Aktenzeichen M 11 E 17.527
Leitsatz
Für einen Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten genügt der objektiv rechtswidrige Betrieb einer baulichen Anlage nicht. Vielmehr ist ein Verstoß gegen den Antragsteller schützende Rechte erforderlich. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,– EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beigeladenen betreiben auf dem am …ufer des Starnberger Sees gelegenen Grundstück Fl.Nr. 159/5 der Gemarkung … und einer östlich davon gelegenen, in den See hineinreichenden Steganlage eine Freiluftgaststätte innerhalb des …bads … Nach der vorliegenden Baugenehmigung vom 23. Januar 1990, die durch Ergänzungsbescheide vom 8. Juni 1990, 8. August 1990, 29. April 1991 und 17. Februar 1993 sowie einen Widerspruchsbescheid vom 29. April 1992 modifiziert worden ist, ist ein Betrieb des „Kiosks“ nach 22 Uhr nicht gestattet. Als Ausnahmen sind lediglich an maximal 5 Tagen im Jahr (von April bis Oktober) Veranstaltungen erlaubt, die über 22.00 Uhr hinaus stattfinden dürfen (vgl. die Zusammenstellung der entsprechenden immissionsschutzrechtlichen Auflagen auf S. 4 unten / 5 oben des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs v. 29.5.1998 – 1 B 93.3369 – juris Rn. 9 ff.).
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. 159/32, das – getrennt durch einen Weg – westlich der Gaststätte der Beigeladenen liegt.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2014 genehmigte der Antragsgegner (Landratsamt Starnberg; im Folgenden: Landratsamt) die Verlegung der Betriebszeiten (7.00 Uhr – 23.00 Uhr) für die Zeit vom 15. Mai – 31. August eines jeden Jahres nach Maßgabe der mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen unter verschiedenen Neben-bestimmungen. Das Landratsamt ließ den Betrieb antragsgemäß für maximal 200 „Besucher“ zu. Es wurde festgelegt, dass an bestimmten Wohnhäusern – u. a. an demjenigen der Antragstellerin (* …-Str. **) – der Beurteilungspegel die Immissionsrichtwerte von tagsüber (6.00 Uhr – 22.00 Uhr) 52 dB(A) und nachts (22.00 Uhr – 6.00 Uhr) 40 dB(A) nicht überschreiten dürfe (Auflage 84 Nr. 2). Für diese Wohnhäuser wurde ferner festgesetzt, dass während des Saisonbetriebs vom 15. Mai bis zum 31. August die Nachtzeit um 23.00 Uhr beginnt und um 7.00 Uhr endet (Auflage 84 Nr. 4).
Wegen der weiteren Auflagen wird auf den Bescheid verwiesen.
Mit Urteil vom 1. Oktober 2015 hob das Bayerische Verwaltungsgericht München den Bescheid vom 18. Juli 2014 auf (M 11 K 14.3223).
Die hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgenommen, weswegen das Verfahren mit Beschlüssen vom 24. Juni 2016 eingestellt wurde (1 BV 16.435 und 1 BV 16.437).
Der Bescheid vom 18. Juli 2014 wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juli 2016 aufgehoben.
Mit E-Mail vom … November 2016 wandte sich die Bevollmächtigte der Antragstellerin an den Antragsgegner und bat um Einschreiten gegen eine von den Beigeladenen beabsichtigte Öffnung des Kiosks als „Winterbar“.
Durch E-Mail vom 20. Januar 2017 teilte der Antragsgegner mit, dass es bei der „Winterbar“ keine bauaufsichtlichen Beanstandungen gebe. Die Baugenehmigungen vom 23. Januar 1990, 29. April 1992 und 30. Juli 1991 würden einen Betrieb im Winter nicht ausschließen. Mit Bescheid vom 17. Februar 1993 seien zudem von April bis Oktober auch über 22.00 Uhr hinaus an 5 Tagen Sonderveranstaltungen zugelassen.
Mit Schriftsatz vom … Februar 2017 wurde von der Bevollmächtigten der Antragstellerin beantragt,
1.den Antragsgegner zu verpflichten, den Betrieb der „Winterbar“ im …bad … zu untersagen.
2.Hilfsweise, den Freistaat Bayern zu verpflichten, den Betrieb unter Zugrundelegung der Auffassung des Gerichts zu beschränken.
Mit weiteren Schriftsätzen vom … Februar 2017, … Februar 2017, … Februar 2017, … März 2017 sowie vom … März 2017 wurde vorgebracht:
Dem Vorhaben gingen mehrere Gerichtsverfahren voraus.
Der Bescheid vom 23. Januar 1990 samt seinen Änderungen gehe von einem Betrieb von etwa April bis Ende Oktober jedes Jahr aus. Seit November 2016 werde der Betrieb einer „Winterbar“ angekündigt.
Eine „Winterbar“ stelle keine besonderen Anforderungen an die Umgebung und sei daher nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB genehmigungsfähig. Die Ausweitung des Betriebes als Winterbar sei nicht genehmigt und verletze das Rücksichtnahmegebot.
Das Landratsamt selbst habe am 22. April 2014 und 16. Februar 2015 geschrieben, dass der Regelbetrieb nur vom Karsamstag bis 1. November zulässig sei.
Wegen des Schutzes der Zugvögel sei ein Winterbetrieb unzulässig.
Auch dürften die Auflagen 202.7 und 202.9 (Mindestraumtemperaturen und Benutzbarkeit der öffentlichen Toiletten) nicht einhaltbar sein.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsätzen vom 7. März 2017 und 10. März 2017, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt er aus:
Die Genehmigungen schlössen eine „Winterbar“ nicht aus. Zwar sei im Schreiben des Architekten vom … November 1989 der Betrieb während der Badesaison erwähnt, jedoch eine Betriebszeitenbeschränkung nicht in den Bescheid aufgenommen worden.
Der Bescheid vom 17. Februar 1993 habe an 5 Tagen Sonderveranstaltungen von April bis Oktober über 22.00 Uhr hinaus zugelassen, schließe aber einen Winterbetrieb nicht aus.
Der Widerspruchsbescheid vom 29. April 1992 führe aus, dass die Immissionsrichtwerte eingehalten werden würden. Eine Beschränkung auf bestimmte Monate sei nicht enthalten.
Die Schreiben vom 22. April 2014 und vom 16. Februar 2015 hätten sich auf die Nutzungsänderung zur Verlegung der Betriebszeiten vom 15. Mai bis 31. August bezogen. Dies würde nicht besagen, dass ein Betrieb außerhalb dieser Zeiten unzulässig sei. Selbst wenn man annehme, dass ein Winterbetrieb nicht zulässig sei, lägen keine Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Lärmrichtwerte vor.
Die Beigeladenen stellten keinen Antrag.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet, da kein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners, den Beigeladenen den Betrieb der „Winterbar“ im …bad … zu untersagen, besteht (Art. 76 Satz 2 BayBO).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht – auch schon vor Klageerhebung – eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein solcher ließe sich im vorliegenden Fall nur aus einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten des Antragsgegners in Form der Nutzungsuntersagung gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO ableiten.
Selbst wenn der Betrieb der „Winterbar“ objektiv rechtswidrig sein sollte, führt dies nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auf bauaufsichtliches Einschreiten.
Hierfür ist vielmehr ein Verstoß des Winterbetriebes gegen die Antragstellerin schützende Rechte erforderlich.
Unerheblich ist für einen Anspruch der Antragstellerin, ob der Betrieb nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert ist, da sie sich nicht darauf berufen kann; vielmehr ist entscheidend, ob das Vorhaben nach § 35 Abs. 2 Nr. 3 BauGB schädliche Umwelteinwirkungen für die Antragstellerin hervorrufen kann.
Aus der Betriebsbeschreibung zum Bescheid vom 23. Januar 1990 sowie aus den Genehmigungsbescheiden vom 23. Januar 1990 bis 17. Februar 1993 geht eine Beschränkung auf einen Betrieb nur im Sommer nicht hervor.
Bereits mit Urteil vom 24. Juni 1993 (M 11 K 92.2646) stellte das Verwaltungsgericht München fest, dass die Lärmschutzauflagen rechtmäßig waren und ein Betrieb nach 22.00 Uhr nicht gestattet ist.
Der Kiosk steht demnach auch nicht nur Badegästen zur Verfügung; vielmehr kann er auch unabhängig vom Badebetrieb genutzt werden und ist als selbständige Gaststätte zu betrachten (S. 12 des Urteils).
Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt auf S. 13 seiner Entscheidung vom 29. Mai 1998 (1 B 93.3369) fest, dass der Betrieb sich zu einem Gaststättenbetrieb mit Musik bis in die Abendstunden entwickelt hat, der zum eigentlichen Bade-betrieb – wenn überhaupt – nur noch in einem sehr lockeren Zusammenhang steht.
Der Ergänzungsbescheid vom 17. Februar 1993 genehmigt darüber hinaus von April bis Oktober 5 Sonderveranstaltungen, die über 22.00 Uhr betrieben werden dürfen.
Die Schreiben des Landratsamtes vom 22. April 2014 und vom 16. Februar 2015 bezogen sich auf die Verschiebung der Tagzeiten, die durch die Aufhebung der Bescheide vom 18. Juli 2014 und vom 28. September 2015 hinfällig sind.
Demnach ist nach den Bescheiden ein ganzjähriger Betrieb bis 22.00 Uhr zulässig.
Die in den Akten befindlichen Lärmgutachten zu diesen Bescheiden gehen davon aus, dass bezüglich des Anwesens der Antragstellerin die zulässigen Lärmwerte eingehalten werden.
Demnach gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die „Winterbar“ gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
Selbst wenn gegen die Auflagen Nrn. 202.7 und 202.9 des Genehmigungsbescheides (Mindestraumtemperaturen und Benutzbarkeit der öffentlichen Toiletten) sowie die Vorschriften zum Schutz von Zugvögeln verstoßen werden sollte, handelt es sich hier um keine die Antragstellerin schützenden Rechte.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Der Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs und beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Betrages.