Aktenzeichen 9 ZB 19.2503
Leitsatz
Verfahrensgang
AN 17 K 18.793 2019-11-19 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die mit Bescheid des Beklagten vom 19. April 2018 ausgesprochene Versagung einer isolierten Befreiung hinsichtlich eines an der Grenze seines Grundstücks FNr. … Gemarkung W. … zur V. … Straße hin errichteten Erdwalls. Er begehrt außerdem die gerichtliche Feststellung, dass der Bebauungsplan Nr. 3 „… Straße“ des Beklagten hinsichtlich seiner Nr. 5 funktionslos geworden sei, hilfsweise verfolgt er die Verpflichtung des Beklagten, die beantragte isolierte Befreiung zu erteilen. Nach der Festsetzung Nr. 5 des geltenden Bebauungsplans dürfen Einfriedungen entlang öffentlicher Verkehrsflächen den Fahrbahnrand um nicht mehr als einen Meter überragen. Das gleiche gilt für Hecken, Sträucher und Gegenstände aller Art entlang der Einfriedungen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 19. November 2019 ab. Für die Errichtung des zwischen 1,47 m und 1,68 m hohen Erdwalls entlang der V. … Straße sei die Erteilung einer isolierten Befreiung erforderlich, da er den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3 unter seiner Nr. 5 widerspreche. Der Erdwall stelle eine Einfriedung dar und die fragliche Festsetzung des Bebauungsplans sei nach den Ergebnissen des Augenscheins sowie dem Vortrag der Beteiligten trotz vielfältiger Verstöße nicht funktionslos geworden. Eine isolierte Befreiung könne vom Kläger nicht beansprucht werden, weil seine Aufschüttung gegen die Grundzüge der Planung verstoße. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
1. Das Verwaltungsgericht hat den streitgegenständlichen Erdwall, der auf einer Länge von etwa 21,5 m entlang der Grenze des klägerischen Grundstücks zur V. … Straße hin und, im Westen abknickend, noch etwa 10 m entlang der südlichen Grundstücksgrenze verläuft, zutreffend als Einfriedung im Sinne des Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO angesehen.
Ausgehend davon, dass eine Einfriedung jede Anlage ist, die ein Grundstück oder Teile davon ganz oder teilweise nach außen abschirmt, sei es zur Sicherung gegen unbefugtes Betreten, sei es zum Zwecke der Abwehr von Witterungs- oder Immissionseinflüssen (z.B. Lärm, Wind, Straßenschmutz) oder sei es zur Verhinderung der Einsicht (vgl. BayVGH, U.v. 28.12.2015 – 1 B 15.2094 – juris Rn. 15 m.w.N.; Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand September 2021, Art. 57 Rn. 217), hat das Verwaltungsgericht hier darauf abgestellt, dass der Erdwall an Stelle der ursprünglich mit dem Hausbauvorhaben beantragten, jedoch nicht genehmigten Sichtschutzmauer errichtet wurde und ersichtlich die Funktion erfüllt, sowohl vor Lärmimmissionen als auch vor Einsichtnahmen, insbesondere in den Terrassen- und Aufenthaltsbereich im Garten, zu schützen. Seine plausible Einschätzung wird durch den Vortrag des Klägers, es liege hier eine Aufschüttung vor, die aufgrund ihrer Höhe und Böschungsneigung ohne große Anstrengung überwunden werden könne und zudem keinen durchgängigen Sichtschutz biete, nicht in Frage gestellt. Nichts Anderes gilt, soweit der Kläger auf die vom Erdwall eingenommene „untergeordnete Länge der Grundstücksgrenze“ und seine Unterbrechung für einen Durchgang zum Nachbargrundstück hinweist. Einfriedungen sind in aller Regel mehr oder weniger leicht überwindbar und der verfolgte Abwehrzweck, dessen Schwerpunkt nicht die Sicherung gegen unbefugtes Betreten sein muss, kann auch nur Teile der Grundstücksgrenzen betreffen (vgl. BayVGH, U.v. 22.2.2000 – 2 B 94.2587 – juris Rn. 19 ff.; VGH BW, U.v. 18.12.1995 – 3 S 1298/94 – juris Rn. 33).
2. Das Verwaltungsgericht hat ferner angenommen, dass für die Errichtung des Erdwalls eine isolierte Befreiung nach Art. 63 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich ist, weil er der Festsetzung Nr. 5 des Bebauungsplans Nr. 3 „… … … Straße“ widerspricht und diese Regelung nicht funktionslos geworden ist. Dies ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ebenfalls nicht ernstlich zweifelhaft.
Die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans setzt voraus, dass die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die bauplanerische Festsetzung bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 9 ZB 20.12 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat diesen Maßstab zugrunde gelegt. Es hat danach festgestellt, dass im Plangebiet zwar zahlreich und flächendeckend – zum Teil auch offenkundige – Verstöße gegen Nr. 5 des geltenden Bebauungsplans festzustellen seien. Es überwögen dabei zu hoch gewachsene Hecken und Büsche, in einigen Fällen seien aber auch Einfriedungsbauwerke zu hoch errichtet. Die tatsächlichen Verhältnisse seien jedoch nicht dergestalt, dass sie die Verwirklichung der Planziele und -festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließen würden und dies für die Planbetroffenen offenkundig sei. Überwiegend plankonforme Zustände könnten bereits dadurch wiederhergestellt werden, dass gegen die Höhe des unter die Festsetzungswirkung von Nr. 5 des Bebauungsplans fallenden Pflanzenbewuchses vorgegangen werde. Bauaufsichtliche Maßnahmen seien auch in Bezug auf massivere Einfriedungen ohne größere Einbußen in vorhandene Bausubstanz verhältnismäßig möglich. Der Beklagte sei zudem nicht gewillt, die vorhandenen Zustände zukünftig hinzunehmen, sondern diskutiere entsprechende Schritte. Eine Änderung der Planfestsetzung werde allenfalls hinsichtlich einer geringfügigen Anhebung der Einfriedungshöhe um 30 cm angedacht.
Diese Beurteilung zieht der Kläger mit seinem Einwand, die Wuchshöhe der vorhandenen Bepflanzungen belege, dass der Beklagte keinen Wert auf die Einhaltung der Festsetzung unter Nr. 5 im Sinne einer städtebaulichen Ordnung gelegt habe, worauf die Planbetroffenen auch hätten vertrauen dürfen, nicht in Zweifel. Gleiches gilt, soweit er einen Rückschnitt der Hecken- und Baumpflanzen u.a. aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht ohne weiteres für möglich hält und ausführt, der Beklagte habe derartige Rückbauanordnungen auch nicht in Aussicht gestellt. Denn damit ist – auch im Hinblick darauf, dass die Anforderungen an das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit als streng anzusehen sind und hinsichtlich einer solchen Feststellung große Zurückhaltung geboten ist (vgl. BayVGH, U.v. 27.5.2020 – 1 B 19.544 – juris Rn. 18) – ein offenkundig fortbestehender Verlust der städtebaulichen Steuerungsfähigkeit durch die Festsetzung Nr. 5 nicht substantiiert dargelegt. Die Annahme der Funktionslosigkeit muss auf einer erkennbar dauerhaften Änderung der faktischen Umstände im Widerspruch zu den Planfestsetzungen basieren, wobei die Erkennbarkeit der Abweichung einen Grad erreicht haben muss, der eine Verwirklichung der Festsetzung realistischerweise nicht mehr erwarten lässt und deshalb einem in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung u.a. der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibilität der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse. (vgl. BayVGH, U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 13 m.w.N.). Das Zulassungsvorbringen, mit dem letztlich nur angezweifelt wird, dass plankonforme Zustände, soweit sie im Plangebiet nicht bestehen, von der Beklagten zukünftig herbeigeführt werden (können), wird dem nicht gerecht.
3. Dem Kläger kann auch nicht darin gefolgt werden, dass das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung der beantragten isolierten Befreiung zu Unrecht mit der Begründung entgegenstehender Grundzüge der Planung verneint hat (vgl. § 31 Abs. 2 BauGB).
Das Verwaltungsgericht hat einen primär auf die Verkehrssicherheit durch Verhinderung von Sichthindernissen gerichteten planerischen Willen des Beklagten im Sinne eines Grundzugs der Planung erkannt. Dies hat es daran festgemacht, dass im Plangebiet Einfamilienhäuser auf kleinteiligem Raum in Gruppen durch Straßen mit geringen Breiten, zum Teil in Form von Stichstraßen und in Wendekreisen endend, erschlossen würden, sich zahlreiche Kurven- und Kreuzungsbereiche fänden und Fußwege nur im mittleren Plangebiet angelegt seien. Aus der Gesamtschau der Festsetzungen ergebe sich das Planziel eines geordneten und sicheren Nebeneinanders von Wohnbebauung und -nutzung einerseits sowie Abstell- und Bewegungsflächen für den motorisierten Individualverkehr der Bewohner andererseits. Da Wohngebäude nah und Garagen grenzständig an öffentlichen Verkehrsflächen errichtet werden dürften, nehme die Herstellung der Verkehrssicherheit jedenfalls keinen untergeordneten Planungszweck ein. Daneben diene die Festsetzung unter Nr. 5 auch dazu, das Orts- und Landschaftsbild durch unauffällige Einfriedungen so wenig wie möglich durch Einmauerungseffekte zu stören und die offene Bauweise der durch Einfamilienhäuser geprägten Wohngebiete zu unterstreichen.
Soweit der Kläger hiergegen anführt, das Verwaltungsgericht interpretiere den Planungswillen zu weit und gehe über den Amtsermittlungsgrundsatz hinaus, der Beklagte habe zu den Grundzügen seiner Planung nicht vorgetragen und seine Begründung zum Bebauungsplan nicht vorlegen können, kann dies seinem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Er lässt diesbezüglich unberücksichtigt, dass sich die Grundzüge der Planung aus der den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden und in ihnen zum Ausdruck kommenden planerischen Konzeption ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – BVerwGE 162, 363; vgl. auch BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 9 ZB 20.12 – juris Rn. 13 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat sich hieran bei seiner Gesamtschau auch ersichtlich orientiert, während sich der Kläger mit der Frage eines in den Festsetzungen zum Ausdruck kommenden Konzepts und den gerichtlichen Erwägungen hierzu nicht weiter auseinandersetzt. Seine Auffassung, der Beklagte habe mit der Festsetzung unter Nr. 5 nicht das Ziel der Verkehrssicherheit verfolgt, begründet er lediglich damit, dass Erschließungsstraßen grundsätzlich verkehrssicher zu konzipieren seien und die Beschränkung der Höhe des Bewuchses insoweit „nicht ohne weiteres das maßgebliche Planungsinstrument“ darstelle. Darüber hinaus geht der Kläger sogar selbst davon aus, dass Begrenzungen von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans einem einheitlichen Ortsbild dienen und der Beklagte damit eine offene, nicht einengende Gestaltung zum Ziel gehabt haben könne.
4. Auf das Zulassungsvorbringen des Klägers betreffend die ergänzenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den weiteren Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB und zur Ermessensausübung kommt es somit mangels Entscheidungserheblichkeit nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).