Baurecht

Normenkontrollantrag gegen einen (Änderungs-) Bebauungsplan, Entscheidung im Beschlussweg ohne mündliche Verhandlung, vereinfachtes Verfahren der Bauleitplanung ohne Umweltprüfung und Umweltbericht, Grundzüge der Planung, Lockerung der höchstzulässigen Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden

Aktenzeichen  15 N 21.1884

Datum:
7.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13354
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 5 S. 1
BauGB §§ 9 Abs. 1 Nr. 6, 13, 13a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der am 26. Januar 2021 als Satzung beschlossene und laut Verfahrensvermerk am 17. Februar 2021 bekannt gemachte „Bebauungsplan ‚Westlich der D.‘ / 2. Änderung“ des Antragsgegners ist unwirksam.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die im Verfahren gem. § 13 BauGB beschlossene 2. Änderung des Bebauungsplans „Westlich der D.“. Er ist laut Grundbuch Miteigentümer zu ½ des mit einer Doppelhaushälfte bebauten und im Geltungsbereich des (Änderungs-) Bebauungsplans gelegenen Grundstücks FlNr. …78 der Gemarkung N.
Mit dem am 21. Januar 1974 bekannt gemachten ursprünglichen Bebauungsplan „Westlich der D.“ wies der Antragsgegner ein mehrere Hektar großes Areal im Ortsteil U. als allgemeines Wohngebiet aus. Mit der im Jahr 1995 bekanntgemachten „1. Änderung des Bebauungsplanes Westlich der D.“ ersetzte der Antragsgegner in der Sache den Ursprungsplan durch einen Bebauungsplan mit neu gefassten zeichnerischen und textlichen Festsetzungen, mit dem ein allgemeines Wohngebiet mit überwiegend offener Bauweise festgesetzt wurde. Mit dem streitgegenständlichen Änderungs- „Bebauungsplan ‚Westlich der D.‘ / 2. Änderung“ wurden einzelne textliche Festsetzungen des Bebauungsplans in der Fassung der „1. Änderung“ für das gesamte Plangebiet geändert. U.a. wird die bisherige Regelung unter „4. Bauweise“ zur zulässigen Wohnungsanzahl des Bebauungsplans in der Fassung der „1. Änderung“
„Pro Haus sind maximal 2 Wohnungen zulässig.“
durch folgende Neuregelung ersetzt:
„Die zulässige Anzahl der Wohneinheiten (WE) wird auf max. 6 WE für ein Einzelhaus und jeweils max. 3 WE für eine Doppelhaushälfte begrenzt.“
Laut der Begründung zur streitgegenständlichen „2. Änderung“ des Bebauungsplans gebe es innerhalb des Plangebiets zurzeit noch 18 unbebaute Doppelhaus- und fünf unbebaute Einzelhausparzellen. Aufgrund einer zunehmenden Nachfrage nach Wohnungen sei es u.a. Ziel der Planung, innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans zusätzlich die Errichtung von Mehrfamilienhäusern zuzulassen sowie die zukünftige Bebauung der verbleibenden Parzellen den im Vergleich zu den Regelungen im gültigen Bebauungsplan geänderten baulichen Gegebenheiten im Baugebiet anzupassen. Mit der Erhöhung der zulässigen Wohneinheiten solle ein Beitrag zum flächensparenden Bauen geleistet und die Bereitstellung von nachgefragten Miet- und Kleinwohnungen ermöglicht werden. Auf kleineren Grundstücken sei die komplette Ausnutzung der maximal zulässigen Wohneinheiten nicht möglich, da die erforderlichen Stellplätze unter Einhaltung der Grundflächenzahl nicht auf dem Grundstück untergebracht werden könnten. Durch die Erhöhung der zulässigen Wohneinheiten seien Grundzüge der Planung nicht berührt, da sowohl die zulässige Grundflächenzahl als auch die Baugrenzen nicht verändert würden und in der Vergangenheit bereits Befreiungen zur Errichtung von Mehrfamilienhäusern erteilt worden seien. Die ursprüngliche Begründung zum Bebauungsplan behalte unter Berücksichtigung der vorliegenden Änderungen weiterhin ihre Gültigkeit.
Im Anschluss an den Planaufstellungsbeschluss des Marktgemeinderats vom 28. April 2020 erhob der Antragsteller diverse Einwendungen. Im Rahmen der Beteiligung der Behörden und Träger öffentlicher Belange signalisierte das Sachgebiet 21 (Bauleitplanung) des Landratsamts Regensburg mit Stellungnahme vom 24. Juli 2020 – die nicht in dem vom Antragsgegner dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Planungsakt enthalten ist, deren Inhalt aber im Protokollauszug der Marktgemeinderatssitzung vom 15. September 2020 wörtlich wiedergegeben wird (Bl. 242 f. der Planungsakten zur streitgegenständlichen „2. Änderung“) – grundsätzlich Einverständnis mit der Planung, allerdings bestünden rechtliche Bedenken hinsichtlich der Wahl des vereinfachten Verfahrens.
In seiner Sitzung am 15. September 2020 hielt der Marktgemeinderat grundsätzlich an der Planung und auch am vereinfachten Verfahren gem. § 13 BauGB fest, änderte die Planung aber insoweit ab, als in die textlichen Festsetzungen des Planungsentwurfs anstelle der in der ersten Änderungsentwurfsfassung noch vorgesehenen kompletten Streichung jeglicher Wohneinheitenbegrenzung nunmehr eine Begrenzung auf maximal sechs Wohneinheiten pro Einzelhaus und drei Wohneinheiten pro Doppelhaushälfte aufgenommen wurde. Im Anschluss fand gemäß der Beschlusslage des Marktgemeinderats vom 15. September 2020 gem. § 4a Abs. 3 BauGB eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit sowie der Behörden / Träger öffentlicher Belange statt. Das Sachgebiet 41 (Bauleitplanung) des Landratsamts teilte in seiner Stellungnahme vom 2. November 2020 dem Antragsgegner mit, dass weiterhin Bedenken hinsichtlich des gewählten vereinfachten Verfahrens bestünden; es werde auf die vorherige Stellungnahme vom 24. Juli 2020 verwiesen. Mit Schreiben vom 17. November 2020 erhob der Antragsteller erneut Einwendungen.
Am 26. Januar 2021 beschloss der Marktgemeinderat die streitgegenständliche Änderungsplanung nach vorheriger Befassung mit den eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen als Satzung. In der beschlussmäßig übernommenen Ratsvorlage wird die Absicht angegeben, durch die geplante Erhöhung der zulässigen Wohneinheiten einen Beitrag zum flächensparenden Bauen zu leisten und die Bereitstellung von nachgefragten Miet- und Kleinwohnungen zu ermöglichen. Durch die Erhöhung der zulässigen Wohneinheiten würden die Grundzüge der Planung nicht berührt, da sowohl die zulässige Grundflächenzahl als auch die Baugrenzen nicht verändert würden und in der Vergangenheit bereits Befreiungen zur Errichtung von Mehrfamilienhäusern erteilt worden seien. Auf kleineren Grundstücken sei die komplette Ausnutzung der maximal zulässigen Wohneinheiten nicht möglich, da die erforderlichen Stellplätze unter Einhaltung der Grundflächenzahl nicht auf dem Grundstück untergebracht werden könnten. Eine überschlägige Prüfung der Umweltbelange anhand der Schutzgüter gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB sei in der Begründung enthalten; dies werde als ausreichend erachtet. Durch die Begrenzung der zulässigen Anzahl der Wohneinheiten auf maximal sechs Wohneinheiten für Einzelhäuser und maximal drei Wohneinheiten für eine Doppelhaushälfte würden im gesamten Baugebiet auf den noch unbebauten Grundstücken die zulässigen Wohneinheiten von vormals 46 auf nunmehr 84 erhöht. Durch diese Erhöhung werde weder der Charakter des Wohngebiets erheblich beeinträchtigt noch das Personen- und Verkehrsaufkommen drastisch erhöht. Darüber hinaus sei auf den Grundstücken die komplette Ausnutzung der Wohneinheiten nur möglich, soweit die erforderlichen Stellplätze unter Einhaltung der Grundflächenzahl auf dem jeweiligen Grundstück untergebracht werden könnten. Die Grundflächenzahl dürfe durch Nebenanlagen wie z.B. Stellplätze maximal bis 50% überschritten werden, d.h. hier bis maximal 0,6, sodass jedenfalls mindestens 40% der Grundstücksfläche nicht überbaut werden dürften.
Am 8. Februar 2021, an dem auch die Ausfertigung erfolgte, unterzeichnete der erste Bürgermeister des Antragsgegners die Verfügung zur Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses. Auf dem unterschriebenen Verfügungsblatt ist handschriftlich vermerkt „Bekanntgabe am 17.02.21“. Dasselbe Datum ist auf den Verfahrensvermerken zum Änderungsbebauungsplan als Tag der Bekanntmachung angegeben (Bl. 80 der Planungsakten zur streitgegenständlichen „2. Änderung“). Der Satzungsbeschluss wurde jedenfalls auch auf Seite 15 der Ausgabe „März 2021“ des (im Internet abrufbaren) Mitteilungsblatts des Antragsgegners veröffentlicht.
Mit seinem am 12. Juli 2021 beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Normenkontrollantrag rügt der Antragsteller diverse formelle und materielle Fehler der Bauleitplanung. U.a. berühre die Änderung Grundzüge der Planung, weshalb das vereinfachte Verfahren gem. § 13 BauGB nicht habe angewendet werden dürfen. Bei den fünf unbebauten Einzelhausparzellen im Plangebiet könnten statt bislang 10 künftig 30 Wohneinheiten und bei den 18 unbebauten Doppelhauparzellen statt bislang 18 künftig 54 Wohneinheiten errichtet werden, was auf den noch unbebauten Parzellen eine Verdreifachung von 28 auf 84 Wohneinheiten bedeute. Da die Regelung aber für den gesamten Bebauungsplan gelte, sei zu erwarten, dass auch derzeit bebaute Grundstücke mit alter Bausubstanz gemäß den Zulässigkeitsvorgaben der streitgegenständlichen Änderung des Bebauungsplans ausgenutzt würden, sodass der tatsächliche Zuwachs von Wohneinheiten noch wesentlich höher ausfallen werde. Durch die Erhöhung der Wohneinheiten komme es zu einer entsprechenden Zunahme der Stellplätze. Insgesamt komme es entgegen der vormaligen Zielsetzung des Bebauungsplans, durch eine Begrenzung der Wohneinheiten ein ruhiges Wohnquartier mit Einzelhäusern und Doppelhäusern zu schaffen, zu einer deutlichen Erhöhung des Ziel- und Quellverkehrs im Bebauungsplangebiet. Hinsichtlich der weiteren im Normenkontrollverfahren erhobenen Einwendungen des Antragstellers gegen die streitgegenständliche Änderungsplanung wird auf den Antragsbegründungsschriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 29. Dezember 2021 verwiesen.
Der Antragsteller beantragt,
die 2. Änderung des Bebauungsplans „Westlich der D.“ für unwirksam zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Sache hat sich der Antragsgegner nicht geäußert.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich am Verfahren nicht beteiligt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Planungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
1. Der Senat entscheidet durch Beschluss nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, da er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise angehört worden und haben sich damit schriftsätzlich einverstanden erklärt.
2. Der rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobene Antrag ist zulässig. Der Antragsteller ist insbesondere gem. § 47 Abs. 2 VwGO antragbefugt. Nach dieser Norm kann den Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragsbefugnis ist wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich schon dann zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks – wie hier der Antragsteller als Miteigentümer der FlNr. …78 der Gemarkung N. – gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. In diesem Fall kann der (Mit-) Eigentümer den Bebauungsplan gerichtlich überprüfen lassen, weil die planerischen Festsetzungen Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG); die potenzielle Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht ein Antragsteller nicht ungeprüft hinzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.2020 – 4 CN 5.18 – BVerwGE 169, 29 = juris Rn. 15 m.w.N.). Für den Antrag besteht ohne Weiteres ein Rechtsschutzinteresse.
3. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Vorliegend leidet der angegriffene Bebauungsplan aufgrund der fehlerhaften Wahl des beschleunigten Verfahrens gem. § 13 BauGB und einer deswegen zu Unrecht unterlassenen Umweltprüfung bzw. eines zu Unrecht nicht erstellten Umweltberichts an einem nach § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB beachtlichen und wegen rechtzeitig erfolgter Geltendmachung auch nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB präkludierten Verfahrensfehler, der zur Gesamtunwirksamkeit führt. Bei einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO handelt es sich um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren. Der Senat ist daher gehalten, den angegriffenen Bebauungsplan auch auf – hier formelle – Mängel zu überprüfen, die keinen Bezug zu einer subjektiv-rechtlichen Betroffenheit des Antragstellers aufweisen (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – VGHE 69, 220 = juris Rn. 38 m.w.N.; U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 = juris Rn. 21).
Mit der Ersetzung des bisherigen Satzes 4 der textlichen Festsetzung Nr. 4
„Pro Haus sind maximal 2 Wohnungen zulässig“
durch die Neuregelung
„Die zulässige Anzahl der Wohneinheiten (WE) wird auf max. 6 WE für ein Einzelhaus und jeweils max. 3 WE für eine Doppelhaushälfte begrenzt.“
werden entgegen der Ansicht des Antragsgegners die Grundzüge der Planung berührt. Deshalb sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 BauGB für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens vorliegend nicht erfüllt.
Grundzüge der Planung sind nur dann nicht berührt, wenn das der bisherigen Planung zugrundeliegende Leitbild nicht geändert wird, also der planerische Grundgedanke erhalten bleibt. Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung nicht. Dabei muss die dem konkreten Bebauungsplan eigene Konzeption der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet bleiben. Die Konzeption des Bebauungsplans ergibt sich aus der Gesamtheit und der Zusammenschau der bestehenden planerischen Festsetzungen, in denen der planerische Wille der Gemeinde zum Ausdruck kommt. Ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Bezogen auf den planerischen Willen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch den planerischen Willen gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (zusammenfassend BayVGH, U.v. 5.4.2022 – 1 N 20.1594 – juris Rn. 24; zum Ganzen auch: BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 4 B 18.00 – NVwZ-RR 2000, 759 = juris Rn. 4 ff.; U.v. 4.8.2009 – 4 CN 4.08 – BVerwGE 134, 264 = juris, Rn. 12; U.v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 – BVerwGE 138, 301 = juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 16.2.2021 – 15 N 19.923 – juris Rn. 23; OVG RhPf, U.v. 10.2.2021 – 8 C 10417/20.OVG – juris Rn. 40; SaarlOVG, U.v. 27.1.2022 – 2 C 289/20 – juris Rn. 23; Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Auflage 2022, § 13 BauGB, Rn. 9 f.).
Hieran gemessen sind durch den streitgegenständlichen Änderungsbebauungsplan („2. Änderung“) die Grundzüge der Planung der vorangegangenen Fassung des Bebauungsplans berührt. Die dem Satzungsbeschluss zur „1. Änderung des Bebauungsplanes Westlich der D.“ vorausgehende Entwurfsfassung der damaligen Planung sah anstelle der später festgesetzten Regelung zur Begrenzung der Anzahl der Wohnungen pro Haus ursprünglich folgende Festsetzung vor: „Im Baugebiet sind Mehrfamilienwohnhäuser nicht zulässig.“ Hiermit kommt zum Ausdruck, dass es dem Antragsgegner vormals um den Erhalt eines nicht zu dicht besiedelten, durch Familienhaus- bzw. Familienheimbebauung geprägten Wohngebiets ging (vgl. auch Thür-OVG, B.v. 26.7.1996 – 1 EO 662/95 – NVwZ-RR 1997, 596 = juris Rn. 59 ff.). Eine Änderung in die später dann auch beschlossene Festsetzungsfassung („Pro Haus sind maximal 2 Wohnungen zulässig“) erfolgte in Reaktion auf einen Hinweis der Regierung der Oberpfalz vom 14. April 1994 sowie eine Einwendung des Landratsamts vom 15. April 1994, in der darauf hingewiesen wurde, dass die ursprünglich geplante Regelung von der Satzungsermächtigung in § 9 BauGB nicht abgedeckt sei (vgl. S. 130 f.,178, 198 f., 254, 268 der Planungsakten zur 1. Änderung des Bebauungsplans). Zudem nahm der Gemeinderat in der Sitzung vom 26. Juli 1994 die Anfrage eines Bürgers (Herr … …*), ob eine dichtere Bebauung im Baugebiet möglich wäre, zwar als Nachtragstagesordnungspunkt an, lehnte dieses Ansinnen sodann aber ab (vgl. Auszug des Sitzungsprotokolls, Bl. 92 f. der Planungsakten zur 1. Änderung des Bebauungsplans). Vor dem Ablehnungsbeschluss des Rats führte der (vormalige) erste Bürgermeister des Antragsgegners laut Sitzungsprotokoll aus, dass man sich bereits eindeutig festgelegt habe, auf den Grundstücken nur Doppelhäuser mit maximal zwei Wohnungen zuzulassen. Wolle man dem Antrag nachkommen, „könne man sich die gesamte Diskussion heute über den Satzungserlass (…) ersparen. Man müsste das Verfahren von Neuem beginnen.“ Die auf diese Ausführungen unmittelbar im Rat erfolgte Antragsablehnung spricht schon für sich eindeutig dagegen, dass die mit der aktuellen (vorliegend streitgegenständlichen) 2. Änderung des Bebauungsplans beschlossene Änderung der Regelung hin zu einer deutlich großzügigeren Wohneinheitenanzahl noch im potenziellen Bereich dessen liegen, was der Plangeber damals im Zeitpunkt der 1. Änderung gewollt hätte.
Im Übrigen handelt es sich auch nicht um Änderungen von minderem Gewicht. Das Ausmaß der Auswirkungen der Planänderung wird in der Schlussabwägung vom 26. Januar 2021 verkürzt dargestellt, soweit dort darauf abgestellt wird, dass durch eine mögliche Wohneinheitenerhöhung auf den u n b e b a u t e n Grundstücken der Charakter des Wohngebiets nicht erheblich beeinträchtigt werde und sich hierdurch auch das Personen- und Verkehrsaufkommen nicht drastisch erhöhe. Die 2. Änderung erstreckt sich tatsächlich und rechtlich auf den gesamten Geltungsbereich des Plangebiets und eröffnet mithin auch die Möglichkeit zu entsprechenden Erweiterungen sowie Neu- bzw. Ersatzbauten auf bebauten Grundstücken; insofern ergibt sich aus ihm ein deutlich weitergehendes Potenzial zur Vervielfachung der Wohnungseinheiten im gesamten Plangebiet. Soweit in der Planbegründung und der Abwägung darauf abgestellt wird, dass sich aus der geltenden Grundflächenzahl insbesondere für kleinere Grundstücke Platzbegrenzungen für Wohnungserweiterungen hinsichtlich einer erhöhten Anzahl benötigter Stellplätze ergäben (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BauNVO), bleibt unberücksichtigt,
– dass sich auch bei beengten Platzverhältnissen – sollte das im Ursprungsbebauungsplan noch enthaltene Verbot von „Kellergaragen“ trotz der umfangreichen (auf eine Gesamtersetzung hinauslaufenden) Neuregelungen durch die „1. Änderung“ weitergelten und damit Tiefgaragen ausgeschlossen sein – Stellplatzlösungen ggf. über Duplex- / Triplex-Parksysteme finden lassen können,
– dass nach Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO und § 4 Abs. 2 der (vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren vorgelegten) „Satzung über die Herstellung von Garagen und Stellplätzen und deren Ablösung (Garagen- und Stellplatzsatzung -GaStS) des Marktes N.“ vom 20. September 2016 (Bl. 38 ff. der VGH-Akte) die Stellplatzpflicht bei rechtlicher Sicherung zugunsten des Freistaats Bayern (als Rechtsträger der am Landratsamt angesiedelten Bauaufsichtsbehörde) auch durch Stellplatzherstellung auf einem geeigneten Grundstück in der Nähe des Baugrundstücks erfüllt werden kann und
– dass u.U. auch eine Stellplatzablösung durch vertragliche Kostenübernahme möglich ist (Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO, § 7 GaStS).
Schließlich führt allein der Umstand, dass einzelne Wohngebäude auf Basis von (wohl rechtswidrigen, aber bestandskräftigen) Befreiungen gem. § 31 Abs. 2 BauGB eine erhöhte Anzahl von Wohneinheiten aufweisen, noch nicht dazu, dass die diesbezügliche Festsetzung funktionslos geworden ist (zu den diesbezüglich strengen Anforderungen vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – NVwZ 2004, 1244 = juris Rn. 15). Insofern hat die diesbezügliche Festsetzung, die mit der streitgegenständlichen Planänderung modifiziert werden soll, auch nicht im Nachhinein ihre Bedeutung als Bestandteil der Grundzüge der Planung verloren.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren gem. § 13a BauGB vorliegen. Die zu Unrecht erfolgte Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans im vereinfachten Verfahren (§ 13 BauGB) kann nicht im Nachhinein als Aufstellung eines Bebauungsplans im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a BauGB verstanden werden, in dem eine Umweltprüfung und ein Umweltbericht ebenfalls nicht erforderlich gewesen wären. Die verfahrensrechtlichen und die inhaltlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten schließen es aus, den vom Antragsgegner tatsächlich eingeschlagenen Verfahrensweg im Nachhinein umzudeklarieren bzw. umzudeuten (vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 4 BN 14.16 – BRS 84 Nr. 32 = juris Rn. 10 ff.; OVG NW, U.v. 11.11.2021 – 10 D 80/19.NE – juris Rn. 25; Külpmann, jurisPR-BVerwG 14/2017 Anm. 4).
Die falsche Wahl des vereinfachten Verfahrens anstelle des Regelverfahrens unter Missachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 BauGB zählt zwar nicht zu den beachtlichen Fehlern nach § 214 BauGB. Sie führt aber zu gem. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlichen Folgefehlern, wenn – wie hier – eine gebotene Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB) unterbleibt sowie ein gebotener Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) nicht erstellt wird, der als Teil der Begründung (§ 2a Satz 3 BauGB) nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit dem Entwurf öffentlich auszulegen und nach § 9 Abs. 8 BauGB der Begründung beizufügen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 – BVerwGE 153, 174 = juris Rn. 27 ff.; U.v. 25.6.2020 – 4 CN 5.18 – BVerwGE 169, 29 = juris Rn. 33 f.; BayVGH, B.v. 4.7.2017 – 2 NE 17.989 – juris Rn. 25; B.v. 4.5.2018 – 15 NE 18.382 – juris Rn. 40; U.v. 5.4.2022 – 1 N 20.1594 – juris Rn. 26; OVG RP, U.v. 7.6.2018 – 1 C 11757/17 – juris Rn. 26; OVG Berlin-Bbg, U.v. 21.3.2019 – OVG 2 A 8.16 – juris Rn. 39). Diese Verfahrensmängel sind vorliegend auch mit hinreichender Anstoßfunktion (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2019 – 4 BN 17.19 – NVwZ 2019, 1862 = juris Rn. 6 m.w.N.) durch den Bevollmächtigten des Antragstellers innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB gerügt worden (vgl. neben der – den Bevollmächtigten des Antragsgegners noch innerhalb der Jahresfrist vom Verwaltungsgerichtshof am 7. Januar 2022 elektronisch zugestellten – Antragsbegründung vom 29. Dezember 2021 auch das per Einschreiben mit Rückschein an den Antragsgegner versandte Rügeschreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 11. Januar 2022, Bl. 49 ff. der VGH-Akte). Diese gem. §§ 214, 215 BauGB beachtlichen Fehler begründen die Gesamtunwirksamkeit des streitgegenständlichen (Änderungs-) Bebauungsplans (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.2020 – 4 CN 5.18 – BVerwGE 169, 29 = juris Rn. 35).
4. Aufgrund der zur Gesamtunwirksamkeit führenden Erwägungen zu 3. sind die weiteren vom Antragsteller erhobenen Einwendungen nicht mehr entscheidungserheblich. Es kann insbesondere dahingestellt bleiben, ob der Bebauungsplan in der Fassung der „1. Änderung“ an einem formellen, zur Unwirksamkeit führenden Mangel leidet, der auf den streitgegenständlichen Änderungsbebauungsplan durchschlägt, und ob ein gem. §§ 214, 215 BauGB erheblicher, zur Unwirksamkeit der „2. Änderung“ des Bebauungsplans führender Mangel im Abwägungsvorgang darin zu sehen ist, dass in der Begründung und in der Schlussabwägung des Marktgemeinderats vom 26. Januar 2021 die Auswirkungen der Änderungsplanung verharmlosend dargestellt worden sind (vgl. S. 3 f. des gerichtlichen Hinweisschreibens an die Beteiligten vom 2. Mai 2022).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 52 Abs. 1, Abs. 8 GKG und orientiert sich an Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt als Anhang in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019). Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
6. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss der Antragsgegner die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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