Baurecht

Nachbarrechtsbehelf gegen Baugenehmigung, Tekturgenehmigung, Widerruf der Nachbarunterschrift, Gebot der Rücksichtnahme, gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch

Aktenzeichen  W 4 K 21.537

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42616
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30
BauGB § 34
BImSchG § 22

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu 1) zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf im Rahmen des durchgeführten Augenscheintermins verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
1. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist ausweislich des Antrags des Klägervertreters in seinem Schriftsatz vom 19. April 2021 der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 24. September 2019 und der Tekturgenehmigungsbescheid vom 5. März 2021 zum Neubau einer Lagerhalle mit Heizsilo auf dem Grundstück mit den Fl.Nrn. …, …, …3 Gemarkung G., B. S. * und *. Die Kläger begehren die Aufhebung dieser Bescheide.
2. Soweit sich die Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom 24. September 2019 richtet, ist die Klage allerdings bereits unzulässig, denn den Klägern fehlt das Rechtsschutzinteresse.
Die Kläger haben durch ihre Nachbarunterschrift auf den Planunterlagen ihre Zustimmung zu dem streitgegenständlichen Vorhaben erklärt. Gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BayBO sind den Eigentümern der benachbarten Grundstücke der Lageplan und die Bauzeichnungen zur Unterschrift vorzulegen. Die Unterschrift gilt als Zustimmung und ist nur bis zu ihrem Zugang bei der Baugenehmigungsbehörde frei widerruflich. Die vorbehaltlose Unterschriftsleistung bedeutet einen Verzicht des Nachbarn auf materielle Abwehrrechte, der zur Unzulässigkeit der Klage führt (BayVGH, B.v. 31.1.2005 – 20 CE 05.68 – juris Rn. 10). Die Klage ist aufgrund der Zustimmungsfiktion des Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand 139. EL Oktober 2020, Art. 66 Rn. 160 m.w.N. zur Rspr.; nach anderer Ansicht fehlende Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Vortrags des Klägervertreters, die Kläger hätten mit ihrer Unterschrift für das Protestschreiben vom 12. August 2020 gegenüber der Bauaufsichtsbehörde des Landratsamtes zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre ursprüngliche Nachbarunterschrift widerrufen wollten. Dabei wird verkannt, dass der Widerruf, sollte es sich bei dem Protestschreiben überhaupt um einen solchen handeln, jedenfalls verspätet und daher unwirksam ist. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BayVGH (B.v. 3.11.2005 – 2 BV 04.1756, 2 BV 04.1758, 2 BV 04.1759 – DöV 2006, 303 = juris) kann der Nachbar seine Unterschrift analog § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nur bis zum Eingang der Unterschrift bei der Bauaufsichtsbehörde bzw. zeitgleich hiermit widerrufen. Die Zustimmung des Nachbarn zum Bauvorhaben ist eine einseitige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde wirksam wird. Adressat der durch die Unterschrift des Nachbarn fingierten Zustimmung ist allein die Baugenehmigungsbehörde (BayVGH, a.a.O., juris Rn. 15).
Der vorliegende vermeintliche „Widerruf“ der Nachbarunterschriften ist bei Zugrundelegung dieser Vorgaben offensichtlich verspätet. Gründe für eine anfängliche Unwirksamkeit der Zustimmungserklärung sind nicht erkennbar. Insbesondere kann ein solcher Grund nicht darin erkannt werden, dass der Bauherr bei Ausführung der Bauarbeiten planabweichend baut, da sich die Nachbarunterschrift denknotwendig nur auf den im Vorfeld vorgelegten Lageplan und die Bauzeichnungen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO) bezieht.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vortrag des Klägervertreters, die Kläger hätten sich bei Abgabe der Unterschrift geirrt und gemeint, der Beigeladene wolle lediglich als Privatperson zur Deckung des Heizbedarfs für sein Wohnhaus eine energieeffiziente Holzspäne-Heizanlage errichten.
Laut Betriebs-Nutzungsbeschreibung, die dem Bauantrag auch beigefügt war, sollten im Silo Holzhackschnitzel aufbewahrt werden zum Betrieb der Heizanlage für die Halle und für ein derzeit schon in Planung befindliches Wohnhaus auf dem gleichen Grundstück, so dass ein Irrtum der Kläger insoweit ausgeschlossen ist. Ebenso wenig kommt vorliegend eine Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB analog in Betracht. Neben der zu beachtenden Anfechtungsfrist sowie einer Anfechtungserklärung bedürfte es hierzu eines tauglichen Anfechtungsgrundes. Letzteren können die Kläger nicht geltend machen. Umstände, die vorliegend auf einen Erklärungs-, Inhalts- oder Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 und Abs. 2 BGB analog hindeuten, sind nicht vorgetragen. Es liegt auch kein Sachverhalt vor, der die Annahme einer arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB analog rechtfertigen würde. Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Bauherr im Übrigen Nachbarn gegenüber im Rahmen der Nachbarbeteiligung nicht verpflichtet ist, zusätzliche Angaben erläuternder Art hinsichtlich der baulichen Nutzung zu machen. Insofern ist der Nachbar ausreichend durch die textlichen und zeichnerischen Darstellungen der Bauzeichnungen sowie des Lageplans über das geplante Bauvorhaben geschützt und in der Lage, die Art und Weise der geplanten baulichen Anlage zu erkennen.
3. Die nachbarliche Zustimmung für die ursprünglich beantragte Baugenehmigung ist auch nicht dadurch gegenstandslos geworden, dass das Bauvorhaben in tektierter Form genehmigt wurde, denn die im Rahmen des Tekturverfahrens verweigerte Unterschrift wirkt sich nur auf dieses und nicht auf die ursprüngliche Baugenehmigung aus (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 66, Rn. 114).
4. Zulässig ist die von den Klägern erhobene Klage demnach nur, soweit mit ihr die Aufhebung der Tekturgenehmigung vom 5. März 2021 beantragt wird. Allerdings gilt dies nur insoweit, als die Tektur zu einer Verschlechterung in Bezug auf die rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen führt (vgl. Dirnberger, a.a.O.). Eine solche Verschlechterung der klägerischen Interessen ist nur bezüglich der Genehmigung der Silohöhe erkennbar. Dagegen wird die Rechtsposition der Kläger nicht verschlechtert durch das Entfallen der Waschstraße, die Umlegung der Silotreppe, die farbliche Gestaltung des Silos und die Intensivierung der Eingrünung des Silos, zumal diese Änderungen so geringfügig sind, dass sie noch durch die ursprüngliche Zustimmung abgedeckt sind (vgl. BayVGH, U.v. 7.3.1991 – 1 B 89.158 – juris m.w.N.). Zudem werden klägerseits insoweit auch keine substantiierten Einwendungen erhoben.
5. Soweit die Klage unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen somit überhaupt zulässig ist, ist sie jedenfalls unbegründet. Die Kläger werden durch die Erhöhung des Silos um 3,45 m nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung bzw. eine Tekturgenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung/Tekturgenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung/Tekturgenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind.
Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung/Tekturgenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn sich eine Rechtswidrigkeit der Genehmigung aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 17).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sowie der örtlichen und baulichen Verhältnisse vor Ort, von denen sich das Gericht im Rahmen des durchgeführten Augenscheins überzeugen konnte, verletzt die streitgegenständliche Tekturgenehmigung die Kläger nicht in deren subjektiven Rechten.
6. Unabhängig von der Frage, ob die Kläger sich aufgrund der von ihnen geleisteten Unterschrift (s.o.) überhaupt darauf berufen können, steht der Tektur jedenfalls nicht der vom Klägervertreter behauptete gebietsübergreifende Gebietserhaltungsanspruch zu.
Ein solcher Anspruch scheitert bereits daran, dass das Grundstück der Kläger nicht in demselben (faktischen) Baugebiet liegt wie das streitgegenständliche Vorhaben.
Das Grundstück der Kläger liegt unstreitig im Bereich des Bebauungsplans „W. – F. – A* d** W. – A* S. *“. Das Baugrundstück hingegen befindet sich, wie die Kammer anlässlich des Ortstermins, aber auch aufgrund der vorliegenden Pläne und Lichtbilder festgestellt hat, in einem Gebiet, in dem eine mannigfaltige Nutzungsbreite herrscht. Diese reicht von Wohnnutzung bis hin zur wohngebietsunverträglichen gewerblichen bzw. handwerklichen Nutzung.
Jedenfalls nehmen die Kläger nicht teil an der „bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft“ der Eigentümer aller in der Gemengelage zusammengefassten Grundstücke und haben daher auch keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen in diesem Gebiet (zum Ganzen vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – NVwZ 2008, 427 f.; BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 – BayVBl. 2007, 334 ff.; BayVGH, B.v. 9.7.2012, 22 CS 12.575 – Rn. 22).
Dem Vorhaben des Beigeladenen steht auch kein gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch der Kläger entgegen. Ein solcher kommt allenfalls dann in Betracht, wenn eine Gemeinde nachbarschützende Festsetzungen ihres Bebauungsplans auch Grundstückseigentümern außerhalb des Plangebiets zu Gute kommen lassen will und sich dies aus dem Inhalt der Festsetzungen und ihrer Begründung ableiten lässt (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.1973 – IV C 71.71 – GVBl. 1974, 358/361; BayVGH, B.v. 25.8.1997 – 2 ZB 97.618 – BayVBl. 1998, 532/533; BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 – UPR 2007, 152 jeweils m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben und wird von den Klägern auch nicht behauptet.
7. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters und insbesondere unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die die Kammer im Rahmen des Augenscheinstermins vor Ort festgestellt hat, liegt auch keine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots vor. Diesem in § 15 BauNVO bzw. § 34 Abs. 1 BauGB verankerten Gebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerfGE 148, 290 = juris Rn. 21 m.w.N.).
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine solche unzumutbare Beeinträchtigung liegt unter Berücksichtigung der im Rahmen des Augenscheins vorgefundenen örtlichen Gegebenheiten nicht vor.
Des Weiteren ist ein an sich statthaftes Vorhaben unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, welche für die Umgebung nach der Eigenart des Gebiets unzumutbar sind. Der Begriff des Unzumutbaren ist hinsichtlich der von den Klägern befürchteten Immissionen anhand von § 3 Abs. 1, 2 und 6 BImSchG zu definieren. Das bedeutet, dass nach dem Immissionsschutzrecht zulässige Immissionen bauplanungsrechtlich nie rücksichtslos sein können. Die Rücksichtnahmepflicht von Anlagenbetreibern ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Dabei hat der Nachbar diejenigen Immissionen hinzunehmen, die sich dann ergeben, wenn der Anlagenbetreiber die Anforderungen an seine Anlage gemäß § 23 Abs. 1 BImSchG und der darauf gestützten Rechtsverordnung erfüllt. Hinsichtlich des Auswurfes der Feuerungsanlage gilt vorliegend die 1. BImSchV für Kleinfeuerungsanlagen, welche nur bestimmte feste Brennstoffe zulässt. Insoweit stellen Baugenehmigung und Tekturgenehmigung sicher, dass der Gehalt an schädlichen Gasen und Ruß, die danach der Nachbarschaft in allen Baugebieten zumutbaren Werte nicht übersteigen. Die Besorgnis der Kläger, dass der Beigeladene auch nicht zugelassene Abfälle verbrennen werde, führt nicht dazu, dass die Baugenehmigung oder die Tekturgenehmigung damit rechtswidrig sind.
8. Kein anderes Ergebnis ergibt sich schließlich aufgrund des weiteren Vortrags des Klägervertreters, die Baugenehmigung sei zu unbestimmt. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss sowohl die Baugenehmigung wie auch die Tekturgenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 37 Rn. 6, 7). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Genehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7 m.w.N.). Der Inhalt der Genehmigung bestimmt sich nach Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid bzw. Tekturgenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 34). Danach ist die vorliegende Tekturgenehmigung in keinster Weise für die Kläger zu unbestimmt, weil der Nutzungsumfang der genehmigten Anlage erkennbar ist und die auf sie von der genehmigten Anlage einwirkenden Immissionen eindeutig absehbar sind. Nochmals sei darauf hingewiesen, dass eine von den Klägern vermutete andere Nutzung nicht zur Rechtswidrigkeit der Tekturgenehmigung führt und damit auch die Bestimmtheit der Tekturgenehmigung nicht in Frage stellt.
9. Dass durch die Tekturgenehmigung sonstige nachbarschützende Vorschriften verletzt würden, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Die Klage war daher abzuweisen.
10. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO. Da der Beigeladene zu 1) einen eigenen Sachantrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten tragen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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