Baurecht

Kein Nachbarschutz vor unästhetischen Auswirkungen eines Waldkindergartens

Aktenzeichen  M 9 K 17.1144

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1, Art. 59 S. 1 Nr. 1, Art. 68 Abs. 4, Art. 81 Abs. 1 Nr. 4
BauGB BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
BayNatSchG BayNatSchG Art. 13a Abs. 2
BGB BGB § 917 Abs. 1, § 1004
BV BV Art. 141 Abs. 3 S. 1
GG GG Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Vorhaben “Errichtung einer Anlage” beinhaltet und umfasst denknotwendig eine bestimmte Nutzung/Funktion; eine Trennung zwischen baulicher Anlage und Funktion ist baurechtlich nicht möglich. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Natur- und Landschaftsschutz verfolgt objektive, nicht einem einzelnen zugeordnete Ziele des Gemeinwohls. Das negative Betroffensein in einem ideellen Interesse stellt keinen rechtlich beachtlichen Nachteil dar, der ein Abwehrrecht eines einzelnen gegen Eingriffe begründen könnte. Das Naturschutzrecht gewährt auch keinen einklagbaren Nachbarschutz vor unästhetischen Auswirkungen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Waldeigentümer hat keinen Anspruch darauf, dass der Baumwurfbereich von Bebauung freigehalten wird. Auch das Gebot der Rücksichtnahme gibt einem Waldeigentümer, auch ohne Haftungsfreistellungserklärung des Bauherrn, keinen solchen Anspruch. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. zu tragen. Der Beigeladene zu 1. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die abweichend vom niedergelegten Tenor (handschriftliches Formblatt) vorgenommene Tenorierung in Ziff. II beruht auf dem Berichtigungsbeschluss vom 18. Juli 2017, M 9 K 17.1144, der zugestellt wurde.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften hat der Kläger nicht aufgezeigt; eine solche ist auch nicht ersichtlich.
Ihm ist aber – ohne dass es darauf im vorliegenden Nachbarrechtsstreit tragend ankommt – zuzugeben, dass die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Die vonseiten des Beklagten geäußerte Rechtsansicht, man habe nur Bauwägen und keinen Waldkindergarten genehmigt, weswegen bspw. kein Stellplatzbedarf ausgelöst werde, geht fehl. Das folgt aus den Bauvorlagen, aus der Vorhabensbezeichnung, aus dem Baugenehmigungsbescheid selbst – vgl. Ziff. 2.1.4. der Auflagen – und generell daraus, dass eine Trennung zwischen baulicher Anlage und Funktion nicht möglich ist, da das Vorhaben „Errichtung einer Anlage“ eine bestimmte Nutzung/Funktion denknotwendig beinhalten und mit umfassen muss (statt aller Simon/Busse, BayBO, Stand: 124. EL Januar 2017, Art. 68 Rn. 13). Der Betrieb spielt baurechtlich in jedem Fall eine Rolle, da bspw. im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme auf die Betriebsbeschreibung abzustellen ist (vgl. dazu VG Köln, U.v. 2.3.2011 – 8 K 2273/09 – juris). Es bestand eine Pflicht zur Herstellung von Stellplätzen, die auch in der Baugenehmigung hätte behandelt werden müssen, wie sich aus Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO i.V.m. der Stellplatzsatzung der Beigeladenen zu 2. vom 3. April 2009 ergibt. Dass ein entsprechender Bedarf besteht, zeigt sich nicht zuletzt an der dem Bauantrag beigegebenen Betriebsbeschreibung, wonach die Kinder privat mit Pkw gebracht würden; Ein- und Ausstieg sei „der ‚Parkplatz‘ [sic!] an der Waldeinfahrt zum Waldkindergartenareal, Anzahl 12-15“. Weiter beeinträchtigt der Waldkindergarten als sonstiges Außenbereichsvorhaben in der u.a. durch den Eingabe- und Lageplan festgelegten und darüber hinaus entstandenen Form – zwei Bauwägen mit Vordach, Zufahrtsfläche, Gemüsebeet, Schaukelanlage, Grill Platz, aufgeschüttetes Blumenbeet und Sandkasten auf einer großen Lichtung mit gemähter Wiese und zurückgeschnittenen Büschen – jedenfalls die natürliche Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB; es handelt sich begrifflich nicht (mehr) um einen Waldkindergarten, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass er sich ohne Umgestaltung der umgebenden Flächen in den Wald einfügt, sondern um einen Kindergarten im Wald (ohne Sanitäreinrichtungen), wie auch der Augenschein bestätigt hat. Weiter bleibt unklar, inwiefern die Baugenehmigung die Voraussetzungen für die Erteilung der nach der Landschaftsschutzverordnung erforderlichen Gestattung mit behandelt hat, Art. 13a Abs. 2 Halbs. 1 und 2 BayNatSchG (vgl. auch BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 104.99 – juris). Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern die Erschließung gesichert ist, ob der Waldkindergarten also bspw. über eine im Grundbuch eingetragene zivilrechtliche Berechtigung zugunsten des Beigeladenen zu 1. zur Nutzung des im gemeindlichen Eigentums stehenden Weges verfügt, der die Fläche des Waldkindergartens über das im Privateigentum stehende Flurstück … an das öffentliche Straßennetz anbindet. Nur ergänzend ist abschließend noch anzumerken, dass mit alledem, v.a. mit der Forderung, bauliche Anlagen nicht getrennt von einer mit ihnen verbundenen Nutzung zu genehmigen, gerade nicht gesagt ist, dass auch die Nutzung der umliegenden Waldflächen durch die Kinder – die Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV unterfällt – zum Gegenstand der Baugenehmigung würde, was der Beklagte anscheinend befürchtet; die Baugenehmigung bezieht sich ausschließlich auf das Vorhabensgrundstück FlNr. …, Gem. D.
Die Baugenehmigung verletzt damit aber keine drittschützenden Vorschriften.
Die Lage des Waldkindergartens im Landschaftsschutzgebiet vermittelt dem Kläger keine Angriffsmöglichkeit auf die Baugenehmigung; § 2 der Landschaftsschutzgebietsverordnung G.-Tal dient nicht dem Schutz von Interessen eines erkennbar abgegrenzten Personenkreises, vorliegend: des Klägers. Der Natur- und Landschaftsschutz verfolgt objektive, nicht einem Einzelnen zugeordnete Ziele des Gemeinwohls. Das negative Betroffensein in einem ideellen Interesse wie beispielsweise dem Wunsch nach Erhaltung der Landschaft und des „Naturgenusses“ stellt keinen rechtlich beachtlichen Nachteil dar, der ein Abwehrrecht eines Einzelnen gegen Eingriffe begründen könnte. Das Naturschutzrecht gewährt auch keinen einklagbaren Nachbarschutz vor unästhetischen Auswirkungen, die z.B. von Bauwägen ausgehen könnten. Ebenso wenig hat der Kläger als Bürger bzw. Teil der Allgemeinheit ein solches Abwehrrecht. Die „Allgemeinheit“ kann sich nicht auf die allgemeinen Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, wie bspw. die Verhinderung einer Zerstörung des Waldbodens berufen; auch das Betreiben einer aus klägerischer Sicht notwendigen „Naturverjüngung“ oder einer Wiederaufforstung vermittelt kein Angriffsrecht auf die Baugenehmigung (st.Rspr., vgl. bspw. BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 9 CS 16.2477 – juris; B.v. 27.7.2010 – 15 CS 10.37 – juris; jeweils m.w.N.).
Im Hinblick auf eine etwaige (Mit-) Benutzung des klägerischen Grundstücks durch den Überbau eines Sandkastens, einer Schaukel oder durch ein dortiges Anpflanzen von Weiden gilt nichts anderes. Unabhängig von der Frage einer korrekten Vermessung der Grundstücke befinden sich die Anlagen nach dem mitgenehmigten Eingabe- und Lageplan auf dem gemeindlichen Flurstück …, Gem. D. Derartige Nutzungen des klägerischen Grundstücks sind demnach unabhängig von Art. 68 Abs. 4 BayBO nicht von der Baugenehmigung gedeckt. Der Kläger ist diesbezüglich auf den Zivilrechtsweg angewiesen, § 1004 BGB. Gleiches gilt für den monierten Abschnitt von Fichtenbäumen auf dem klägerischen Grundstück.
Die objektiv-rechtlich nicht beachtete Vorgabe des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (siehe oben) ist nicht drittschützend.
Der Kläger kann weiter mangels drittschützender Positionen weder das etwaige Fehlen einer gesicherten Erschließung noch einen eventuellen Mangel an Kfz-Stellplätzen rügen. Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von diesen Grundsätzen – ein Anfechtungsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG wegen einer unmittelbaren gegenständlichen Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks zur Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB bzw. ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB wegen Zuparkens von Nachbarflächen – würden voraussetzen, dass der Kläger Eigentümer der straßenseitig gelegenen Flächen (hier: Flurstück 2116) wäre, die von den den sog. Waldkindergarten anfahrenden Pkw betroffen sind (Bl. 58ff. d. GA). Der Kläger aber hält die in Richtung D. Weiher südöstlich gelegenen Flächen (FlNr. 2119).
Schließlich ist festzuhalten, dass der Waldeigentümer nach ständiger Rechtsprechung trotz ihm etwaig entstehender Haftungsrisiken keinen Anspruch darauf hat, dass der so genannte Baumwurfbereich von Bebauung freigehalten wird. Auch das Gebot der Rücksichtnahme gibt einem Waldeigentümer, auch ohne Haftungsfreistellungserklärung des Bauherrn, keinen Anspruch auf Freihaltung des Baumwurfbereichs (BayVGH, U.v. 28.12.1998 – 14 B 95.1255 – juris; U.v. 10.3.1987 – Nr. 1 B 86.02710 – BayVBl. 1987, 727; VG Ansbach, U.v. 22.10.2008 – AN 9 K 08.01104 – juris; Simon/Busse, BayBO, Stand: 124. EL Januar 2017, Art. 4 Rn. 28). Dabei ist anzumerken, dass sich die mit den obigen Ausführungen angesprochenen Regelungen – Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB –nur auf die Errichtung von Anlagen bzw. Gebäuden beziehen. Für die vonseiten des Klägers in diesem Zusammenhang auch befürchtete Einschränkung von Wald- und Fällarbeiten durch die seine Waldflächen „durchstreifenden“ Nutzer des Waldkindergartens gilt dagegen, dass damit lediglich die für sein Grundstück ohnehin bestehende Verkehrssicherungspflicht angesprochen ist, die gänzlich unabhängig von dem genehmigten Bauvorhaben besteht. Die Baugenehmigung bezieht sich auf ein bestimmtes Grundstück und deckt nicht die Nutzung umliegender Flächen ab, die Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV unterfällt (siehe bereits oben); mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung dürfte deshalb diesbezüglich nicht einmal eine Risikoerhöhung verbunden sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.


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