Baurecht

Keine Erstaufforstungserlaubnis bei Gefährdung wesentlicher Belange des Naturschutzes

Aktenzeichen  B 1 K 16.309

Datum:
24.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28265
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayWaldG Art. 16, Art. 39, Art. 43
BNatSchG § 30
BayNatSchG Art. 3

 

Leitsatz

Eine Aufforstung, die den Verlust einer Fläche eines Lebensraumtyps des Anhangs I der FFH-Richtlinie darstellt, führt grundsätzlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erhaltungszustands im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie und ist damit gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG grundsätzlich unzulässig, soweit die Veränderung zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Erstaufforstungserlaubnis. Der Ablehnungsbescheid des AELF … vom 9. Mai 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Waldgesetzes für Bayern (BayWaldG) bedarf die Aufforstung nicht forstlich genutzter Grundstücke mit Waldbäumen durch Saat oder Pflanzung der Erlaubnis.
Eine Genehmigungsfiktion nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 BayWaldG liegt nicht vor.
Über die Erlaubnis nach Art. 16 Abs. 1 BayWaldG ist gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayWaldG binnen drei Monaten nach Eingang des Antrags bei der unteren Forstbehörde zu entscheiden, sofern der Antrag die Zustimmung der nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayWaldG Beteiligten – insbesondere der Eigentümer und Nutzungsberechtigten der angrenzenden Grundstücke i.S.v. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayWaldG – enthält. Kann aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall über den Antrag innerhalb dieser Frist nicht entschieden werden, ist nach Art. 39 Abs. 3 Satz 2 BayWaldG die Frist vor ihrem Ablauf in einem dem Antragsteller mitzuteilenden Zwischenbescheid um höchstens drei Monate zu verlängern. Die Erlaubnis gilt gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 BayWaldG als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der jeweils maßgeblichen Frist des Art. 39 Abs. 3 Satz 1 und 2 BayWaldG versagt wird.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Frist durch Zwischenbescheid ordnungsgemäß verlängert wurde und der streitgegenständliche Bescheid innerhalb der Frist erlassen wurde, da nach dem Wortlaut von Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayWaldG über den Antrag nur dann binnen drei Monaten nach Eingang des Antrags bei der unteren Forstbehörde zu entscheiden ist, sofern der Antrag die Zustimmung der nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayWaldG Beteiligten enthält. Das Antragsformular vom 13. Oktober 2013 enthielt aber unter dem Punkt „Erklärung der Verfahrensbeteiligten (Eigentümer und Nutzungsberechtigte des an das aufzuforstende Grundstück angrenzende Grundstück)“ keine Unterschrift der Verfahrensbeteiligten. Somit wurden diese von den Klägern auch nicht beteiligt. Da eine Zustimmung der Beteiligten bei Antragseingang nicht vorlag, bedurfte es auch keiner Verlängerung der Frist gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 2 BayWaldG, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion (Art. 39 Abs. 3 Satz 3 BayWaldG) zu vermeiden. Mangels Vorliegens einer Zustimmung der nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayWaldG zu beteiligenden Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigten der benachbarten Grundstücke ging somit, da die Nachbarn nicht durch eine Erlaubnisfiktion übergangen werden sollen, der Vorgang in ein normales Verfahren über (BayVGH, B.v. 13.7.2005 – 19 ZB 03.1214 – BeckRS 2005, 39420 – beck-online). Ist die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten, so haben die Kläger auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer der Erlaubnis gleichstehenden Bestätigung (Art. 39 Abs. 3 Satz 4 BayWaldG). Auf die Frage, wie der Bescheid den Klägern zugestellt wurde, kommt es daher nicht an. Ergänzend sei bemerkt, dass sogar ein angrenzender Eigentümer der beantragten Erstaufforstung widersprochen hat (vgl. dessen Schreiben vom 9. November 2013 – Blatt 27 der Behördenakte).
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Erstaufforstungserlaubnis. Nach Art. 16 Abs. 2 BayWaldG darf die Erlaubnis (nach pflichtgemäßer Ermessensausübung) nur versagt oder durch Auflagen eingeschränkt werden, wenn die Aufforstung Plänen i.S. des Art. 3 BayNatSchG (Gesetz über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur – Bayerisches Naturschutzgesetz) widerspricht, wenn wesentliche Belange der Landeskultur oder des Naturschutzes und der Landschaftspflege gefährdet werden, der Erholungswert der Landschaft beeinträchtigt wird oder erhebliche Nachteile für die umliegenden Grundstücke zu erwarten sind.
Die Erlaubnis wurde vorliegend zu Recht versagt, da die Aufforstung wesentliche Belange des Naturschutzes gefährdet.
Nach der Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde vom 9. Mai 2014 liegt die Fläche im FFH-Gebiet Nr. … („…“). Die Fläche entspricht nach ihrer Artenausstattung größtenteils dem Lebensraumtyp 6510 („magere Flachlandmähwiese“). Die beantragte Erstaufforstung führt mit einem Flächenanteil von mindestens 0,49 ha zur vollständigen Zerstörung der mageren Flachlandmähwiese (Schreiben der unteren Naturschutzbehörde vom 1. September 2014 – Blatt 84 der Gerichtsakte). Nach der Stellungnahme des Vertreters der unteren Naturschutzbehörde in der mündlichen Verhandlung am 24. Juli 2018 bestätigt sich diese Einschätzung des Lebensraumtyps 6510 bis zum heutigen Tage. Mindestens ¾ der beantragten Erstaufforstungsfläche (wenn nicht sogar mehr) seien dem schützenswerten Lebensraumtyp zuzuordnen. Man sei damals von einem Anteil von über 100 ha magerer Flachlandmähwiese im FFH-Gebiet ausgegangen. Tatsächlich betrage der Anteil des Lebensraumtyps im FFH-Gebiet nun nur 78 ha, weshalb von einer Erheblichkeit der Beeinträchtigung auszugehen sei. Das Gericht folgt den Einschätzungen des Fachgutachters, der den Zustand der streitgegenständlichen Fläche schlüssig und plausibel darlegen konnte (vgl. hierzu VG Augsburg, U.v. 10.7.2012 – Au 3 K 11.1555 – juris Rn. 18 und Art. 42 Abs. 2 BayWaldG, wonach der unteren Naturschutzbehörde als Teil der Kreisverwaltungsbehörde im Erlaubnisverfahren nach Art.16 BayWaldG die Stellung eines Fachgutachters zugewiesen ist).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt eine Aufforstung, die den Verlust einer Fläche eines Lebensraumtyps des Anhangs I der FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG) darstellt, grundsätzlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erhaltungszustands im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie und ist damit gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Bundesnaturschutzgesetz grundsätzlich unzulässig, soweit die Veränderung zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann (BVerwG, U.v. 12.3.2008 – 9 A 3.06 – juris Rn. 123 ff.). Eine erhebliche Beeinträchtigung wird dann nicht angenommen, wenn der Flächenverlust lediglich Bagatellcharakter hat. Das Bundesverwaltungsgericht zieht als Entscheidungshilfe Orientierungswerte für die Einzelfallbeurteilung heran, nach denen von einer Bagatelle gesprochen werden kann. Es führt aus:
„Eine Orientierungshilfe für die Beurteilung, ob ein Flächenverlust noch Bagatellcharakter hat, bietet der Endbericht zum Teil Fachkonventionen des im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz durchgeführten Forschungsvorhabens „Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP“, Schlussstand Juni 2007 (nachfolgend: FuE-Endbericht). Dem darin unterbreiteten Fachkonventionsvorschlag (S. 33) liegt die gesetzeskonforme Annahme zugrunde, LRT-Flächenverluste stellten in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Ausnahmen von der Grundannahme knüpft der Konventionsvorschlag an sehr enge Voraussetzungen und stellt dabei kumulativ neben anderen Kriterien auf Orientierungswerte absoluten und relativen Flächenverlustes ab. Die vorgeschlagenen Werte stützen sich auf Analysen der ökologischen Parameter und Eigenschaften der Lebensraumtypen wie Seltenheit, Gefährdung und Regenerationsfähigkeit sowie eine Auswertung der FFH-Gebietskulisse (durchschnittliche Bestandsgröße des Lebensraumtyps in den Gebieten, Gesamtbestandsgröße in Deutschland, Häufigkeit und Seltenheit in der deutschen Gebietskulisse usw.; vgl. FuE-Endbericht S. 67 ff.). Die Vorschläge sind unter breiter Beteiligung der Fachöffentlichkeit erarbeitet worden; die LANA hat den Endbericht in ihrer Sitzung am 13./14. September 2007 als „wichtigen ersten Schritt“ gebilligt, „um die Erkenntnislücken bei den naturschutzfachlichen Maßstäben für die Bewertung der Erheblichkeit von Eingriffen in FFH-Gebieten zu schließen“. Die vorgeschlagenen Werte sind nach eigenem Anspruch keine Grenzwerte, sondern bloße Orientierungswerte für die Einzelfallbeurteilung (FuE-Endbericht S. 10). In dieser Funktion können sie nach derzeitigem Wissensstand als Entscheidungshilfe genutzt werden.“
Bei einem Flächenverlust zwischen 0,5% und 1% wird in den Fachkonventionen ein Orientierungswert von 500 qm genannt. Dieser absolute Orientierungswert wird hier mit der beantragten Fläche von 0,74 ha (wobei nach der Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde vom 1. September 2014 0,54 ha im FFH-Gebiet liegen, mit einem Flächenverlust von 0,49 ha) deutlich überschritten. Der mit Schreiben vom 1. September 2014 festgestellter Flächenverlust hat sich durch die Bayerische Natura 2000-Verordnung (BayNat2000V), die am 1. April 2016 in Kraft getreten ist, eher noch zu Lasten der Kläger erhöht, da im Bereich der zur Erstaufforstung vorgesehenen Fläche das Schutzgebiet vergrößert wurde (Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde vom 12. April 2016 – Blatt 2 der Gerichtsakte im wiederaufgenommenen Verfahren). Hierzu führte der Vertreter der unteren Naturschutzbehörde in der mündlichen Verhandlung aus, dass nunmehr nur 78 ha im FFH-Gebiet zum Lebensraumtyp magere Flachlandmähwiese gehören würden. Bei der Neufestlegung sei man von über 100 ha ausgegangen. Dies führe dazu, dass im Höchstfall eine Aufforstung von 100 qm hätte genehmigt werden können. Dies stimmt mit den Fachkonventionen überein (Stufe 1: Orientierungswert bei einem Flächenverlust von mindestens 1% der Fläche).
3. Das AELF … hat die Erlaubnis zur Erstaufforstung ohne Ermessensfehler versagt, so dass ein Anspruch der Kläger auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht in Betracht kommt.
Im angegriffenen Bescheid werden die Belange der Kläger, insbesondere ihre Eigentümerbefugnis, hinreichend berücksichtigt. Es sind auch keine sonstigen, besonders schwerwiegenden Belange der Kläger ersichtlich, die zwingend für eine andere Entscheidung sprächen, die also die Ermessensentscheidung fehlerhaft erscheinen ließen. Diese Ermessenserwägungen wurden in der mündlichen Verhandlung ergänzt dadurch, dass den Klägern die Möglichkeiten einer Förderung nach dem Vertragsnaturschutzprogramm aufgezeigt wurden.
II.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 159 Satz 2, § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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