Baurecht

Isolierte Befreiung, Nebengebäude, Grundzüge der Planung

Aktenzeichen  1 ZB 21.2873

Datum:
15.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6529
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 63 Abs. 3 S. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 14 Abs. 1 S. 1 und 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 K 19.510 2021-05-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger begehren die Erteilung einer isolierten Befreiung für die Errichtung eines Gerätehauses auf ihrem Grundstück.
Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des am 28. Juni 2012 bekannt gemachten Bebauungsplans Nr. …S. der Beklagten, der entlang der öffentlichen Straßen für die Baugrundstücke eine fünf Meter tiefe Vorgartenzone vorsieht (Festsetzung A.8.4). Die Kläger haben auf dem Baugrundstück nach Inkrafttreten des Bebauungsplans ein Wohnhaus mit einer daran angebauten Garage errichtet. Bei einer Baukontrolle im Jahr 2018 wurde festgestellt, dass in der Vorgartenzone ohne Genehmigung ein Nebengebäude errichtet worden war. Mit Bescheid vom 4. Januar 2019 lehnte die Beklagte den nachträglich gestellten Antrag der Kläger auf Erteilung einer isolierten Befreiung von der Festsetzung A.8.4 für den „Neubau eines Funktionsgebäudes zur Aufnahme der Wärmepumpe, Mülltonnen und Fahrräder“ ab. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Mai 2021 abgewiesen. Die Festsetzung der Vorgartenzone sei wirksam und auch nicht nachträglich funktionslos geworden. Die Erteilung einer Befreiung komme nicht in Betracht, da durch das Vorhaben, das vollständig in der Vorgartenzone liege, die Grundzüge der Planung berührt würden.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2019 rechtmäßig ist.
Unabhängig von der Frage der ausreichenden Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vermag das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts zu begründen, dass die Festsetzung der Vorgartenzone im Bebauungsplan Nr. …S. im Bereich des Vorhabenstandorts nicht funktionslos geworden ist. Für ihre gegenteilige Auffassung nehmen die Kläger auf die Situation auf den Grundstücken G. Straße …  und … Bezug sowie auf zahlreiche Grundstücke, die sich in der näheren Umgebung des Bebauungsplangebiets befinden.
Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – BVerwGE 54, 5). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Eine Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit gesprochen werden (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1998 – 4 CN 3.97 – BVerwGE 108, 71; B.v. 17.2.1997 – 4 B 16.97 – NVwZ-RR 1997, 512; BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – BayVBl 2019, 23).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Festsetzung des Vorgartenbereichs nicht funktionslos geworden. Für die Prüfung der Frage der Funktionslosigkeit der Festsetzung eines Bebauungsplans kommt es ausschließlich auf den Geltungsbereich des Bebauungsplans an. Grundstücke außerhalb dieses Bereichs können nicht berücksichtigt werden, da sie für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung im Plangebiet nicht relevant sind. Aus dem vorgelegten Plan in den Bauakten, der den Geltungsbereich des Bebauungsplans bildlich aufzeigt, sowie den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Ortsbesichtigung wird deutlich, dass die tatsächliche Bebauung die Vorgartenbereiche im Wesentlichen ausnimmt. Die von den Klägern angeführte teilweise Versiegelung der Vorgartenzone auf den Grundstücken G. Straße …  und … fällt angesichts der Größe des Plangebiets und der Gesamtlänge der Vorgartenzone bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung dagegen nicht ins Gewicht. In Anbetracht der Anzahl und des Umfangs der Abweichungen hat die Festsetzung ihre städtebauliche Gestaltungsfunktion nicht verloren. Mit ihr kann weiterhin das Ziel verfolgt werden, keine (weiteren) baulichen Anlagen in den Vorgartenbereichen zuzulassen.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Die von den Klägern aufgeworfenen Fragen können ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden. Allein die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Kläger genügt nicht für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2018 – 9 ZB 16.1068 – juris Rn. 14).
Soweit die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend machen, fehlen bereits jegliche Ausführungen.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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