Baurecht

Kein Anspruch auf Erweiterung der vorhandenen Wasserleitungen und Kanäle einschließlich der Grundstücksanschlüsse bis zur Grundstücksgrenze

Aktenzeichen  Au 4 K 15.1035

Datum:
10.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 123 Abs. 3

 

Leitsatz

Grundsätzlich besteht auch nach § 123 Abs. 3 BauGB kein Rechtsanspruch auf Erschließung. Insbesondere können Anlieger nicht auf Erstellung der Erschließungsanlagen gegen eine Gemeinde oder einen sonstigen Aufgabenträger aus dem Gesichtspunkt der Erschließungslast klagen. Diese Regelung steht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des allgemeinen Wegerechts. Auch diese billigen dem Einzelnen keinen Anspruch auf Erfüllung der Straßenbaulast zu. Hintergrund ist, dass die Erschließungs- und Straßenbaulast grundsätzlich nur im Allgemeininteresse, nicht des einzelnen Grundstückseigentümers steht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erweiterung der vorhandenen Wasserleitungen und Kanäle einschließlich der Grundstücksanschlüsse bis zur Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …
Die Klage ist als Leistungsklage zulässig.
Diese Klageart wird in der VwGO nicht besonders geregelt; sie wird jedoch in einer Reihe von Vorschriften vorausgesetzt, vgl. §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 4 VwGO. Dem Kläger geht es darum, von der Beklagten eine schlichte hoheitliche Tätigkeit ohne Verwaltungsaktscharakter zu verlangen, nämlich die Erweiterung einer bestehenden öffentlichen Wasserver- und entsorgungsanlage in die …-Straße hinein.
Seine Klagebefugnis ergibt sich aus der möglicherweise einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung zur Verdichtung der gemeindlichen allgemeinen Erschließungslast zu einer aktuellen Erschließungspflicht in Verbindung mit § 123 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit § 42 Abs. 2 VwGO analog (vgl. BayVGH, B. v. 24.9. 2007 – 8 ZB 07.1025 – juris Rn. 12).
Offen bleiben kann, ob der Klage wegen der tatsächlich realisierten Erschließung des streitgegenständlichen Grundstücks schon das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Sie ist jedenfalls unbegründet.
Die Beklagte ist als Gemeinde für Fragen der Erschließung in Verbindung mit § 123 Abs. 1 BauGB richtige Klagegegnerin nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.
Es liegt aber keine Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren vor.
Die Erschließungssatzungen der Beklagten sehen einen solchen Anspruch unstreitig nicht vor.
Grundsätzlich besteht auch nach § 123 Abs. 3 BauGB kein Rechtsanspruch auf Erschließung.
Insbesondere können Anlieger nicht auf Erstellung der Erschließungsanlagen gegen eine Gemeinde oder einen sonstigen Aufgabenträger aus dem Gesichtspunkt der Erschließungslast klagen. Diese Regelung steht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des allgemeinen Wegerechts. Auch diese billigen dem Einzelnen keinen Anspruch auf Erfüllung der Straßenbaulast zu. Hintergrund ist, dass die Erschließungs- und Straßenbaulast grundsätzlich nur im Allgemeininteresse, nicht des einzelnen Grundstückseigentümers steht (vgl. Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautberger, BauGB, Stand August 2015, § 123 Rn. 26).
Entgegen dem klägerischen Vortrag greifen im konkreten Fall jedoch nicht die im Gesetz bzw. in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen, wonach unter gewissen Voraussetzungen dennoch eine Erschließungspflicht der Gemeinde besteht.
Ein Fall des § 124 BauGB (Ablehnung eines zumutbaren Angebots zum Abschluss eines städtebaulichen Vertrags über die Erschließung) als gesetzliche Ausnahme liegt nicht vor, da ein solches Angebot nie im Raume stand.
Der vom Kläger vorgetragene Fall einer „Sperrwirkung“ des Bebauungsplans für das Grundstück Fl.Nr. … als weitere anerkannte Ausnahme ist ebenfalls nicht gegeben.
Danach müsste über den Fall des hier nicht vorliegenden § 124 BauGB hinaus ein qualifizierter Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB aufgestellt worden sein, ohne dass die Beklagte konkrete Absicht hatte, diesen Plan aufzuheben oder zu ändern. Wenn in diesem Falle vor Aufstellung des Bebauungsplanes ein Vorhaben nach § 34 BauGB oder § 35 BauGB zulässig, insbesondere auch die Erschließung gesichert war, kann ein nunmehr aufgestellter Bebauungsplan etwa wegen einer abweichenden Lage der Erschließungsanlagen die Realisierung eines Bauvorhabens sperren. Diese Sperrwirkung kann dazu führen, dass über § 124 BauGB hinaus und abweichend von § 123 Abs. 3 BauGB eine Erschließungspflicht der Gemeinde als Beklagten entsteht, der die Gemeinde innerhalb eines angemessenen Realisierungszeitraums nachkommen muss (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 124 Rn. 7; BVerwG, U. v. 3.5.1991 – 8 C 77.89 – BVerwGE 88, 166; BVerwG, U. v. 6.2.1985 – 8 C 44/84 – NVwZ 1985, 564).
Im konkreten Fall stellt sich jedoch die Lage so dar, dass vor Erlass des Bebauungsplans „Am …“ schon gar keine Bebaubarkeit des streitgegenständlichen Grundstücks Fl.Nr. … gegeben war. Es handelte sich dabei um ehemals brachliegendes Gartenland, das teilweise mit Obstbäumen besetzt war, mithin um ein Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB. In solchen Fällen kann dem Grundstück schon gar keine Bebaubarkeit durch einen „sperrenden“ Bebauungsplan genommen werden, weil das Grundstück ohne den Bebauungsplan ohnehin nicht hätte bebaut werden dürfen. Es lag nämlich kein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben vor, dessen Erschließung gesichert war (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 21.2.1986 – 4 C 10/83 – NVwZ 1986, 646; BVerwG, U. v. 3.5.1991 – 8 C 77.89 – BVerwGE 88, 166 (174))
Insofern geht der klägerische Vortrag, der jedenfalls vom Grundsatz her zu Recht auf diese Ausnahmerechtsprechung hinweist, fehl. Weder war das Grundstück Fl.Nr. … vor Erlass des Bebauungsplans „Am …“ erschlossen, noch wäre ein Vorhaben dort nach § 35 BauGB mangels erkennbarer Privilegierung zulässig gewesen.
Eine Erschließungspflicht der Beklagten lässt sich daher hieraus nicht ableiten.
Auch weitere anerkannte Ausnahmegründe für eine Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast sind nicht erkennbar.
Ein solcher läge vor, wenn dem Bauwilligen trotz fehlender Erschließung eine Baugenehmigung nach § 30 BauGB erteilt wurde bzw. die Gemeinde an deren Erteilung gemäß § 36 BauGB mitgewirkt hat und er das genehmigte Vorhaben bereits realisiert hat. In diesem Fall führt das Mitverschulden der Gemeinde an der Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung zu einem Erschließungsanspruch des Bauwilligen (vgl. BVerwG, U. v. 3.5.1991 – 8 C 77/89 – NVwZ 1991, 1086 (1087)). Hier liegt aber weder ein bereits genehmigtes Vorhaben für das Grundstück Fl.Nr. … vor, noch fehlt es an der Erschließung, weil das Grundstück tatsächlich vom Kläger über eine Abzweigung der vorhandenen Erschließungsanlage erschlossen wurde.
Ein Ausnahmefall, der bei einer Umlegung zum Zweck der Baulanderschließung diskutiert wird (BVerwG, U. v. 22.1.1993 – 8 C 46/91 – NVwZ 1993, 1102) kommt nicht in Betracht, da erstens hier kein Verfahren nach §§ 45 ff. BauGB erfolgte, zudem dieser Fall als solcher ohne weiteres nicht geeignet ist, eine Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast zu bewirken und überdies eine Erschließungsanlage vorhanden ist und auch das streitgegenständliche Grundstück daran angeschlossen werden konnte.
Für einen Ausnahmefall eines Verstoßes der Beklagten gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB analog (vgl. nur Jaeger in BeckOK BauGB § 123 Rn. 23; BVerwG U. v.22.1.1993 – 8 C 46/91 – NVwZ 1993, 1102 (1104)) kann das Gericht keine Gründe erkennen, weil die Beklagte durch den Erlass des Bebauungsplan „Am …“ und die Bereitstellung von Erschließungsanlagen mit Abzweigung im … keine gegen Treu und Glauben verstoßende Sperrung des streitgegenständlichen Grundstücks erzeugt hat. Vielmehr wurde dieses – wie vom Kläger nicht bestritten wird – an die vorhandene Abzweigung angeschlossen. Der Bebauungsplan konnte demnach realisiert werden.
Ein weiterer Anschluss über die …-Straße musste daher nicht erfolgen. Das BVerwG hat bereits in einem Beschluss aus dem Jahr 1981 deutlich gemacht, dass sich Art und Umfang der kraft verdichteter Erschließungspflicht gebotenen Erschließung nach der Erschließungssituation derjenigen Grundstücke richtet, deren Eigentümer die Erschließung verlangen können. Der Erschießungsanspruch eines einzelnen Eigentümers richte sich dementsprechend immer nur darauf, dass die Erschließungsanlagen in einen Zustand versetzt werden, der die funktionsgerechte Nutzung der auf dem Grundstück vorhandenen Baulichkeiten gestattet. Das bedeute aber nicht, dass insoweit allein auf dieses Grundstück abzustellen wäre. Denn die Erschließung eines Grundstücks sei notwendig in die Erschließung eines mehr oder weniger großen Gebietes eingebettet und diesem Zusammenhang untergeordnet (BVerwG, U. v. 28.10.1981 – 8 C 4.81 – BeckRS 1981, 30423623). Betrachtet man den Hergang der Beplanung des Gebietes Grundstück Fl.Nr. … (alt), stellt man fest, dass die Beklagte für alle in Frage kommenden Grundstücke im katasterrechtlich geteilten Bereich zumindest für solche Erschließungsanlagen sorgte, die durch Abzweigung und Erweiterung eine Erschließung für jedes Grundstück im nun aufgeteilten Grundstück … ermöglichen. Auch unter haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten, vgl. den Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen gemeindlichen Haushaltswirtschaft nach Art. 61 Abs. 2 GO, war die Beklagte nicht gehalten, weitere Erschließungsanlagen in die …-Straße zu ziehen, wenn davon erkennbar nur das klägerische Grundstück profitieren würde, da auf der gegenüberliegenden Straßenseite keine weiteren (möglichen) Vorhaben erkennbar sind.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben