Baurecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen die Baugenehmigung für einen Mobilfunkmast mit Argumenten, die sich auf die Standortbescheinigung beziehen

Aktenzeichen  1 CS 22.55

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1951
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5
BEMFV § 4 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder eines Mobilfunkmasts kann nicht durch die Baugenehmigung hervorgerufen werden, da mit dieser der Betrieb der Antennen nicht genehmigt wird. Ortsfeste Funkanlagen sind der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 Abs. 1 BEMFV unterworfen. Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einwand, dass mit den in der Standortbescheinigung ermittelten Sicherheitsabständen die gesundheitlichen Gefahren für die Anwohner nicht abgewehrt würden, die Regelung in § 4 BEMVF unzureichend sei und ein Sicherheitsabstand zwischen Wohnbebauung und Mobilfunkanlage von mindestens 300 m erforderlich sei, kann nur in einem Verfahren gegen die Standortbescheinigung geprüft werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung vom 20. August 2021 für den Neubau eines 35 m hohen Stahlgittermastes mit zwei Plattformen sowie Outdoortechnik auf Fundamentenplatte. Der Standort des Vorhabens liegt im Außenbereich in einer Waldfläche; die Wohngebäude der Antragsteller liegen zwischen ca. 75 m und 210 m von dem Vorhabenstandort entfernt in einem allgemeinen Wohngebiet. Am 9. November 2021 wurde die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur erteilt.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. November 2021 als unzulässig ab. Die Antragsteller könnten sich als nicht unmittelbar angrenzende Nachbarn nicht auf die Möglichkeit der Verletzung von drittschützenden Normen und eigener Rechte berufen. Sowohl eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs als auch des Rücksichtnahmegebots seien ausgeschlossen. Insbesondere sei die Standortbescheinigung nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens und es bestehe keine Prüfpflicht der Baugenehmigungsbehörde; eine Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens bestehe nicht. Die Standortbescheinigung liege außerdem vor, die dort festgelegten Sicherheitsabstände würden eingehalten.
Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dass sie aufgrund der von dem Betrieb der Anlage ausgehenden negativen Umwelteinwirkungen antragsbefugt seien. Es sei für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Baugenehmigung auf den Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage der Behördenentscheidung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe keine Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vorlegen, eine bestandskräftige Bescheinigung liege bis heute nicht vor. Die Anforderungen zur Vorsorge und zum Schutz vor nichtthermischen Wirkungen durch hochfrequente Strahlungen seien in die 26. BImSchV nicht aufgenommen worden. Die Langzeitwirkung der Hochfrequenzstrahlung mit 24-Stunden-Dauerwirkung und die weiteren organbezogenen Effekte unterhalb der thermischen Wirkungen blieben ebenso wie die Vorsorge bisher unberücksichtigt. Mobilfunkhochfrequenz-Anlagen müssten als UVPpflichtige Anlagen behandelt werden. Die Baugenehmigung könne keinen Bestand haben, da der konkrete Standort der Anlage von dem Standort in der Standortbescheinigung abweiche. Derzeit erfolge bereits die Abholzung des Waldes, allerdings an einem anderen Standort als in der Baugenehmigung als Maststandort angegeben sei.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und tritt dem Vorbringen entgegen.
Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022 nahmen die Antragsteller nochmals Stellung.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung zu Recht abgelehnt, da den Antragstellern die Antragsbefugnis fehlt.
Die Baugenehmigung kann von den Antragstellern als Nachbarn nur angegriffen werden, wenn sie die Verletzung einer drittschützenden Vorschrift geltend machen können. Ihre Klagen bzw. ihr Anträge nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO sind unzulässig, wenn die von ihnen behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihnen zustehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7). Das ist vorliegend der Fall.
Soweit die Antragsteller sich gegen die von der streitgegenständlichen Anlage ausgehenden Umwelteinwirkungen wenden, ist das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme zu prüfen. Nach seinem objektivrechtlichen Gehalt schützt das Gebot der Rücksichtnahme die Nachbarschaft vor unzumutbaren Einwirkungen, die von einem Vorhaben ausgehen. Eine besondere gesetzliche Ausformung hat es in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen gefunden (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – NVwZ 1994, 686).
Die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder kann jedoch durch die angefochtene Baugenehmigung nicht hervorgerufen werden, da mit dieser der Betrieb der Antennen nicht genehmigt wird. Ortsfeste Funkanlagen sind der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 Abs. 1 BEMFV unterworfen. Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden. Gegenstand dieser Bescheinigung ist die Feststellung, dass bei Einhaltung des definierten standortbezogenen Sicherheitsabstands der Schutz von Personen vor elektromagnetischen Feldern, die infolge des innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Leistungsspektrums beantragten und im Übrigen gesetzlich vorgegebenen Betriebs der Anlage entstehen, in ausreichendem Maß gewährleistet ist, so dass ein Betrieb in diesem Umfang zulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 22 CS 21.2284 – juris). Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn. 16; B.v. 19.10.2017 – 1 ZB 15.2081 – juris Rn. 6; B.v. 8.6.2015 – 1 CS 15.914 – juris Rn. 13).
Der Einwand der Antragsteller, dass mit den in der Standortbescheinigung ermittelten Sicherheitsabständen die gesundheitlichen Gefahren für die Anwohner nicht abgewehrt würden, die Regelung in § 4 BEMVF unzureichend sei und ein Sicherheitsabstand zwischen Wohnbebauung und Mobilfunkanlage von mindestens 300 m erforderlich sei, kann daher nur in einem Verfahren gegen die Standortbescheinigung geprüft werden, nicht aber in dem vorliegenden Verfahren. Soweit die Antragsteller geltend machen, dass die Standortbescheinigung zum Zeitpunkt der Baugenehmigung vorliegen müsse, übersehen sie bereits, dass es im Rahmen der Nachbarklage nicht allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung ankommt, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – BauR 2011, 499; B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – NVwZ 1998, 1179). Die am 9. November 2021 erteilte Standortbescheinigung konnte daher bei der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden. Ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs wurde dadurch geheilt, dass die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ausreichend Möglichkeit hatten, ihre Einwände vorzutragen (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.873 – juris Rn. 17 m.w.N.). Für die Erteilung der Baugenehmigung ist keine bestandskräftige Standortbescheinigung erforderlich, da letztere erst den Betrieb der Anlage regelt. Im Übrigen sind Entscheidungen der Bundesnetzagentur ebenso wie die Baugenehmigung sofort vollziehbar (vgl. § 137 Abs. 1 TKG a.F. bzw. § 217 Abs. 1 TKG in der seit 1.12.2021 geltenden Fassung). Der nach Angaben der Antragsteller von der Baugenehmigung abweichende Bauort ist für die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung nicht entscheidungserheblich und kann sich, da der der neue Standort weiter nördlich liegen soll, auch hinsichtlich der ermittelten Sicherheitsabstände für die Antragsteller nicht negativ auswirken. Soweit sich die Antragsteller auf den kontrollierbaren Bereich beziehen (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 5 BEMVF), handelt es sich um einen Einwand gegen die erteilte Standortbescheinigung.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO§ 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3, 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vorm Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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