Baurecht

Kein Anspruch auf eine Baugenehmigung für eine Werbeanlage mangels verweigertem Einvernehmen durch die Straßenbaubehörde

Aktenzeichen  M 29 K 18.2169

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40809
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 24 Abs. 1
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Das Gericht schließt sich angesichts der expliziten Verfahrenskonzentration durch das Fachgesetz im Baugenehmigungsverfahren der insoweit klaren Rechtsprechung des 9. und des 25. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (unter Hinweis auf BayVGH BeckRS 2001, 25453 und BayVGH BeckRS 2018, 14513) an und hält die Anbauverbote nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz für aufgedrängtes öffentliches Recht im Sinne des Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Oberbegriff der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hat zum Ziel, dass kein Verkehrsteilnehmer gefährdet (Sicherheit) oder mehr als nach den Umständen unvermeidlich behindert oder belästigt wird (Leichtigkeit). Die Sicherheit hat also die Abwendung von Gefahren für den Verkehr und von diesem, die Leichtigkeit den möglichst ungehinderten Verkehrsfluss im Blick (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand: März 2019, Art. 23 Rn. 83). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gestaltet sich die Staßensituation bei einem Vorhabenstandort (hier: für eine Werbeanlage) unter dem Eindruck der Verhältnisse vor Ort, wie sie sich aus einem Augenschein ergeben haben, als unübersichtlich und komplex und daher für die Verkehrsteilnehmer nicht schnell erfassbar, hat das Staatliche Bauamt (hier: als Straßenbaubehörde) sein Einvernehmen gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG zu Recht verweigert; es besteht daher kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, da dem streitgegenständlichen Vorhaben im vereinfachten Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Das Vorhaben ist zwar planungsrechtlich zulässig (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 BauGB), da es sich im unbeplanten Innenbereich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und eine Beeinträchtigung des Ortsbilds nach § 34 Abs. 1 Satz 2 HS. 2 BauGB nicht vorliegt.
2. Dem Vorhaben steht jedoch das straßenrechtliche Anbauverbot gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 24 Abs. 1 BayStrWG entgegen.
Danach dürfen unbeschadet der Vorschrift des Art. 23 BayStrWG baurechtliche oder nach anderen Vorschriften erforderliche Genehmigungen nur im Einvernehmen mit der Straßenbaubehörde erteilt werden, wenn bauliche Anlagen längs von Staatsstraßen in einer Entfernung bis zu 40 m, jeweils gemessen vom Rand der Fahrbahndecke, errichtet, erheblich geändert oder so anders genutzt werden sollen, dass Auswirkungen auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu erwarten sind. Das Einvernehmen darf nur verweigert oder von Auflagen abhängig gemacht werden, soweit dies für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, besonders wegen der Sichtverhältnisse, Verkehrsgefährdung, Bebauungsabsichten und Straßenbaugestaltung erforderlich ist.
a. Ob es sich bei den Regelungen zu den Anbauverboten nach Art. 23, 24 BayStrWG um solche des sogenannten „aufgedrängten öffentlichen Rechts“ i.S.v. Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO handelt und ob diese damit zum Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gehören, ist umstritten. Im Hinblick auf § 9 FStrG verneint dies der 14. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 17.11.2008 – 14 B 06.3096 – juris Rn. 18). Im Verhältnis zu den Anbauverbotsregelungen nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz lässt die überwiegende untergerichtliche Rechtsprechung die Frage unentschieden angesichts der Möglichkeit, bei entgegenstehendem Straßenrecht jedenfalls das Sachbescheidungsinteresse des Bauwerbers gemäß Art. 68 Abs. 1 HS. 2 BayBO zu verneinen. Das Gericht schließt sich angesichts der expliziten Verfahrenskonzentration durch das Fachgesetz im Baugenehmigungsverfahren der insoweit klaren Rechtsprechung des 9. und des 25. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, U.v. 20.11.2001 – 25 B 99.522 – juris Rn. 18; U.v. 28.6.2018 – 9 B 13.2616 – juris Rn. 34, 38) an und hält die Anbauverbote nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz für aufgedrängtes öffentliches Recht im Sinne des Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO. Es liegen jedoch die Voraussetzungen beider Rechtsgrundlagen vor. Es ist davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Werbeanlage am Vorhabenstandort die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährdet.
b. Das streitige Bauvorhaben unterfällt grundsätzlich dem Anbauverbot nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayStrWG. Es liegt an einer Ortsdurchfahrt, die nach Art. 4 Abs. 1 BayStrWG der Teil einer Staats- oder Kreisstraße ist, der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt und auch zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmt ist oder der mehrfachen Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient. Der geplante Standort liegt dabei innerhalb der Anbauverbotszone von 40 m und es sind auch verkehrliche Auswirkungen zu erwarten. Rechtsfolge dessen ist das Einvernehmenserfordernis der Straßenbaubehörde, das allerdings nur verweigert werden darf, soweit dies für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, besonders wegen der Sichtverhältnisse, Verkehrsgefährdung, Bebauungsabsichten und Straßenbaugestaltung erforderlich ist (Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG). Das für die Staats straße als Straßenbaubehörde zuständige Staatliche Bauamt F.(Art. 58 Abs. 2 Nr. 1 BayStrWG) ist von der Baugenehmigungsbehörde förmlich beteiligt worden und hat sein Einvernehmen zur Recht verweigert.
Der Oberbegriff der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hat zum Ziel, dass kein Verkehrsteilnehmer gefährdet (Sicherheit) oder mehr als nach den Umständen unvermeidlich behindert oder belästigt wird (Leichtigkeit). Die Sicherheit hat also die Abwendung von Gefahren für den Verkehr und von diesem, die Leichtigkeit den möglichst ungehinderten Verkehrsfluss im Blick (Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand: März 2019, Art. 23 Rn. 83).
Eine Verkehrsgefährdung im Sinn dieser Vorschrift kommt dann in Betracht, wenn durch den Anbau an die Straße eine Steigerung der bestehenden Gefahrensituation verbunden ist. Die Gefahrensituation auf der Straße, die bis zu einem gewissen Grad wegen des Vorhandenseins der Straße und des Verkehrs vorgegeben ist, darf durch den Anbau auch aus anderen Gründen als denen der Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse nicht merklich erhöht werden. Das kann der Fall sein, wenn bauliche Anlagen auf Grund ihrer (auffälligen) Gestaltung geeignet sind, die Aufmerksamkeit der Straßenbenutzer vom Verkehrsgeschehen abzulenken, beispielsweise bei Werbeanlagen, welche geradezu darauf abzielen, den Blick auf sich zu ziehen (Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand: März 2019, Art. 23 Rn. 85). Das straßenrechtliche Anbauverbot geht über das Ziel hinaus, eine im Einzelfall bestehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Es kommt nicht allein darauf an, ob Gefahren oder Schäden für die Verkehrsteilnehmer eintreten können; geschützt werden soll auch ein normaler Verkehrsablauf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. Der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll ebenfalls sichergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2011 – 15 ZB 10.2590 – juris Rn. 3 zu § 9 FStrG; BayVGH, B.v. 01.10.2019 – 1 ZB 17.650 – juris Rn. 4).
Unter dem Eindruck der Verhältnisse vor Ort, wie sie sich beim Augenschein dargestellt haben, gestattet die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Zulassung der Anlage nicht.
Denn die Straßensituation beim Vorhabenstandort gestaltet sich insgesamt als unübersichtlich und komplex und daher für die Verkehrsteilnehmer nicht schnell erfassbar. Von einem einfachen Einmündungsbereich in eine Vorfahrtsstraße kann vorliegend keine Rede sein. Die Komplexität der Straßensituation rührt konkret aus der Verschwenkung der … bzw. H1. Straße, also der Vorfahrtsstraße, die durch das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück Fl.Nr. 66, H1. Straße 1, das sich auf der Westseite genau gegenüber des Einmündungsbereiches in die … befindet, entsteht. Dadurch muss der aus Norden kommende Schwerlastverkehr in diesem Kurvenbereich die Vorfahrt straße über die Straßenmitte hinaus in Anspruch nehmen. Somit kommt es für den aus Süden kommenden Begegnungsverkehr auf der G. Straße zu erheblichen Problemen und erfordert höchste Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers auf die Straßenverkehrssituation und zwar insbesondere an der Stelle, an der er den geplanten Standort der Plakatanschlagstafel passiert. Das Bestehen der Werbeanlage würde daher diesen sich – wie der Augenschein gezeigt hat – häufig wiederholenden und komplizierten Abbiegevorgang des Schwerlastverkehrs nennenswert beeinflussen. Da die Gegenfahrbahn durch den Schwerlastverkehr genau im Kurvenbereich der Vorfahrtsstraße häufig in Anspruch genommen werden muss, ergibt sich eine besondere Gefahrensituation, die durch das Anbringen einer Plakatanschlagstafel am vorgesehenen Standort noch erhöht würde. Die Gefahr einer erhöhten Ablenkung würde sich gerade in diesem Bereich nachteilig auf die Verkehrssicherheit auswirken und für eine Verkehrsgefährdung sorgen.
Das Staatliche Bauamt F. hat sein Einvernehmen daher zu Recht verweigert, da dies für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG im Hinblick auf eine mögliche Verkehrsgefährdung erforderlich war. Mithin besteht kein Rechtsanspruch auf die Erklärung des Einvernehmens und auf die Erteilung der Baugenehmigung.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, hat sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.


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