Baurecht

Nachbareilantrag, Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften, Überdecken der Abstandsflächen von Vorder- und Rückgebäude auf dem Baugrundstück, Erker erfüllt nicht die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BayBO, Keine Inanspruchnahme des 16 m Privilegs

Aktenzeichen  M 8 SN 22.936

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9719
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
BauGB § 212a
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5a S. 1, 2, Abs. 6 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16. November 2021 (M 8 K 21.6689) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Nachbarin gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung auf dem Grundstück … straße 30, FlNr. … (im Folgenden: Baugrundstück) und begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer hiergegen gerichteten Klage.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks … straße 32b, FlNr. …, Gem. … (im Folgenden: Nachbargrundstück), das mit einer zweigeschossigen Doppelhaushälfte (E + D) bebaut ist, die südöstlich unmittelbar an die zweite Doppelhaushälfte auf dem Grundstück … straße 32c, FlNr. … angrenzt. An die (süd) westliche Grundstücksgrenze des Nachbargrundstücks schließt das Baugrundstück an.
Mit Bauantrag vom 1. April 2021 (PlNr. …*) beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für den Neubau einer Wohnanlage (Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten und einem Doppelhaus) mit gemeinsamer Tiefgarage. Vorgesehen ist die Errichtung eines zweigeschossigen Mehrfamilienhauses mit ausgebautem Dachgeschoss im Nordwesten des Baugrundstücks (Vordergebäude). Dieses Gebäude soll 12,55 m breit und 15,92 m lang sein sowie eine Wandhöhe von 6,00 m und eine Firsthöhe von 9,8 m erhalten. Am südwestlichen Teil des Gebäudes soll sich ein 2,25 m langer und 10,55 m breiter eingeschossiger Anbau an den Hauptbaukörper anschließen, der im ersten Obergeschoss als Terrasse genutzt werden soll. Im ersten Obergeschoss soll hier ein 4,52 m breiter und 0,36 m tiefer Erker entstehen. Im südöstlichen Teil des Baugrundstücks ist die Errichtung eines zweigeschossigen Doppelhauses mit ausgebautem Dachgeschoss geplant („Gartengebäude“). Dieses soll Ausmaße von 11,16 m (Länge) und 11,4 m (Breite) haben und eine Wand- /Firsthöhe von 5,5 /9,5 m. Die Oberkante des Geländes ist im Bereich des Doppelhauses in den Bauvorlagen mit + 0,1 m angegeben.
Vgl. zum geplanten Bauvorhaben und zu seiner Umgebung folgenden Lageplan im Maßstab 1:1000 (Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu):
Mit Bescheid vom 16. November 2021 erteilte die Antragsgegnerin die beantragte Baugenehmigung. Der Bescheid wurde der Antragstellerin ausweislich der Postzustellungsurkunde in den Behördenakten am 29. November 2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021, am folgenden Tag bei Gericht eingegangen, erhob die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte die Baugenehmigung aufzuheben (M 8 K 21.6689). Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2022 beantragt die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten,
die aufschiebende Wirkung der am 27. Dezember 2021 erhobenen Klage anzuordnen.
Der Verfahrensbevollmächtigte führte zur Begründung aus, das Bauvorhaben verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Das Vorhaben füge sich nicht in die Umgebungsbebauung ein. Im Rahmen eines der Antragstellerin am 25. Oktober 1999 erteilten Vorbescheids habe die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass eine Traufhöhe von 4,00 m und eine Firsthöhe von 7,65 m möglich sei. Die Umgebungsbebauung habe sich seither jedenfalls nicht wesentlich geändert, sodass sich ein Baukörper, der die Kubatur des von der Antragstellerin geplanten Vorhabens noch einmal überragen würde, auch 20 Jahre später nicht in die Umgebungsbebauung einfügen könne. Obwohl das Bauvorhaben die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin einhalte, werde es gleichwohl eine erdrückende und einmauernde Wirkung ausüben. Insbesondere werde das Grundstück der Antragstellerin zukünftig nicht mehr ausreichend belichtet und besonnt werden. Der in Richtung des Vorhabens ausgerichtete Garten der Antragstellerin werde veröden und die Antragstellerin durch die fehlende Besonnung erheblich und in unzumutbarer Art und Weise an Lebensqualität einbüßen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verwies auf die Antragserwiderung der Beigeladenen.
Die Beigeladene beantragt durch ihren Bevollmächtigten,
den Antrag abzulehnen.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Antrag sei bereits unzulässig, jedenfalls sei er unbegründet. Die Antragstellerin mache keine Verletzung von drittschützenden Normen geltend. Das Einfügen der Frist- und Traufhöhe des Vorhabens in die nähere Umgebung führe isoliert betrachtet nicht zu einem Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift, denn das Gebot des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung sei insoweit nicht drittschützend. Zudem sei klarzustellen, dass sich das gegenständliche Vorhaben in jeder Hinsicht, insbesondere nach dem Maß der baulichen Nutzung, in die nähere Umgebung einfüge. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergebe sich nicht aus einer erdrückenden und einmauernden Wirkung bzw. einer unzumutbaren Verschattung des Grundstücks der Antragstellerin, weil diese Effekte durch die Bebauung keineswegs eintreten würden. Die Kubaturen der von der Beigeladenen geplanten Gebäude seien jeweils vergleichbar mit der des Doppelhauses der Antragstellerin. Das „Gartenhaus“ sei 9,05 m von dem Gebäude der Antragstellerin entfernt. Das Vorder- und das „Gartenhaus“ seien voneinander zusätzlich 9,19 m entfernt. Dadurch zeige sich, dass angesichts der Vergleichbarkeit der Baukörper sowie des Abstandes der geplanten Gebäude sowohl zueinander, als auch zu dem Gebäude der Antragstellerin keine erdrückende Wirkung ausgehe. Auch in Relation zu anderen umliegenden Gebäude weise das Vorhaben kein Übermaß auf, sondern sei im Gegenteil in Höhe und Volumen annähernd gleichartig. Von einem Gefühl des Eingemauertseins oder einer „Gefängnishofsituation“ könne keine Rede sein. Für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots komme es weder darauf an, ob ein Nachbargrundstück besonders schmal sei, noch darauf, wie der befindliche Garten ausgerichtet sei. Durch das Bauvorhaben könne schon aufgrund des Lichteinfallswinkels und des Abstands zwischen den Gebäuden keine unzumutbare Verschattung entstehen. Durch die Fällung der Esche werde sich die Besonnungs- und Belichtungssituation für das Anwesen der Antragstellerin verbessern.
Wegen der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten, sowie die Gerichtsakten in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 21.6689) Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage in der Hauptsache, verletzt die Baugenehmigung die Antragstellerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)), sodass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Beigeladenen überwiegt.
1.1. Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung hat gem. § 212a Baugesetzbuch (BauGB) keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessungsentscheidung darüber, ob das Interesse des Nachbarn an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung oder das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung höher zu bewerten ist. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache sind als wesentliches, jedoch nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80a Rn. 25f.).
Verletzt die angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten, so besteht kein öffentliches Interesse an deren Vollziehung. Dagegen stellt es ein gewichtiges Indiz für das Überwiegen des Vollzugsinteresses dar, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg verspricht. Sind die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Nachbarn offen, so erfolgt eine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Gesichtspunkte (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18).
1.2. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Die Rechtswidrigkeit der Genehmigung muss sich zudem aus einer Verletzung von Vorschriften ergeben, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
1.3. Dies zugrunde gelegt, überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber den entgegenstehenden Vollzugsinteressen der Beigeladenen. Denn die Klage der Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 16. November 2021 verletzt die Antragstellerin nach summarischer Prüfung in ihren Rechten, da sie zu deren Lasten den gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. b Bayerische Bauordnung (BayBO) zum Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gehörenden bauordnungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 und Abs. 5a Satz 1 und Satz 2 BayBO widerspricht. Die nordöstliche Außenwand des „Gartengebäudes“, die unmittelbar zum Nachbargrundstück ausgerichtet ist, kann nicht das 16 m – Privileg des Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO in Anspruch nehmen, da das Gebäude nicht an zwei Außenwänden 1 H einhält. Die Abstandsflächen der nordwestlichen Außenwand des „Gartengebäudes“ und der südöstlichen Außenwand des Vordergebäudes überschneiden sich.
1.3.1. Soweit eine Baugenehmigung die Abstandsflächenvorschriften nicht einhält, kann der Nachbar in seinen Rechten verletzt sein. Die Regelungen des Art. 6 BayBO sind in ihrer Gesamtheit auch dem Schutz der angrenzenden Nachbarn zu dienen bestimmt, da sie auch die ausreichende Belichtung, Besonnung, Belüftung und den Brandschutz der vorhandenen und zukünftigen Nachbargebäude gewährleisten sollen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.1991 – 2 CS 91.2446 – BeckRS 1991, 9074; B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535 – BeckRS 2005, 17740; Dirnberger, in: Busse/Kraus, BayBO, Art. 66 Rn. 258 Stand: September 2021 m.w.N.).
1.3.2. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten. Die Abstandsflächen müssen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Grundstück selbst liegen. Abstandsflächen dürfen sich, abgesehen von den Ausnahmen des Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 – 3 BayBO, nicht überdecken. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, die senkrecht zur Wand zu messen ist (vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Die Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand (vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Vertikal versetzte Außenwandteile, die dadurch entstehen, dass die Außenwand eines Gebäudes auf verschiedenen Geschossen Vor- und Rücksprünge aufweist, haben keine eigene Außenwand, die geschlossen von der Geländeoberfläche bis zur Oberkante der Wand durchläuft. Daher ist „stellvertretend“ für jeden versetzten Wandteil eine entsprechende fiktive Wand zu konstruieren, nach deren Höhe sich die jeweilige Abstandsflächentiefe bemisst, indem dieser (Außen-)Wandteil fiktiv nach unten bis zum Schnitt mit der Geländeoberfläche verlängert wird; von diesem fiktiven Schnitt mit der Geländeoberfläche ist dann die Abstandsfläche zu messen (vgl. BayVGH, U.v. 20.12.1988 – 20 B 88.00137 – BayVBl. 1989, 721; B.v. 11.11.2015 – 2 CS 15.1251 – juris Rn. 4).
Abweichend von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsfläche gem. Art. 6 Abs. 5a Satz 1 BayBO in Gemeinden mit – wie hier – mehr als 250.000 Einwohnern außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten sowie festgesetzten urbanen Gebieten 1 H, mindestens jedoch 3 m. Vor zwei Außenwänden, die jeweils nicht länger als 16 m sind, genügt nach Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO 0,5 H, mindestens 3 m, sog. 16 m – Privileg. Bei der Inanspruchnahme des 16 m – Privilegs muss das Gebäude dann jedoch an zwei Außenwänden eine Abstandsflächentiefe von 1 H einhalten. Ein Nachbar, dessen Grundstück einer Außenwand gegenüberliegt, für die eine Abstandsflächentiefe von 0,5 H gem. Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO in Anspruch genommen wird, kann daher auch durch die Verkürzung von Abstandsflächentiefen an ihm abgewandten Gebäudeseiten in seinen Rechten verletzt sein, wenn dadurch zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO entfallen (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2000 – GrS 1/1999 – juris Rn. 20; B.v. 6.5.2019 – 2 CE 19.515 – BeckRS 2019, 8675; Hahn, in: Busse/Kraus, BayBO, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 374 ff.).
1.3.3. Das geplante „Gartengebäude“ macht sowohl in Richtung des Nachbargrundstücks als auch an seiner südöstlichen Außenwand (zur FlNr. …*) vom sog. 16 m – Privileg Gebrauch. Das „Gartengebäude“ muss deswegen an der südwestlichen und nordwestlichen Außenwand 1 H einhalten, um keine Rechte der Antragstellerin zu verletzen. An der nordwestlichen Außenwand des „Gartengebäudes“ hält dieses jedoch nicht 1 H ein, da sich die Abstandsflächen des Vordergebäudes und des Gartengebäudes überschneiden (Art. 6 Abs. 3 BayBO).
Die am weitesten vor die Gebäudeaußenwand ragende Einzelabstandsfläche ist die für den Wandteil maßgebliche Abstandsfläche. Dies führt vorliegend dazu, dass die maßgebliche Abstandsfläche der südöstlichen Außenwand des Vordergebäudes die von dem Erker im ersten Obergeschoss gebildete, fiktiv bis zur Geländeoberfläche konstruierte Außenwand, ist. Dieser Erker tritt im ersten Obergeschoss in einer Breite von 4,52 m (vermaßt) um 0,36 m (vermaßt) von der Außenwand hervor. Dieser eingeschossige Erker ist auch nicht privilegiert i.S.d. Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BayBO, sodass er als versetzter Außenwandteil, eine eigene Abstandsfläche hat (vgl. BayVGH, U.v. 25.5.1998 – 2 B 94.2682 – BeckRS 2005, 29052; B.v. 18.8.2004 – 26 ZB 04.995 – juris Rn. 3). Bei der Bemessung der Abstandsflächen bleiben Erker nur außer Betracht, wenn sie nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 lit. a BayBO insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand des jeweiligen Gebäudes, höchstens jeweils 5 m, in Anspruch nehmen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, da die südöstliche Außenwand des Vordergebäudes 12,55 m (vermaßt) breit ist, sodass der Erker mit einer Breite von 4,52 m mehr als ein Drittel der Außenwandbreite misst.
Der Abstand zwischen dem fiktiven Schnitt der Geländeoberfläche der südöstlichen Außenwand des Vordergebäudes und der nordwestlichen Außenwand des „Gartengebäudes“ beträgt 11,08 m (vermaßt in den Plänen der Grundrisse des Erdgeschosses und ersten Obergeschosses: 9,19 m [Abstand zwischen Gartengebäude und Vordergebäude einschließlich eingeschossiger Vorbau] + 2,25 [Tiefe des eingeschossigen Vorbaus] – 0, 36 m [Tiefe des Erkers]).
Die nordwestliche Außenwand des „Gartengebäudes“ hat nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO eine Höhe von 5,4 m (vermaßt). Dies ergibt sich aus der Höhe des Traufpunkts 5,5 m (vermaßt) und dem Gelände, das diese Außenwand schneidet, mit einer Höhe von + 0,1 m (vermaßt). 1 H beträgt damit 5,4 m. Die von dem Erker im ersten Obergeschoss gebildete, fiktiv bis zur Geländeoberfläche konstruierte Außenwand ist ca. 5,8 m (abgegriffen) hoch. Die Abstandsflächentiefe dieser Außenwand beträgt damit 5,8 m.
Die Abstandsfläche der nordwestlichen Außenwand des „Gartengebäudes“ und der südöstlichen Außenwand des Vordergebäudes überschneiden sich damit entgegen Art. 6 Abs. 3 BayBO, da sie nicht den erforderlichen Abstand von 11,2 m (5,4 m + 5,8 m) zueinander einhalten, sondern nur einen Abstand von 11,08 m (vgl. oben). Eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 – 3 BayBO liegt nicht vor.
Die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO sind damit nicht erfüllt, sodass die Beigeladene bei der, dem Nachbargrundstück gegenüberliegenden südöstlichen Außenwand des „Gartengebäudes“ nicht das 16 m – Privileg in Anspruch nehmen kann.
2. Auch, wenn es hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt, wird – zur Vermeidung von Unklarheiten – darauf hingewiesen, dass das Vorhaben im Übrigen keine drittschützenden Rechte der Antragstellerin verletzt. Soweit die Antragspartei geltend macht, das Vorhaben füge sich hinsichtlich Höhe der geplanten Baukörper nicht in die nähere Umgebung ein, wird darauf hingewiesen, dass die Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, grundsätzlich keinen Drittschutz beinhalten (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung objektiv in die nähere Umgebung einfügt. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin kommt insofern in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nur im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot in Betracht.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbar als objektiv-rechtliche Anforderung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn dieser qualifiziert und individualisiert betroffen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Dabei ist darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328). Das Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22).
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (so beispielsweise in BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens, seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen der Größe und Situierung der geplanten Baukörper aus. Das der Antragstellerin gegenüberliegende „Gartengebäude“ weist eine Wandhöhe von 5,5 m und eine Firsthöhe von 9,5 m auf, verfügt lediglich über zwei Geschosse mit ausgebautem Dachgeschoss und hält einen Abstand zur Grenze des Nachbargrundstücks von 3,05 m ein. Das zweigeschossige Gebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin ist nach den Angaben der Antragstellerin 8,92 m entfernt und weist eine Wandhöhe von 4,8 m auf. Das „Gartengebäude“ ist damit nicht erheblich höher, von einem übergroßen Baukörper kann keine Rede sein. Von einer einmauernden oder erdrückenden Wirkung ist daher nicht auszugehen. Das geplante Vordergebäude ist aufgrund seiner Ausmaße und der Entfernung von über 13 m zum Gebäude der Antragstellerin von Anfang an ungeeignet, eine Beeinträchtigung für die Antragstellerin herbeizuführen. Aus den gleichen Gründen scheidet auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen einer durch das Bauvorhaben entstehenden Verschattung aus. Das Gebot der Rücksichtnahme schützt den Nachbarn nicht von jeder (weiteren) Verschattung und jeder Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung auf seinem Grundstück. Eine Rechtsverletzung ist erst dann anzunehmen, wenn von dem der Planung zugrundeliegenden Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7), die vorliegend nicht ersichtlich ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 3 VwGO. Der Beigeladenen waren neben der Antragsgegnerin als unterliegender Partei gem. § 154 Abs. 3 VwGO die Hälfte der Kosten aufzuerlegen (§ 159 Satz 2 VwGO), da sie einen Sachantrag gestellt hat und mit diesem unterlegen ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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