Baurecht

Keine Antragsbefugnis für einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage bezüglich einer Baugenehmigung für einen Mobilfunkmast, soweit es um die Funkstrahlung geht; Vorrang des Verfahrens über die Standortbescheinigung

Aktenzeichen  1 CS 21.2386

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 949
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 35 Abs. 1
GG Art 13
EMRK Art 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die von der Funkstrahlung eines Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen, sodass es einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklageklage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung an der Antragsbefugnis mangelt. Der entsprechende Antrag ist unzulässig. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gesundheitsbezogenen Einwendungen gegen den Mobilfunkmast einschließlich des Vortrags, die Grenzwerte der 26. BImSchV seien rechtswidrig bzw. aufgrund neuer Forschung als überholt anzusehen, lassen sich nur im Rahmen eines Verfahrens gegen die Standortbescheinigung klären. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO ergibt sich insofern auch nicht aufgrund der geltend gemachten Verletzung von Art. 13 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. aus dem verfassungsrechtlich verankerten Umweltschutz als Staatsziel oder im Hinblick auf die RL 2003/35/EG. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 E 21.2653 2021-08-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Funkübertragungsstelle. Das Vorhaben dient der Nutzung als Mobilfunksendeanlage und befindet sich im Außenbereich.
Die Antragstellerin ist Mieterin einer vom Standort des Bauvorhabens ca. 740 m entfernten Wohnung.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2020 wurde der Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Baugenehmigung erteilt. Die Standortbescheinigung für die geplante Funkanlage vom 5. Juni 2020 wurde vorgelegt. Die Antragstellerin hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. August 2021 abgelehnt. Die Baugenehmigung verletze die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren Rechten. Die Antragstellerin werde durch das Vorhaben keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt. Die von der Bundesnetzagentur vor Betrieb der Mobilfunkanlage erteilte Standortbescheinigung stelle sicher, dass die nach der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) geltenden Grenzwerte durch entsprechende Sicherheitsabstände der Anlage eingehalten würden.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 17. Dezember 2020 anzuordnen.
Sie führt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus, dass das Verwaltungsgericht, indem es seine Entscheidung auf unbelegte Aussagen des Bundesamts für Strahlenschutz gestützt habe, gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und das Prinzip des rechtlichen Gehörs verstoßen habe. Eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit könne nicht in Abrede gestellt werden, zumal sie vorerkrankt sei. Die Rechtmäßigkeit der Grenzwerte der 26. BImSchV sei wegen der tumorwachstumsfördernden Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern unterhalb der Grenzwerte im Tierversuch widerlegt. Athermische Gesundheitsgefahren von Mobilfunksendeanlagen seien zudem nicht berücksichtigt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe dem angesichts aktuellerer Erkenntnisquellen nicht entgegen. Ihr stehe auch in Verbindung mit dem Klimanotstand ein Recht zu, sich gegen die fortwährende Verletzung der Umweltvorschriften zur Wehr zu setzen. Zudem liege aufgrund des Eindringens der Mobilfunkstrahlung in die Innenräume des Wohnhauses ein Verstoß gegen Art. 13 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK vor.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin werde durch die Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt.
Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 22. November 2021 weiter ausgeführt.
Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten des Eilverfahrens und des Hauptsacheverfahrens sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Funkübertragungsstelle im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antrag ist bereits wegen fehlender Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung unzulässig.
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, so ist für die Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist und die Verletzung dieser Vorschrift zumindest möglich erscheint. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Prüfungsgegenstand bei einem Nachbarrechtsbehelf sind nur die drittschützenden Normen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren. Diese die Klagebefugnis betreffende Regelung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80, § 80a VwGO entsprechend anwendbar (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 73).
Gemessen an diesen Maßgaben fehlt es an der Antragsbefugnis der Antragstellerin, da der Mobilfunkmast in einer Entfernung von rd. 740 m von der Wohnung der Antragstellerin errichtet wird. Soweit sie sich darauf beruft, dass von dem Mobilfunkmast gesundheitsschädigende Wirkungen ausgehen, macht sie schädliche Umwelteinwirkungen und damit immissionsschutzrechtliche Belange geltend, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen waren. Zwar ist bei dem hier maßgeblichen Prüfungsumfang der Baugenehmigungsbehörde nach Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO auch die Prüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit den §§ 29 bis 38 BauGB vorgeschrieben und damit auch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind jedoch aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen. Das Immissionsschutzrecht ordnet eine Konzentrationswirkung zugunsten der Baugenehmigung im Sinn des Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO nicht an. Auch das Bauordnungsrecht selbst enthält keine Vorschrift, die der Baugenehmigung eine Konzentrationswirkung zuweist (vgl. Lechner in Busse/Kraus, BayBO, Stand Mai 2021, Art. 60 Rn. 17). Die immissionsfachlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlagen des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind daher der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 BEMFV unterworfen (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn 16; B.v. 19.10.2017 – 1 ZB 15.2081 – juris Rn. 6; B.v. 8.6.2015 – 1 CS 15.914 – juris Rn. 13). Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung (hier vom 5.6.2020) darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BEMFV). Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen (§ 15a BEMFV). Die von der Antragstellerin angenommene Gefahrensituation hat demnach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – BayVBl 2004, 660 m.w.N.).
Nach alledem kann die Antragstellerin ihre diesbezüglichen gesundheitsbezogenen Einwendungen einschließlich des Vortrags, die Grenzwerte der 26. BImSchV seien rechtswidrig bzw. aufgrund neuer Forschung als überholt anzusehen, nur im Rahmen eines Verfahrens gegen die Standortbescheinigung klären lassen, gegen die sie nach ihren Angaben Widerspruch eingelegt und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat. Auf die von ihr erhobenen Vorwürfe, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen und ihr rechtliches Gehör verletzt, kommt es daher nicht an. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihre sachlichen Einwände im Beschwerdeverfahren vortragen können (vgl. BVerfG, B.v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534).
Eine Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aufgrund der geltend gemachten Verletzung von Art. 13 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. aus dem verfassungsrechtlich verankerten Umweltschutz als Staatsziel oder im Hinblick auf die EG-RL 2003/35/EG. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Soweit die Antragstellerin eine mangelhafte Umsetzung der EG-Richtlinie geltend macht und eine Gleichstellung mit einer anerkannten inländischen oder ausländischen Umweltvereinigung nach dem UmwRG fordert, trifft dies nicht zu. Das UmwRG privilegiert nur die Verbandsklage. § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG befreit allein nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigungen, nicht aber sonstige Kläger von der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2019 – 7 C 2.18 – BVerwGE 167, 147).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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