Baurecht

Kein Anspruch auf Abweichung von Ortsgestaltungssatzung zur Dachform von Garagen

Aktenzeichen  M 9 K 16.474

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 55 Abs. 2, Art. 63 Abs. 3 S. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO gestattet den Gemeinden, im eigenen Wirkungskreis örtliche Vorschriften über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern zu erlassen. Die Gemeinden sind dabei nicht auf die Abwehr verunstaltender Anlagen beschränkt, sondern haben darüber hinaus die Möglichkeit, positive Gestaltungspflege zu betreiben und dürfen im Rahmen der positiven Pflege der Baukultur auch einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen (hier zur Dachgestaltung von Garagen). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung von der OGS. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Die von der Klägerin gewählte Dachform bedarf einer Abweichung von der Bestimmung A.5.1. Satz 1 OGS (1.). Die Regelung ist wirksam (2.). Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung sind nicht gegeben (3.).
1. Die unveränderte Beibehaltung der von der Klägerin gewählten Dachform der Garagen bedürfte einer Abweichung von A.5.1. Satz 1 OGS. Die errichteten Garagen fallen unter den in A.3.2. OGS definierten Terminus „Nebengebäude“ und sind nach A.5.1. Satz 1 OGS mit flachgeneigten Sattel- bzw. mit Walmdächern auszuführen.
2. A.5.1. Satz 1 OGS ist wirksam.
a) Zunächst ist festzuhalten, dass die Ermächtigungsgrundlage, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, verfassungskonform ist (vgl. BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris) und dass Regelungen u.a. zur Vorgabe einer Dachform die Ermächtigungsgrundlage grundsätzlich nicht überschreiten (BayVGH, a.a.O.; U.v. 12.1.2012 – 2 B 11.2230 – juris).
b) Die Beklagte konnte eine derartige Regelung auch unter Berücksichtigung des im Ortsteil S. vorhandenen Baubestands treffen, ohne den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage zu überschreiten.
Unabhängig von der Frage, ob vor Inkrafttreten der OGS bereits existente Flachdachgaragen für die Wirksamkeit der Regelungen überhaupt relevant werden können (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris tendiert zur Ausklammerung solcher „anfänglicher Abweichler“), führt der vorhandene Baubestand aus mehreren Gesichtspunkten heraus nicht zu einem anfänglichen Wirksamkeitsproblem der OGS-Regelung im Sinne eines Abwägungsdefizits.
Bei Satzungserlass gab es im Geltungsbereich der OGS zum einen nicht derart viele Nebengebäude mit Flachdächern, dass ein quantitatives Überwiegen von Sattel- bzw. Walmdächern und damit eine entsprechende Ortsbildprägung nicht mehr auszumachen (gewesen) wären (vgl. dazu VGH BW, U.v. 11.3.2009 – 3 S 1953/07 – juris). Bereits für die nächste Umgebung, d.h. nur für den Bereich der F.-Straße zwischen E.-Holz und P.-A.-Allee, zeigen die vorgelegten Luftbilder (Bl. 47f. d. BA) und die Aufstellung der Beklagten (Bl. 45 d. BA), dass dieser durch Flach- bzw. Walmdächer geprägt ist. Danach stehen maximal 24 Flachdachgaragen (27 Bauten ./. 3, da diese ungenehmigt bzw. abweichend von der Baugenehmigung errichtet wurden) 42 Sattel- bzw. Walmdachgaragen gegenüber. Damit liegt ein deutliches Übergewicht der Sattel- bzw. Walmdächer vor, aus der sich eine maßgebliche Ortsbildprägung ableiten lässt. Dieser Eindruck hat sich auch im Augenschein bestätigt. Weiter ist – nur ergänzend und ohne dass es tragend darauf ankommt – festzuhalten, dass sich das oben angesprochene Verhältnis zwischen Flachdachgaragen auf der einen und Sattel- bzw. Walmdachgaragen auf der anderen Seiten nach den vorgelegten Luftbildern in einem größeren Umgriff noch weiter zugunsten der Sattel- bzw. Walmdachgaragen verschieben dürfte; bspw. in der H.-H.-Straße sind demnach fast ausschließlich Sattel- bzw. Walmdächer auszumachen.
Zum anderen ist zu beachten, dass Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO den Gemeinden gestattet, im eigenen Wirkungskreis örtliche Vorschriften über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern zu erlassen. Die Gemeinden sind dabei nicht auf die Abwehr verunstaltender Anlagen beschränkt, sondern haben darüber hinaus die Möglichkeit, positive Gestaltungspflege zu betreiben (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris; VG München, VG München, U.v. 27.4.2016 – M 9 K 15.5148 – juris). Sie haben einen beträchtlichen gestalterischen Spielraum und dürfen im Rahmen der positiven Pflege der Baukultur auch einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen (BayVGH a.a.O.; VG München, a.a.O.). Derartige gestalterische Ziele verfolgt auch die Beklagte, wie die Satzungspräambel zeigt: „Die Gemeinde S.-D. will durch planerische und gestalterische Maßnahmen das Orts-, Straßen- und Landschaftsbild der einzelnen Gemeindeteile erhalten und verbessern. Dies gilt sowohl für bestehende Baugebiete als auch für neu auszuweisende Bereiche, auch wenn diese Gebiete anderen Funktionen als dem Wohnen dienen. Dabei wird insbesondere angestrebt: Die baulichen Anlagen und die sonstige Nutzung der Grundstücke sollen ein Ortsbild eigenständiger Prägung ergeben. […]“ Auch wenn im Ortsteil S., wie die Klägerin moniert, bereits eine größere Zahl von Garagen mit Flachdächern vorhanden ist, hindert das die Beklagte von vorn herein nicht daran, im Rahmen dieses Gestaltungsspielraums auch auf eine positive Gestaltung durch eine sukzessive Herstellung der Einheitlichkeit der Dachlandschaft hinzuwirken (BayVGH, B.v. 10.11.2014 – 2 ZB 13.2429 – juris; VG München, U.v. 27.4.2016 – M 9 K 15.5148 – juris). Eine derartige Entwicklung hin zu einer einheitlichen Dachlandschaft ist angesichts des weitaus geringeren Anteils von Flachdachgaragen auch ohne weiteres möglich. Dabei ist zu beachten, dass es keine Rolle spielen kann, ob sich „die Bebauung in der näheren Umgebung“ – wie von der Klägerin behauptet – auf absehbare Zeit nicht mehr ändern wird; dass diese Ansicht zu kurz greift, zeigt auch die Regelung in A.5.1. Satz 3, wonach die Formvorgabe v.a. auch für die Erneuerung der Dachkonstruktion bei bestehenden Gebäuden gilt.
3. Dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung von A.5.1. OGS gegeben wären, ist nicht dargetan und auch im Übrigen nicht ersichtlich.
Mit A.5.2. OGS enthält die Satzung selbst eine immanente Ausnahmeregelung. Diese Bestimmung stellt zwar mit der Vorgabe „wenn es der gestalterischen Einbindung dient“ eine tatbestandliche Voraussetzung auf; diese bezieht sich aber, wie auch der 1. Bürgermeister der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erläuterte, nach der Systematik der Regelung ersichtlich nur auf die Carports als einfache Stellplätze, hinsichtlich derer man die Möglichkeit eröffnen wollte, sie in bestimmten Fällen von der Verpflichtung, ein aufwändiges Satteldach errichten zu müssen, freistellen zu können. Unabhängig davon trägt die Klägerin ohnehin nichts dafür vor, dass diese Ausnahme von den gebauten Garagen erfüllt würde. Dass ein Flachdach besser zu einem modernen Haus wie einer Villa passe, kann von vorn herein kein Argument sein, da eine derartige Argumentation im Zweifel den kompletten Gebietsbereich A – der die „neueren Siedlungsbereiche“ umfasst – bzw. weite Teile davon erfassen würde und die Ausnahme so zur Regel würde.
Da sich A.5.2. OGS weiterer Aussagen enthält, kommt für den geltend gemachten Anspruch noch eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 und 3 BayBO i.V.m. A.14.1. OGS in Betracht. Danach kann die Beklagte Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Eine Abweichung verlangt einen von der Regel abweichenden Sonderfall und eine atypische Situation (VG München, U.v. 8.8.2012 – M 9 K 10.5497 – juris; U.v. 27.4.2016 – M 9 K 15.5148 – juris). Eine solche Atypik setzt einen Unterschied des zu entscheidenden Falles vom normativen Regelfall voraus (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris). Demgegenüber kann sich die Atypik nicht aus vergleichbaren Fällen in der Umgebung ergeben (BayVGH a.a.O.).
Eine atypische Fallgestaltung in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Vielmehr handelt es sich um den normativen Regelfall. Die Dachform der klägerischen Garagen weicht von dem nach der Satzung gewollten Erscheinungsbild ab. In einer durch Sattel- bzw. Walmdachgaragen geprägten Dachlandschaft werden die Flachdächer als Fremdkörper wahrgenommen. Die vorgetragene Verschattung der Gartenbereiche stellt keine baugrundstücksbezogene Härte dar, die bspw. aus einem besonderen Grundstückszuschnitt o.Ä. folgen kann, sondern ist ausschließlich durch die Art und Weise der Bebauung bedingt. Würde die Beklagte im Fall der Klägerin von der Anforderung, auch Nebengebäude mit einem Sattel- bzw. Walmdach auszuführen, abweichen, so wäre sie gezwungen, dies in jedem beliebigen anderen Fall ebenso zu tun. Die Einhaltung der Bestimmung könnte wegen der damit bestehenden Bezugsfallwirkung nicht mehr durchgesetzt werden (vgl. dazu z.B. BayVGH, U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.3055 – juris; VG München, U.v. 8.6.2016 – M 9 K 15.2828 – juris). Die Beklagte hat die Erteilung einer Abweichung vorliegend zu Recht wegen des Fehlens besonderer atypischer Umstände abgelehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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