Baurecht

Plangebiet, Kostenentscheidung, Kostenerstattungsanspruch, Klage, Zeitpunkt, Verfahren, Hauptsache, Anforderungen, Baustelle, Klageerhebung, Grenzwert, Schriftsatz, Rechtsprechung, Rechtsstreit, Freistaat Bayern

Aktenzeichen  22 A 19.126

Datum:
3.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10634
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist ein nach § 3 UmwRG anerkannter Umweltverband. Er erhob am 14. Januar 2019 Klage und beantragte zuletzt sinngemäß, die Beklagte zu verurteilen, den für sie geltenden Luftreinhalteplan unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu ändern. Hilfsweise wurde beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu seinem Begehren zur Änderung des Luftreinhalteplans für die Beklagte unter der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Klage wurde grob verkürzt (zuletzt) damit begründet, dass die Beklagte entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 26.6.2019 – C-723/17 – juris) und auch des Oberverwaltungsgerichts Hamburg (U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 262 ff.) substantiierten Hinweisen auf mögliche Grenzwertüberschreitungen in einem Plangebiet nicht nachgehe. Passivsammlermessungen an der Grombühlstraße aus dem Jahr 2019 hätten einen NO2-Jahresmittelwert von 47 µg/m3 ergeben; die Messstation Stadtring Süd sei in einer Höhe von 4,1 m installiert und falsch positioniert, widerspreche daher den Vorgaben der 39. BImSchV und sei so nicht geeignet, ordnungsgemäße Werte zu ermitteln, zumal der Grenzwert dort etwa 2018 (38 µg/m3) nur sehr knapp eingehalten worden sei. Ebensowenig genügten die IMMIS-Berechnungen 2014, welche auf veralteten Messwerten aus 2011 und veralteten Emissionsfaktoren (HBEFA 3.3 statt 4.1) beruhten, den erwähnten Anforderungen. Die an der Grombühlstraße von der Beklagten 2019 gemessene NO2-Belastung, welche deutlich niedriger ausgefallen sei als die selbst noch für 2020 (50 µg/m3) modellierte Belastung, könne auf eine meteorologische Besonderheit des Jahres 2019 (milder Winter, lang anhaltende heiße Tage im Sommerhalbjahr und wenig Niederschlag) sowie auf die Baustelle am Europastern (Verkehrsreduzierung durch Brückensperrung) zurückgeführt werden.
Die Beklagte erwiderte, dass die Klage unbegründet sei, weil kein Anspruch auf Änderung oder Fortschreibung des Luftreinhalteplans bestehe. Die mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021 vorgelegte tatsächliche Entwicklung der Luftschadstoffbelastung im Gebiet der Beklagten widerlege die Behauptung des Klägers, es bestehe eine fortdauernde Grenzwertüberschreitung. Maßgeblicher Zeitpunkt für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch sei derjenige der letzten mündlichen Verhandlung. Zu diesem müsse einerseits eine Grenzwertüberschreitung gegeben und andererseits der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend die Änderung/Fortschreibung mit dem § 47 Abs. 1 BImSchG beschriebenen Inhalt erforderlich sein, um den Überschreitungszeitraum so kurz wie möglich zu halten. Nicht streitgegenständlich sei dagegen eine rechtliche Kontrolle des aktuell für die Beklagte geltenden Luftreinhalteplans, etwa ob die darin enthaltenen Prämissen und Prognosen im Lichte der aktuellen Sach- und Rechtslage zutreffend seien. Da aber 2020 der NO2-Jahresmittelwert an der Messstation Stadtring Süd 26 µg/m3 betragen und somit den Grenzwert deutlich um 14 µg/m3 unterschritten habe, sei jegliche Diskussion etwa um die Richtigkeit der Messhöhe entbehrlich; so habe das Oberverwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 29. November 2019 festgehalten, dass die Ergebnisdifferenz bei Messhöhen von 4,0 m und 1,5 m (am selben Standort) nur maximal 3 µg/m3 betrage. Auffällig sei auch, dass der gefundene Wert exakt mit den Ergebnissen der dort vorgenommenen Passivsammlermessungen übereinstimme. Selbst am „Hotspot“ Grombühlstraße sei 2020 mit einem NO2-Jahresmittelwert in Höhe von 39 µg/m3 der Grenzwert eingehalten worden. Auch diese Ergebnisse fügten sich in einen langjährigen (betreffend die Höhe der Jahresmittelwerte rückläufigen) Trend ein. Eine weitere, vom Kläger so geforderte stadtweite Betrachtung erübrige sich damit ebenfalls. Der Rückgang sei weder mit meteorologischen noch mit „coronabedingten“ Sondereffekten erklärbar, zumal sich 2020 die Werte trotz ungünstigerer meteorologischer Rahmenbedingungen verringert hätten. Selbst bei verbleibender geringfügiger Überschreitungen anhand von Prognosen für die Grombühlstraße (etwa 42 bis 41,9 µg/m3 für 2022), welche ohnehin nur „Null-Prognosen“ ohne Berücksichtigung der bereits umgesetzten oder eingeleiteten Maßnahmen darstellen würden, würde keine Pflicht zur Fortschreibung und erst recht keine Verhängung von Verkehrsverboten rechtfertigen; dies wäre vielmehr, auch im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 27.2.2020 – 7 C 3.19 – juris), unzulässig bzw. unverhältnismäßig. Die tatsächlich für 2021 erzielten Jahresmittelwerte hätten ebenfalls keine Grenzwertüberschreitungen mehr ergeben, selbst an der Grombühlstraße sei bloß noch ein Wert von Höhe von 37 µg/m3 erzielt worden; das Bundesverwaltungsgericht habe inzwischen mehrfach klargestellt, dass aktualisierte Prognosen bei der Klage auf Fortschreitung eines Luftreinhalteplans zu berücksichtigen seien.
Mit Schriftsatz vom 11. März 2022 erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Zwar sei die Klage mittlerweile durch die Grenzwerteinhaltung unbegründet geworden; ursprünglich sei sie aber, aufgrund der zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegebenen Grenzwertüberschreitungen, zulässig und begründet gewesen. Daher liege die Kostenlast bei der Beklagten.
Die Beklagte stimmte mit Schriftsatz vom 17. März 2022 der Erledigungserklärung zu. Dem Kläger seien die Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil die Klage zum maßglichen Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mangels Grenzwertüberschreitung abzuweisen gewesen wäre. Zum gleichen Ergebnis gelange man, wenn man annehme, maßgeblich sei der Zeitpunkt unmittelbar vor Einlegung des erledigenden Ereignisses; bereits vor Vorlage der Messergebnisse für 2021 sei eine zeitnahe Einhaltung der Grenzwerte bzw. allenfalls eine verbleibende geringfügige Grenzwertüberschreitung zu erwarten gewesen. Letztendlich sei aber die Klage bereits zum Zeitpunkt ihrer Erhebung unbegründet gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
2. Gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nur noch über die Verfahrenskosten. Abzustellen ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage und damit auf die Frage, wer den Prozess voraussichtlich gewonnen hätte, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der voraussichtlich in der Hauptsache unterlegen wäre, hätte der Rechtsstreit sich nicht in der Hauptsache erledigt (BVerwG, U.v. 6.4.1989 – 1 C 70.86 – juris Rn. 32).
Dabei soll nach der gesetzlichen Wertung keine erschöpfende Klärung der Sach- und Rechtslage mehr stattfinden. Insbesondere ist das Gericht nicht verpflichtet, schwierige Rechtsfragen abschließend zu klären, wenn auch die einschlägigen Rechtsfragen und die hierzu bereits vorhandene Rechtsprechung grundsätzlich zu ermitteln und zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.2008 – 9 VR 3.07 – juris Rn. 5; Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 161 Rn. 23).
Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, die Kosten gegeneinander aufzuheben, vgl. den Rechtsgedanken des § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung (von der Frage der damals höchstrichterlich noch nicht geklärten „korrekten“ Antragstellung abgesehen) aufgrund der berechneten wie auch der tatsächlich gemessenen, zu diesem Zeitpunkt und jedenfalls bis ins Jahr 2020 hineinreichenden Grenzwertüberschreitungen an den Messstellen Grombühlstraße und Stadtring Süd wohl nicht unerheblich waren. Berücksichtigt man zudem, dass die Kritik an der Messhöhe am Standort Stadtring Süd auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgend (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2021 – 7 C 4/20 – juris Rn. 45) wohl nicht gänzlich unberechtigt war, so lässt sich ohne nähere tatsächliche und rechtliche Prüfungen die Frage nicht beantworten, ob und vor allem ab welchem Zeitpunkt die Ergebnisse der im weiteren Verfahrensverlauf vorgelegten Messungen möglicherweise zur Unbegründetheit der Klage geführt haben. Letztendlich hing dies auch davon ab, wie zügig und zu welchem Zeitpunkt die jetzige Beklagte bzw. vorherige Beigeladene die jeweiligen Messergebnisse ins Verfahren eingeführt hat. Zudem ist – im Vergleich zu anderen prozessualen Konstellationen – vorliegend ein „erledigendes Ereignis“ (vergleichbar beispielsweise zur auslaufenden Befristung eines Verwaltungsaktes o.ä.), auf das der Kläger zeitnah zu reagieren hatte, kaum adäquat bzw. präzise feststellbar. Angesichts der Verfahrenslaufzeit, welche nicht der Kläger zu verantworten hat, und der sich mit fortschreitender Verfahrensdauer stetig verbessernden Messergebnisse, deren positive Entwicklung bei Klageerhebung – auch anhand der vom damaligen Beklagten (Freistaat Bayern) vorgelegten prognostischen Modelle – so nicht absehbar war, erscheint es dem Gericht insoweit unbillig, dieses nicht zuletzt durch den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehende Prozessrisiko allein dem Kläger aufzubürden. Sachgerecht erscheint vielmehr eine Kostenaufhebung, zumal beide Parteien durch Bevollmächtigte vertreten waren (vgl. dazu auch Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 90; Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 161 Rn. 22).
3. Nachdem die ursprünglich beigeladene Stadt W* … durch den gesetzlichen Parteiwechsel infolge der Zuständigkeitsänderung für die Aufstellung von Luftreinhalteplänen (Änderung des BayImSchG mit Gesetz vom 25. Mai 2021, GVBl S. 286) in die Rechtsstellung des früheren Beklagten – des Freistaates Bayern – eingetreten ist, kann die Kostenentscheidung nur ihr gegenüber ergehen; der Freistaat Bayern ist nicht mehr verfahrensbeteiligt (s. zur Kostenentscheidung nach gesetzlichem Parteiwechsel durch Zuständigkeitsänderung etwa BayVGH, U.v. 6.4.2001 – 12 B 00.2019 – juris Rn. 88; zu § 173 VwGO i.V.m. §§ 265, 266 ZPO vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 22 CS 18.2247 – juris Rn. 34 f., 45; U.v. 20.10.2020 – 22 A 16.40009 – juris Rn. 95 f.; 170). Ob und inwieweit die Beklagte einen Kostenerstattungsanspruch gegen den früheren Beklagten haben kann, ist eine hier nicht zu entscheidende Frage (vgl. zu der entsprechenden Frage im Rahmen von §§ 265, 266 ZPO OLG Brandenburg, U.v. 8.9.2004 – 4 U 41.04 – juris Rn. 34).
4. Der Streitwert folgt aus Nr. 1.2 und 34.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. für Verbandsklagen auf Aufstellung bzw. Fortschreibung von Luftreinhalteplänen auch VGH BW, U.v. 18.3.2019 – 10 S 1977.18 – Rn. 89; U.v. 29.11.2019 – 10 S 2741.18 – Rn. 82).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


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