Baurecht

Keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots

Aktenzeichen  9 ZB 13.1877

Datum:
23.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45206
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1, § 35

 

Leitsatz

1 Ob sich ein Vorhaben im Außenbereich oder im unbeplanten Innenbereich befindet, ist für die Bewertung, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vorliegen, unerheblich, wenn aus der Einstufung der Nachbarschutz abgeleitet werden soll. Dieser ergibt sich allein aus dem Gebot der Rücksichtnahme.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Berufen auf die Nichteinhaltung von Abstandsflächen in einem Vorbescheid führt nicht zum Erfolg einer Nachbarklage, da das Vorbescheidsverfahren dem Prüfprogramm des Baugenehmigungsverfahrens folgt. Soweit dieses keine Abstandsflächenregelungen umfasst, gilt dasselbe für das Vorbescheidsverfahren. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 K 13.201 2013-07-16 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen einen den Beigeladenen erteilten Vorbescheid vom 6. Dezember 2012, mit dem die Beklagte die planungsrechtliche Zulässigkeit des Neubaus eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. 48 Gemarkung M. festgestellt hat. Sie sind Eigentümer der Grundstücke FlNr. 51 und 64 Gemarkung M., die an das Baugrundstück FlNr. 48 der Beigeladenen grenzen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Juli 2013 abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
1. Die Kläger berufen sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist zur Begründung ihres Zulassungsantrags haben darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Der Einwand, das Baugrundstück liege entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB), sondern im Außenbereich (§ 35 BauGB), begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des klageabweisenden Urteils, weil sich allein aus einer fehlerhaften Gebietseinstufung kein Drittschutz ableiten lässt. Der Nachbarschutz ergibt sich vielmehr sowohl im Fall des § 34 Abs. 1 BauGB, als auch im Fall des § 35 BauGB nur aus dem Gebot der Rücksichtnahme (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 25 m. w. N.).
b) Das Vorbringen im Zulassungsantrag rechtfertigt auch nicht die Annahme, dass durch den Vorbescheid das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird. Dieses Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich im Fall des § 34 Abs. 1 BauGB über das Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“, im Fall des § 35 BauGB lässt es sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB i. V. m. § 3 Abs. 1 BImSchG ableiten (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 a. a. O. Rn. 25). Es kommt im Wesentlichen auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 a. a. O. Rn. 27).
aa) Soweit gerügt wird, dass durch den Vorbescheid das Abstandsflächenrecht verletzt werde, kommt eine Verletzung von Nachbarrechten der Kläger durch den angefochtenen Vorbescheid wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen schon deshalb nicht in Betracht, weil der Prüfungsumfang im Vorbescheidsverfahren auf das jeweilige Prüfprogramm im entsprechenden Baugenehmigungsverfahren beschränkt ist (vgl. Art. 71 Satz 4 BayBO). Bei Vorhaben, die – wie hier – im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, kann deshalb nur über die Vereinbarkeit mit den in Art. 59 Satz 1 BayBO angeführten Vorschriften entschieden werden (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 71 Rn. 7). Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) wurde nicht beantragt. Im Übrigen könnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine – unterstellte – Verletzung der Abstandsflächenvorschriften eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indizieren würde (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 17).
bb) Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände ist maßgeblich dafür, ob einem Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukommt (vgl. BayVGH, B. v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 5). Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12). Davon kann bei einem Einfamilienhaus, das mit ca. 6,95 m Höhe nicht erheblich höher ist als das Wohngebäude der Kläger, nicht gesprochen werden. Gleiches gilt hinsichtlich des Zulassungsvorbringens der Kläger für ihr Grundstück FlNr. 64 Gemarkung M.
Soweit sich die Kläger darauf berufen, das Bauvorhaben der Beigeladenen würde sie in der Möglichkeit beschneiden, auf ihrem Haus eine Photovoltaikanlage oder eine Solarthermieanlage zu installieren, weil das Bauvorhaben ihrem Anwesen „erheblichen Lichteinfall nehmen“ würde, handelt es sich hierbei nur um in der Zukunft liegende ungewisse Ertragschancen. Im Übrigen hat es der Nachbar, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen. Die Baugenehmigung schafft keine Grundlage dafür, weitere Vorhaben mit dem Argument abzuwehren, für das behördlich gebilligte eigene Baukonzept sei von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, dass der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks die Nutzungsmöglichkeiten, die das Baurecht an sich eröffnet, nicht voll ausschöpft (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 15 CS 13.1561 – juris Rn. 15). Nach obigen Ausführungen kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass auch insoweit eine nicht mehr hinnehmbare Verschattung des Grundstücks der Kläger eintritt.
cc) Ebenso wenig können die Kläger eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots darauf stützen, dass durch ein weiteres Gebäude ihr Blick von ihrem Wohnanwesen in die freie Natur „erheblich versperrt“ und ihr Naturgenuss sowie ihre Erholungsmöglichkeit beeinträchtigt würden, weil nach einer Bebauung des Nachbargrundstücks eine wesentlich intensivere Grundstücksnutzung – verbunden mit mehr Lärm sowie sonstigen Immissionen – zu befürchten sei und sie im Garten „gleichsam auf dem Präsentierteller“ sitzen würden. Das öffentliche Baurecht vermittelt nämlich keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 13 m. w. N.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Einen Schutz auf Erhaltung der freien Aussicht gewährt das Bauplanungsrecht ebenso wenig wie ein Recht auf ungestörten Naturgenuss (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: September 2015, Art. 66 Rn. 441).
c) Auch der Einwand, das geplante Bauvorhaben würde „die Grenze des Bebauungszusammenhangs maßgeblich beeinflussen und diese maßgeblich sowohl nach Osten, wie auch nach Süden verschieben“, zu einer „Zersiedlung der Baulinie“ und zum Entstehen einer Splittersiedlung führen, kann für sich allein gesehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen, weil derartigen öffentlichen Belangen jedenfalls dann keine drittschützende Wirkung zukommt, wenn sie – wie hier – keine Auswirkungen auf die in unmittelbarer Nachbarschaft vorhandene Bebauung haben.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich nach obigen Ausführungen ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären.
3. Ein Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) wegen eines Verstoßes gegen eine gerichtliche Hinweispflicht (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO) ist bereits nicht hinreichend dargelegt, weil im Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt wird, dass die Frage, ob eine Baugenehmigung für den Umbau des Nebengebäudes der Kläger existiert, zur Beurteilung des vorliegenden Verwaltungsrechtsstreits entscheidungserheblich war und das Urteil des Verwaltungsgerichts auf der Annahme, dass das Gebäude der Kläger im rückwärtigen Bereich der FlNr. 51 ohne Genehmigung umgebaut worden ist und zu Wohnzwecken genutzt wird, beruhen kann (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 a Rn. 74).
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht entscheidungstragend bereits darauf abgestellt, dass sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und deswegen nicht das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Der zusätzliche Hinweis auf das Fehlen einer schutzwürdigen Abwehrposition der Kläger hinsichtlich der Wohnnutzung des Nebengebäudes ändert daran nichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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