Baurecht

Nutzungsuntersagung einer Hundezucht, Variationsbreite einer Wohnnutzung

Aktenzeichen  AN 9 K 21.01795

Datum:
5.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49506
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Streitgegenstand ist nunmehr nur noch der Bescheid, soweit er der Klägerin die ordnungswidrige Hundezucht auf dem Anwesen … … untersagt, sowie die zugehörige Zwangsgeldandrohung in einer Höhe von 1.000,00 (auf die Klägerin entfallender Anteil).
B.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Nutzungsuntersagung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1.1 Die Nutzungsuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 76 Satz 2 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann die Nutzung untersagt werden, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften genutzt werden. Eine Nutzung von Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften liegt bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH B.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris; VG Ansbach U.v. 16.8.2018 – AN 9 K 17.02668 – juris).
1.2 Die Nutzungsuntersagung erweist sich auch als hinreichend bestimmt, insbesondere begegnet die Formulierung „ordnungswidrige Hundezucht“ keinen Bedenken. Eine genaue Festlegung beispielsweise auf eine bestimmte Anzahl von Hunden erscheint ohne nähere Angaben zu Betriebsabläufen und insbesondere auch Kenntnis entstehender Emissionen nicht machbar. Die insoweit gegebene Unschärfe belegt gerade die Notwendigkeit eines Genehmigungsverfahrens.
1.3 Die Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens zur Hundezucht stellt eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften dar, da es sich um eine nicht genehmigte, aber genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt (siehe 1.3.1), die auch nicht als verfahrensfrei einzustufen ist (siehe 1.3.2)
1.3.1 Die Nutzung des streitgegenständlichen Grundstückes für die Hundezucht stellt eine gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Eine Nutzungsänderung im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO ist dann anzunehmen, wenn die einer jeden Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung eine andere Qualität zukommt als der bisherigen Nutzung. Eine Nutzungsänderung ist dabei auch dann gegeben, wenn der baulichen Anlage eine zusätzliche Zweckbestimmung gegeben wird (vgl. Decker in Busse/Kraus BayBO, Stand Mai 2021, Art. 55 Rn. 28).
Nach den vorliegenden Bauakten wurden bislang nur Änderungen bezüglich einer als Bestand vorhandenen Wohnnutzung genehmigt. So wurde unter dem Aktenzeichen … die Errichtung von zwei Dachgauben genehmigt, unter dem Aktenzeichen … die Erweiterung des Wohngebäudes und Errichtung einer Garage sowie unter dem Aktenzeichen … der Einbau einer Wohnung mit Errichtung eines Erkers.
Es wurde zuvor schon keine Tierhaltung im Allgemeinen, erst recht aber keine Hundezucht genehmigt.
Die Hundezucht ist auch keine Nutzungsform, die herkömmlicherweise von der Variationsbreite einer Wohnnutzung mit umfasst ist.
Bereits die bloße Hundehaltung ist nur in einem bestimmten Umfang als Annex zur Wohnnutzung von der Variationsbreite umfasst. Dies betrifft nur die nichtgewerbliche, dem Wohnen zu- und untergeordnete Haltung von Haustieren in den Wohnräumen selbst (siehe hierzu OVG Münster, U.v. 18.2.2016 – 10 A 985/14 – BauR 2016, 1123 Rn. 30 ff. zur Haltung von Papageien). Die jeweilige Hundehaltung ist nicht mehr von der Wohnnutzung umfasst, sobald sie den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbeschäftigung nach Art und Anzahl der Tiere überschreitet (siehe hierzu z.B. OVG Saarlouis, B.v. 18.4.2019 – 2 A 2/18 – juris). In der Rechtsprechung wird die Grenze dabei teilweise schon bei der Haltung von mehr als zwei Hunden im Rahmen des Wohnens gezogen (vgl OVG Saarlouis, B.v. 18.4.2019 – 2 A 2/18 – juris; VG Neustadt, U.v 18.1.2016 – 3 K 89ß/15 – juris Rn. 43).
Vorliegend erscheint es unter Zugrundelegung vorstehender Erwägungen bereits hinsichtlich der bloßen Haltung von acht Hunden auf dem streitgegenständlichen Anwesen äußerst fraglich, ob diese Hundehaltung noch einen Annex zur Wohnnutzung darstellen kann. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Hundehaltung nicht auf die Wohnräume beschränkt bleibt, sondern durch die Zwingeranlage im Garten auch die Außenflächen des Grundstückes betrifft. Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht schon die Hundehaltung an sich untersagt wurde, sondern die Hundezucht. Diese stellt sich aber erst recht nicht mehr als Annex zur Wohnnutzung dar. Es gilt insoweit bereits zu berücksichtigen, dass die Zahl der sich auf dem Grundstück befindlichen Hunde schon abhängig von der Häufigkeit der Würfe und der jeweiligen Wurfstärke in nicht vorhersehbarer Weise ansteigen kann. Weiterhin beschränkt sich die Welpenaufzucht auch nicht nur auf die Wohnräume, sondern erstreckt sich mit zunehmendem Alter der Welpen auch auf die Freiflächen.
Zudem ist angesichts der Zahl der Hündinnen und der dem von der Klägerin mitbetriebenen Facebook-Auftritt zu entnehmenden Zahl der Würfe von einer gewerblichen Zucht auszugehen. Zur Orientierung wird insoweit auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes vom 9. Februar 2000 zurückgegriffen, nach deren Nr. 12.2.1.5.1 die Voraussetzungen für ein gewerbliches Züchten bei einer Haltung von drei oder mehr fortpflanzungsfähigen Hündinnen oder drei oder mehr Würfen pro Jahr gegeben sind. Gründe, warum entgegen dieser Vorschrift hier nicht von einem gewerblichen Züchten auszugehen sein sollte, sind nicht ersichtlich.
Für das Jahr 2021 sind dem von der Klägerin mitbetriebenen Facebook-Auftritt drei Würfe (H-, I- und J-Wurf) zu entnehmen, ein weiterer für Oktober 2021 geplanter scheiterte daran, dass die Hündin nicht tragend wurde. Nach den Angaben des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung werden gegenwärtig vier fortpflanzungsfähige Hündinnen auf dem Grundstück gehalten.
Dies führt in der Zusammenschau jedenfalls dazu, dass die Variationsbreite der Wohnnutzung verlassen wird und das Vorhaben als genehmigungspflichtig einzustufen ist.
1.3.2 Das Vorhaben stellt sich auch nicht als verfahrensfrei dar, da keiner der Tatbestände des Art. 57 BayBO einschlägig ist.
1.4 Die Anordnung der Nutzungsuntersagung erging auch ermessensfehlerfrei. Der durch Art. 76 Satz 2 BayBO der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum bezieht sich zum einen darauf, ob die Behörde überhaupt einschreitet (sog. Handlungs- oder Entschließungsermessen) und zum anderen darauf, welches Mittel sie zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands einsetzt und welchen Störer sie in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Gem. § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Insbesondere ist die Nutzungsuntersagung verhältnismäßig, da gerade nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit auszugehen ist (siehe hierzu 1.3.1). Ein milderes, ebenso effektives Mittel ist nicht erkennbar (siehe hierzu 1.3.2). Auch die Störerauswahl ist nicht zu beanstanden (siehe hierzu 1.3.3).
1.4.1 Die Nutzung „Hundezucht“ ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
Lediglich bei einer offensichtlich genehmigungsfähigen Nutzung erweist sich eine dennoch verfügte Nutzungsuntersagung als ermessensfehlerhaft (siehe hierzu etwa BayVGH B.v. 4.8.2004 – 15 CS 04.1648 – juris; VG Ansbach B.v. 12.2.2020 – AN 3 S 19.02602). Die Bauaufsichtsbehörde muss im Rahmen einer Nutzungsuntersagung gerade keine Prüfung nach den Maßstäben eines Baugenehmigungsverfahrens vornehmen. Art. 76 Satz 2 BayBO soll gewährleisten, dass ein genehmigungspflichtiges Vorhaben nicht ohne die Durchführung des nötigen Genehmigungsverfahrens bestehen kann (siehe hierzu Decker in Busse/Kraus, BayBO Stand Mai 2021, Art. 76 Rn. 302).
Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Dies gilt schon im Hinblick auf den nicht abschließend geklärten Gebietscharakter. Zudem fehlen für eine Beurteilung der Ausgestaltung des Zuchtbetriebs die üblicherweise in einer Betriebsbeschreibung enthaltenen Angaben.
1.4.2 Ein milderes, ebenso effizientes Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere war aufgrund der fehlenden Betriebsbeschreibung und des noch nicht abschließend geklärten Gebietscharakters auch keine Beschränkung der Zucht auf ein noch zulässiges Maß vorzunehmen, da ein gegebenenfalls zulässiges Maß gerade erst unter Berücksichtigung der Erkenntnisse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ermittelt werden kann. Insoweit ist auf die bereits im Rahmen der Bestimmtheit getroffenen Aussage zu verweisen.
1.4.3 Die Störerauswahl der Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Bauaufsichtsrechtliche Anordnungen richten sich an diejenige Person, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist für die Störerauswahl auf die allgemeinen Grundsätze des Sicherheitsrechts zurückzugreifen, d.h. insbesondere ist Art. 9 LStVG heranzuziehen. Nach dieser Regelung kann die Anordnung sowohl gegenüber dem sogenannten Handlungsstörer, dem Zustandsstörer oder dem Nichtstörer ergehen. Handlungsstörer ist derjenige, dessen Verhalten die Gefahr oder die Störung verursacht hat, Zustandsstörer ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder der Eigentümer einer Sache oder einer Immobilie, deren Zustand Grund für die Gefahr oder die Störung ist (siehe hierzu VG Ansbach U.v. 3.7.2019 – AN 9 K 18.00317 – juris).
Als Handlungsstörer ist bezogen auf die Nutzungsuntersagung derjenige anzusehen, der für die formell und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist. Diese unmittelbare Verantwortlichkeit ist bei der Klägerin als (Mit-)Betreiberin der Hundezucht gegeben.
2. Auch die Zwangsgeldandrohung begegnet keinen Bedenken. Diese findet ihre Rechtsgrundlage in den Art. 29 Abs. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1, Abs. 2, 36 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG und erweist sich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als rechtmäßig.
C.
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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