Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Duplexgaragen und Stellplätze

Aktenzeichen  RO 7 K 17.631

Datum:
4.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14921
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 12 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 2, § 23 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Ein Nachbar darf, wenn die Baugenehmigungsbehörde eine an sich erforderliche Zulassung bzw. Befreiung nicht erteilt und ein Vorhaben, das im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans steht, einfach genehmigt, nicht schlechter stehen, als wenn die erforderliche Befreiung erteilt worden wäre. Es ist daher die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO analog anzuwenden und unter Berücksichtigung der Wertung des § 31 Abs. 2 BauGB eine Würdigung der nachbarlichen Interessen vorzunehmen (vgl. BVerwG, BeckRS 9998, 47590). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Durch die mit Bescheid der Beklagten vom 24. März 2017 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung von drei Duplexgaragen und drei Stellplätzen wird der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ein Nachbar kann sich im Rahmen einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade auch seinem Schutz als Nachbarn zu dienen bestimmt ist. Eine umfassende rechtliche Überprüfung einer Baugenehmigung findet durch das Gericht nicht statt; es prüft nur die Verletzung solcher Vorschriften, die für den Kläger im konkreten Fall drittschützende Wirkung entfalten. Darüber hinaus kommt überhaupt nur eine Verletzung von Vorschriften in Betracht, die von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung umfasst sind.
Hiervon ausgehend kann eine Verletzung von drittschützenden und von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung umfassten Vorschriften nicht erkannt werden.
Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 61 26 144. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher nach § 30 Abs. 1 BauGB. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte den Bebauungsplan aufheben möchte und diesbezüglich ein Aufhebungsverfahren eingeleitet hat. Da das Verfahren zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung noch nicht abgeschlossen war, ist der Bebauungsplan für die Zulässigkeit des Vorhabens weiterhin maßgeblich. Dafür, dass der Bebauungsplan zwischenzeitlich in Folge einer abweichenden tatsächlichen Entwicklung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung überholt, funktionslos und damit unbeachtlich geworden ist, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ob eine (Teil-)Funktionslosigkeit bzgl. der Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen eingetreten ist, kann dahinstehen. Denn daraus könnte der Kläger keine verbesserte Rechtsposition ableiten (s.u.).
Die geplanten Stellplätze und Garagen sind mit Blick auf die drittschützenden Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung zulässig. Im einschlägigen Bebauungsplan ist sowohl für das Baugrundstück als auch für das klägerische Grundstück hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet (WA) gemäß § 4 BauNVO festgesetzt. Die Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen in einem allgemeinen Wohngebiet ergibt sich aus § 12 Abs. 1, 2 BauNVO i.V.m. § 4 BauNVO. Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen grundsätzlich allgemein in allen Baugebieten zulässig. Eingeschränkt wird diese allgemeine Zulässigkeit für allgemeine Wohngebiete durch § 12 Abs. 2 i.V.m. § 4 BauNVO dahingehend, dass Stellplätze und Garagen in einem allgemeinen Wohngebiet nur im Umfang des durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarfs zulässig sind. Die zugelassene Nutzung in diesem Sinne meint die durch die Baugebietsfestsetzung insgesamt zugelassene Nutzung und nicht nur die auf dem jeweiligen Baugrundstück zulässige oder zugelassene Nutzung und den durch diese ausgelösten Stellplatzbedarf (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris). Verhindert werden soll mit der einschränkenden Regelung in Abs. 2 die Errichtung von Stellplätzen, die einem außergebietlichen Bedarf dienen (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, Rn. 17 ff zu § 12). Dafür, dass die streitgegenständlichen Stellplätze einem außergebietlichen Bedarf dienen, ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
Zudem gilt unabhängig davon: Auch eine Nutzung, die bestandskräftig genehmigt wurde und daher ausgeübt werden darf, ist vom Begriff der „zugelassenen Nutzung“ in § 12 Abs. 2 BauNVO umfasst (BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11/05 – juris). Sofern, wie hier, für die zugelassenen Nutzungen notwendige Stellplätze und Garagen im Gebiet bauordnungsrechtlich im Wege einer Stellplatzsatzung gefordert werden, wird dadurch (nur) die Untergrenze des verursachten Bedarfs benannt (vgl. BVerwG, B.v. 3.11.1993 – 2 SS 247/93 – juris). Die Nutzung des Grundstücks des Beigeladenen als Arztpraxis wurde bereits 1994 genehmigt. Die entsprechende Baugenehmigung ist bestandskräftig geworden. Ebenso bestandskräftig ist mittlerweile die Genehmigung der Erweiterung der Arztpraxis vom 24. März 2017. Die derart erweiterte Arztpraxis ruft gemäß § 3 Abs. 1 der Stellplatzsatzung der Beklagten vom 30. August 2013 i.V.m. Nr. 2.2 der Anlage 1 zur Stellplatzsatzung einen Bedarf von insgesamt 41 Stellplätzen hervor. In der vorhandenen Tiefgarage befinden sich neun Stellplätze, im Freien sind – abzüglich der durch das Vorhaben zu ersetzenden fünf Stellplätze – 23 Stellplätze vorhanden. Zusammengerechnet ergeben sich daher 32 vorhandene Stellplätze. Um auf die benötigte Anzahl von 41 Stellplätzen zu kommen, besteht demzufolge (Mindest-) Bedarf für neun weitere Stellplätze, die durch das mit dem angegriffenen Bescheid genehmigte Vorhaben geschaffen werden sollen. Auch insoweit vermag das Gericht keinen Verstoß gegen die Vorschrift des § 12 BauNVO im Hinblick auf den Stellplatzbedarf zu erkennen.
Nach § 12 BauNVO zulässige Garagen bzw. Stellplätze können gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO rücksichtlos sein, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Dies ist jedoch nicht anzunehmen.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – juris) ist grundsätzlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, kann aber – wie hier – im Einzelfall Drittschutz vermitteln, wenn auf die Interessen eines erkennbar abgrenzbaren Personenkreises Rücksicht zu nehmen ist, der den von der Nutzung ausgehenden Belästigungen oder Störungen ausgesetzt ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 05.12.2013 – 4 C 5.12 – juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme im konkreten Fall stellt, hängt dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 9 CS 17.2099 – juris).
Nach der hiernach vorzunehmenden Abwägung zwischen den Interessen des Klägers und denjenigen des Beigeladenen bestehen gegen die Baugenehmigung keine durchgreifenden Bedenken. Im Rahmen der Abwägung relevanter Umstände, die für den Nachbarn besonders belastend wirken, sind z.B. eine überlange Zufahrt zu den Stellplätzen entlang der Grundstücksgrenze, eine besonders ungünstige steile Zufahrt und entsprechende Höhenverhältnisse zu den Wohnräumen, eine besonders beengte Situation, die zu vermehrtem Rangieraufwand führt („enge Hoflage“), sowie eine Massierung von Stellplätzen auf der dem ruhigeren und besonders schützenswerten Bereich des Grundstücks des Nachbarn zugewandten Seite. Umstände, die Belästigungen vermindern bzw. abschwächen, sind hingegen u. a. eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht auf Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze (BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris).
Durch die mit dem angefochtenen Bescheid genehmigten Garagen und Stellplätze wird nicht erstmals An- und Abfahrtsverkehr in einen ruhigen, hinter einem Wohnhaus gelegenen Gartenbereich hineintragen. Bereits aufgrund der bisherigen, im Jahr 1994 bestandskräftig genehmigten Nutzung der Arztpraxis auf dem Baugrundstück befanden sich im rückwärtigen Grundstücksteil des Beigeladenen schon Stellplätze und Garagen. Der durch die bestandskräftig genehmigte Nutzung der Arztpraxis ausgelöste Parkverkehr im Bereich des Klägergrundstücks ist schon seit mehreren Jahren vorhanden und hat zu einer Vorbelastung des klägerischen Grundstücks geführt. Von einer erstmaligen Störung eines schützenswerten ruhigen Bereichs kann demnach nicht ausgegangen werden.
Auch eine gesteigerte Beeinträchtigung durch eine überlange oder steile Zufahrt liegt nicht vor. Bei der Frage, ob eine unzumutbare Beeinträchtigung eines Nachbarn gegeben ist, kommt der Länge und Lage der Zufahrt häufig eine besondere Bedeutung zu, weil der Zu- und Abfahrtsverkehr die Nachbarschaft regelmäßig am stärksten belastet (BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – juris). Vorliegend befinden sich die geplanten Stellplätze und Garagen zwar soweit im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks, dass die entsprechende Zufahrt auf immerhin ca. 30 m entlang der Grundstücksgrenze zum Kläger verläuft. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass im vorderen Grundstücksbereich parallel zu dieser Zufahrt auf dem Grundstück des Klägers selbst eine Zufahrt zu dessen eigener Garage verläuft. Zudem wird im hinteren Grundstücksbereich, auf dessen Schutz sich der Kläger maßgeblich beruft, die Zufahrt auf dem Baugrundstück zu einem guten Teil durch die unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtete Garage des Klägers abgeschirmt. Auch lässt die Lage der geplanten Stellplätze und Garagen keine besonders aufwändigen Rangiervorgänge erwarten. Insbesondere verläuft die Zufahrt geradlinig und recht unmittelbar auf die geplanten Duplexgaragen zu, so dass ein Einfahren in diese ohne weiteres möglich sein dürfte. Ein entsprechendes Ausparken sollte angesichts der örtlichen Verhältnisse ohne größeren Rangieraufwand möglich sein. Weiterhin ist die geplante Steigung der Zufahrt hin zu den Garagen als nicht übermäßig steil anzusehen, so dass dadurch keine Belästigungen in besonderem Maße durch allzu laute Motorengeräusche zu erwarten sind. Hinsichtlich der Höhenverhältnisse zum klägerischen Grundstück ist anzumerken, dass dieses im Verhältnis zum Vorhabensgrundstück höher liegt. Wenn nun die Zufahrt im letzten Abschnitt hin zu den geplanten Garagen ansteigt, wird dadurch allenfalls in etwa das Bodenniveau des klägerischen Grundstücks erreicht.
Durch die vorhabensbedingten Lärmimmissionen wird der Kläger auch im Übrigen nicht in unzumutbarem Maß beeinträchtigt. Dabei ist zunächst zu würdigen, dass im Vergleich zur bisherigen Situation lediglich vier Stellplätze zusätzlich entstehen (drei im Freien und neun in den Duplexgaragen statt drei im Freien und zwei in der Garage). Der Umweltschutzingenieur der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er bei ca. 20 Stellplätzen im relevanten Bereich zum Klägergrundstück von ca. 60 bis 80 Fahrbewegungen am Tag ausgeht, und bei einer Mittelung über den ganzen Tag (16 Stunden) die Immissionsbelastung für relativ unproblematisch erachtet wird, insbesondere die in einem allgemeinen Wohngebiet nach der TA Lärm zulässigen 55 dB(A) nicht annähernd erreicht und die zulässigen Spitzenpegel nicht überschritten werden. Das erscheint dem Gericht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass in dem lautesten Bereich, nämlich der Zufahrtsseite entlang des Wohnhauses des Klägers, kein Immissionsort (Aufenthaltsraum mit Fenstern) vorhanden ist, sondern nur das Treppenhaus des klägerischen Wohnhauses. Geräusche durch Fahrbewegungen bzw. durch das Einparken, die für den Immissionsort „Wohn- und Schlafbereich“ im südlichen Teil des Wohnhauses (Richtung Garten) relevant sind, hält der Umweltschutzingenieur aufgrund der relativ geringen Zahl der Fahrbewegungen, der Abschirmung durch die eigene Garage des Klägers und der deutlichen Entfernung zu diesem Immissionsort für zumutbar, zumal der regelmäßige Verkehr nur tagsüber und weitgehend außerhalb der Ruhezeiten erfolgen dürfte. Diese Einschätzung erachtet das Gericht für ebenso nachvollziehbar, auch angesichts der von Klägerseite geltend gemachten besonderen Geräusche, die von einer Duplexgarage im Hinblick auf die vorhandenen Fahrbleche und die Hebevorgänge ausgelöst werden. Insbesondere ist bei lebensnaher Betrachtung anzunehmen, dass die Duplexgaragen nur von Mitarbeitern (und nicht von Patienten) genutzt werden und der Behindertenparkplatz nur gelegentlich, so dass von einem reduzierten Parkplatzverkehr im Vergleich zum allgemeinen Patientenverkehr auszugehen ist. Soweit der Kläger sich auf abendliche Fahrbewegungen (durch Mitarbeiter einer IT-Firma), auf Fahrbewegungen vor 6 Uhr (durch Mitarbeiter der Arztpraxis) oder auf Fahrbewegungen am Wochenende beruft, führt dies nicht zur Rücksichtlosigkeit des Bauvorhabens. Denn hierbei handelt es sich um zu tolerierende Ausnahmefälle außerhalb des regulären Praxisbetriebs.
Der Gartenbereich, der unmittelbar am Wohnhaus liegt und insoweit besonders schutzwürdig ist, wird durch die genehmigte Garagen- und Stellplatznutzung im Hinblick auf die dargestellte Entfernung zu dem Bauvorhaben, die Abschirmwirkung der klägerischen Garage, die Vorbelastung und den regelmäßig außerhalb der Ruhezeiten stattfindenden Fahrverkehr ebenso wenig unzumutbar beeinträchtigt.
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der Beigeladene mit der Errichtung einer Tiefgarage auf seinem Grundstück bereits Maßnahmen ergriffen hat, um die Stellplatzsituation im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen der Nachbarn zu entlasten.
Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung geht das Gericht nach alledem bei einer Gesamtbetrachtung der Interessen von Kläger- und Beigeladenseite davon aus, dass zwar deutlich spürbare Beeinträchtigungen von dem Bauvorhaben für das klägerische Grundstück ausgehen, diese aber aufgrund der dargestellten Umstände noch nicht unzumutbar und damit noch nicht rücksichtslos sind.
Dass die geplanten Stellplätze und Garagen den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 BauNVO) widersprechen, verhilft der Klage nicht zum Erfolg.
Das Fehlen einer insoweit erforderlichen Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB oder Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO führt nicht automatisch zu einem Aufhebungsanspruch des Klägers hinsichtlich der insoweit rechtswidrigen Baugenehmigung. Eine Aufhebung kommt nur in Betracht, wenn dadurch drittschützende Rechte des Klägers verletzt sind, wovon vorliegend nicht auszugehen ist.
Die Festsetzungen eines Bebauungsplans betreffend die überbaubaren Grundstücksflächen sind nach der ständigen Rechtsprechung grundsätzlich nicht drittschützend, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte vor, die darauf hindeuten, dass nach dem Willen des Plangebers diesen Festsetzungen ausnahmsweise nachbarschützender Charakter zukommen soll (vgl. BayVGH, U.v. 7.8.2009 – 15 B 09.1239 – juris). Solche Anhaltspunkte vermag das Gericht weder aus dem Bebauungsplan selbst noch aus den sonstigen Umständen zu erkennen. Nach Bebauungsplan sind die Garagen im Bereich von Kläger- und Beigeladenengrundstück gerade nicht auf Höhe der Wohnhäuser im vorderen Teil zur Straße vorgesehen (was für die Schaffung einer Ruhezone im dahinterliegenden Garten sprechen könnte), sondern hinter den Wohnhäusern zurückversetzt im Gartenbereich. Das Gericht erachtet deshalb die Festsetzungen des Bebauungsplans zu den mit Garagen überbaubaren Grundstücksflächen für nicht drittschützend.
Der Kläger kann somit lediglich geltend machen, dass die Bebauung außerhalb der Baufenster rücksichtslos ist. Er kann sich mangels Drittschutz der Festsetzungen nicht auf die Einhaltung der über die Würdigung der nachbarlichen Interessen hinausgehenden Voraussetzungen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB berufen. Der Prüfung des demnach allein in den Blick zu nehmenden Rücksichtnahmegebots steht nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung weder eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO noch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB enthält. Hat die Baugenehmigungsbehörde ein Vorhaben ohne die an sich erforderliche Zulassung bzw. Befreiung genehmigt, so können Rechte des Nachbarn zwar nur durch die Baugenehmigung selbst, nicht jedoch durch die – nicht existente – Zulassung bzw. Befreiung verletzt sein (vgl. BVerwG, U.v. 06.10.1989 – 4 C 14/87 – juris). Allerdings darf ein Nachbar, wenn die Baugenehmigungsbehörde eine an sich erforderliche Zulassung bzw. Befreiung nicht erteilt und ein Vorhaben, das im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans steht, einfach genehmigt, nicht schlechter stehen, als wenn die erforderliche Befreiung erteilt worden wäre. Dieser Fall ist vom Gesetz nicht geregelt. Es ist daher die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO analog anzuwenden und unter Berücksichtigung der Wertung des § 31 Abs. 2 BauGB eine Würdigung der nachbarlichen Interessen vorzunehmen (BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87 – juris).
Hiervon ausgehend führt die Würdigung der nachbarlichen Interessen im Hinblick auf die vorgesehene Bebauung außerhalb der nach Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Flächen nicht zur Aufhebung der streitgegenständlichen Baugenehmigung. Denn die Errichtung der Duplexgaragen und Stellplätze in dem geplanten Bereich ist gegenüber dem Kläger nicht rücksichtlos. Zur Begründung wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Rücksichtnahmegebot bei der Beurteilung der Art der baulichen Nutzung Bezug genommen, die hier entsprechend gelten. Mangels Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot durch die Situierung der Garagen/Stellplätze käme auch keine Rechtsverletzung des Klägers in Betracht, wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans zu den überbaubaren Grundstücksflächen wegen Funktionslosigkeit als nicht mehr wirksam anzusehen wären und insoweit der Maßstab von § 34 BauGB gelten würde.
Soweit der Kläger eine Beeinträchtigung der Standsicherheit seines Gebäudes durch das Bauvorhaben befürchtet, kann er sich darauf im Rahmen des Rücksichtnahmegebots nicht mit Erfolg berufen. Die Standsicherheit eines Gebäudes ist schon kein im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu prüfender Belang (BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2582 – juris). Das Rücksichtnahmegebot stellt keine allgemeine Härteklausel dar, die über den Vorschriften des öffentlichen Baurechts steht, sondern ist Bestandteil einzelner bauplanungsrechtlicher Vorschriften (BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris).
Schließlich sind die Einwendungen des Klägers zur Grundwasserproblematik, zum Fledermausschutz, zur Feuerwehrzufahrt und zum Verkehrsaufkommen auf der M* …straße im vorliegenden Verfahren ohne Relevanz. Eine Verletzung von Rechten des Klägers durch die Baugenehmigung ist diesbezüglich – unabhängig von der Frage, ob sich der Kläger insoweit überhaupt auf eine für ihn drittschützende Norm berufen kann – bereits ausgeschlossen, weil die Baugenehmigung zu diesen Fragen keine Feststellungswirkung entfaltet. Denn diese Fragen sind nicht Prüfungsgegenstand im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO. Ebenso wenig von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung erfasst wird die Frage, ob durch den Errichtungsvorgang, d.h. die konkrete Bauausführung, die Standsicherheit der Gebäude des Beigeladenen oder des Klägers beeinträchtigt wird. Gegenstand der Prüfung in einem Genehmigungsverfahren nach Art. 55 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist ausschließlich die zur Genehmigung gestellte „Errichtung“ bzw. (Nutzungs-) „Änderung“ des „Bauvorhabens“, nicht aber der Errichtungsvorgang als solcher (VGH München, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris).
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


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