Baurecht

Nichteinhaltung der Rügefrist gem. § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB

Aktenzeichen  2 N 17.1967

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7311
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Der Eingang des (Normenkontroll-)Schriftsatzes bei Gericht innerhalb der Jahresfrist nach § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB erfüllt aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes, der eine Geltendmachung gegenüber der Gemeinde fordert (unter Hinweis auf BVerwG BeckRS 2012, 54189), nicht die Anforderung an eine Rügeschrift, wenn der Normenkontrollschriftsatz nicht mehr innerhalb der Jahresfrist an die Gemeinde zugestellt wird. (Rn. 15) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht, wenn nur behauptet, aber in keiner Weise dargelegt wird, dass die Norm des § 215 BauGB aufgrund Verstoßes gegen geltendes EU-Recht unwirksam sei. (Rn. 18) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die 1. Änderung des Bebauungsplans Ortskern – Quartier II (S…weg) des Antragsgegners, die am 8. Oktober 2016 und nochmals am 9. Dezember 2017 bekannt gemacht wurde. Sowohl in der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2016 als auch in der Bekanntmachung vom 9. Dezember 2017 wurde auf § 215 Abs. 1 BauGB und seine Rechtsfolgen hingewiesen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung H… Das Grundstück liegt im Plangebiet.
Zur Begründung seines Normenkontrollantrags lässt der Antragsteller ausführen, im Bebauungsplan würden die komplette Gebäudeseite des Wohnhauses des Antragstellers zur H**straße hin und ein Teil der zur L…straße hin gewandten Gebäudeseite als Baulinie festgesetzt. An der Grenze zur FlNr. … sei eine Baugrenze eingezeichnet mit einer Giebelseite in Richtung der Straße. Auch direkt angrenzend im Nachbargrundstück FlNr. … sei eine Baugrenze vorgegeben. Da die Firstrichtung beider angrenzender Bereiche nicht auf einer Linie verlaufe, werde das Grundstück des Antragstellers und damit der Platz eines möglichen Neubaus verschattet. Der Antragsgegner habe die Einwände des Antragstellers zur Kenntnis genommen, dies jedoch bei der ihm obliegenden Abwägungsentscheidung nicht in einem ausreichenden Maß berücksichtigt. Die dem Antragsteller hier drohende Verschattung sei nicht mehr zu tolerieren. Dies stelle einen massiven Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar, insbesondere mit Blick auf die bauliche Umgebung. Vom Antragsteller werde ein Sonderopfer verlangt, welches sachlich nicht zu begründen sei. Durch die erwartbare verminderte Nutzungsmöglichkeit trete eine Wertminderung des Grundstücks des Antragstellers ein.
Ein Rügeschreiben nach § 215 BauGB sei im vorliegenden Fall entbehrlich. Durch Erhebung der Normenkontrollklage habe der Antragsteller in ausreichender Form gegenüber dem Antragsgegner und dem Gericht deutlich gemacht, dass er die Unwirksamkeit des Bebauungsplans rüge. Ein zusätzliches Rügeschreiben hätte hier zu unnötigen Doppelungen geführt. Das Vorgehen sei auch vom Antragsgegner nicht gerügt worden. In der Bebauungsplansatzung zur „1. Änderung des Bebauungsplans Ortskern – Quartier II (S…weg)“ vom 11. Oktober 2016 finde sich kein Hinweis auf eine Ausschlussfrist, die an den Antragsteller gerichtet gewesen sei. Hinzu komme, dass die Norm des § 215 BauGB aufgrund eines Verstoßes gegen geltendes EU-Recht unwirksam sei.
Der Antragsteller beantragt,
die 1. Änderung des Bebauungsplans Ortskern – Quartier II (S…weg) des Antragsgegners für unwirksam zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 5. März 2017 hörte das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an, ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Normenkontrollantrag des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Der Senat kann durch Beschluss entscheiden, da er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden insofern gehört. Eines Einverständnisses der Beteiligten bedarf es nicht (vgl. BVerwG, B.v. 2.1.2001 – 4 BN 13.00 – BauR 2001, 1888). Sie haben aber zugestimmt.
Der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO ist unbegründet. Die vom Antragsteller erhobenen Einwendungen zum Abwägungsvorgang sind bereits unbeachtlich, weil die Rügen nicht rechtzeitig erfolgten.
Der Antragsteller beruft sich auf Mängel der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB, die nur dann erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB).
Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB werden im Sinn von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB erhebliche Abwägungsfehler unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind. Ausweislich der Verfahrensvermerke wurde der Bebauungsplan am 8. Oktober 2016 ortsüblich bekannt gemacht. Die Bekanntmachung enthielt den nach § 215 Abs. 2 BauGB erforderlichen Hinweis auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung von Rechtsverletzungen und ihre Rechtsfolgen. Die Jahresfrist endete somit am Montag, den 9. Oktober 2017 (Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB). Der Normenkontrollantrag vom 27. September 2017 ging am 5. Oktober 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof per Telefax ein. Dieser wurde dem Antragsgegner ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 12. Oktober 2017 zugestellt. Damit hat die schriftliche Geltendmachung der Rügen den Antragsgegner nicht mehr rechtzeitig, d.h. innerhalb der gesetzlich vorgeschrieben Jahresfrist erreicht. Der Eingang des Schriftsatzes bei Gericht erfüllt diese Anforderung aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes, der eine Geltendmachung gegenüber der Gemeinde fordert, nicht (vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 – 4 CN 5.10 – BVerwGE 143, 192 Rn. 27; BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 2 N 16.1882 – n.v.; VGH BW U.v. 11.12.2014 – 8 S 1400/12 – BauR 2015, 1089; Stock in Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Mai 2018, § 215 Rn. 37).
Ebenso wenig liegt mit den Schreiben des Antragstellers vom 11. März 2016 und 17. August 2016 ein fristgerechtes Rügeschreiben vor. Denn diese sind dem Antragsgegner vor der Bekanntmachung des Bebauungsplans zugegangen. Eine vor Bekanntmachung des Bebauungsplans erhobene Rüge entbindet nicht von einer Geltendmachung nach § 215 Abs. 1 BauGB (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Mai 2018, § 215 Rn. 38; Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 3. Aufl. 2018, § 215 Rn. 26).
Die Frist des § 215 Abs. 1 BauGB wurde durch die erneute Bekanntmachung des Bebauungsplans am 9. Dezember 2017 nicht neu in Lauf gesetzt. Denn die zweite Bekanntmachung erfolgte lediglich zur Behebung eines Ausfertigungsmangels gemäß § 214 Abs. 4 BauGB. Die Annahme, dass der Gesetzgeber mit einer zur Behebung formeller Mängel zulässigen neuen Bekanntmachung etwa auch eine erneute Prüfung der Abwägung ermöglichen wollte, wäre mit dem Zweck der §§ 214f. BauGB, den Bestand der gemeindlichen Bauleitplanung zu sichern, nicht vereinbar (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.1997 – 4 NB 40.96 – BauR 1997, 590; OVG NW, U.v. 2.3.2007 – 7 D 53.06.NE – BauR 2007, 2016). Im vorliegenden Fall ist aus den Verfahrensvermerken zur 1. Änderung des Bebauungsplans erkennbar, dass die erste Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses am 8. Oktober 2016 erfolgte und damit vor der Ausfertigung des Bebauungsplans am 11. Oktober 2017 durch den ersten Bürgermeister. Anhaltspunkte dafür, dass mit der erneuten Bekanntmachung der Satzung Rechtsänderungen verbunden waren, oder sonstige Verfahrens- oder Formfehler behoben wurden, wurden seitens des Antragstellers nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
Soweit der Antragsteller behauptet, dass die Norm des § 215 BauGB aufgrund eines Verstoßes gegen geltendes EU-Recht unwirksam sei, wird dies in keiner Weise dargelegt. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt damit nicht in Betracht. Auch der Antragsteller hat eine solche Vorlage nicht beantragt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG.


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