Baurecht

Normenkontrollantrag, Bebauungsplan, Typenzwang

Aktenzeichen  9 N 19.1989

Datum:
14.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6581
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der am 4. Oktober 2018 bekanntgemachte Bebauungsplan Nr. … “Entwicklungsgebiet R …” der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
I. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist zulässig. Er wurde innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt. Die Antragsteller sind insbesondere antragsbefugt, weil sie Eigentümer im Plangebiet liegender Grundstücke sind und sich gegen bauplanerische Festsetzungen wenden, die ihre Grundstücke unmittelbar betreffen (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 – juris Rn. 5 m.w.N.).
II. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Der Bebauungsplan Nr. … „Entwicklungsgebiet R …“ ist gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.
Der angegriffene Bebauungsplan ist mit der Folge seiner Gesamtunwirksamkeit materiell fehlerhaft, weil es für die mit ihm festgesetzte Lärmkontingentierung nach DIN 45691 keine Rechtsgrundlage gibt. Da es sich bei einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren handelt, kommt es nicht darauf an, ob die Antragsteller durch unwirksamkeitsbegründende Mängel subjektiv-rechtlich betroffen sind (vgl. BayVGH, U.v. 9.6.2021 – 15 N 20.1412 – juris Rn. 58 m.w.N.). Ob auch die Einwendungen der Antragsteller durchgreifend wären oder noch weitere, zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führende Fehler vorliegen, bedarf angesichts dessen keiner Erörterung.
1. Für die nach dem zeichnerischen Teil des Plans und unter Nr. 11.2 der textlichen Festsetzungen getroffene Festlegung von Emissionskontingenten nach DIN 45691 für den Tag und die Nacht, für die sich in dem betreffenden Umgriff der Gewerbegebietsflächen und Flächen für den Gemeinbedarf die Zulässigkeit von Vorhaben (Betrieben und Anlagen) richten soll, fehlt die erforderliche Rechtsgrundlage.
Für bauplanungsrechtliche Festsetzungen besteht ein Typenzwang. Durch den Bebauungsplan bestimmt der Plangeber Inhalt und Schranken des Eigentums der im Planbereich gelegenen Grundstücke. Hierfür bedarf er gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Solche finden sich in § 9 BauGB, in Art. 81 BayBO sowie in den Vorschriften der in Ergänzung zu § 9 BauGB und auf Basis von § 9a BauGB erlassenen Baunutzungsverordnung (BauNVO). Dort sind die planerischen Festsetzungsmöglichkeiten im Bebauungsplan jeweils abschließend geregelt. Ein darüberhinausgehendes Festsetzungsfindungsrecht steht dem Plangeber – abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall des § 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB – nicht zu. Festsetzungen im Bebauungsplan, zu denen weder § 9 BauGB i.V.m. den Regelungen der BauNVO noch Art. 81 BayBO ermächtigt, sind der planenden Gemeinde daher verboten und mithin von vornherein unwirksam (zum Ganzen vgl. BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.385 – juris Rn. 23 m.w.N.; U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 35 m.w.N.). Die §§ 214, 215 BauGB finden auf diesbezügliche Mängel keine Anwendung (vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 29 m.w.N).
a) Die hier vorgenommenen Festsetzungen zur Emissionskontingentierung sind nicht von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und / oder Satz 2 BauNVO gedeckt.
Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO können für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der Betriebe und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern. Emissionskontingente nach der DIN 45691 sind dabei geeignet, das Emissionsverhalten als Eigenschaft von Betrieben und Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO zu kennzeichnen (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 4 CN 5.19 – juris Rn. 12; U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 36 m.w.N.). Dem Tatbestandsmerkmal des Gliederns im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO wird nur Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten zerlegt wird (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 a.a.O. Rn. 15; OVG NW, U.v. 10.11.2021 – 7 D 28/19.NE – juris Rn. 47). Nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO können die Festsetzungen nach Satz 1 für mehrere Gewerbegebiete oder Industriegebiete einer Gemeinde auch im Verhältnis zueinander getroffen werden, was allerdings keine kombinierte Gliederung hinsichtlich dieser beiden Gebietstypen ermöglicht (vgl. BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.385 – juris Rn. 34).
Im Plangebiet sind hier einerseits Gewerbegebietsflächen (Teilflächen eGE 1 bis eGE 3) und damit ein Baugebiet nach den §§ 4 bis 9 BauNVO (oder ggf. mehrere Gewerbegebiete planintern) festgesetzt und der vorgenommenen Emissionskontingentierung unterworfen. Für die betreffenden Teilflächen gelten auch verschieden hohe Kontingente. Insoweit ist jedoch fraglich, ob auch die weitere Anforderung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an eine Gewerbegebietsuntergliederung erfüllt wäre, wonach es in Anbetracht der Kontingentierung in zumindest einem Teilgebiet möglich bleiben muss, dass sich dort entsprechend der allgemeinen Zweckbestimmung eines solchen Gebiets nicht erheblich belästigende Betriebe aller Art ansiedeln können (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – BVerwGE 161, 53 = juris Rn. 15; vgl. auch B.v. 20.2.2021 – 4 BN 37.21 – juris Rn. 9 m.w.N. zum Industriegebiet). Dies käme hier innerhalb des Plangebiets in Anbetracht der niedrigen für die Gewerbegebietsflächen festgesetzten Emissionskontingente für die Nacht von 37 bis 39 dB(A) allenfalls für die Teilfläche eGE1 in Betracht, soweit man unter Heranziehung der Zusatzkontingente A und E davon ausgehen könnte, dass der in Abstrahlrichtung ausschöpfbare Nachtwert von 53 bzw. 54 dB(A) hierfür unter Berücksichtigung der nach § 1 Abs. 5 BauNVO ausgeschlossenen Nutzungen (vgl. Nr. 1.2 der textlichen Festsetzungen) ausreichen würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2021 – 4 CN 8.19 – juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Der der Emissionskontingentierung zugrundeliegenden schallimmissionstechnischen Untersuchung der … … … … … … mbH (Bericht Nr. …) zufolge soll hier allerdings von Emissionskontingenten einschließlich Zusatzkontingenten auszugehen sein, die nur eine eingeschränkte Betriebsweise ermöglichen. Deshalb hat auch die Antragsgegnerin nach einem Hinweis des Landratsamts auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts versucht, eine gebietsübergreifende Gliederung im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO unter Einbeziehung außerhalb des Plangebietes liegender unbeschränkter Gewerbegebiete umzusetzen (vgl. Planbegründung S. 18 f.), was ihr jedoch nicht gelungen ist. Die Antragsgegnerin hat zwar in der Begründung zum Bebauungsplan dokumentiert, dass sie die Gliederung auf im Stadtgebiet vorhandene gewerblich bzw. industriell genutzte und nicht kontingentierte Flächen nach § 30 bzw. § 34 BauGB außerhalb des Plangebiets ausdehnen will. Damit hat sie aber ein (festgesetztes) Ergänzungsgebiet, welches zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses und auch zukünftig diese Funktion einnehmen soll, nicht ausreichend konkretisiert (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – BVerwGE 161, 53 = juris Rn. 15, 17 f.; BayVGH, U.v. 12.8.2019 – 9 N 17.1046 – juris Rn. 31; U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.398 – juris Rn. 32; vgl. auch U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – juris Rn. 20 f. zum Festsetzungserfordernis).
Letztlich kann hier die Frage der rechtskonformen Gliederung der Gewerbegebietsteilflächen aber dahinstehen, weil die Gliederung nach Emissionskontingenten vorliegend nicht nur die gewerblichen Flächen umfasst, sondern nach den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans von der Antragsgegnerin auch die beiden Flächen für Gemeinbedarf (Kulturzentrum und Kita) als weitere Teilflächen einbezogen wurden. Hierfür bietet § 1 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BauNVO keine Grundlage, weil eine Gemeinbedarfsfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, die die Antragsgegnerin grundsätzlich gleichrangig an Stelle eines Sondergebiets zur Festlegung der Art der baulichen Nutzung festsetzen durfte (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 56.05 – juris Rn. 4 m.w.N.), schon kein Baugebiet nach §§ 4 bis 9 BauNVO darstellt (vgl. § 1 Abs. 2 BauNVO). Zudem wäre eine gebietsübergreifende Gliederung nur im Verhältnis von Gewerbegebieten untereinander zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 a.a.O. Rn. 16; U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 37; Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 1 Rn. 95; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand August 2021, § 1 Rn. 47).
b) § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB scheidet ebenfalls als Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Emissionskontingenten auf Basis der DIN 45691 aus. Emissionskontingente sind entgegen der Formulierung in der Legende zu ihrer Darstellung im zeichnerischen Planteil keine baulichen oder technischen Vorkehrungen im Sinne der Vorschrift, weil sie nicht für sich geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen abzuwehren, wie dies beispielsweise bei einer Lärmschutzwand oder Schallschutzfenstern der Fall ist. Sie legen nur das Ziel des Immissionsschutzes fest, enthalten aber keine Aussage über die konkret zu treffenden Maßnahmen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – juris Rn. 19 m.w.N.; U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 38 m.w.N.; U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.398 – juris Rn. 33 m.w.N.; OVG NW, U.v. 2.3.2020 – 10 A 1136/18 – juris Rn. 71 ff.).
c) Auch § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB, nach dem in besonderen Fällen festgesetzt werden kann, dass bestimmte der in ihm festgesetzten baulichen und sonstigen Nutzungen und Anlagen nur bis zum Eintritt bestimmter Umstände zulässig oder unzulässig sind, kommt nicht als gesetzliche Grundlage in Betracht. Abgesehen davon, dass selbstständige inhaltliche Festsetzungsmöglichkeiten durch § 9 Abs. 2 BauGB nicht eröffnet werden (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 9 Rn. 168 m.w.N.), soll die Norm – schon dem Wortlaut nach – die Möglichkeit eröffnen, die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Vorhabens mit dem Eintritt einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung zu verknüpfen. Darum geht es bei der Ermessenskontingentierung aber nicht, weil die Verwirklichung der im Bebauungsplan vorgesehenen Nutzungen nicht in Abstimmung mit bestimmten Maßnahmen oder sonstigen Vorgängen gesteuert und auch nicht zeitlich oder nach (sonstigen) Kriterien abgestuft verwirklicht werden soll (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 39; U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.398 – juris Rn. 33).
2. Der aufgezeigte materielle Mangel führt zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans. Die Unwirksamkeit bestimmter Festsetzungen hat nur dann unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 139 BGB nicht die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung ohne den unwirksamen Teil beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.2017 – 4 CN 6.16 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 32). Von Letzterem kann in Anbetracht des Umstands, dass die Antragsgegnerin die Emissionskontingentierung als wesentlichen Bestandteil der Bewältigung des planbedingten Lärmkonflikts mit der Wohnnutzung innerhalb und außerhalb des Plangebiets angesehen hat (vgl. Planbegründung S. 18 f.) und mit der Unwirksamkeit der betreffenden Festsetzungen eine zentrale Frage der Gesamtplanung betroffen ist, nicht ausgegangen werden (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 46; U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.398 – juris Rn. 34).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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