dass es der Beigeladenen nicht zustehe, die Früchte der rechtswidrigen Abbaugenehmigung zu ernten, die ihrerseits also rechtswidrig erlangt seien, verfängt diese Überlegung nicht. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung hat keinen pönalen Charakter. Hierzu ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Beigeladene bei Förderung des Materiales von der ihr erteilten und vollziehbaren Genehmigung Gebrauch machte, derentwegen der Gesetzgeber vorsieht, dass die Anfechtungsklage eines Dritten keine aufschiebende Wirkung hat (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayAbgrG). Entscheidende Erwägung ist, dass der Abtransport die möglicherweise beeinträchtigten Schutzgüter ersichtlich nicht berührt.
3. Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO, wobei die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeit der Antragspartei auferlegt werden (§ 162 Abs. 3 VwGO).
4. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt nach § 52 Abs. 2, Abs. 1 GKG in Verbindung mit 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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