Baurecht

Nachbarrechtsverletzende Unbestimmtheit einer Baugenehmigung für ein Gemeinschaftshaus mit Schießständen in Bezug auf das Rücksichtnahmegebot., Keine Betriebsbeschreibung oder sonstige Festsetzungen zu Nutzungszeiten, -intensität und

Aktenzeichen  AN 17 K 17.02106

Datum:
6.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21098
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BImSchG § 22
18. BImSchV

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Baugenehmigung vom 29. August 2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Der Beigeladene zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die jeweiligen Kostenschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zu Protokoll der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2020 allseitig zugestimmt haben.
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid vom 29. August 2017 wurde dem Kläger am 8. September 2017 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt. Die am 9. Oktober 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangene Klage liegt gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO noch im Rahmen der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, weil der 8. Oktober 2017 ein Sonntag war.
2. Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Baugenehmigungsbescheid vom 29. August 2017 ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist damit aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt bei der Drittanfechtungsklage nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 66 Rn. 537).
Diese Voraussetzungen erfüllt der Bescheid des Beklagten vom 29. August 2017, weil er in Bezug auf eine nachbarschützende Vorschrift nicht hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist.
b) Eine Baugenehmigung kann die Rechte des Nachbarn nämlich auch dann verletzen, wenn sie entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist. Unbestimmtheit in diesem Sinne liegt unter anderem dann vor, wenn mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und in Folge eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 69; B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 16 m.w.N.; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, Vorbm. zu §§ 29-38 Rn. 35 m.w.N.). Maßgeblich für den Rechtsschutz des Nachbarn ist dabei, dass er feststellen können muss, ob und in welchem Umfang er durch das Bauvorhaben betroffen ist (BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13).
Aus der Baugenehmigung vom 29. August 2017 zum „Neubau eines Gemeinschaftshauses mit Schießständen“ geht nicht im obigen Sinne bestimmt genug hervor, inwieweit der Kläger im Gebot der Rücksichtnahme, welches Teil der gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO vorzunehmenden bauplanungsrechtlichen Prüfung ist, durch mögliche Lärmimmissionen betroffen ist.
Das Gebot der Rücksichtnahme findet seine rechtliche Grundlage in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, da es sich bei dem Ortsteil … (Stadt…), wie von der Beigeladenen zu 1) unwidersprochen vorgetragen, um ein faktisches Dorfgebiet handeln dürfte. Andernfalls wäre auf § 34 Abs. 1 BauGB zurückzugreifen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in den §§ 2-14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen nämlich im Einzelfall unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets unzumutbar sind. Im Allgemeinen gilt, dass das Maß der gebotenen Rücksichtnahme von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem das Rücksichtnahmegebot im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 25). Dabei sind bei störenden Nutzungen auch die Anforderungen des Immissionsschutzes nach § 22 Abs. 1 BImSchG zu beachten, also dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) bzw. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG). Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen (BayVGH, B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – juris Rn. 21; Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 59 Rn. 54 f.). Im Falle von nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Sportanlagen ist zur Konkretisierung der Zumutbarkeitsgrenze auf § 23 Abs. 1 BImSchG i.V.m. der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV) zurückzugreifen, die in deren § 2 Immissionsrichtwerte gegliedert nach dem Gebietscharakter und Tag-, Nacht- und Ruhezeiten, in § 3 Maßnahmen zu Verminderung der Lärmbelastung und in § 5 Regelungen zu Nebenbestimmungen und Anordnungen im Einzelfall enthält.
Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist die Baugenehmigung vom 29. August 2017 entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG zu unbestimmt, weil der Kläger aus ihr den Umfang der genehmigten Nutzung und damit eine mögliche Beeinträchtigung im Gebot der Rücksichtnahme nicht adäquat einschätzen kann. Die streitgegenständliche Baugenehmigung enthält weder eine Betriebsbeschreibung des Gemeinschaftshauses mit Schießständen noch etwaige Nebenbestimmungen oder Auflagen im Sinne des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG, die den zulässigen Nutzungsumfang in irgendeiner Weise konkretisieren oder einschränken, insbesondere was die Art der neben dem Schießsport zulässigen Nutzung – genehmigt ist ein „Gemeinschaftshaus mit Schießständen“ – sowie zeitliche und personenmäßige Begrenzungen anbelangt. Soweit der Beklagte darauf verweist, dass in den Bauvorlagen bei der Berechnung der auszuweisenden Stellplätze eine Personenanzahl von 24 ausgewiesen sei, führt dies nicht zu der geforderten Konkretisierung der Baugenehmigung, weil für die Frage der erforderlichen Stellplätze nach Art. 47 BayBO zwar je nach Art der Anlage auch die Nutzerzahl eine Rolle spielen kann, jedoch damit angesichts des Regelungszwecks des Art. 47 BayBO – der Freihaltung der öffentlichen Verkehrsflächen – keine (konkludente) bauaufsichtliche Begrenzung des personenmäßigen Nutzungsumfanges einhergeht.
Zwar ist auch nach Ansicht der Kammer eine Verletzung des Klägers im Gebot der Rücksichtnahme im Ergebnis unwahrscheinlich, weil dessen Wohnhaus als Immissionsort durch landwirtschaftliche Zwischengebäude vom Bauvorhaben abgeschirmt ist und zumindest der Schießstand mit angeschlossenem Warteraum nur Tür- und Fensteröffnungen nach Osten hin, also zur vom Klägergrundstück abgewandten Seite hin, aufweist. Jedoch ist eine Verletzung im nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme nicht „eindeutig ausgeschlossen“ (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 69), eben weil sich der Baugenehmigung für das Gemeinschaftshaus mit Schießständen keine Einzelheiten hinsichtlich zulässiger Nutzungsarten und vor allem der Nutzungsintensität entnehmen lassen. Daran vermag auch die Stellungnahme des technischen Immissionsschutzes des Landratsamtes … im Baugenehmigungsverfahren vom 19. September 2016 (Blatt 15 d. Behördenakte) nichts zu ändern, in dem dieser lediglich das Feld „Keine Bedenken“ angekreuzt hatte, ohne weitere Ausführungen zu machen. Sie ist in dieser Form zu unspezifisch, weil schon nicht klar wird, worauf sie sich bezieht. Einerseits könnte ihr eine „worst case“ – Betrachtung dergestalt zugrunde gelegen haben, dass grundsätzlich und unbeschadet sonstiger gesetzlicher Vorschriften wie dem Feiertagsgesetz ein Betrieb an 365 Tagen rund um die Uhr auch für nicht im engeren Sinne sportliche Veranstaltungen wie Vereinsfeste etc. unterstellt wurde. Andererseits könnte auch ein wie von dem Beklagten in den Klageerwiderungsschriftsätzen beschriebener beschränkter Betrieb, etwa durch eine zulässige Höchstnutzerzahl von 24 (s.o.) oder den „bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Schützenhauses“ (Schriftsatz vom 19.5.2021) unterstellt worden sein.
Nach alldem ist die Baugenehmigung vom 29. August 2017 wegen nachbarrechtsrelevanter Unbestimmtheit rechtswidrig und damit aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kostentragungspflicht des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zu je 1/2 aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beigeladene zu 1) hat mit Schriftsatz vom 22. März 2021 Klageabweisung beantragt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO dem Kostenrisiko ausgesetzt. Da der Beigeladene zu 2) keinen eigenen Antrag gestellt hat, wird er nicht zur Kostenerstattung herangezogen, kann aber auch keine eigenen Kosten geltend machen, weil er ebenfalls unterlegen ist, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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