Baurecht

Mischgebiet, Fehlendes ausreichendes Mischungsverhältnis, Wohnen und Gewerbe

Aktenzeichen  2 NE 22.1132

Datum:
30.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16905
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan „Erweiterung Bäckerei B.“ der Antragsgegnerin vom 12. September 2019 wird bis zur Entscheidung des Gerichts über den Normenkontrollantrag des Antragstellers vom 25. März 2020 im Verfahren 2 N 20.639 außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Erweiterung Bäckerei B.“, der von der Antragsgegnerin am 12. September 2019 beschlossen und am 27. September 2019 bekannt gemacht wurde.
Mit dem Bebauungsplan kann der bereits bestehende Bäckereibetrieb nach Süden in den bisherigen Außenbereich hinein erweitert werden. Der Bestand befindet sich im unbeplanten Innenbereich. Für die Art der Nutzung wird ein Mischgebiet ausgewiesen. In Bezug auf die Zulässigkeit einer Wohnnutzung wird diese auf den Bestand begrenzt. Durch die Festsetzung von Baugrenzen kann eine Grundfläche von ca. 3.300 qm überbaut werden. Die innerhalb der festgesetzten Baugrenzen bestehende Wohnnutzung beansprucht eine Grundfläche von ca. 240 qm. Im nördlichen Bereich der überbaubaren Grundstücksfläche beträgt die zulässige Gebäudehöhe 12,5 m, im südlichen Bereich 9,5 m. Die festgesetzte Grundflächenzahl beträgt 0,5, die festgesetzte Geschossflächenzahl 0,7. Es wird abweichende Bauweise nach § 22 Abs. 4 BauNVO festgesetzt, da Baukörper mit mehr als 50 m Kantenlänge zulässig sind. Weiter werden umfängliche bauliche und organisatorische immissionsschutzrechtlichen Maßnahmen festgesetzt.
Der Antragsteller ist Eigentümer sich östlich an das Plangebiet anschließender Grundstücke, die teilweise mit Wohnhäusern bebaut sind.
Am 25. März 2020 erhob der Antragsteller Normenkontrollklage, über die noch nicht entschieden ist. Am 25. Januar 2022 erteilte das Landratsamt Bamberg der Beigeladenen eine bauaufsichtliche Genehmigung und denkmalrechtliche Erlaubnis zur Erweiterung der bestehenden Bäckerei und dem Teilabbruch des bestehenden Betriebsgebäudes.
Am 5. Mai 2022 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt,
den streitgegenständlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Mit dem Bebauungsplan werde eine Bäckereifabrik ermöglicht, die über erhebliches Störpotenzial verfüge. Die mit Wohnhäusern bebauten Grundstücke des Antragstellers seien nur wenige Meter vom Einzugsbereich des Plangebiets gelegen. Es sei mit erheblichen Lärm- und Geruchsbelästigungen zu rechnen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene verteidigen den angegriffenen Bebauungsplan.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag des Antragstellers nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig.
Die insoweit erforderliche Antragsbefugnis entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann hier angenommen werden. Antragsbefugt sind natürliche und juristische Personen, wenn sie geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt werden zu können. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch die Norm in seinen Rechten verletzt wird (BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 CN 1.02 – BVerwGE 117,209). Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, kann die Antragsbefugnis verneint werden. Der Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks ist antragsbefugt, wenn er eine mögliche Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen kann. Das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind (BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – juris). Der Antragsteller hat sich insbesondere auf zu erwartende erhöhte Lärm- und Geruchsimmissionen durch den zu erwartenden Lieferverkehr und Betrieb berufen, die im Rahmen der Abwägung unzureichend berücksichtigt seien, was hier im Rahmen der Antragsbefugnis nicht gänzlich auszuschließen ist.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt voraus, dass dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, die die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (BVerfG, B.v. 5.7.1995 – 1 BvR 2226/94 – BVerfGE 93, 181). Eine einstweilige Anordnung darf nur ergehen, wenn die dafür sprechenden Gründe so schwerwiegend sind, dass sie unabweisbar ist. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens können für die Entscheidung nach § 47 Abs. 6 VwGO von Bedeutung sein, wenn sie sich im Eilverfahren bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit überschauen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.1999 – 2 NE 99.1535 – juris; B.v. 7.8.2008 – 2 NE 08.1700 – juris).
Bereits die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotene summarische Prüfung ergibt, dass der inmitten stehende Bebauungsplan offensichtlich an schweren, zu seiner Unwirksamkeit führenden Mängeln leidet. Angesichts dessen sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans, da dieser gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstößt.
Nicht erforderlich im Sinne dieser Vorschrift sind solche Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. Hier stellt die Planung einen städtebaulichen Missgriff dar, der gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstößt, denn die Festsetzung eines Mischgebiets entbehrt der städtebaulichen Rechtfertigung. Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. In einem Mischgebiet soll den Belangen der gewerblichen Wirtschaft in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung. Wohnen und gewerbliche Nutzung stehen gleichrangig und gleichwertig nebeneinander. Keine der Nutzungsarten soll ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen (stRspr, BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 11.69 – BVerwGE 40, 94; U.v. 25.11.1983 – 4 C 64.79 – BVerwGE 68, 207 = juris Rn. 9; U.v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309 = juris Rn. 18 m.w.N.). Für die quantitative Mischung kommt es darauf an, in welchem Verhältnis die dem Wohnen und die gewerblichen Zwecken dienenden Anlagen im Baugebiet nach Anzahl und Umfang zueinander stehen. Dies lässt sich unter anderem auch danach beurteilen, mit welchen Prozentsätzen Grund- oder Geschossflächen im jeweiligen Mischgebiet für die eine oder andere Nutzungsart in Anspruch genommen werden. Die Störung des gebotenen quantitativen Mischungsverhältnisses kann sich aus einem übermäßig großen Anteil einer Nutzungsart an der Grundfläche des Baugebiets, einem Missverhältnis der Geschossflächen oder der Zahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden, oder auch erst aus mehreren solcher Merkmale zusammengenommen ergeben. Erforderlich ist stets eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung in Frage kommenden tatsächlichen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1988 a.a.O.; B.v. 11.4.1996 – 4 B 51.96 – NVwZ-RR 1997, 463). Ein Plangeber, der ein Mischgebiet festsetzt, muss deshalb das gesetzlich vorgesehene gleichberechtigte Miteinander von Wohnen und Gewerbe auch wollen oder zumindest sicher voraussehen, dass sich in dem fraglichen Gebiet eine solche Durchmischung einstellt.
Daran fehlt es hier offensichtlich. Durch die Beschränkung einer der beiden Hauptnutzungsarten, die das Gesetz für das Mischgebiet vorsieht, nämlich das Wohnen, auf den vorhandenen Bestand, ist diese Nutzungsart im Verhältnis zur gewerblichen Nutzung derartig unterrepräsentiert, dass der Charakter eines Mischgebiets nicht mehr gewahrt ist. Betrachtet man allein die überbaubare Grundstücksfläche, ist diese zu weniger als 10% für die Nutzungsart Wohnen vorgesehen. Aber auch der Umstand, dass das im Bestand vorhandene Wohngebäude in einem Bereich liegt, in dem die maximal zulässige Gebäudehöhe diejenige überschreitet, die für den südlichen Teil des Plangebiets vorgesehen ist, vermag an der so ermittelten deutlichen quantitativen Unterrepräsentierung der Nutzungsart Wohnen wenig zu ändern, da der Unterschied mit 12,5 zu 9,5 m nicht allzu deutlich ist und für einen Gutteil der Nutzungsart Gewerbe ebenfalls eine maximal zulässige Gebäudehöhe von 12,5 m festgesetzt ist. Setzt man die Geschossfläche, die für die Nutzungsart Wohnen bereits vorhanden ist, zu derjenigen, die für die Nutzungsart Gewerbe vorgesehen ist, ins Verhältnis, mag das dazu führen, dass die Unterrepräsentierung der Nutzungsart Wohnen etwas abgemildert wird. Aus dem streitgegenständlichen Bebauungsplan ist nicht ersichtlich, über wie viel (Voll) geschosse das Wohngebäude, das im Bestand vorhanden ist, verfügt. Aber selbst für den Fall, dass drei Vollgeschosse vorhanden sein sollten, würde die für das Wohnen vorgesehene Geschossfläche im Verhältnis zu derjenigen, die für gewerbliche Nutzung vorgesehen ist, immer noch weniger als 20% betragen. Dass auch für diesen Fall eine ungefähre Gleichgewichtigkeit von Wohnen einerseits und Gewerbe andererseits nicht gewährleistet ist, liegt auf der Hand (vgl. auch BayVGH, U.v. 3.9.2001 – 1 N 98.48 – BeckRS 2001, 24947: Funktionsloswerden bei einer Dominanz von mehr als 80% durch eine Hauptnutzungsart).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die Ziffer I. der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss von der Antragsgegnerin in derselben Weise veröffentlicht werden wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben