Baurecht

Keine vorbeugende Normenkontrolle gegen noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan

Aktenzeichen  9 NE 16.1229

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 47

 

Leitsatz

Rechtsschutz nach § 47 VwGO setzt voraus, dass ein Bebauungsplan bereits erlassen worden ist. Hierfür bedarf es einer förmlichen Verkündung oder einer sonstigen tatsächlichen Handlung, aus der sich ergibt, dass die Satzung als Rechtsnorm gelten soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt (10.000 Euro je Antragstellerin).

Gründe

I. Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den am 25. Januar 2016 vom Stadtrat der Antragsgegnerin als Satzung beschlossenen, aber noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan „Am Nützelbach“.
Die Antragstellerin zu 1 ist Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nrn. 2270 und 2272 Gemarkung Gerolzhofen; die Antragstellerin zu 2 ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 2271 Gemarkung Gerolzhofen. Diese Grundstücke grenzen an das Plangebiet unmittelbar an. Mit dem Bebauungsplan soll der Nachfrage nach Wohnbaugrundstücken im Gebiet der Antragsgegnerin nachgekommen werden. Die Zufahrt zum Plangebiet soll von der Berliner Straße aus über das Grundstück Fl.Nr. 3683 Gemarkung Gerolzhofen erfolgen, das zwischen den Grundstücken Fl.Nr. 2272 und 2271 Gemarkung Gerolzhofen der Antragstellerinnen liegt. Hierzu ist auch auf einer Teilfläche des Grundstücks Fl.Nr. 2272 Gemarkung Gerolzhofen, auf dem sich Garagen befinden, eine öffentliche Straßenverkehrsfläche festgesetzt.
Gegen den Bebauungsplan haben die Antragstellerinnen mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 16. Juni 2016 Normenkontrollantrag gestellt (Az. 9 N 16.1228).
Gleichzeitig haben sie beantragt,
den Bebauungsplan „Am Nützelbach“ der Antragsgegnerin vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin habe bereits mit Erdarbeiten/Baggerarbeiten zur Erschließung des Baugebiets begonnen. Es liege damit eine „faktische Invollzugsetzung“ des Bebauungsplans vor. Der streitgegenständliche Bebauungsplan sei damit einer Überprüfung auf seine formelle und materielle Rechtmäßigkeit zugänglich.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei u. a. deshalb unzulässig, weil der Bebauungsplan noch nicht in Kraft gesetzt worden sei und daher noch keine Rechtswirkungen entfalten könne. Ein vorbeugender Rechtsschutz sei im Rahmen des einstweiligen Normenkontrollantrags – ebenso wie auch im Rahmen des Normenkontrollantrags – nicht möglich. Daran würden auch die von den Antragstellerinnen erwähnten Maßnahmen im Planbereich des gegenständlichen Bebauungsplans nicht ändern, zumal sie nicht aufgrund der Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans getätigt worden seien. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig, weil unstatthaft.
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag über die Gültigkeit von Bebauungsplänen. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Senat auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwendung von schweren Nachteilen oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Beide Bestimmungen setzen voraus, dass der Bebauungsplan sich nicht erst im Stadium seiner Entstehung befindet, sondern bereits erlassen worden ist (vgl. z. B. BVerwG, B. v. 2.6.1992 – 4 N 1/90 – juris Rn. 12; BayVGH, B. v. 15.12.1999 – 1 NE 99.3162 – juris Rn. 6; B. v. 30.7.1999 – 26 NE 99.2007 – juris Rn. 17; OVG Berlin-Bbg, B. v. 26.9.2012 – OVG 10 S 14.12 – juris Rn. 7). Dies setzt eine förmliche Verkündung oder eine sonstige tatsächliche Handlung voraus, aus der sich ergibt, dass die Satzung als Rechtsnorm gelten soll. Erlassen ist eine Satzung erst dann, wenn sie aus Sicht des Normgebers bereits Geltung für sich in Anspruch nimmt. Die Satzung muss also als Rechtsnorm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden sein (vgl. BVerwG, B. v. 15.10.2001 – 4 BN 48/01 – juris Rn. 3). Entscheidend ist dabei, ob die Tätigkeit der am Rechtssetzungsverfahren Beteiligten aus ihrer Sicht beendet ist und – vor allem – ob die Norm aus der Sicht des Normgebers formelle Geltung beansprucht. Geht der Normgeber davon aus, dass es sich um eine in diesem Sinn bereits erlassene Norm handelt, ist der Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, B. v. 2.6.1992 – 4 N 1/90 – juris Rn. 14). Fehlt es jedoch – wie hier – an der Bekanntmachung des Bebauungsplans und geht dementsprechend auch die Antragsgegnerin als Normgeberin davon aus, dass der Plan noch nicht in Kraft gesetzt worden ist, so kann er nicht Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein (vgl. BVerwG, B. v. 15.10.2001 – 4 BN 48/01 – juris Rn. 3). Eine vorbeugende Normenkontrolle gegen noch nicht in Kraft gesetzte Regelungen kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht (BVerwG, B. v.23.12.2009 – 8 BN 1.09 – juris Rn. 9).
Der Bebauungsplan „Am Nützelbach“ wurde zwar vom Stadtrat der Antragsgegnerin am 25. Januar 2016 als Satzung beschlossen, aber bisher nicht bekannt gemacht. Auch sonst hat die Antragsgegnerin nicht zu erkennen gegeben, dass sie selbst von der formellen Geltung des Bebauungsplans ausgeht. Vielmehr haben ihre Bevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 21. Juli 2016 und 7. September 2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan noch nicht in Kraft gesetzt worden ist und daher noch keine Rechtswirkung entfaltet. Im Übrigen spricht auch die bisher fehlende Ausfertigung des Bebauungsplans durch den 1. Bürgermeister der Antragsgegnerin dagegen, dass sie von der formellen Geltung des Bebauungsplans ausgeht.
Die von den Antragstellerinnen aufgeführten Baumaßnahmen der Antragsgegnerin ändern daran – auch soweit sie den Planbereich des Bebauungsplans betreffen – nichts, weil allein ein teilweiser „faktischer Vollzug“ eines Bebauungsplans die Bekanntmachung des Bebauungsplans nicht ersetzen kann. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen lassen die erwähnten Arbeiten für eine Wasserleitung, die begonnenen Erdarbeiten/Baggerarbeiten und die Errichtung einer Trafostation nicht ohne weiteres erkennen, welche konkrete Motivation und welche rechtlichen Erwägungen hinter der Entscheidung der Antragsgegnerin stehen, mit der Ausführung dieser Arbeiten zu beginnen. Sie können daher auch nicht den Schluss rechtfertigen, dass der Bebauungsplan nach dem Willen der Antragsgegnerin bereits mit Beginn der genannten Arbeiten als Rechtsnorm gelten soll und die Antragsgegnerin von der Geltung der Vorschrift ausgeht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 9.8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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