Baurecht

Nachprüfung eines Vergabeverfahrens für ein Medikationssystem

Aktenzeichen  Z3-3-3194-1-61-12/17

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2018, 10282
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 103 Abs. 2, § 135, § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4
VgV § 53 Abs. 6, Abs. 7, § 57 Abs. 1
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1. Voraussetzung für die Präklusionswirkung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr.4 GWB ist aufgrund des Anhang II der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 sowie Anhang V. Teil C. Ziff. 25 der Richtlinie 2014/24/EU, dass ein entsprechender Hinweis des Auftraggebers in der Bekanntmachung im Amtsblatt der EU erfolgt ist. (Rn. 56)
2. Hat ein Unternehmen eine Rüge erhoben, kann dessen Anspruch auf Nachprüfung in aller Regel nicht verwirken. Hat es der Auftraggeber unterlassen, in ausreichender Form auf die Rechtswirkungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hinzuweisen, muss er bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens jederzeit noch damit rechnen, dass ein Nachprüfungsantrag gestellt wird. (Rn. 60)
3. Eine fehlende weitere Unterschrift in einem Angebot, das nach den Vorgaben des Auftraggebers (im Regelfall überflüssigerweise) an mehreren Stellen zu unterzeichnen ist, führt nicht automatisch zum zwingenden Ausschluss des betreffenden Angebots gemäß § 57 Abs. 1 Nr.1 i.V.m. § 53 Abs. 6 und Abs. 7 VgV. Vielmehr ist das Angebot der Beigeladenen gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen, ob sein Inhalt vollumfänglich von den vorhandenen Unterschriften erfasst wird. (Rn. 64)

Tenor

Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. Die Gebühr wird auf …,00 € festgesetzt.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die Beigeladene war jeweils notwendig.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt der Vergabe der Lieferung und Einführung eines Medikationssystems; Schnittstellen und Integration zu C… SOARIAN Clinicals, SAP IS-H, SAP R/3 MM, Medical e-Shop, Langzeitarchiv Pegasos, Zenzy, i-solutions LabCentre/Blutbank; Schulungen und Systemserviceleistungen. Eine entsprechende Veröffentlichung erfolgte am 14.06.2017 im Rahmen einer EUweiten Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb.
Die Bekanntmachung benannte unter Ziffer IV.4.1 die Vergabekammer Südbayern als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs- und Nachprüfungsverfahren. Die Ziffern IV.4.2 „Zuständige Stelle für Schlichtungsverfahren“, Vl.4.3 „Einlegung von Rechtsbehelfen“ und Vl.4.4) „Stelle, die Auskünfte über die Einlegung von Rechtsbehelfen erteilt“ waren nicht ausgefüllt.
Die Antragstellerin hat sich für das Verhandlungsverfahren beworben und wurde nach positiver Eignungsprüfung zur Angebotsabgabe aufgefordert. Aus dem Leistungsverzeichnis Kapitel 1 Nr. 1.5 vom 25.07.2017 lässt sich entnehmen, dass das Angebot, das ausgefüllte und unterschriebene Leistungsverzeichnis, die unterschriebene Bietererklärung, alle zugehörigen Anlagen und das Gesamtkonzept, bis zum 25.08.2017, 12:00 Uhr (eingehend) vollständig in Papierform und zusätzlich digital (zulässige Formate PDF, Word, Excel) auf einem Datenträger in einem verschlossenen, frankierten Umschlag einzureichen seien.
In Kapitel 8 des Leistungsverzeichnisses befand sich ein als „Preisblatt/Angebot“ bezeichnetes Dokument, in das die Angebotspreise für die dort aufgeführten Positionen einzutragen waren. Dieses enthielt auf der Seite 75 unter Kapitel 8.5 Gesamtpreis Zusammenstellung zwei Unterschriftszeilen die links mit „Der Bieter“ und rechts mit „Unterschrift und Firmenstempel“ unterschrieben waren.
Kapitel 9 des Leistungsverzeichnisses (S. 76 und 77) enthielt ein als „Bietererklärung“ bezeichnetes Dokument mit folgendem Inhalt:
1. Grundlagen des Angebots
1.1 Das Leistungsverzeichnis mit den dazugehörigen geforderten und vom Bieter beigefügten Anlagen.
1.2 Die Vergabeordnung VgV.
1.3 Bei Auftragserteilung, Abschluss EVB-Systemvertrag.
1.4 Beigefügte AGB’s des Anbieters oder Verweise auf darauf in seine eingereichten Unterlagen sind nicht zulässig.
2. Bedingungen
2.1 Angebote sind ungültig und bleiben unberücksichtigt, wenn diese
2.1.1 vom Bieter unzulässig geändert sind,
2.1.2 unvollständig ausgefüllt sind,
2.1.3 Preisvorbehalte oder Lohngleitklauseln enthalten,
2.1.4 nach dem genannten Schlusstermin für den Eingang der Angebote eingehen,
2.1.5 nicht in der vorgegebenen Form eingereicht werden,
2.1.6 nicht in allen Teilen in deutscher Sprache abgefasst sind (zusätzliche Erläuterungen bzw. Erklärungen Dritter in einer Fremdsprache sind in Form einer beglaubigten deutschen Übersetzung beizufügen).
2.2 Der Bieter bleibt bis zu der genannten Zuschlags- / Bindefrist an sein Angebot und die darin angegebenen Preise gebunden.
2.3 Eine Vergütung für Material-, Qualitäts- und Ausführungsmuster, Abbildungen, Prospekte, Kataloge, Zeichnungen u. ä. kann nicht erfolgen.
2.4 Bei nicht angebots- und mustertreuer Lieferung wird die Lieferung bzw. Leistung nicht abgenommen. Die Rückgabe erfolgt zu Lasten des Lieferanten.
2.5 Der Bieter erklärt, dass er alle vorliegenden allgemeinen und besonderen Bedingungen und Anforderungen, welche bei etwaigem Zuschlag einen integrierenden Bestandteil des Auftrages bilden, vollinhaltlich zur Kenntnis genommen hat.
2.6 Der Bieter erklärt, dass sein Betrieb für den Umfang und die Art des ausgeschriebenen Auftrages geeignet ist, so dass für die fristgerechte Ausführung alle betrieblichen Voraussetzungen gegeben sind. Der Auftragnehmer verzichtet im Voraus auf den späteren Einwand, dass er die Angebotsunterlagen nicht rechtzeitig oder vollständig erhalten hat. Er ist verpflichtet, bei grundlegenden Bemerkungen, Ungenauigkeiten oder in Zweifelsfragen die erforderlichen Auskünfte einzuholen.
2.7 Der Bieter erklärt, dass er alle Verfahrensbedingungen und Vertragsunterlagen eingesehen hat und im Falle der Auftragserteilung bereit ist, diese als Bestandteil des Vertrages anzuerkennen und keinerlei weiteren Bedingungen oder eine Abänderung der Verfahrensbedingungen geltend macht.
Wir verpflichten uns, bei Zuschlagserteilung die angebotenen Leistungen im Rahmen der Terminvorgabe einzuhalten.
Das Dokument Bietererklärung enthielt auf der Seite 77 zwei Unterschriftszeilen die links mit „Der Bieter“ und rechts mit „Rechtsverbindliche Unterschrift und Firmenstempel“ unterschrieben waren.
Die Antragstellerin hat am 24.08.2017 ein Angebot schriftlich und zusätzlich digital rechtzeitig zum Angebotstermin eingereicht.
Mit Schreiben vom 01.09.2017 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr Angebot aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen werde, weil auf dem Preisblatt eine Unterschrift fehle. Noch am gleichen Tag übermittelte die Antragstellerin die fehlende Unterschrift unter dem Preisblatt.
Mit Schreiben vom 15.09.2017 rügte die Antragstellerin einen Verstoß gegen das Vergaberecht, da sie der Meinung war, alles formal Erforderliche getan zu haben, um ordnungsgemäß am Vergabeverfahren beteiligt zu werden.
Die Rüge wurde von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.09.2017 zurückgewiesen und der Ausschluss ihres Angebots aufrechterhalten.
Mit E-Mail vom 13.12.2017 erhielt die Antragstellerin das Informationsschreiben nach § 134 GWB, in welchem ihr mitgeteilt wurde, dass nach Abschluss der Auswertung der eingegangenen Angebote und Verhandlungen auf Grundlage der bekanntgemachten Zuschlagskriterien beabsichtigen sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, wenn die Frist gem. § 134 Absatz 2 GWB abgelaufen sei. Wie ihr schon am 01.09.2017 per Mail mitgeteilt worden sei, habe ihr Angebot aufgrund der fehlenden Unterschrift unter dem Preisblatt gemäß § 57 Abs. 1 VgV In Verbindung mit § 53 Abs. 6 VGV vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden müssen. Die Frist beginne am Tag nach der Absendung dieser Information.
Diese Entscheidung sowie die Mangelhaftigkeit der Vorinformation gem. § 134 GWB rügte die mittlerweile anwaltlich vertretene Antragstellerin mit Schreiben vom 21.12.2017 als vergaberechtswidrig.
Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab.
Weil die vorangegangene Rüge die Antragsgegnerin nicht zur Änderung ihrer Rechtsauffassung bewegte, beantragte die Antragstellerin am 22.12.2017 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und weiter:
1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin fortzusetzen;
2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für erforderlich zu erklären und
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gleichzeitig wurde beantragt gem. § 165 GWB Akteneinsicht in den etwaigen Schriftverkehr der Antragsgegnerin mit anderen Bietern, den Vergabevermerk (einschl. etwaiger Anweisungen vorgesetzter Stellen, Korrekturen und Besprechungsprotokollen) sowie Protokolle etwaiger Aufklärungsgespräche, soweit dort keine Geschäftsgeheimnisse von Mitbewerbern betroffen seien.
Mit ihrem Nachprüfungsantrag wendet sich die Antragstellerin gegen den aus ihrer Sicht unbegründeten Ausschluss ihres Angebotes und die unzutreffende Vorinformation. So genüge die Vorinformation der Antragsgegnerin nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 134 GWB, da sich weder aus der E-Mail vom 13.12.2017, noch aus der dort beigefügten undatierten eigentlichen Vorinformation ergebe, wann die Antragsgegnerin den Zuschlag erteilen wolle. Gem. § 134 Abs. 1 S. 1 GWB müsse eine Vorinformation auch über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses informieren. Dies sei hier nicht der Fall, so dass ein auf Basis der derzeitigen Information erteilter Zuschlag vergaberechtswidrig wäre.
Wenn die Antragsgegnerin der Auffassung sei, dass sie das Angebot der Antragstellerin nicht werten könne, weil es auf dem Preisblatt nicht unterschrieben sei, verkenne sie, dass die maßgebliche Unterschrift nicht jene unter dem Preisblatt sei, sondern jene unter der Bietererklärung, aus der sich ergebe, was Angebotsbestandteil sei. In der Bietererklärung habe die Antragsgegnerin auch eine rechtsverbindliche Unterschrift erwartet. Demgegenüber werde in Kapitel 8 des Leistungsverzeichnisses, dem Preisblatt, zwar ebenfalls eine Unterschrift erwartet, dort sei allerdings nicht von einer rechtsverbindlichen Unterschrift die Rede. Die Antragstellerin habe das den Bietern überlassene, 78 Seiten dicke Leistungsverzeichnis, vollständig ausgedruckt und entsprechend der Vorgabe die Bietererklärung rechtsverbindlich unterschrieben und so eingereicht. Damit decke die auf Seite 77 erfolgte rechtsverbindliche Unterschrift durch den Geschäftsführer der Antragstellerin die Angaben im Preisblatt. Die insoweit zunächst fehlende Unterschrift auf Seite 75, die nicht als rechtsverbindliche Unterschrift bezeichnet werde, sei daher unschädlich. Der von der Antragsgegnerin verfügte Ausschluss sei auch rechtlich nicht zwingend, da das Angebot formgerecht unterzeichnet sei, da nur mit der Unterschrift unter der Bietererklärung das Angebot insgesamt als verbindlich durch den Bieter erklärt werde. Die Unterschrift unter dem Preisblatt sei weder als rechtsverbindlich bezeichnet, noch deckt sie den gesamten Angebotsinhalt ab, so dass das Preisblatt selbst nicht das Angebot sein könne. Nur durch die rechtsverbindliche Unterzeichnung der Bietererklärung werde das ebenfalls vorzulegende Gesamtkonzept und die mit dem Angebot einzureichenden Unterlagen und die weiteren Angaben im Leistungsverzeichnis Bestandteil des Angebots. Dementsprechend handele es sich bei dem Preisblatt selbst nicht um das Angebot, sondern um eine zusätzliche Erklärung, die gern. § 56 Abs. 2 VgV vervollständigt werden könne, d.h. hier nachträglich noch unterschrieben werde konnte und durfte.
Die Vergabekammer informierte die Antragsgegnerin über den Nachprüfungsantrag mit Schreiben vom 22.12.2017. Diese legte die Vergabeunterlagen vor.
Zudem übermittelte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine erneute Information nach § 134 GWB und benannte den 15.01.2018 als frühesten Termin der Zuschlagserteilung.
Mit Antragserwiderung vom 15.01.2018 nahm die Antragsgegnerin Stellung und beantragte,
1.den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
2.die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin, der Antragstellerin aufzuerlegen,
3.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären,
4.die beantragte umfangreiche Akteneinsicht nicht zu gewähren.
Nach Auffassung der Antragsgegnerin sei das Angebot der Antragstellerin im September 2017 auszuschließen, da sie gegen ihren Ausschluss nebst dem (nach Rüge) ergangenen Nichtabhilfebescheid vom 25.09.2017 nicht rechtlich vorgegangen sei, und daher der Nachprüfungsantrag unzulässig sei.
So weise das Vorabinformationsschreibens gemäß § 134 GWB alle notwendigen inhaltlichen Informationen auf. § 134 Abs. 1 S. 1 GWB verlange außerdem lediglich, dass über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu informieren sei. Eine Anforderung dahingehend, dass ein nach dem Kalender bestimmter Tag in dem Vorabinformationsschreiben zu benennen sei, finde sich dort nicht. Die Vorabinformation gemäß § 134 GWB erfolgte im Falle der Antragstellerin einzig und allein im besten Sinne des Verständnisses „der guten Ordnung halber“. Diese Information seitens der Antragstellerin nunmehr 3 Monate später angreifen zu wollen, unter dem Gesichtspunkt, sie sei fehlerhaft, sei mindestens ein Fall, welcher der Rechtsverwirkung unterliege, wenn es sich nicht gar um eine Konstellation handele, die man unter dem Oberbegriff der Rechtsmissbräuchlichkeit einordnen müsse.
Die Antragstellerin gehe außerdem aus mehrerlei Gründen fehl, wenn sie der Auffassung sei, dass es sich im Falle der Unterschrift unter das Preisblatt um einen weniger gravierenden Mangel handele, der durch das Nachreichen der Unterschrift geheilt werden könne. Ein Nachreichen von angebotswesentlichen Angaben und Erklärungen, sowie Unterschriften, sei schon im Grundsatz nicht möglich. Jedes Vergabeverfahren sei auf Transparenz und Gleichbehandlung angelegt.
Auch die Argumentation, dass sie die „rechtsverbindliche Unterschrift“ unter die Bietererklärung geleistet habe, so dass es auf die nicht geleistete (einfache) Unterschrift unter das Preisblatt nicht mehr entscheidend ankommen könne – jedenfalls nicht in dem Sinne, dass dies zu einem formalen Ausschlussgrund zu ihren Lasten avanciere, könne nicht greifen. Diese Sichtweise sei schon deswegen nicht korrekt, und daher auch rechtlich nicht tragfähig, weil die vielfach noch in Ausschreibungsformularen so titulierte „rechtsverbindliche Unterschrift“ nicht bedeutungsschwerer sei als eine einfache Unterschrift. Die so genannte „Rechtsverbindlichkeit“ bilde demnach kein Plus gegenüber der (einfachen) Unterschrift.
Hinzu kämen im Rahmen der vorzunehmenden rechtlichen Gesamtschau die konkreten Angebots- bzw. Bewerbungsbedingungen, die ausdrücklich die doppelte Unterzeichnung des LV und der Bietererklärung fordern würden. Insofern werde auch dadurch eine Selbstbindung ausgelöst, das Angebot wegen nicht vorhandener Formgerechtigkeit bzw. fehlender rechtsverbindlicher Unterschrift auszuschließen.
Mit Schreiben vom 29.01.2018 nahm die Antragstellerin zur Antragerwiderung Stellung und erklärte, dass die Ausführungen der Antragsgegnerin zur angeblichen Rechtmäßigkeit der Vorinformation vom 13.12.2017 unzutreffend seien. Die Gesetzeslage sei eindeutig, der früheste Zeitpunkt des Vertragsschlusses müsse genannt werden. Entgegen der Vorgabe in § 134 Abs. 1 S. 1 GWB sei in der Vorinformation vorn 13.12.2017 keine Information über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses enthalten. Gemäß Art. 2 a) Abs. 2, 4. Unterabsatz, 2. Spiegelstrich, der Rechtsmittel-Richtlinie 89/665/EWG in der konsolidierten Fassung der Richtlinie 2007/66/EG bedürfe es grundsätzlich für jeden Bieter einer genauen Angabe der konkreten Stillhaltefrist, d.h. der Frist, innerhalb der kein Zuschlag drohe. Es genüge daher nicht, wenn der Bieter die Stillhaltefrist berechnen könne. Dies siehe die Antragsgegnerin auch wohl selbst so, da sie nach der Rüge am 22.12.2017, allerdings ohne vorherigen Hinweis nach Ablauf der gesetzten Frist, eine neue Vorinformation herausgegeben habe, in der konkret der frühestmögliche Zeitpunkt für die Zuschlagserteilung benannt wurde.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei hier kein Fall der Verwirkung gegeben. Das GWB kenne keine Frist, innerhalb der nach einer Rüge ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden müsse. Nur für den Fall der Zurückweisung einer Rüge gebe es gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWS eine Frist. Voraussetzung dafür, dass die dort genannte 15-Tages-Frist GWB laufe, sei ein Hinweis in der Vergabebekanntmachung, der sich in der Bekanntmachung der Antragsgegnerin jedoch nicht finde. Damit fehle es an den Voraussetzungen für den Fristenlauf gern. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB. Der bloße Ablauf von drei Monaten rechtfertige die Annahme der Verwirkung des Rechtsbehelfs nicht. Damit sei der Nachprüfungsantrag nicht etwa wegen Verwirkung zu verwerfen. Es fehle schon am Zeitmoment, ebenso allerdings auch am Umstandsmoment. Die Antragstellerin habe gegenüber der Antragsgegnerin nicht zu erkennen gegeben, die sie ihre Rüge fallengelassen habe.
Die Auseinandersetzung der Antragsgegnerin mit der von ihr unter der Bietererklärung geforderten rechtsverbindlichen Unterschrift und der Im Preisblatt geforderten einfachen Unterschrift gehe letztlich an der Sache vorbei. Zutreffend sei insofern nur, als dass eine rechtsverbindliche Unterschrift nur der abgeben könne, der zur Vertretung des Unternehmens bevollmächtigt sei. Unter dem Preisblatt könne dagegen auch beispielsweise der Kalkulator unterzeichnen, der für das Gesamtangebot möglicherweise gar keine Vertretungsvollmacht habe. Die Antragsgegnerin irre, wenn sie meine, dass die Forderung nach einer rechtsverbindlichen Unterschrift mit der Forderung nach einer einfachen Unterschrift gleichzusetzen sei.
Die Antragsgegnerin übersehe, dass hier die maßgebliche Regelung für die Unterzeichnung des Angebots § 53 Abs. 6 S. 1 VgV sei. Danach sei das Angebot zu unterschreiben. Mit Unterschrift i.S.d. § 56 Abs. 6 S. 1 VgV sei gemeint, dass das Angebot i.S.d. § 126 BGB unterzeichnet sein müsse. Nur die Unterschrift unter der Bietererklärung auf Seite 77 am Ende der Angebotsunterlagen genüge damit den Formerfordernissen gern. § 53 Abs. 6 S. 1 VgV i.V.m. § 126 BGB. Die Unterschrift unter dem Preisblatt sei damit keine Unterschrift unter dem Angebot und rechtfertige somit nicht den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin. Es handele sich um eine zusätzliche Unterschrift und damit allenfalls um eine weitere geforderte Unterlage. Die Antragsgegnerin hätte die von ihr als fehlend monierte Unterschrift gem. § 56 Abs. 2 VgV nachfordern müssen. Alleine auch das Fehlen zentraler Angebotsbestandteile rechtfertige darüber hinaus nicht den Ausschluss eines Angebots als formfehlerhaft i.S.d. § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV.
Hierzu nahm die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 07.02.2018 Stellung und wies alle Vorbringen zurück. Der Nachprüfungsantrag sei infolge Präklusion (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB, hilfsweise § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB), äußerst hilfsweise aufgrund Verwirkung, unzulässig.
Im Übrigen sei er unbegründet. Die Antragsgegnerin erkläre angesichts der offensichtlichen Tatsachen- und Rechtslage, die in jedem Falle zur Erfolglosigkeit des Nachprüfungsbegehrens führe, ihrerseits den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung (§ 166 Abs. 1 S.3 GWB).
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle eines Rücknahmebeschlusses auf den Vorsitzenden und den hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
Die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 05.03.2018 bzw. 08.03.2018 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 19.03.2018 um 10.00 Uhr geladen.
Mit Beschluss vom 08.03.2018 wurde der Bieter, dessen Interessen im streitgegenständlichen Vergabeverfahren von der Entscheidung der Vergabekammer in erheblicher Weise berührt sein könnten beigeladen.
Der Antragstellerin wurde mit Beschluss vom 13.03.2018 Einsicht in ihr eigenes Angebot und die dazugehörigen Wertungsunterlagen sowie in den Vergabevermerk gem. § 8 Abs. 2 VgV der Vergabestelle gewährt.
Hierzu nahm die Antragstellerin mit Schreiben vom 15.03.2018 Stellung und erklärte, dass ausweislich der im Zuge der Akteneinsicht überlassenen Unterlagen weder von der Antragsgegnerin noch von dem beauftragten Büro überprüft worden sei, ob das für den Zuschlag vorgesehene Angebot der Beigeladenen rechtlich den Vorgaben entspreche. Bereits mit Schreiben vom 01.09.2017 habe die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass sie nach ihrem Kenntnisstand der einzige Anbieter sei, der eine Medikationssoftware, die den gesetzlichen Anforderungen entspreche, anbieten könne. Weiter müsse sie davon ausgehen, dass die Beigeladene tatsächlich nicht über die entsprechende Zertifizierung verfüge und damit rechtlich nicht leistungsfähig sei. Damit sei ihr Angebot nicht wertbar, da ihr angebotenes Produkt aufgrund der Einschränkungen durch das Medizinproduktegesetz i.V.m. den EU-Richtlinien nicht genutzt werden dürfe.
Ausweislich der Ausführungen auf S. 1 der Vergabedokumentation in Verbindung mit Ziffer 3 der Schätzung des Auftragswerts sei vor Erstellung der Vergabeunterlagen ein Unternehmen involviert gewesen, das aber von der Antragsgegnerin nicht offengelegt worden sei. Die Antragstellerin müsse daher davon ausgehen, dass es sich bei diesem Unternehmen um die Beigeladene handle und die Ausschreibung auf sie zugeschnitten worden sei, wozu auch passe, dass die eine Zertifizierung erfordernden Anforderungen an die Medikationssoftware nicht als KO-Kriterien ausformuliert worden seien. Da der Informationsvorsprung dieses Unternehmens nicht ausgeglichen worden sei, sei das Gebot der Gleichbehandlung verletzt.
Die mündliche Verhandlung fand am 19.03.2018 in den Räumen der Regierung von Oberbayern statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben eine Schriftsatzfrist bis 26.03.2018 erhalten, um sich ausschließlich zur neuen Thematik – § 3 Nr. 1 MPG und die maßgeblichen EU-Richtlinien; Zertifizierung der Klasse II a) – aus dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 15.03.2018, zu äußern.
Mit Schreiben vom 26.03.2018 teilte die Beigeladene mit, dass sie als Generalunternehmerin mit der Nachunternehmerin … GmbH & Co KGaA auftrete, deren Lösung … Bestandteil des Angebots der Generalunternehmerin sei. Bei … handele es sich um eine Softwarelösung für den klinischen Medikationsprozess, das ein Medizinprodukt der Klasse I darstelle, das allen anwendbaren Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG der Klassifizierungsregel 12 gemäß Richtlinien 93/42/EWG Anhang IX und dem Konformitätsbewertungsverfahren Anhang VII der Richtlinie 93/42/EWG entspreche. Die Gültigkeitsdauer der Konformitätsbescheinigung für … mit der Versionsnummer 7.5.0 und damit der neuesten Version der Software betrage bis 31.07.2018.
Für eine Zertifizierung der Software als Medizinprodukt der Klasse lla habe zum Zeitpunkt der Ausschreibung vorn 12.06.2017 kein rechtliches Erfordernis bestanden.
Der Antragsgegnerin sei daher zum Zeitpunkt der Ausschreibungsbearbeitung und zum Zeitpunkt der Bezuschlagung – bekannt gewesen, dass es sich bei der zugeschlagenen Software um ein Medizinprodukt handele. Der Vortrag der Antragstellerin, die Beigeladene müsse aus dem Verfahren ausgeschlossen werden, gehe somit völlig fehl.
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26.03.2018 erklärte sich die Antragstellerin zur mündlichen Verhandlung.
Die Antragsgegnerin nahm mit Schriftsatz vom 05.04.2018 Stellung und trug vor, dass die Antragstellerin auch mit dem neuerlichen Versuch, ihrem aussichtslosen Nachprüfungsantrag doch noch zum Erfolg zu verhelfen, nicht durchdringen könne.
Die Antragstellerin führe in ihrem Schriftsatz vom 15.03.2018 an, dass es angeblich Kontakte zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin gegeben habe solle. Dies sei frei erfunden.
Die Tatsache, dass Software, die zu therapeutischen bzw. diagnostischen Zwecken eingesetzt werde, der Zertifizierung bedürfe, besitze keinerlei Neuigkeitswert. Die Behauptungen der Antragstellerin, sie sei die einzige, deren Software beim BfArM zertifiziert sei, sei haltlos. Die Beigeladene besitze, wie sie in ihrem Schriftsatz vom 26.03.2018 ausführt, selbstverständlich über ihre Nachunternehmerin die nötige Zertifizierung – die sie im Gegensatz zur Antragstellerin – auch ausführlich nachgewiesen habe. Im Übrigen werde die Richtlinie 93/42/EWG durch die neue EU-Verordnung 2017/745 ersetzt („Medical Device Regulation – MDR“), die seit Mai 2017 gültig ist. Sie tritt gemäß ihrem Art. 123 hinsichtlich aller Teile spätestens verbindlich am 26.05.2020 in Kraft. Sie enthalte für den hier relevanten Bereich der Medikationssoftware Übergangsfristen hinsichtlich der in Art. 51 genannten Zertifizierungsklassen, etwa der erhöhten Klasse lla im Vergleich zu der bisher für diese Software gängigen Klasse I.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die aus-getauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig aber nicht begründet.
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV.
Gegenstand der Vergabe ist ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2 GWB. Der Antragsgegner ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 209.000 Euro für den Gesamtauftrag.
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
1. Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
1.1 Antragsbefugnis
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es ein Interesse am Auftrag hat, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Da ihr der Zuschlag nicht erteilt wird, droht ihr ein finanzieller Schaden.
1.2 Rügeobliegenheit
Eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist nicht eingetreten. Der Antragstellerin wurde am 01.09.2017 mitgeteilt, dass ihr Angebot wegen der fehlenden Unterschrift auf dem Preisblatt nach § 57 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 6 und Abs. 7 VgV vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. Am selben Tag, dem 01.09.2017, reichte die Antragstellerin ein unverändertes, unterzeichnetes Preisblatt nach. Die Antragstellerin hat daraufhin keine Reaktion seitens der Antragsgegnerin mehr erhalten. Sie rügte deshalb mit Schreiben vom 15.09.2017 den Ausschluss vom Vergabeverfahren. In der mündlichen Verhandlung gab die Antragstellerin auf die Frage des Vorsitzenden – warum der Ausschluss vom 01.09.2017 nicht sofort gerügt wurde – an, dass sie davon ausging, dass mit der Übersendung des unterzeichneten Preisblatts der Form Genüge getan wurde. Erst als sie keine Reaktion auf die Übersendung des unterzeichneten Preisblatts erhielt, hat sie vorsorglich gerügt. Die Vergabekammer nimmt zugunsten der Antragstellerin an, dass sie erst durch die fehlende Reaktion der Antraggegnerin auf die Übersendung des unterzeichneten Preisblatts von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften ausgegangen ist und die 10-Tage-Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB durch die Rüge am 15.09.2017 gewahrt wurde.
Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB unzulässig, obwohl der Nachprüfungsantrag erst am 22.12.2017 und somit mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers vom 25.09.2017, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, bei der Vergabekammer Südbayern eingegangen ist.
Allerdings wurde in der Bekanntmachung nicht auf die 15-Tage-Frist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hingewiesen, so dass diese Frist nicht anwendbar ist (VK Südbayern, Beschluss vom 27.03.2014, Z3-3-3194-3-01-01/14). Voraussetzung für die Präklusionswirkung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr.4 GWB ist nach der Rechtsprechung, dass ein entsprechender Hinweis des Auftraggebers in der Bekanntmachung im Amtsblatt der EU erfolgt ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, Az. 13 Verg 1/10). Diese Bekanntmachungspflicht folgt aus § 37 Abs. 2 VGV i.V.m Anhang II der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 sowie Anhang V. Teil C. Ziff. 25 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach ist der Auftraggeber verpflichtet, genaue Angaben zu den von den Bietern zu beachtenden Fristen für Nachprüfungsverfahren zu machen oder eine Stelle zu benennen, bei der Auskünfte über die Einlegung von Rechtsbehelfen erhältlich sind (VK Lüneburg, Beschluss vom 08.10.2014, VgK-37/2014). Ein entsprechender Hinweis in der Bekanntmachung ist aber nicht erfolgt.
Die in der Bekanntmachung unter VI.4.1) genannte Vergabekammer Südbayern ist keine zuständige Stelle zur Erteilung von Auskünften über die Einlegung von Rechtsbehelfen. Die Vergabekammer Südbayern ist als Nachprüfungsinstanz für die Überprüfung von Vergaben von Aufträgen zuständig. Die Nachprüfungsinstanzen sollen gerade in den Nachprüfungsverfahren auch die Sachurteilsvoraussetzungen überprüfen und können daher nicht gleichzeitig diejenigen Stellen sein, die für die Einhaltung dieser Sachurteilsvoraussetzungen Sorge tragen oder Auskünfte zu deren Einhaltung erteilen. Unabhängig von der Frage eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz würde sich die jeweilige Kammer dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt sehen, würde man sie als Rechtsauskunftsstelle in diesem Sinne betrachten (VK Bund, Beschl. v. 30.10.2009, VK2-180/09).
Soweit die Antragstellerin allerdings die fehlende Forderung der Klassifizierung der ausgeschriebenen Leistung nach dem Medizinproduktegesetz in den Vergabeunterlagen bemängelt, spricht viel dafür, dass insoweit Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB eingetreten ist. Die fehlende Forderung war für die Antragstellerin aus den Vergabeunterlagen jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht erkennbar, da beim aufmerksamen Lesen der Unterlagen diesen zu entnehmen war, dass eine entsprechende Klassifizierung, insbesondere als Medizinprodukt der Klasse lla nach der VO 2017/745 nicht als Mindestanforderung gefordert wurde. Es spricht aber auch viel dafür, dass die Problematik in rechtlicher Hinsicht für die Antragstellerin erkennbar war. Zwar sind im Lichte der unionsrechtlich gewährten Rechtsschutzgarantie die Bestimmungen über die Rügepräklusion als Ausnahmevorschriften eng auszulegen (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht § 160 GWB Rn. 36) und zudem dürfen die vergaberechtlichen Kognitionsmöglichkeiten der Bieter nicht überschätzt werden, so dass in der Regel nur auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende auftragsbezogene Rechtsverstöße für eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB in Betracht kommen (Dicks a.a.O. Rn. 49). Zu berücksichtigen ist hier aber, dass es sich bei der Frage der Aufnahme einer Mindestanforderung hinsichtlich der Klassifizierung als Medizinprodukt in erster Linie nicht um eine vergaberechtliche Frage, sondern um eine des Medizinprodukterechts handelt. Bei solchen Fragen des branchenspezifischen Fachrechts ist bei Bieterunternehmen die in dieser Branche tätig sind, eine entsprechende Rechtskenntnis zu erwarten, so dass die Antragstellerin die Frage auch vor Abgabe ihres indikativen Angebots hätte rügen können. Die Frage kann aber letztlich offen bleiben, da auch in der Sache die Antragstellerin durch die Nichtaufnahme der Mindestanforderung nicht in ihren Rechten verletzt ist.
1.3 Verwirkung des Rechts auf ein Nachprüfungsverfahren
Trotz der – nach vergaberechtlichen Maßstäben – relativ langen Zeit zwischen der Rüge, bzw. der Zurückweisung der Rüge und der Stellung des Nachprüfungsantrags kommt eine Verwirkung des Rechts auf ein Nachprüfungsverfahren nicht in Betracht. Aufgrund der Regelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und § 135 GWB hat die Frage, ob ein Unternehmen sein Recht auf Nachprüfung verwirken kann, gegenüber der früher geltenden Rechtslage deutlich an Bedeutung verloren. Eine Verwirkung des Rechts auf Nachprüfung ist nur noch in besonderen Ausnahmefällen denkbar. Die Verwirkung eines Rechts leitet sich aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ab. Danach kommt eine Verwirkung in Betracht, wenn der Berechtigte ein ihm zustehendes Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten einrichten durfte, dass dieses Recht auch in Zukunft nicht geltend machen wird. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden.
Erfolgt eine Rüge durch ein Unternehmen, kann dessen Anspruch auf Nachprüfung vor diesem Hintergrund in aller Regel nicht verwirken. Gerade wenn es der Auftraggeber – wie hier – unterlassen hat, in ausreichender Form auf die Rechtswirkungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hinzuweisen, muss er vielmehr bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens jederzeit noch damit rechnen, dass ein Nachprüfungsantrag gestellt wird. Ein Vertrauen darauf, dass dies nicht erfolgt, kann sich in der Regel nicht bilden. Möchte der öffentliche Auftraggeber dieses Risiko vermeiden, steht ihm die Möglichkeit der Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 offen. Nutzt er sie nicht kann er sich gegenüber dem Unternehmen nicht auf eine Verwirkung, also auf die treuwidrige Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens berufen (Reidt in Reidt/Stricker/Glahs § 160 GWB Rn. 90 ff.).
Die Antragstellerin hat keinen Vertrauenstatbestand geschaffen und es liegt auch kein Zeitverlauf vor, der die Annahme einer Verwirkung des Rechts auf ein Nachprüfungsverfahren gestatten würde. Der Nachprüfungsantrag ist zwar erst am 22.12.2017 bei der Vergabekammer Südbayern eingegangen und somit mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers i.S.d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB, der Rüge nicht abhelfen zu wollen. Zum einen hat aber die Antragsgegnerin in der Bekanntmachung nicht auf die 15-Tage-Frist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hingewiesen, so dass diese Frist nicht anwendbar ist. Die Antragsgegnerin hat es daher selbst bewirkt, dass die 15-Tage-Frist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB im konkreten Fall nicht anwendbar ist und es zu einer zeitlichen Verzögerung des Vergabeverfahrens durch die Stellung des Nachprüfungsantrags gekommen ist.
2. Begründetheit des Nachprüfungsantrags
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet, da das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr.1 i.V.m. § 53 Abs. 6 und Abs. 7 VgV auszuschließen ist und auch die Vorgaben des Medizinprodukterechts nicht zu einem Vergabeverstoß führen, der zu einer Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versand der Vergabeunterlagen zum indikativen Angebot führen müsste.
2.1 Die Auslegung des Angebots unter Berücksichtigung der Vorgaben der Vergabeunterlagen nach den Grundsätzen des §§ 133, 157 BGB ergibt, dass das Angebot der Antragstellerin aufgrund der fehlenden Unterschrift unter das Dokument „Preisblatt/Angebot“ auszuschließen ist.
Allerdings führt eine fehlende weitere Unterschrift in einem Angebot, das nach den Vorgaben des Auftraggebers (im Regelfall überflüssigerweise) an mehreren Stellen zu unterzeichnen ist, nicht automatisch zum zwingenden Ausschluss des betreffenden Angebots gemäß § 57 Abs. 1 Nr.1 i.V.m. § 53 Abs. 6 und Abs. 7 VgV. Vielmehr ist das Angebot der Beigeladenen nach allgemeinen, auch im Vergaberecht geltenden Grundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Erst wenn die Auslegung zu keinem zweifelsfreien Ergebnis führt, ist das Angebot zwingend auszuschließen. Die Unterschrift bzw. Signatur erfüllt eine Identitäts-, Verifikations- und Echtheitsfunktion, indem sie die Identität des Bieters erkennbar macht, das Angebot eindeutig und nachprüfbar diesem zuordnet (Authentifizierung) und durch die Verbindung von Angebotstext und Unterschrift die Integrität und Vollständigkeit seines Angebots in inhaltlicher Hinsicht gewährleistet. Entspricht die Unterschrift oder elektronische Signatur daher nicht den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers, werden Zweifel begründet, ob das Angebot eindeutig und nachprüfbar dem Bieter zuzuordnen ist und, ob der Bieter den (gesamten) Angebotsinhalt rechtsverbindlich erklären wollte. Erst wenn diese Zweifel nicht ausgeräumt werden können, ist das Angebot auszuschließen, weil dann kein den Anforderungen des Vergaberechts genügendes Angebot vorliegt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.2016 Verg 52/15).
Im vorliegenden Fall erscheint der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin allerdings als zwingend, weil die fehlende Unterschrift die maßgebliche Unterschrift unter das Angebot darstellt, die das Dokument mit den angebotenen Preisen und Leistungen abschließt, während die von der Antragstellerin unterzeichnete Bietererklärung – zumindest ganz überwiegend – lediglich eine Unterlage i.S.d. § 56 VgV darstellt, auch wenn sie ganz am Ende des Leistungsverzeichnisses steht. Zudem besteht eine Selbstbindung der Antragsgegnerin, entsprechende Angebote auszuschließen.
Nach Ziffer 2.1.5 der Bietererklärung sind Angebote auszuschließen, die nicht in der vorgegebenen Form eingereicht wurden.
In den Hinweisen im Vorspann des Kapitels 8 des LV, welches das „Preisblatt / Angebot“ enthält, wurden die Bieter aufgefordert, „die nachfolgend vorbereiteten Angebotsformulare vollständig auszufüllen. Nicht vollständig ausgefüllte Formulare führen zum Ausschluss“.
In Kapitel 1.5 des Leistungsverzeichnisses unter „Angebotsfrist und -form“ wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass das Leistungsverzeichnis und die Bieterklärung zu unterschreiben sind.
Unter Ziffer 8.5 des Angebots „Gesamtpreis Zusammenstellung“ im Dokument „Preisblatt/Angebot“ war unterhalb der Aufstellung sowohl der Name des Bieters als auch eine Unterschrift mit Firmenstempel gefordert. Dieses Formblatt „Gesamtpreis Zusammenstellung“ wurde durch die Antragstellerin nicht unterzeichnet. Unterzeichnet wurde lediglich die Bieterklärung unter Ziff. 9.1 des Angebots.
Diese Anforderungen werten die rechtliche Bedeutung der fehlenden Unterschrift unter dem Dokument „Preisblatt / Angebot“ zusätzlich auf. Im gleichen Zuge verliert damit die systematisch nachfolgende, ebenfalls unterschrieben einzureichende „Bietererklärung“ die sog. „Klammer-Funktion“, also die Funktion eines zu unterzeichnenden Dokumentes, welches so zu verstehen ist, dass alle anderen Unterlagen, die eigentlich außerdem noch zu unterzeichnen sind bzw. gewesen wären, vom Willen des Bieters eingeschlossen sind, so dass unschädlich wäre, wenn unter den vorhergehenden Dokumenten eine Unterschrift fehlt.
Letzteres wäre z.B. im Falle einer Ausschreibung nach der VOB/A unter Heranziehung der Formblätter der Vergabehandbücher leichter anzunehmen, wenn dort das übergreifende, alles inkludierende Formblatt 213 unterschrieben wird, nicht aber die sonstigen Erklärungen oder auch das LV, die dann im Einzelfall auch in unterschriebener Form nachgereicht werden könnten.
Ein solches Angebotsdeckblatt wie das FB 213 gibt es im vorliegenden Vergabeverfahren nach den Regelungen der VgV nicht. Daher gewinnt das Nebeneinander bzw. systematische Nacheinander der beiden zu leistenden Unterschriften eine größere Bedeutung. Auch wenn diese systematisch nacheinander stehen, lässt dies nicht mit den nötigen Eindeutigkeit den Schluss zu, dass die spätere Unterschrift am Ende, also unter der Bietererklärung, die vorgehenden ausgefüllten Dokumente mit über 70 Seiten und dem eigentlich diese abschließenden Dokument „Preisblatt / Angebot“ inkludiert. Es ist damit nicht hinreichend eindeutig, dass man alle Angebotsbestandteile als verbindlich angeboten ansehen kann.
Am ehesten noch könnte man einen solchen Erklärungsgehalt in der Ziffer 1. 1 der Bietererklärung unter der Überschrift „Grundlagen des Angebotes“ erblicken:
„Das Leistungsverzeichnis mit den dazugehörigen geforderten und vom Bieter beigefügten Unterlagen“.
Es fehlt jedoch an einer ausdrücklichen Klammer-Funktion, maßgeblich deshalb, weil zwar auf Elemente der Ausschreibung Bezug genommen wird, aber auch andere Aspekte wie etwa die Zurkenntnisnahme der anwendbaren Verfahrensvorschriften der VgV (Ziffer 1.2) zugesichert werden soll, ebenso der Abschluss eines EVB-Systemvertrages im Auftragsfall (Ziffer 1.3), oder die für die Bieter geltenden besonderen Verfahrensvorschriften bzw. ein bestimmtes Verhalten im Vergabeverfahren bestätigt werden sollen („Bedingungen des Angebotes unter Ziffer 2. “).
Aus diesem Grund treten jedoch die vertraglichen Gesichtspunkte in dieser Bietererklärung in den Hintergrund. Speziell ermangelt es dieser Erklärung einer verbindlichen Zusammenzählung im Sinne der Akzeptanz und des Willens, die betreffenden Leistungsteile zu erbringen. Für den inkludierenden Charakter der unterschriebenen Bietererklärung im Hinblick auf das LV fehlt der in dem rechtlich erforderlichen Maße notwendige Aussagebzw. – Erklärungsgehalt. Es handelt sich lediglich um eine Bezugnahme auf das LV nebst den Anlagen, die gemäß der unterschriebenen Bietererklärung die „Grundlage des Angebotes“ bilden soll, jedoch ist dies eben nur eine Art Bezugnahme, die nicht als finalisierendes Angebot bzw. eine ihr gleichkommende Zusicherung, wie etwa in dem VOB-Formularblatt 213, zu betrachten ist.
Dabei spielt zusätzlich eine Rolle, dass das von der Antragstellerin nicht unterzeichnete Formular in dem letzten Teil des LV (Kapitel 8. 1- bis 8. 5) mit den Worten „Preisblatt / Angebot“ überschrieben ist. Es handelt sich damit nicht um den Fall, dass das in dem abschließenden Kapitel zu bepreisende LV in erkennbarer Weise auch oder ggf. sogar ausschließlich andernorts verbindlich unterschrieben werden könnte. Vielmehr rückt maßgeblich die Preisblatt-Funktion in den Vordergrund, so dass es dem Aussage- und Wirkungsgehalt des VOB-Formularblattes 213 nahekommt. Damit einhergehend ist die Bedeutung der (vom Bieter lediglich unterzeichneten) Bietererklärung in ihrem rechtlichen Aussagegehalt in Bezug auf das Angebot und dessen Verbindlichkeit deutlich abgeschwächt. Im Gegenzug ist die Bedeutung und der Verbindlichkeitscharakter des zu unterzeichnen gewesenen Formulars „Preisblatt / Angebot“ umso höher anzusetzen.
Die Tatsache des systematischen Nachfolgens dieser unterschriebenen Bietererklärung ändert an dieser Betrachtung in diesem Einzelfall nichts. Vorrang genießt dasjenige, was inhaltlich erklärt wird, nicht aber dasjenige, was mehr oder weniger zufällig als letzte Erklärung zu unterschreiben ist.
Wäre die Logik gegenteilig, so wäre z.B. das regelmäßig zuoberst liegende zu unterzeichnende FB 213 in einer VOB-Ausschreibung völlig aussagebzw. erklärungslos, nur weil es dem unterzeichneten oder eben im Regelfall nicht separat zu unterzeichnenden LV abfolgebzw. reihenmäßig vorgeht. Zwar darf nach der Rechtsprechung – aber lediglich in Bezug auf ein individuelles Dokumentdie Unterschrift keine „Überschrift“ sein. Dies stellt allerdings keine zwingende Aussage in Bezug auf einander nachfolgende, zu unterschreibender Dokumente dar. Maßgeblich ist daher der Aussagegehalt, der bzgl. der Bietererklärung in Bezug auf das, was verbindlich angeboten wird, lediglich eingeschränkter Natur ist.
Maßgeblich für die Frage, ob in derartigen Fällen ein Angebot zwingend auszuschließen ist, oder ob es – ggf. nach der gebotenen Auslegung und Aufklärung – doch gewertet werden kann, ist regelmäßig, ob die fehlenden Unterschrift diejenige unter dem Angebot selbst ist, oder lediglich eine (überflüssigerweise) vom Auftraggeber unter eine gem. § 56 VgV nachforderbare Unterlage geforderte Unterschrift selbst ist.
Bei dem Formblatt „Gesamtpreis Zusammenstellung“ handelt es sich um keine Unterlage, die nachgefordert werden könnte. Die Vergabestelle hat sich selbst gebunden, indem sie festgelegt hat, dass auch auf dem Formblatt „Gesamtpreis Zusammenstellung“ eine Unterschrift durch den Bieter zu erfolgen hat. Es genügt nicht, dass lediglich die Bietererklärung unterzeichnet wurde. Die Vergabeunterlagen verlangten ausdrücklich, dass die geforderte Form einzuhalten ist. Das Nichtunterzeichnen des Formblatts „Gesamtpreis Zusammenstellung“ kann ohne weiteres als bewusstes Offenlassen der Preise für Nachverhandlungen gedeutet werden. Angebote sind nach Ziffer 2.1.3 der Bietererklärung auch auszuschließen wenn sie Preisvorbehalte enthalten.
Aus objektiver Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters musste die Forderung der Unterschrift auf dem Formblatt „Gesamtpreis Zusammenstellung“ so aufgefasst werden, dass der Auftraggeber den Gesamtpreis durch die Unterschrift bestätigt haben wollte, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Preise zu erhalten. Dem Preis kommt bei der Wertung aber eine zentrale Bedeutung zu, auch wenn der Preis vorliegend nicht das alleinige Zuschlagskriterium ist.
2.2 Die Antragstellerin ist auch nicht deshalb in ihren Rechten verletzt, weil es die Antragsgegnerin unterlassen hat, eine Klassifizierung der Medikationssoftware als Medizinprodukt der Klasse lla nach der VO 2017/745 als Mindestanforderung zu fordern.
Es ist bereits zweifelhaft, ob hierdurch überhaupt ein Verstoß gegen gesetzliche Regelungen über Medizinprodukte vorliegt. Die Richtlinie 93/42/EWG wird derzeit durch die EU-Verordnung 2017/745 ersetzt („Medical Device Regulation – MDR“), die seit Mai 2017 gültig ist. Diese tritt gemäß ihrem Art. 123 hinsichtlich aller Teile spätestens verbindlich am 26.05.2020 in Kraft. Sie enthält für den hier relevanten Bereich der Medikationssoftware Übergangsfristen hinsichtlich der in Art. 51 genannten Zertifizierungsklassen, etwa der erhöhten Klasse lla im Vergleich zu der bisher für diese Software gängigen Klasse I. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin auch eine Software wie die der Beigeladenen, die lediglich nach der Klasse I zertifiziert ist, noch einige Jahre nutzen kann. Im Übrigen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Software der Beigeladenen auch eine Zertifizierung nach der Klasse IIa erhält.
Im Übrigen sind Verletzungen außervergaberechtlicher Normen im Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen. Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens können nur solche Beanstandungen sein, mit denen behauptet wird, der öffentliche Auftraggeber habe „in einem Vergabeverfahren“ (§ 156 Abs. 2 Satz 1 GWB) gegen „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ (§ 97 Abs. 6 GWB) verstoßen und den Antragsteller „durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften“ gem. (§ 160 Abs. 2 Satz 1 GWB in seinen Rechten verletzt (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht § 160 GWB Rn. 21; OLG Düsseldorf Beschluss vom 13.8.2008, Az. VII-Verg 42/07). Entscheidungsrelevant sind Verletzungen außervergaberechtlicher Vorschriften lediglich bei Vorliegen einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm im Nachprüfungsverfahren (siehe z.B. den Sachverhalt der Entscheidung der VK Südbayern vom 07.03.2018, Z3-3-3194-1-51-10/17, wo Fragen des Abfallrechts und des Rechts der tierischen Nebenprodukte als Vorfragen der Eignung zu prüfen waren).
Vorliegend fehlt es an einer vergleichbaren vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm.
Bei Fiskalgeschäften der öffentlichen Verwaltung gilt ebenso wie im Rechtsverkehr zwischen „Privaten“ der Grundsatz, dass der Einkäufer den Vertragsgegenstand entsprechend seiner Bedürfnisse festlegen kann. Als Ausfluss der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.2014 – Verg 47/13) ist auch der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich darin frei, über das „Ob“ und das „Was“ einer Beschaffung zu entscheiden (sog. Beschaffungsautonomie). Das Vergaberecht regelt grundsätzlich nicht das „Ob“ und „Was“ einer Beschaffung, es regelt nur die Art und Weise, also das „Wie“ dieser Beschaffung, (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.2014 – Verg 47/13).
Macht der öffentliche Auftraggeber von der ihm zukommenden Beschaffungsautonomie Gebrauch und beschreibt er die Leistung entsprechend dem von ihm identifizierten Bedarf, trägt er mit dieser Leistungsbestimmung konsequentermaßen zugleich auch das Risiko der Geeignetheit des Leistungsgegenstandes.
Es ist nicht die Aufgabe des Vergaberechts ist, den Auftraggeber vor technisch oder wirtschaftlich unsinnigen Aufträgen zu schützen. Wenn die Leistungsbeschreibung zu technischen Mängeln des Werks führt, hat dies der Auftragnehmer – nach Anmeldung seiner Bedenken – hinzunehmen, der Auftraggeber die sich hieraus ergebenden Risiken zu tragen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2010, Az.: 27 U 1/09; OLG Dresden, Beschluss vom 17.05.2011 – WVerg 3/11).
Es ist daher dem Risikobereich des Auftraggebers zuzuordnen, wenn er eine Listung ausschreibt, die er später möglicherweise wegen einer fehlenden Zertifizierung, die er in den Vergabeunterlagen nicht gefordert hat, nur eingeschränkt oder gar nicht nutzen kann. Hierin liegt kein Vergabeverstoß durch die Antragsgegnerin, der eine Rechtsverletzung auf Seiten eines Bieters auslösen könnte.
3. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S.1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin, deren Nachprüfungsantrag zurückzuweisen war.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Die Gebühr wird hier auf …,00 € festgesetzt.
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft verrechnet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war für die Antragsgegnerin und die Beigeladene erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte waren die Antragsgegnerin und die Beigeladene aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen. Hierüber hinaus war die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin herzustellen.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen folgt aus § 182 Abs. 4 S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Dieser für die kostenrechtliche Berücksichtigung der Beigeladenen maßgebende Grundsatz ist auch bei der Kostenentscheidung nach Erledigung des Nachprüfungsantrags von entscheidender Bedeutung (OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2010, Az.: 13 Verg 4/10). Es bleibt der Beigeladenen nämlich weiter überlassen, sich aktiv auf Seiten des Antragsstellers oder der Vergabestelle am Nachprüfungsverfahren zu beteiligen oder eine rein passive Rolle einzunehmen. Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate die Beigeladenen kostenrechtlich nur dann wie einen Antragsteller oder Antragsgegner behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzen, indem sie sich an dem Verfahren beteiligen (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, an Hand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-) Ziel ein Beigeladener in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08). Ist eine solche nicht ersichtlich, handelt es sich bei den entstandenen Aufwendungen des Beigeladenen nicht um solche zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2010, Az.: 1 VK 76/10).
Die Beigeladene hat sich zwar nicht durch Antragstellung, aber durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag – insbesondere durch den nachgelassenen Schriftsatz – aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert.


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