Baurecht

Naturschutzrechtliche Beseitigungsanordnung für Abwehrzaun gegen Schwarzwild

Aktenzeichen  Au 2 K 16.416

Datum:
14.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG BayNatSchG Art. 27 Abs. 1, Abs. 3, Art. 33, Art. 34 Abs. 2, Abs. 3
BV BV Art. 141 Abs. 3
VwGO VwGO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Hindernis ist dann eine Sperre iSd Art. 34 Abs. 2 S. 1 BayNatSchG, wenn es (auch) die Wirkung hat, die Allgemeinheit vom Betreten eines Privatweges oder einer sonstigen Fläche in der freien Natur abzuhalten, selbst wenn es demjenigen, der das Hindernis errichtet hat, darauf nicht ankam. Für die Beurteilung ist entscheidend die objektive Situation, wie sie sich dem Betretenden an Ort und Stelle darbietet. (redaktioneller Leitsatz)
Grundsätzlich ist jeder im Wald oder vor einer Waldfläche errichtete Zaun geeignet, die erholungssuchende Bevölkerung vom Betreten der hinter dem Zaun liegenden Waldfläche abzuhalten. (redaktioneller Leitsatz)
Ein ringförmig eine Waldfläche umschließender Zaun verliert nicht dadurch den Charakter einer Waldsperrung, dass in regelmäßigen Abständen von etwa 200 Metern Tore angebracht sind, die den Zutritt zur Waldfläche ermöglichen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 2015 wird, soweit er noch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Beseitigung des vom Beigeladenen im … Forst westlich von … errichteten Elektro-Litzenzauns anzuordnen.
II.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der übereinstimmenden Verzichtserklärungen der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Beseitigung des vom Beigeladenen im … Forst westlich von … errichteten Elektro-Litzenzauns anordnet. Soweit dies durch Bescheid vom 25. Februar 2015 abgelehnt wurde, ist er rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war deswegen aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinn von Art. 42 Abs. 1 VwGO statthaft, da der Erlass einer Untersagungsverfügung (Beseitigungsanordnung), d. h. eines Verwaltungsakts (Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG), begehrt wird (vgl. VG Augsburg, U. v. 17.11.2015 – Au 2 K 15.160 – NuR 2016, 284). Der Kläger ist auch klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Bei der Verpflichtungsklage ist klagebefugt, wer ein subjektives Recht auf Erlass des Verwaltungsakts haben kann (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 92). Dies ist vorliegend der Fall. Denn jeder, der eine Sperre für unzulässig hält, kann sich an die Naturschutzbehörde wenden, die das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen prüft und nach Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG die Beseitigung rechtswidriger Sperren anordnen kann (BayVerfGH, E. v. 4.3.1994 – Vf. 8-VI-93 – BayVBl 1994, 305). Ein behaupteter Anspruch auf behördliches Einschreiten gegen eine Sperre kann vor dem Verwaltungsgericht eingeklagt werden. Vor dem Hintergrund, dass ein subjektives Recht des Einzelnen vorliegt, das in Bayern sogar Grundrechtsqualität besitzt (Art. 141 Abs. 3 BV), dient die Kann-Ermächtigung des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG nicht nur dem abstrakten Interesse der Allgemeinheit, sondern konkret jedem einzelnen Erholungsuchenden und gibt ihm jedenfalls einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung darüber, ob eingeschritten wird (Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand April 2015, Art. 34 Rn. 15 m. w. N.). Demnach muss der Kläger entgegen der Annahme des Beklagten für die Bejahung der Klagebefugnis auch nicht konkretindividuell darlegen, ob und ggf. warum gerade er sich als Erholungsuchender in seinem Grundrecht auf Naturgenuss verletzt sieht bzw. weshalb gerade für ihn vom streitgegenständlichen Zaun eine Sperrwirkung ausgeht.
II.
Die Klage ist auch begründet.
Aus Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG ergibt sich für die untere Naturschutzbehörde die Befugnis, die Beseitigung einer bereits bestehenden Sperre anzuordnen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach Absatz 2 die Errichtung der Sperre untersagt werden müsste. Nach Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG ist die Errichtung einer Sperre zu untersagen, wenn dies im gegenwärtigen oder absehbaren zukünftigen Interesse der erholungsuchenden Bevölkerung erforderlich ist und die Sperre den Voraussetzungen des Art. 33 widerspricht. Art. 33 BayNatSchG sind wiederum die rechtlichen Anforderungen zu entnehmen, unter denen Grundeigentümer oder sonst Berechtigte der Allgemeinheit das Betreten von Grundstücken in der freien Natur verwehren dürfen. Danach ist u. a. gestattet, Sperren zu errichten, wenn andernfalls die zulässige Nutzung des Grundstücks nicht unerheblich behindert oder eingeschränkt würde, etwa bei einer zu erwartenden Schädigung von Forstkulturen, oder wenn das Grundstück regelmäßig von einer Vielzahl von Personen betreten und dadurch in seinem Ertrag erheblich gemindert oder in unzumutbarer Weise beschädigt oder verunreinigt wird.
Nach Art. 27 Abs. 1 BayNatSchG können alle Teile der freien Natur, insbesondere Wald, Bergweide, Fels, Ödungen, Brachflächen, Auen, Uferstreifen und landwirtschaftlich genutzte Flächen von jedermann unentgeltlich betreten werden. Das Betretungsrecht kann aber nicht ausgeübt werden, soweit Grundeigentümer oder sonstige Berechtigte das Betreten ihres Grundstücks durch die Allgemeinheit durch für die Allgemeinheit geltende, deutlich sichtbare Sperren, insbesondere durch Einfriedungen, andere tatsächliche Hindernisse oder Beschilderungen untersagt haben (Art. 27 Abs. 3 Satz 2 BayNatSchG).
1. Der vom Beigeladenen errichtete rund 21,9 km lange Elektro-Litzenzaun stellt im vorliegenden Fall eine „Sperre“ im Sinn des Art. 34 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BayNatSchG dar. Ein Hindernis ist dann eine Sperre, wenn es (auch) die Wirkung hat, die Allgemeinheit vom Betreten eines Privatweges oder einer sonstigen Fläche in der freien Natur abzuhalten, selbst wenn es demjenigen, der das Hindernis errichtet hat, darauf nicht ankam. Für die Beurteilung ist entscheidend die objektive Situation, wie sie sich dem Betretenden an Ort und Stelle darbietet (VG Ansbach, U. v. 27.6.2012 – AN 11 K 11.01732 – juris Rn. 88; Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand April 2015, Art. 27 Rn. 16; Heym in GK-BNatSchG, 2012, § 59 Rn. 36).
Gemessen hieran vermittelt der Elektro-Litzenzaun – wie sich aus dem in den Verwaltungsakten befindlichen Bildmaterial entnehmen lässt und der Augenscheinstermin ergeben hat – den Eindruck, das Betreten des Waldes sei vom Grundstückseigentümer bzw. sonst Verfügungsberechtigten unerwünscht. Dies folgt bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild des überwiegend am Waldrand bzw. im Wald verlaufenden und sich über 21 km erstreckenden Elektro-Litzenzauns, der dem eines handelsüblichen Weidezauns ähnelt. Er hindert als physisches Hindernis aufgrund seiner Höhe und Ausführung das Betreten der eingezäunten Waldflächen und hat damit die Wirkung einer Sperre (vgl. BayVGH, B. v. 13.2.2014 – 14 ZB 12.1895 – Rn. 2 n. v.). Grundsätzlich ist jeder im Wald oder vor einer Waldfläche errichtete Zaun geeignet, die erholungsuchende Bevölkerung vom Betreten der hinter dem Zaun liegenden Waldfläche abzuhalten (OVG NW, U. v. 6.2.1981 – 9 A 1859/7 – AgrarR 1981, 293/294). Daran ändern weder die vorhandenen Durchgänge an den Forstwegen, noch die zum Durchqueren des Zauns vorgesehenen Aushängtore mittels Handisolatoren, noch die in unregelmäßigen Abständen angebrachten Hinweisschilder etwas (vgl. VG Ansbach, U. v. 27.6.2012 – AN 11 K 11.01732 – juris Rn. 87 ff.; BayVGH, B. v. 13.2.2014 – 14 ZB 12.1895 – Rn. 2 n. v.). Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, dass der Zaun durch Niedertreten oder Niederhalten der Elektro-Litzen gefahrlos zu überwinden ist. Die erkennende Kammer hat bereits erhebliche Zweifel, dass ein durchschnittlicher, mit einem Elektro-Litzenzaun nicht vertrauter Erholungsuchender tatsächlich versuchen wird, einen in der freien Natur befindlichen Elektrozaun zu übersteigen (vgl. Schreiben des BayVGH v. 15.11.2013 – 14 ZB 12.1895 – S. 3, Bl. 678 der LRA-Akte) oder die Handisolatoren zum Durchqueren aus- und wiedereinhängen würde. Die in unregelmäßigen Abständen angebrachten Hinweisschilder sind bereits aufgrund ihrer geringen Größe (ca. 22 x 30 cm) und demzufolge relativ kleinen Schriftgröße nicht geeignet, die prohibitive Wirkung des Zauns zu vermindern oder gar aufzuheben. Nur bei genauer Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Schilder ist der geneigte Erholungsuchende in der Lage, dem Hinweis die (aus Sicht des Beigeladenen) eigentliche Zielsetzung des Zauns sowie die Möglichkeiten der Überwindung bzw. Über- und Durchquerung zu entnehmen. Ferner sind die Schilder jeweils nur auf eine Seite hin ausgerichtet, so dass beispielsweise ein von innerhalb des Waldes kommender Erholungsuchender den Inhalt zunächst nicht wahrnehmen kann. Die vorhandenen Durchgänge an sämtlichen mit PKW befahrbaren Forstwegen und -straßen sind ebenfalls nicht geeignet, die vom Zaun ausgehende prohibitive Wirkung aufzuheben. Durch sie erfolgt auch nicht eine Klarstellung dahingehend, dass das Betretungsrecht wiederhergestellt wäre (vgl. LT-Drs. 7/3007, S. 30). Ein ringförmig eine Waldfläche umschließender Zaun verliert nicht dadurch den Charakter einer Waldsperrung, dass in regelmäßigem Abstand von etwa 200 Metern Tore angebracht sind, die den Zutritt zur Waldfläche ermöglichen (OVG NW, U. v. 6.2.1981 – 9 A 1859/7 – AgrarR 1981, 293/294). Denn Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV gewährleistet das Recht, den Wald auch abseits befestigter Wege betreten zu dürfen. Beispielsweise durchstreifen besonders im Herbst viele Menschen Wälder, um Pilze und andere Waldfrüchte zu suchen (siehe Schreiben des BayVGH v. 15.11.2013 – 14 ZB 12.1895 – S. 2, Bl. 677 der LRA-Akte).
2. Ferner liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG vor, da die Errichtung des Elektro-Litzenzauns nach dieser Vorschrift zu untersagen wäre, weil der Zaun den Voraussetzungen des Art. 33 BayNatSchG widerspricht und die Untersagung im gegenwärtigen Interesse der erholungsuchenden Bevölkerung erforderlich ist.
Die Errichtung des Elektro-Litzenzauns ist insbesondere nicht nach Art. 33 Nr. 1 BayNatSchG zulässig, da die Norm ihrer Zielrichtung nach den Schutz der zulässigen Nutzung des Grundstücks bezweckt. Art. 33 Nr. 1 BayNatSchG, der dem Eigentümer oder sonstigen Berechtigten unter den dort genannten Voraussetzungen die Befugnis einräumt, das Betreten von Grundstücken in der freien Natur durch Sperren im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Satz 2 BayNatSchG zu verwehren, dient nicht dazu, die vom Grundstück des Beigeladenen wegen des vorhandenen Schwarzwildbestands ausgehenden Gefahren und Schäden für benachbarte landwirtschaftlich genutzte Flächen zu verhindern, so dass die vom Schwarzwildbestand verursachten Schäden keine Einfriedung der Grundstücke des Beigeladenen nach dieser Vorschrift rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B. v. 13.2.2014 – 14 ZB 12.1895 – Rn. 2 n. v.; VG Ansbach, U. v. 27.6.2012 – AN 11 K 11.01732 – juris Rn. 98 ff.). Insofern kommt es auch nicht weiter darauf an, dass – was unter den Beteiligten wohl unstreitig ist – der Zaun seinen Schutzzweck erfüllt.
Soweit sich der Beigeladene auf die Zulässigkeit von Sperren aus anderen Gründen beruft (vgl. Art. 33 Nr. 3 BayNatSchG), dringt er damit ebenfalls nicht durch. Denn nach dieser Vorschrift sind Sperren nur kurzzeitig möglich (Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand April 2015, Art. 33 Rn. 17; LT-Drs. 16/6613, Schriftliche Anfrage/Antwort – Errichtung eines Elektro-Litzenzauns im … Forst, S. 2). Der Zaun ist aber auf unbestimmte Zeit errichtet worden.
Im Interesse der erholungsuchenden Bevölkerung erforderlich ist die Beseitigung der Sperre, weil der Elektro-Litzenzaun in einem Landschaftsschutzgebiet, hier im Umgriff der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Nördlicher …“ des Landkreises … vom 9. März 1973 (Amtsblatt des Landkreises … Nr. 13), geändert durch Verordnung des Landkreises … vom 7. Februar 1974 (Amtsblatt des Landkreises … Nr. 6), errichtet wurde (vgl. Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand April 2015, Art. 34 Rn. 8). Zudem befindet sich der Zaun in einem von Erholungsuchenden gerne besuchten Teil der freien Natur, da es sich um einen reizvollen, schönen Landschaftsteil handelt (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304 = NuR 2014, 62), was bei einem weitgehend zusammenhängenden Waldgebiet der vorliegenden Größenordnung ohne Weiteres anzunehmen ist.
3. Im Rahmen des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG verbleiben nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nur ganz eingeschränkte Ermessensgesichtspunkte, die es bei entsprechender Gewichtigkeit rechtfertigen können, von der Beseitigung einer unzulässigen und für Erholungsuchende nicht nur unbedeutenden (hier zudem großflächigen) Sperre abzusehen, und zwar in der Regel auch nur teil- bzw. zeitweise (BayVGH, U. v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304 = NuR 2014, 62). Dies sind zum einen Vertrauensschutzgründe auf Seiten des Eigentümers im Hinblick auf nach einer ordnungsgemäßen Anzeige getätigte erhebliche Investitionen, die gegebenenfalls trotz Art. 36 Abs. 1 BayNatSchG zu einer angemessenen Auslauffrist führen können. Zum anderen sind dies Verhältnismäßigkeitsgründe in Fallgestaltungen, in denen schon eine Teilbeseitigung, etwa die Herstellung weiterer Öffnungen in einem Zaun, die unzulässige Sperrwirkung entfallen lässt (vgl. LT-Drs. 7/3007 S. 30). Schließlich können auch Gleichbehandlungsgesichtspunkte zum Tragen kommen, die etwa ein Vorgehen nur gegen einen Eigentümer im Hinblick auf im selben Bereich bestehende weitere (gewichtige) Sperren anderer Eigentümer im Ergebnis als willkürlich erscheinen lassen können (BayVGH, U. v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304 = NuR 2014, 62).
Derartige Ermessensgesichtspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich. Vertrauensschutzgründe wegen erheblicher Investitionen spielen hier schon deswegen keine Rolle, weil die Errichtung des Elektro-Litzenzauns durch den Beigeladenen nicht ordnungsgemäß angezeigt worden ist. Vielmehr wurde die zuständige Behörde hiervon erst durch Dritte bzw. durch die entsprechende Presseberichterstattung in Kenntnis gesetzt (siehe Schreiben des Bund Naturschutzes in Bayern e. v. vom 19.11.2010, Bl. 100 – 103; Bl. 126 der LRA-Akte). Erst auf entsprechende Anfrage des Beklagten vom 23. Oktober 2010 hat der Beigeladene am 31. Januar 2011 die Errichtung des Elektro-Litzenzauns eingeräumt (Bl. 176 – 185 der LRA-Akte). Förmlich beantragt wurde die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Buchst. b der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Nördlicher …“ am 1. August 2011, zunächst allerdings ohne Begründung, wobei zwischenzeitlich – wiederum ohne Anzeige – im Bereich zwischen den Ortsteilen … und … der Zaun verlängert wurde (siehe Schreiben des Bund Naturschutzes in Bayern e. v. vom 28.6.2011, Bl. 371 – 376 der LRA-Akte). Auch dürften die getätigten Investitionen für den Beigeladenen nicht erheblich sein, nachdem für den Rückbau ein Aufwand von ca. 10.000 EUR veranschlagt worden war (siehe Schreiben des BayVGH v. 15.11.2013 – 14 ZB 12.1895 – S. 3 a.E., Bl. 678 der LRA-Akte). Da die Herstellung weiterer Öffnungen im Zaun nach obigen Ausführungen die Sperrwirkung nicht entfallen lassen würde, ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine ermessensöffnende Fallgestaltung nicht gegeben. Auf Gleichbehandlungsgesichtspunkte kann sich der Beklagte ebenfalls nicht berufen, da er mit Bescheid vom 30. August 2011 gegenüber dem Beigeladenen die Beseitigung des im Umgriff des Zuständigkeitsbereichs des Landratsamts … errichteten Elektro-Litzenzauns angeordnet hat.
Soweit der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Februar 2015 einen „atypischen Fall“ im Sinne einer „Sondersituation“ wegen des aufgrund der besonderen Waldstruktur sehr hohen Wildbestandes und der den … Forst umgebenden großen, intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen annimmt, der es rechtfertigen würde, von der Anordnung der Beseitigung des Zauns vorübergehend abzusehen, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen entspricht diese „Sondersituation“, so sie denn vorliegen würde, schon tatbestandlich keinem der von der Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304 = NuR 2014, 62) entwickelten Fallgestaltungen, die ausnahmsweise ein zumindest zeitweises Absehen vom Erlass einer Beseitigungsanordnung rechtfertigen könnten. Denn für den vom Beklagten in den Blick genommenen Konflikt der Grundrechte – das Recht auf Naturgenuss einerseits und das Eigentumsrecht des Grundeigentümers andererseits – hat der Gesetzgeber durch die Vorschrift des Art. 33 BayNatSchG eine sachgerechte und verhältnismäßige Regelung getroffen. Danach sind die durch das Eigentumsrecht des jeweiligen Grundeigentümers oder Nutzungsberechtigten geschützten Interessen, die das Grundrecht auf Naturgenuss beschränken können, bereits auf der Tatbestandsseite des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG berücksichtigt und können im Rahmen der Ermessensentscheidung keine maßgebliche Rolle mehr spielen (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – BayVBl 2014, 304 = NuR 2014, 62). Auch wenn Art. 33 Nr. 1 BayNatSchG – wie oben dargelegt – nicht dazu dient, die vom klägerischen Grundstück wegen des vorhandenen Schwarzwildbestands ausgehenden Gefahren und Schäden für benachbarte landwirtschaftlich genutzte Flächen zu verhindern (vgl. BayVGH, B. v. 13.2.2014 – 14 ZB 12.1895 – Rn. 2 n. v.; VG Ansbach, U. v. 27.6.2012 – AN 11 K 11.1732 – juris Rn. 98 ff.), so bleibt es den betroffenen Eigentümern unbenommen, zum Schutz ihrer (meist landwirtschaftlich genutzten) Grundstücke einen Zaun zu errichten. Insofern geht aus dem Kurzprotokoll zum Ortstermin vom 9. Mai 2014 hervor, dass aus Sicht des Bauernverbands die Einzäunung der Felder zwar möglich, aber aufwändig sei. Allerdings bevorzugten es die Landwirte aus ökonomischen Gründen, stattdessen den Schaden beim Revierinhaber zu melden (Bl. 731 – 734/733 der LRA-Akte).
Dessen ungeachtet vermag das Gericht auch das Vorliegen eines „atypischen Falles“ aufgrund der „Sondersituation“ im … Forst nicht zu erkennen. Zwar stelle nach Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der … Forst einen idealen Lebensraum für das Schwarzwild dar (LT-Drs. 16/6613, S. 3). Jedoch geht aus den sog. „Schwarzwildverbreitungskarten“ des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die auf Grundlage der Streckenlisten erstellt werden, hinreichend deutlich hervor (im Internet abrufbar unter : www.stmelf.bayern.de/wald/jagd/077467/index.php?layer=rss), dass die Schwarzwildproblematik kein singuläres, auf den … Forst beschränktes Phänomen ist, sondern nahezu bayernweit zu Tage tritt und zudem in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat (siehe Antwortschreiben der unteren Jagdbehörde, LRA … vom 16.5.2013, Bl. 628 f. der LRA-Akte). Ferner spricht gegen die Annahme eines atypischen Falles, dass sich auch aus jagdrechtlicher und -fachlicher Sicht die Errichtung eines Wildschadensabwehrzauns nicht begründen lässt (siehe Stellungnahme der Regierung von … vom 4.7.2008, Bl. 49 f. der Rv… Akte). Auch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bringt klar zum Ausdruck, dass nicht eine Einzäunung des gesamten Forstes, sondern vielmehr die intensivere Bejagung und Bestandsreduzierung für zielführend erachtet werde (LT-Drs. 16/6613, S. 3). Weder der Beklagte noch der Beigeladene konnten die Alternativlosigkeit der Errichtung des Wildschadensabwehrzauns oder die Unzumutbarkeit der Haftungsrisiken dar- bzw. belegen. Ohnehin ist der Beigeladene als Revierinhaber auf seinen forstwirtschaftlichen Flächen nicht von Schwarzwildschäden betroffen und damit auch nicht unmittelbar selbst schadensersatzpflichtig (siehe Stellungnahme der Regierung von … vom 4.7.2008, Bl. 49 f. der Rv…-Akte). Die im Raum stehenden Schadensersatzzahlungen von angeblich jährlich rund 50.000 EUR (Aktenvermerk, LRA …, zum Gespräch vom 4.7.2012, Bl. 571 der LRA-Akte) sind ebenfalls nicht geeignet, eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit zu belegen, zumal sich aus weiteren Stellungnahmen und anderen Aufstellungen Schadenshöhen in dieser Größenordnung ohnehin nicht gesichert entnehmen lassen (vgl. Stellungnahme der Regierung von … vom 23.6.2015, Bl. 207 f. der Rv…-Akte; Übersicht zu Wildschäden in den Hegegemeinschaften im Kalenderjahr 2014, Bl. 202 ff. der Rv…-Akte); dort werden Schäden von maximal 12.000 EUR bzw. einigen tausend EUR genannt. Hinzu kommt, dass wohl einiges dafür spricht, dass der Beigeladene u. a. durch die Unterhaltung von Ablenkfütterungen in der Vergangenheit nicht unwesentlich zum Anstieg der Wildschweinpopulation beigetragen haben dürfte (vgl. VG Ansbach, U. v. 27.6.2012 – AN 11 K 11.01732 – juris Rn. 96; E-Mail der Regierung von … an das StMELF vom 14.10.2010, Bl. 91 der Rv…-Akte; LT-Drs. 16/6613, S. 3). Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass der Bestand an Schwarzwild im … Forst überhöht sein dürfte und der Beigeladene als Revierinhaber für die Bestandsreduzierung Sorge zu tragen hat (siehe Schreiben der Regierung von … an das StMELF vom 23.6.2015, Bl. 207 f. der Rv…-Akte; E-Mail der Regierung von … vom 1.7.2014, Bl. 163 der Rv…-Akte; Schreiben des LRA … vom 12.8.2014, Bl. 746 der LRA-Akte; Antwortschreiben der Unteren Jagdbehörde, LRA …, vom 16.5.2013, Bl. 628 f. der LRA-Akte). In weiteren Stellungnahmen vom 20. Mai 2011 und 4. Oktober 2012 kommt die Regierung von … zu dem Schluss, dass die Schwarzwildstrecken in den Eigenjagdrevieren des Beigeladenen ein Vielfaches über den Strecken aus Vergleichsgebieten liegen und demnach auch der Bestand an Schwarzwild höher sein muss als in vergleichbaren Waldgebieten (Bl. 99 f., 136 ff. der Rv…-Akte). Deswegen kommt es nicht weiter darauf an, ob der Vorwurf der unzureichenden Bejagung – so die Regierung von … in einer Stellungnahme an das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 23. Juni 2015 (Bl. 207 f. der Rv…-Akte) – bestätigt werden kann, oder – wie die Regierung von … annimmt (siehe E-Mail vom 24.6.2015, Bl. 214 f. der Rv…-Akte) – dies nicht aufrechterhalten werden könne. Ferner ist in den Blick zu nehmen, dass nach dem Abbau des Elektro-Litzenzauns im nördlichen Bereich des … Forstes und durch die weitere Duldung des Elektro-Litzenzauns im Süden die Schwarzwildproblematik nur verlagert wird. Denn aufgrund der Wanderbewegungen des Schwarzwilds ist mit einer Zunahme der Schäden in den nördlich angrenzenden Bereichen zu rechnen (siehe E-Mail der Regierung von … an das StMELF vom 1.7.2014, Bl. 187 der Rv…-Akte). Die Regierung von … spricht insofern von einer gravierenden Verschärfung der Schadenssituation (siehe E-Mail vom 1.7.2014 an das StMELF, Bl. 194 f. der Rv…-Akte). Wiederholt wurde die Beseitigung des Zaunes angemahnt (siehe bspw. Schreiben des LRA … an LRA … vom 12.8.2014, Bl. 746 f. der LRA-Akte). Unter diesem Aspekt hätte aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten ein Einschreiten gegen den Beigeladenen bezüglich des im Zuständigkeitsbereich des Landratsamts … errichteten Elektro-Litzenzauns ebenfalls nahe gelegen.
Im Ergebnis kann unter Berücksichtigung dieser Umstände das Vorliegen eines „atypischen Falles“ aufgrund einer „Sondersituation“ nicht angenommen werden. Folglich hat der Kläger aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch gegen den Beklagten, gegenüber dem Beigeladenen die Beseitigung des Elektro-Litzenzauns anzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2, § 124a VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in …: Montgelasplatz 1, 91522 …
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000,– EUR festgesetzt.
(vgl. BayVGH, B. v. 13.2.2014 – 14 ZB 12.1895 – Rn. 3 n. v.).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


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