Baurecht

Klage des Nachbarn gegen eine Baugenehmigung für den Anbau eines kleinen Cafés/einer Bar an ein Bestandsgebäude im unbeplanten Innenbereich (abgewiesen), faktisches allgemeines Wohngebiet oder faktisches Mischgebiet (offengelassen, da Vorhaben in beiden planungsrechtlich zulässig), Gebietsversorgungsklausel in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO (erfüllt); keine konkrete Bedürfnisprüfung; Funktionszusammenhang zwischen Anlage und Gebiet zu bejahen, wenn Bewohner der Umgebung in einem ins Gewicht fallenden Umfang zu ihrer Auslastung beizutragen vermögen; Umsatzanteil von 60-70% aus dem Gebiet reicht jedenfalls aus, kritische Untergrenze bei einem Drittel, Gebot der Rücksichtnahme, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (Verletzung verneint), Genehmigungswidrige Nutzung der genehmigten Anlage ist Bauherr nur zurechenbar, wenn sie zu Störungen „einlädt“ und wenn derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt wird (Anschluss an BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 12.269 – juris Rn. 61)

Aktenzeichen  AN 17 K 21.00536

Datum:
20.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18255
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59
BauGB i.V.m. § 34 Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2
BauNVO § 6
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
TA Lärm

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist unbegründet und damit abzuweisen, da der Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom 23. Februar 2021 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2019, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 537).
Eine Verletzung drittschützender Normen des Prüfprogramms der streitgegenständlichen Baugenehmigung scheidet aus. Das Prüfprogramm bemisst sich vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren), da der durch die Beigeladene geplante Anbau eines Cafés bzw. einer Bar an ein Bestandsgebäude kein Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO ist. Insbesondere ist nicht Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO einschlägig, da es sich bei dem Café zwar um eine Gaststätte im Sinne der BayBO handelt (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 2 Rn. 429), diese jedoch nicht mehr als 40 Gastplätze im Gebäude oder mehr als 1000 Gastplätze im Freien aufweist.
Es sind weder Verstöße gegen das gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zu prüfende Bauplanungsrecht nach den §§ 29 – 38 BauGB noch gegen das nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO zu prüfende bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO ersichtlich. Auch im Übrigen ist keine Verletzung der Kläger in einem nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden drittschützenden Belang gegeben.
a) Das der Beigeladenen genehmigte Vorhaben fügt sich seiner Art nach in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wobei es letztendlich dahinstehen kann, ob es sich – wie von den Beteiligten im vorbereitenden Verfahren übereinstimmend angenommen – um ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO oder sogar ein faktisches Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO handelt. Jedenfalls liegt kein faktisches reines Wohngebiet (§ 3 BauNVO) vor, in dem eine Schankwirtschaft unzulässig wäre, da sich in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks, selbst wenn man sie eng fassen wollte, neben Wohnbebauung u.a. ein Blumengeschäft („…“), ein Optiker („…“) und eine Glaserei („…“) befinden. Zwar können nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Läden und nicht störende Handwerksbetriebe ausnahmsweise auch in einem reinen Wohngebiet zugelassen werden, jedoch nur dann, wenn sie zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen. Mit dem Begriff des „täglichen Bedarfs“ wird ein Grundbedarf an Gütern und Dienstleistungen, die in mehr oder weniger kurzen, regelmäßigen Abständen immer wieder benötigt werden und deren Erreichbarkeit in zumutbarer Entfernung von der Wohnung gerade wegen des regelmäßigen Aufkommens des Bedarfs als wünschenswert empfunden und im Allgemeinen auch erwartet wird, beschrieben (Hornmann in Span-nowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 3 Rn. 165). Darunter fallen insbesondere etwa Lebensmittel, Backwaren und Genussmittel (Tabak, Spirituosen), Gemischtwaren, Drogerieartikel, Zeitschriften und Zeitungen und auch Getränke. Nicht zum Grundbedarf in diesem Sinne zählt jedoch der mittel- und langfristige Bedarf (Hornmann a.a.O., der beispielhaft Schuhe, Bekleidung und Haushaltsgeräte aufführt). Die drei genannten Handwerksbetriebe dienen nicht der täglichen Bedarfsdeckung, weswegen ein reines Wohngebiet ausscheiden muss.
aa) Wenn man die für den Kläger günstigere Betrachtung zugrunde legt und wie auch der Beklagte ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO annimmt, so sind dort Schank- und Speisewirtschaften zulässig, sofern sie der Versorgung des Gebiets dienen, § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO. Diese Voraussetzung erfüllt das der Beigeladenen genehmigte Bauvorhaben.
Mit der sog. Gebietsversorgungsklausel soll die allgemeine Zweckbestimmung des (faktischen) allgemeinen Wohngebietes, nämlich dass es gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen dienen soll, konkretisiert werden, indem durch die Beschränkung der Versorgungsangebote der gebietstypische Schutz der Wohnruhe gewährleistet wird (BVerwG, B.v. 3.9.1998 – 4 B 85-98 – NJW 1998, 3792, 3793; Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 43). Die Gebietsversorgungsklausel des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO hat jedoch ausschließlich städtebaulichen Charakter und bezweckt keine Wirtschaftslenkung, sprich es ist – anders als der Kläger meint – keine Bedürfnisprüfung anzustellen, ob in dem faktischen Baugebiet ein konkreter Bedarf für die Schank- oder Speisewirtschaft besteht (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 143. EL August 2021, § 4 BauNVO Rn. 37).
In räumlicher Hinsicht ist das zu versorgende Gebiet im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO durch das Kriterium eines verbrauchernahen Einzugsbereichs abgesteckt, wobei das zu versorgende (faktische) allgemeine Wohngebiet dabei nicht zwingend mit der näheren Umgebung des Vorhabens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gleichzusetzen ist, sondern auch benachbarte Wohngebiete erfassen kann (BayVGH, B.v. 16.3.2022 – 9 ZB 21.3007 – juris Rn. 12). Der geplanten Nutzung sind nur solche Bereiche funktional zugeordnet, die so nahe liegen, dass der Funktionszusammenhang zwischen Anlage und Gebiet noch gewahrt ist (Hornmann a.a.O. Rn. 46). In diesem Zusammenhang sind maßgeblich auch Art, Umfang, Lage, Größe, Ausstattung und Typik des Betriebs zu berücksichtigen (VG Augsburg, U.v. 9.12.2021 – Au 5 K 21.41 – juris Rn. 47). Voraussetzung für diese funktionale Zuordnung der Anlage zum Gebiet ist, dass die Bewohner der Umgebung in einem ins Gewicht fallenden Umfang zu ihrer Auslastung beizutragen vermögen. Nicht erforderlich ist freilich, dass sie nur von den Bewohnern des umliegenden Gebiets besucht wird (BVerwG, B.v. 3.9.1998 – 4 B 85/98 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.3.2022 – 9 ZB 21.3007 – juris Rn. 12). Von einem Funktionszusammenhang ist regelmäßig auszugehen, wenn die Anlage aus dem Wohngebiet heraus im Wesentlichen fußläufig erreicht werden kann und der Betrieb nicht realistischer Weise auf Besucher ausgerichtet ist, die ein Kraftfahrzeug nutzen müssen (BVerwG, U.v. 20.3.2019 – 4 C 5/18 – NVwZ 2020, 404 Rn. 16; OVG NW, B.v. 16.3.2005 – 10 B 1350/04 – juris Rn. 9). Ein weiteres Indiz für den Gebietsbezug ist die Stellplatzsituation. Je mehr vorhanden sind bzw. sein müssen, desto eher ist von einer übergebietlichen Ausrichtung des Betriebs auszugehen (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 16a; s.a. OVG NW, B.v. 19.8.2003 – 7 B 1040/03 – NVwZ-RR 2004, 245, 246). In konkreten Zahlen gesprochen wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass jedenfalls ein Umsatzanteil von 60 – 70% aus dem Gebiet heraus ausreicht. Als kritische untere Grenze wird ein innergebietlicher Umsatzanteil von etwa einem Drittel angesehen. Jedenfalls bei einem 5%-Umsatzanteil aus dem Gebiet dient ein Laden bzw. eine Schank-/Speisewirtschaft nicht mehr der Gebietsversorgung (VGH BW, B.v. 19.10.1999 – 5 S 1824/99 – NVwZ-RR 2000, 413, 414; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.12.2011 – OVG 10 S 29.10 – juris Rn. 15; Stock a.a.O. Rn. 15). Hinsichtlich der Stellplätze wurde etwa davon ausgegangen, dass 98 Stellplätze eines Discountgeschäfts im allgemeinen Wohngebiet ein deutliches Zeichen für einen fehlenden Gebietsbezug seien (Stock a.a.O. Rn. 16a m.w.N.: andererseits Gebietsbezug noch möglich bei 70 Stellplätzen, wenn sie verkehrsgünstig am Rande des Wohngebiets an einer überörtlichen Straße liegen und dieses vom Verkehr entlasten).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist das bzw. die den Beigeladenen genehmigte „Café/Bar“ nach Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) der Gebietsversorgung des hier zugunsten des Klägers angenommenen faktischen allgemeinen Wohngebietes zuzurechnen. Dafür spricht schon der laut Betriebsbeschreibung, welche Bestandteil der Baugenehmigung vom 23. Februar 2021 ist, äußerst überschaubare Betriebsumfang mit insgesamt 29 Sitzplätzen (13 innen auf 12,9m², 16 außen auf 11m²) und die Betriebszeiten Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag von 13 – 22 Uhr sowie einem Personal von nur einer Person. Hinzu tritt, dass es lediglich Getränke, aber keinerlei Speisen geben soll. Insofern erscheint es fernliegend, dass das Vorhaben der Beigeladenen in nennenswertem Umfang, sprich einem Umsatzanteil von deutlich über 50%, gebietsfremde Besucher anzieht, die mit dem Kfz anreisen würden. Dies auch deshalb, weil sich nach unwidersprochener Angabe des Beklagten und der Beigeladenen im Altort …, der sich im nördlichen Verlauf der F. … Straße anschließt, Schank- und Speisewirtschaften sowie Geschäfte befinden. Ebenfalls spricht gegen einen über die Gebietsversorgung hinausgreifenden Charakter des streitgegenständlichen Vorhabens, dass lediglich zwei Kfz-Stellplätze zu errichten sind. Dass dennoch eine untergeordnete Nachfrage von außerhalb stattfinden könnte, mag zwar sein, ist aber unschädlich für die so vorgenommene Einordnung (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 43). Nach alldem ist es auch unschädlich, dass der Beklagte keine weitergehenden Berechnungen angestellt oder statistische Daten zur Bevölkerung im Einzugsgebiet des Vorhabens der Beigeladenen eingeholt hat; dies musste sich ihm angesichts der Sachlage nicht aufdrängen und damit ebenso wenig dem Verwaltungsgericht. Schließlich wird der Befund der Gebietsversorgung durch die Klägerseite auch nicht substantiiert in Frage gestellt, sondern lediglich – rechtlich unzulässig, da § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO keine konkrete Bedürfnisprüfung zulässt (s.o.). – damit argumentiert, dass ein Bedarf für das Café der Beigeladenen nicht erkennbar sei.
bb) Setzte man hingegen ein faktisches Mischgebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO an, wäre das den Beigeladenen genehmigte Vorhaben ohne weiteres gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässig. Für eine Einordnung als faktisches Mischgebiet ließe sich, ohne dass es im Ergebnis noch darauf ankommt, da bereits die strengeren Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO erfüllt sind, anführen, dass man die Gebietsgrenze nach Norden hin bis zum Übergang der F. … Straße in die H. … straße und damit bis zur Einfahrt in den Altort … ziehen kann, da zuvor kein trennendes Element ersichtlich ist. Damit ließe sich auch der östlich der keine trennende Wirkung aufweisende F. … Straße liegende und bis zur S. … Straße reichende dreiecksförmige Block in die Betrachtung einbeziehen. Das so skizzierte Gebiet würde neben den bereits genannten Handwerksbetrieben (Blumengeschäft, Glaserei, Optiker) u.a. noch eine Niederlassung der Sparkasse, einen Kfz-Betrieb sowie ein … Restaurant umfassen, die sich nicht mehr unter § 4 Abs. 2 BauNVO subsumieren ließen, sondern typisch für ein Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO sind.
b) Der Kläger ist auch nicht im bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme verletzt, welches hier in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankert ist. Demnach können die in §§ 2 – 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen auch unzulässig sein, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebietes dort selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Das in den Begriff der Unzumutbarkeit hineingelesene Rücksichtnahmegebot wird aktiviert, „wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – NVwZ 2014, 370 Rn. 21). Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot an die Zulässigkeit des Vorhabens stellt, hängen wesentlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des durch das Vorhaben Betroffenen ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er sich in Rücksichtnahme üben. Es ist also darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 15; B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 9; s.a. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. EL Oktober 2021, § 34 Rn. 141).
Zur Konkretisierung dessen, was (un) zumutbar ist, ist für die vom Kläger gerügten Lärmbelästigungen grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen (BayVGH, B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – juris Rn. 21; Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 59 Rn. 54 f.) und somit im Falle von immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Gaststätten auf die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm). Zwar ist es so, dass Freiluftgaststätten wegen Nr. 1 Buchst. b TA Lärm keine Anwendung findet und im Falle einer sowohl innerhalb geschlossener Räume als auch unter freiem Himmel betriebenen Gaststätte je nach Bereich zu differenzieren wäre (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, Nr. 1 TA Lärm Anwendungsbereich Rn. 13), jedoch die TA Lärm zur Orientierung auch für den Freiluftbereich herangezogen werden darf (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 60). Die Heranziehung der Bayerischen Biergartenverordnung, die für den Kläger zudem ungünstiger wäre, scheidet vorliegend aus, da wohl kein Biergarten in diesem Sinne vorliegt.
Für ein (faktisches) allgemeines Wohngebiet beträgt der Immissionsrichtwert für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden nach Nr. 6.6, Nr. 6.1 Buchst. e) TA Lärm tags 55 dB(A), wobei die Tagzeit gemäß Nr. 6.4. TA Lärm von 6 bis 22 Uhr reicht. Für den Innen-, nicht den Außenbereich (hierzu Hornmann a.a.O. Rn. 60) des von den Beigeladenen geplanten Cafés ist zusätzlich für die Zeit von 20 bis 22 Uhr ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit von 6 dB nach Nr. 6.5 TA Lärm anzusetzen.
Angesichts der durch den Kläger inhaltlich nicht angegriffenen Stellungnahme des Technischen Immissionsschutzes des Beklagten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und der Lage des klägerischen Gebäudes südlich, auf der dem Vorhaben der Beigeladenen abgewandten Seite – zwischen dem Café und dem Kläger liegt das Wohn- und Geschäftsgebäude … (FlNr. ….), an dessen Nordseite die Beigeladenen anbauen wollen – erscheint eine Überschreitung der geschilderten Immissionsrichtwerte schon auf Basis der TA Lärm ausgeschlossen. Der Technische Immissionsschutz des Beklagten hatte im Baugenehmigungsverfahren mitgeteilt, dass aus fachtechnischer Sicht gegen das Bauvorhaben keine Bedenken bestünden und schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG nicht zu vermuten seien. Für die Wohnhäuser FlNrn. …, … und … wurden sodann noch um 3 dB(A) verringerte Immissionsrichtwerte vorgeschlagen und im Bescheid festgesetzt. Dass dies für das klägerische Grundstück nicht geschehen ist, ist angesichts dessen Lage für die Kammer nachvollziehbar. Zudem hat sich der Mitarbeiter des Technischen Immissionsschutzes des Beklagten in der mündlichen Verhandlung plausibel dahingehend geäußert, dass das klägerische Anwesen deshalb nicht berücksichtigt worden sei, weil Hauptimmissionsort die Freischankfläche des Cafés sei und damit die Immissionspunkte in die andere Richtung zu setzen gewesen seien. Wenn an den gesetzten Immissionspunkten die Werte eingehalten würden, gelte dies auch für das klägerische Anwesen. Der Abzug von 3 dB(A) von den Werten der TA Lärm schließlich sei erfolgt, um das bestehende Blumengeschäft zu berücksichtigen. Selbst für den Fall, dass durch den Beklagten nicht berücksichtigt worden sein sollte, dass nach Nr. 6.5 für den Innenraum des Cafés/der Bar der Beigeladenen ein Zuschlag von 6 dB(A) für die Zeit von 20 bis 22 Uhr anzusetzen ist, würde dies im Ergebnis den Pegel über den gesamten Werktag verteilt maximal um 1,9 dB(A) erhöhen (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, Nr. 6 TA Lärm Rn. 32 anders als hier für sämtliche Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit) und wäre nicht damit zu rechnen, dass am Wohnhaus des Klägers der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tags überschritten würde. Hinsichtlich der beiden an der südwestlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks zum Kläger hin situierten Kfz-Stellplätze, von denen jedoch lediglich einer neu errichtet wird, ist mit dem Technischen Immissionsschutz davon auszugehen, dass diese immissionsschutzfachlich angesichts der Betriebszeiten nur zur Tagzeit nicht ins Gewicht fallen. Die fachtechnische Würdigung hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auch nicht substantiiert angegriffen, sondern vielmehr geäußert, dass den Kläger mehr der verhaltensbezogene Lärm störe, der rund um die Gastwirtschaft entstehe, „mit Autofahrten und Ähnlichem“, der eventuell bis in die Nachtzeit reiche.
Auf Basis dessen ist das Vorgehen des Beklagten, den Lärmschutz durch zielorientierte Festlegungen und betriebliche Beschränkungen (etwa: kein Betrieb zur Nachtzeit, Ende des Betriebs inkl. Fahrverkehr bis 22:00 Uhr, keine Musikdarbietungen im Außenbereich, im Innenbereich nur Hintergrundmusik, Fenster und Türen geschlossen halten) in Ziffer II. Nrn. 10 – 20 im Bescheid vom 23. Februar 2021 nicht zu beanstanden, weil gewährleistet ist, dass die Immissions(richt) werte im regelmäßigen Betrieb auch zugunsten des nicht als Immissionsort aufgeführten Klägers eingehalten werden können (BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 26).
Soweit schließlich der Kläger darauf verweist, dass junge Leute, auf die das Café bzw. die Bar ausgerichtet sei, diese heutzutage nicht vor 22 Uhr besuchen würden und unabhängig von den Auflagen von der Konzeption der Bar her erhebliche Belästigungen für die Wohnbevölkerung in der näheren Umgebung zu erwarten seien, ist er darauf zu verweisen, dass sowohl die Betriebsbeschreibung als auch Ziffer II. 12 des streitgegenständlichen Bescheides einen Betrieb nach 22 Uhr ausschließen. Streitgegenstand ist das Vorhaben so, wie es durch den Bescheid vom 23. Februar 2021 genehmigt ist. Etwaige zukünftige Verstöße gegen die Baugenehmigung, die hier zudem als wenig fundierte Mutmaßungen der Klägerseite geäußert werden, führen nicht zu deren Rechtswidrigkeit, vielmehr müsste der Beklagte gegebenenfalls baufaufsichtlich einschreiten, sobald der Genehmigungsrahmen durch die Beigeladenen verlassen wird bzw. der Kläger außerhalb der Dienstzeiten des Landratsamtes die Polizei bemühen. Für mögliche Störungen durch eine Nutzung außerhalb des Genehmigungsrahmens – die hier sowieso nur ins Blaue hinein behauptet wird – wäre die Bauherrin und Beigeladene nämlich nur dann von vornherein verantwortlich, wenn sie besondere Anreize geschaffen hat, die zu einer regelwidrigen Nutzung „einladen“ (BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 12.269 – juris Rn. 61; VG Ansbach, U.v. 28.10.2021 – AN 17 K 20.00907 – juris Rn. 136). Dafür spricht hier nichts.
c) Eine Verletzung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO scheidet offensichtlich aus. Auch weitere im Rahmen des Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfende drittschützende Belange, die verletzt sein könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen
2. Die Kostenentscheidung basiert auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Beigeladenen ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, da sie sich durch ihre Antragstellung auch dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt und sachdienlich am Verfahren beteiligt hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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